Wie geht ein Citytrip?

Schon etwas befremd­lich die­ser Raum. Im Kel­ler, ohne Fens­ter und so klein – nichts für Men­schen mit Platz­angst, das Pod­works Hotel. Das Licht ist künst­lich, die Luft kommt aus der Anla­ge. Egal, das führt uns nur zu ers­ten City­trip-Weis­heit: Wer viel im Hotel­zim­mer ist, macht ohne­hin etwas falsch.

Das Podworks Hotel liegt zentrumsnah in der Henry Street, allerdings sind Zimmer ohne Fenster gewöhnungsbedürftig.

„Liverpool soll ganz cool sein“

Was fängt man nun an, mit 3 Tagen Liver­pool? Viel wis­sen wir nicht über die Stadt, als wir mit dem Zug in die Liver­pool Cen­tral ein­fah­ren. Auf die Wan­der­tou­ren in Wales sind wir gut vor­be­rei­tet, auf Liver­pool weni­ger. Darf man sich das erlau­ben? Muss auf einem kur­zen City­trip nicht jeder Schritt vor­ge­zeich­net sein? Oder soll­te man die berüch­tig­te Tra­vel­ler-Phra­se „lass dich ein­fach mal trei­ben“, irgend­wie mit Taten befül­len? Wir pro­bie­ren zwangs­läu­fig letz­te­res. Mal eine ande­re eng­li­sche Stadt als Lon­don zu berei­sen, reicht als Moti­va­ti­on erst­mal aus. „Ganz cool“ soll es sein, erfah­re ich noch per Whats­App von einem Kum­pel. Na dann kann’s ja los­ge­hen.

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Vom Bahn­hof aus stol­pern wir direkt ins „Liver­pool One“, das kann man als Orts­un­kun­di­ger kaum ver­mei­den. Ein Ein­kaufs­are­al wie ein Stadt­teil für sich. Man kennt die­ses Bild mitt­ler­wei­le zu gut: Die übli­chen Laden­ket­ten, Kinos, Sys­tem­gas­tro­no­mie­fi­lia­len und der Bord­stein immer schön gefegt. Hier ist alles wie über­all. Ganz im Sti­le pseu­do­mon­dä­ner City­trip­per empö­ren wir uns kurz über die glo­ba­le Ver­ein­heit­li­chung der Innen­städ­te. Das „eigent­li­che“ Liver­pool muss woan­ders sein.

Hipstersymbolik

Nicht weit davon, vor allem in der Bold Street, sieht es schon ganz anders aus. So urban sty­lisch. Der tra­di­tio­nell bri­ti­sche Bau­stil, also die­se fla­chen dun­kel­ro­ten Back­stein­häu­ser, wer­den mit ein paar modern-archi­tek­to­ni­schen Fines­sen kom­bi­niert. Ganz mini­ma­lis­tisch, so wie es offen­bar gera­de modern ist. Es gibt auch vie­le Restau­rants und Bars, die die­sen Indus­tri­al-Look haben. Also bei­spiels­wei­se eine unver­putz­te Wand, offen­lie­gen­de Roh­re und gro­be Indus­trie­leuch­ten. Das East Ave­nue Bake­house und das Leaf on Bold Street sind Mus­ter­bei­spie­le. Wir früh­stü­cken in bei­den Cafés, weil wir einen Klas­si­ker der City­trip-Weis­hei­ten beher­zi­gen: iß da, wo’s am volls­ten ist.

Was nie feh­len darf in sol­chen Loca­ti­ons: Sprü­che, die irgend­ei­ne pop­kul­tu­rel­le Refe­renz her­stel­len, öko­lo­gi­sches Bewusst­sein pro­kla­mie­ren oder sonst irgend­wie ein Hips­ter-Lebens­ge­fühl kol­por­tie­ren möch­ten. Sie sind über­all ange­bracht: auf Bil­dern, Kis­sen, T‑Shirts. Aus irgend­wel­chen Grün­den hal­ten sich Kat­zen, Fahr­rä­der, Kame­ras und Schnurr­bär­te hart­nä­ckig als ange­sag­te Sym­bo­le. Zum Früh­stück gibt’s auch in den ange­sag­ten Loca­ti­ons bewähr­te Klas­si­ker, soll hei­ßen „full-eng­lish break­fasts“: Würs­te, Boh­nen, Pil­ze, zwei Eier „any style“ und Eng­lish Pud­ding, eine Art Blut­wurst-Fla­den (ja, wir dach­ten tat­säch­lich, dass sei ech­ter Pud­ding).

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Auch Bock auf’n Kaffee?

Tat­säch­lich sin­nie­ren wir viel um die Fra­gen, was wir als nächs­tes Essen und wo es wohl guten Kaf­fee gibt, was einen City­trip ja auch irgend­wie aus­macht. Liver­pool ist wirk­lich ein Para­dies für soge­nann­te Foo­dies, was mich posi­tiv über­rascht. Ich hat­te Eng­land in kuli­na­ri­scher Hin­sicht immer als das Land abge­spei­chert, wo ganz selbst­ver­ständ­lich auch mal ’ne Tüte Chips als Sät­ti­gungs­bei­la­ge gereicht wird.

Wenn ich neu in einer Stadt bin, will ich nur ganz sel­ten ins Muse­um. In Liver­pool gibt es vie­le davon und sicher eini­ge, die einen Besuch wert sind: Muse­um of Liver­pool, World Muse­um und The Beat­les Sto­ry zum Bei­spiel. Trotz­dem will ich lie­ber drau­ßen blei­ben. Alte City­trip-Weis­heit übri­gens: Städ­te erschließt man sich auf den Stra­ßen, Plät­zen und Bars. Oder man geht, wo mög­lich, zum Hafen. In Liver­pool (Ach­tung unsäg­li­che Rei­se­ka­ta­log-Phra­se) lädt der Albert Dock zum fla­nie­ren ein: Es gibt ein gro­ßes Rie­sen­rad, Fish & Chips Stän­de, klei­ne Retro-Eis­wä­gen und den Beat­les wur­de hier ein Denk­mal gesetzt.

Vor allem der Blick zurück auf die Stadt lohnt sich von hier aus, weil die Sky­line so bizarr aus­sieht: moder­ne Glas­fron­ten wech­seln sich mit goti­schen Kathe­dra­len ab. Liver­pool spiel­te einst eine ent­schei­den­de Rol­le für den Auf­stieg des Bri­tish Empire. Wenn man von hier aus über die Water Street zurück ins Zen­trum läuft, ist fast jedes Gebäu­de eine Augen­wei­de. Vor allem die denk­mal­ge­schütz­te Bau­ten (India Buil­ding, New Zea­land House, Cunard Buil­ding) zeu­gen von der his­to­ri­schen Rele­vanz die­ser Stadt.liverpool-reisetipps-4 liverpool-reisetipps-5 liverpool-reisetipps-6 liverpool-reisetipps-3

Kathedralen sind die Aussichtspunkte

Noch so ’ne City­trip Weis­heit, wo wir schon dabei sind: Wenn die Mög­lich­keit besteht die Stadt von oben zu sehen, nut­ze sie. In Liver­pool gibt es zwei erha­be­ne Kathe­dra­len, die sich hier­für beson­ders gut eig­nen: die Liver­pool Metro­po­li­tan Cathe­dral, bezeich­nen­der­wei­se über eine Stra­ße namens Mount Plea­sant erreich­bar, und die Liver­pool Cathe­dral. Von letz­te­rer aus kann man sogar für ein klei­nes Ent­gelt den Son­nen­un­ter­gang über der Stadt genie­ßen – aller­dings nur don­ners­tags zum Twi­light Thurs­day. Wir haben das zwar nicht gemacht, ich erwäh­ne es trotz­dem ein­fach mal als Tipp. Außer­dem kommt man auf dem Weg dort­hin am „Reid of Liver­pool“ vor­bei. Ein bes­tens sor­tier­ter Second Hand Buch­la­den mit einem Besit­zer, der sein Geschäfts­mo­dell so nobel skiz­ziert, wie es wohl nur Bri­ten kön­nen: „we wish to buy and sell books on most sub­jects“. Es gibt in der Nähe auch ein paar Stra­ßen­zü­ge, die als Chi­na­town dekla­riert sind, was für uns vor allem bedeu­tet, dass wir am letz­ten Abend her­vor­ra­gend asia­tisch essen.

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It ain’t over ›til it’s over

So plät­schert die­ser City­trip gemüt­lich und genüss­lich dahin, bis es eines mor­gens für uns nach Wales geht. Am Bahn­steig hän­gen sich zwei Trun­ken­bol­de an uns her­an, viel­leicht weil wir all­zu undif­fe­ren­ziert die City­trip-Weis­heit „kom­me auch mal mit Locals ins Gespräch“ umset­zen. Die Jungs sind hacke­dicht, harm­los und mögen uns irgend­wie. Sie haben schrä­ge Fri­su­ren. Wer hat den schö­ne­ren „Hair­do“? Wir sol­len ent­schei­den. Unse­re Wahl fällt recht ein­deu­tig auf den Dun­kel­haa­ri­gen mit dem Oasis-Look. Er freut sich schel­misch und wir kom­men so schnell aus der Situa­ti­on nicht raus.

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Heute hier, morgen da: alles möglich

Mal ganz all­ge­mein zu City­trips: eigent­lich sind sie immer Selbst­läu­fer. Wo Men­schen sind ist Leben. Die urba­nen Kon­tras­te zie­hen mich immer wie­der in die Groß­stadt: die Bur­ka-Trä­ge­rin neben der Pun­ke­rin in der Sub­way – das sind kraft­vol­le Bil­der mensch­li­cher Hete­ro­ge­ni­tät. Die Groß­stadt spie­gelt auch den Zeit­geist. Was treibt die Mensch­heit gera­de um? Man muss in die gro­ßen Städ­te kom­men, um sich gro­ßen Fra­gen zu nähern. Am ande­ren Ende des Spek­trums funk­tio­nie­ren inner­eu­ro­päi­sche City­trips als Gip­fel hedo­nis­ti­scher Insta­gram-Mon­dä­ni­tät. Heu­te noch ’n Cor­ta­do in Lis­sa­bon, mor­gen schon wie­der im Büro. Was 1 Leben! Dann sind City­trips die Mark Wahl­berg-Fil­me unter den Rei­se­ar­ten: beson­ders her­aus­for­dernd sind sie zwar nicht, aber man weiß was man kriegt und ist für eine Wei­le gut unter­hal­ten: viel­leicht das guil­ty plea­su­re eines jeden Rei­se­lieb­ha­bers.

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Für uns funk­tio­niert das die 3 Tage in Liver­pool wun­der­bar. Das „sich trei­ben las­sen“ haben wir ganz gut hin­ge­kriegt: wir sit­zen einen gan­zen Nach­mit­tag in einem Buch­la­den rum, trin­ken mit­tags mal spon­tan ein local brew und ver­lie­ren uns öfters in engen Gas­sen zum Foto­gra­fie­ren. Dann kit­zelt es mich in die Natur des Snow­do­nia Natio­nal­parks zum wan­dern wei­ter­zu­zie­hen.

Bye, Liver­pool – The moun­tain is cal­ling and I must go. 

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Antworten

  1. Avatar von Reiseblognews

    Da sind ein­passt schö­ne Weis­hei­ten dabei! Und obwohl ich bei vie­len zustim­me, ist mir für Unter­kunft doch auch sehr wich­tig. Auch wenn es nur ein paar Stun­den sind, die man da ver­bringt… ich füh­le mich immer nur wohl, wenn es ein schö­nes, sau­be­res Zim­mer ist!

    1. Avatar von Stefan

      Ich muss zuge­ben, Sau­ber­keit ist bei mir auch ganz weit oben auf der Prio­ri­tä­ten­lis­te bei Hotel­zim­mern.

      Lie­be Grü­ße!

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