Liebe für die Elefanten

Der Abspann läuft. Nan­cy erhebt sich vom Bei­fah­rer­sitz und dreht sich zu uns um. Die jun­ge Thai­län­de­rin in Jacke und Schirm­müt­ze aus Jeans ist heu­te unser Tour­gui­de. „Nes­sy“ hat­ten wir alle ver­stan­den, als sie sich uns vor­stell­te, kaum dass wir in den Trans­por­ter gestie­gen waren. Nan­cy lächel­te ver­le­gen und klär­te das Miss­ver­ständ­nis auf. Jetzt klappt sie den klei­nen Bild­schirm im Mit­tel­gang ein und sieht uns ein­dring­lich an. „Ele­phant never for­get“, sagt sie und fängt den Blick der Ame­ri­ka­ne­rin neben mir auf, die noch immer die Hand vor den Mund hält.

Wir sind unter­wegs zum Ele­phant Natu­re Park, einer Zufluchts­stät­te für miss­han­del­te und ver­letz­te Ele­fan­ten, eine Auto­stun­de nörd­lich von Chiang Mai. Das Video erzählt vom frü­he­ren Leben der Tie­re: Ele­fan­ten in Ket­ten zie­hen Baum­stäm­me stei­le Hän­ge hin­auf und füh­ren Kunst­stü­cke im Zir­kus vor. Ein Jung­tier wird zum Bet­teln durch die Men­schen­men­ge auf Chiang Mais Nacht­markt getrie­ben und schwingt ner­vös den Kopf vor und zurück. Ein Bul­le führt noch Jah­re nach sei­ner Befrei­ung die Bewe­gun­gen aus, zu denen er unter Schlä­gen mit einem Haken beim Holz­trans­port gezwun­gen wur­de. Von Sequenz zu Sequenz wuchs der Kloß in mei­nem Hals. „Es ist wahr, was man über Ele­fan­ten sagt“, setzt Nan­cy nach, „sie sind unge­heu­er klug. Und sie ver­ges­sen nichts. Nie­mals.“

Hier leben die Tiere in Frieden

Drau­ßen zieht Thai­lands ber­gi­ger, satt-grü­ner Nor­den vor­bei. Drin­nen wird unser Tour­gui­de wie­der ver­le­gen. Mehr­mals ent­schul­digt sich Nan­cy für ihr schlech­tes Eng­lisch, wäh­rend sie von der Ent­ste­hung des Parks erzählt: Eine Frau namens Lek Chai­lert, auf­ge­wach­sen in einem Dorf in der Nähe, hat es sich zur Auf­ga­be gemacht, miss­brauch­te Ele­fan­ten von ihren Besit­zern frei­zu­kau­fen, ihre Wun­den zu ver­sor­gen und ihnen ein Leben ohne Qua­len zu schen­ken. Nie wie­der wür­den die Tie­re arbei­ten und Tricks vor­füh­ren müs­sen, nie wie­der von Tou­ris­ten gerit­ten. Anders als in so vie­len ande­ren Parks im Land.

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Dass ein­mal genü­gend zah­len­de Besu­cher kom­men – so rich­tig woll­te nie­mand dar­an glau­ben, als Lek ihr Pro­jekt 1995 ins Leben rief. Bis heu­te haben 64 Ele­fan­ten in der 100-Hekt­ar-gro­ßen Anla­ge im Nor­den Thai­lands ein Zuhau­se gefun­den. Und Rei­sen­de in Chiang Mai hören von allen Sei­ten die dring­li­che Emp­feh­lung, eine Tour in den Park zu buchen. „Da wird nicht gerit­ten. Und Besu­cher packen mit an.“ Das hat auch mich über­zeugt.

Ich habe näm­lich etwas wie­der gut zu machen.

Bali, ein Tag im Okto­ber 2013. „Ele­phant Kee­per“ steht auf dem T‑Shirt des Mahouts, der auf dem Kopf des Tie­res sitzt. Hin­ter ihm tau­schen mei­ne Freun­din Lara und ich im Holz­sat­tel rat­lo­se Bli­cke aus. Auf der Hälf­te der asphal­tier­ten Stre­cke steigt der Mann ab und macht Fotos, der Ele­fant hebt auf Kom­man­do sei­nen Rüs­sel. Erst danach darf das Tier aus einem beto­nier­ten Was­ser­loch trin­ken. Von hier aus kön­nen wir schon das Pär­chen sehen, das nach uns auf ihm rei­ten wird.

Auf mei­nen Wan­gen brennt Scham. Wie immer wenn ich dar­an den­ke.

„Wenn wir die Ele­fan­ten zu uns holen, sind sie schwer trau­ma­ti­siert“, sagt Nan­cy, als wir das Gelän­de errei­chen. Eine Mili­se­kun­de lang fra­ge ich mich, ob es nicht gefähr­lich ist, ihnen so nahe zu kom­men, bis der Frie­den die­ses Ortes den Gedan­ken ein­fach weg­schwemmt. Ich ste­he im zu allen Sei­ten offe­nen Haupt­haus. Vogel­stim­men drin­gen an mein Ohr, als ich die ers­ten Dick­häu­ter gemäch­lich in der Fer­ne durch das Grün lau­fen sehe.

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Minu­ten spä­ter steckt Jun Peng ihren Rüs­sel durch die Stre­ben der Umran­dung und tas­tet den Holz­bo­den ab. Nan­cy zeigt uns, wie wir die 75-jäh­ri­ge Ele­fan­ten­da­me rich­tig füt­tern. Jun Peng ist blind, wie so vie­le Tie­re hier. Auf Nan­cys Stich­wort hebt sie den Rüs­sel, ich lege ein Melo­nen­stück von unten hin­ter die Öff­nung, füh­le ihren Griff und sehe es in ihrem Maul ver­schwin­den. Und gleich noch eins. Und noch eins.

Viele der Elefanten sind blind

Es ist heiß. Son­nen­strah­len bre­chen durch die Wol­ken, als wir uns von hier aus in Bewe­gung set­zen. Unser Tour­gui­de spannt zügig einen Schirm auf. „Ich weiß, ihr fin­det das ver­rückt. Aber ich will nicht braun wer­den“, sagt sie und kichert. Lang­sam lau­fen wir hin­ter Nan­cy über die Wie­se, blei­ben immer wie­der ste­hen, um die Tie­re zu beob­ach­ten, die in Grüpp­chen bei­ein­an­der­ste­hen und fres­sen. „Die Ele­fan­ten suchen sich hier ihre Fami­lie aus“, erklärt unser Gui­de jetzt wie­der mit fes­ter Stim­me. „Ihre Freund­schaf­ten hal­ten ein Leben lang. Wird ein Baby gebo­ren, küm­mern sich alle Weib­chen um das Klei­ne. Stirbt ein Tier, trau­ert die gan­ze Grup­pe zusam­men.“

Sie erzählt uns die Geschich­ten der ein­zel­nen Ele­fan­ten, jede von ihnen herz­zer­rei­ßend. Lucky ist Zeit ihres Lebens im Zir­kus auf­ge­tre­ten und vom grel­len Schein­wer­fer­licht erblin­det. Jokia muss­te hoch­schwan­ger Baum­stäm­me schlep­pen und ver­lor ihr Baby am Hang. Ihr Besit­zer erlaub­te ihr nicht, nach dem Kalb zu sehen und schoss mit einer Schleu­der auf sie, als sie sich wei­ger­te, wei­ter­zu­ar­bei­ten. Dabei ver­lor sie auf einer Sei­te ihr Augen­licht, wenig spä­ter stach er ihr das ande­re Auge aus. Sri Prae trat bei der Arbeit an der Gren­ze zu Myan­mar auf eine Land­mi­ne, die ihren rech­ten Hin­ter­fuß zer­fetz­te. Bis heu­te kann sie ihn nicht rich­tig auf­set­zen.

Aber Lucky wur­de herz­lich von der Her­de auf­ge­nom­men, als sie ner­vös an ihrem ers­ten Tag allein auf dem Gelän­de stand. Jokia hat eine bes­te Freun­din gefun­den, Mae Perm, die ihren Rüs­sel um den ihren schlingt und sie durch den Park gelei­tet. Und neben Sri Prae, der Ele­fan­ten­da­me mit dem kaput­ten Fuß, steht Navann, zwei Jah­re alt. Ihr Baby. Bei ihrer Ankunft wuss­te nie­mand, dass sie träch­tig ist.

Sri Prae schwingt den kaput­ten Fuß vor und zurück, die andern Ele­fan­ten stel­len sich schüt­zend vor Navann, sie alle fres­sen unab­läs­sig Blät­ter und Zwei­ge vom Boden. Hin­ter uns tobt ein Jung­tier mit einem Auto­rei­fen im Schlamm, in der Fer­ne kratzt sich ein Dick­häu­ter an einem Baum.

https://www.instagram.com/p/BBTCK_6toJw/?taken-by=fluegge_blog

Eine hal­be Stun­de spä­ter ste­hen wir mit klei­nen rosa Eimern neben den Ele­fan­ten im Fluss und schüt­ten Was­ser auf ihre Kör­per, je drei Leu­te links und rechts. „Wie ihr seht, lie­ben sie die Abküh­lung“, ruft Nan­cy uns vom Ufer zu. Und tat­säch­lich: Die Ele­fan­ten­kuh in unse­rer Mit­te wirkt glück­lich und zufrie­den. Ihr Schwanz schwingt hin und her, die Ohren flat­tern gleich­mä­ßig.

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Es gibt immer Lie­be, den­ke ich, als wir im Gras sit­zen und drei Ele­fan­ten im Fluss beob­ach­ten. Immer wie­der glei­ten sie sanft ins Was­ser und berüh­ren ein­an­der mit dem Rüs­sel.

Es wird immer Lie­be geben, auch wenn es kein Ver­ges­sen gibt.

https://www.instagram.com/p/BA4OLSMtoI8/?taken-by=fluegge_blog

 

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Antworten

  1. Avatar von Der Reisende

    Hal­lo lie­be Susan­ne,

    hab dei­nen Blog grad bei mei­ner Recher­che zu Thai­land gefun­den. Ein wirk­lich sehr span­nen­des The­ma mit den Ele­fan­ten. Ele­fan­ten fin­de ich sind sehr sen­si­ble Tie­re und Men­schen­ver­bun­den, daher tut es umso mehr Weh wenn ihnen Leid wie­der­fährt, doch in dem Gehe­ge kön­nen sie ja fried­lich Leben.
    Wün­sche dir noch alles Gute auf dei­nen Rei­sen.

    lg
    Chris­ti­an

    1. Avatar von Susanne Helmer

      Hal­lo Chris­ti­an,

      ja, das kön­nen sie dort und es lohnt sich, die­sen Park dabei zu unter­stüt­zen. Dan­ke, Dir auch!

  2. Avatar von Aaron

    wow, die Geschich­te mit dem blin­den Ele­fan­ten­weib­chen hats ja in sich. Immer wie­der trau­rig, wie Mensch mit Tier umgeht und kei­ner­lei Empa­thie zeigt.

    1. Avatar von Susanne Helmer

      Hal­lo Aaron, jetzt erst Dei­nen Kom­men­tar ent­deckt. Das hat mich auch bewegt, es sind auch meh­re­re Ele­fan­ten im Park blind.

  3. Avatar von Bibo & Tanja

    Hal­lo Susan­ne,

    sehr coo­ler Arti­kel!
    Das haben wir auch schon gemacht und wir möch­ten die­se Erfah­rung nie­mals mis­sen!
    Wir hof­fen, dass wir es noch ein­mal schaf­fen dort hin zu fah­ren.
    Der Ele­phant Natu­re Park ist wirk­lich emp­feh­lens­wert!

    Lie­be Grü­ße
    Bibo & Tan­ja

    1. Avatar von Susanne Helmer

      Hal­lo Bibo und Tan­ja,
      dan­ke sehr! Ich wer­de auch nicht müde, den Park Freun­den zu emp­feh­len.

  4. Avatar von Dori

    Mir feh­len die Wor­te. Einer­seits, weil ich die Idee des Ele­phant-Natu­re-Parks so toll fin­de und ande­rer­seits weil mir die Tie­re mit ihren Schick­sa­len so unend­lich leid tun. Es ist ein­fach immer wie­der furcht­bar zu erfah­ren, wie sehr der Mensch der Natur scha­det und Leid ver­brei­tet.
    Ein Besuch in die­sem Park steht nun auf mei­ner Bucket­lis­te! Vie­len Dank für die­se Anre­gung.
    Lie­be Grü­ße
    Dori

    1. Avatar von Susanne Helmer

      Hi Dori,
      das kann ich nur noch mal nach­drück­lich emp­feh­len, den Park zu besu­chen!

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