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Ich erwache in diesem alten, leicht verrauchten, vollkommen aus der Zeit gefallenen Hotelzimmer in Hamra, elf Stockwerke tiefer ist die Stadt schon wühlig und laut, das Mittelmeer glitzert gleißend-weiß. Beirut ist, wie viele Städte, die einen auf unerklärliche Weise anziehen, erst einmal nicht schön.
Was habe ich vom Libanon gedacht, bevor ich hier angekommen bin? Ein Krisenherd, ein Chaosstaat, aufgeladen und aufgehitzt, und das stimmt schließlich auch. Aber natürlich ist doch alles ganz anders. Das Bild, das man sich zu Hause von einem Land macht, ist immer die komplette Verzerrung. Ich hatte gefürchtet, mich durch Beirut wie ein schattenhafter Geist bewegen zu müssen, mehr als ein geduldeter denn willkommener Besucher, skeptisch beäugt von ruhelosen Augen stämmiger Araber mit hitzköpfigem Temperament. Was für ein Unsinn. Ich bewege mich seit zwei Tagen völlig unbeschwert durch Beirut, und jetzt bin ich neugierig auf das Land geworden.
Eine deutsche Austauschstudentin versichert mir bei einer Wasserpfeife in Gemmayzeh, dass man sich bis auf wenige Ausnahmen völlig frei im Libanon bewegen könne. Wie gesagt, ich habe die Gemengelage wegen des Bürgerkriegs im Nachbarstaat falsch eingeschätzt. Lediglich in Tripoli kommt es schon im Februar, während ich das Land bereise, immer wieder zu Kämpfen. Es mehren sich die Anzeichen dafür, dass der Zedernstaat in den syrischen Konflikt hineingezogen werden könnte, aber noch ist es weitgehend ruhig.
Am nächsten Tag fahre ich vom Busbahnhof Charles-Helous im Osten Beiruts nach Byblos, ich will mir die antike 8000 Jahre Stadt anschauen oder zumindest das, was noch übrig geblieben ist aus den Jahrhunderten ihrer wechselvollen Geschichte.
Der Verkehr aus der Stadt nach Norden heraus, entlang der Küste, bewegt sich nur schleppend. Beirut wird immer mehr Vorstadt, aber wir verlassen bis Byblos nie die Urbanität. Ich lasse mich irgendwo an der Hauptstraße aus dem Bus werfen und frage mich durch bis zu den Ruinen am Meer, die natürlich jeder kennt.
Byblos ist eigentlich, in besseren Tagen, ein touristischer Hotspot auf den Rundreisen der Orientspezialisten. Es ist eine der ältesten Städte der Welt, man hat dort Relikte aus der Jungsteinzeit gefunden, 6000 Jahre vor Christi Geburt ließen sich an diesem Ort die ersten Fischer nieder. In der Bronzezeit verkauften die Bewohner Zedernholz nach Ägypten, sie kauften Edelsteine aus Mesopotamien, Metalle aus Anatolien, Leinen, Getreide und Papyrus aus dem Niltal und Gold aus Nubien. Byblos war eine wohlhabende Handelsstadt. In der Eisenzeit kamen die Perser, dann natürlich Alexander der Große, und schließlich die Römer und brachten das Christentum übers Meer in die Levante.
An diesem Tag ist niemand hier, der sich dafür interessieren könnte.
Die Gassen um die Unesco-Welterbestätte sind verlassen, die Souvenirverkäufer mit all ihren Tassen, Münzen und Wimpeln sitzen gelangweilt in den Verkaufsräumen und rauchen. Wegen des Bürgerkriegs in Syrien bleiben die Besucher aus, erklärt ein Händler und bereitet mir einen Tee zu, damit ich kein überteuertes Flaschenwasser kaufen muss. Sein Sohn Elie will jetzt ein bisschen was über diesen Gast aus Deutschland wissen.
Als er hört, dass ich Journalist bin, erzählt er, dass er auch gerne schreiben würde, aber das sei im Libanon nicht möglich, irgendwem würde man immer auf die Füße treten, die Presse sei nicht frei. »If I write something wrong, they will come to my door and shoot me.« Mag sein, dass sich der Junge etwas zu wichtig nimmt, aber Autobomben und Attentate haben im Libanon eine gewisse Tradition.
Der junge Libanese erklärt, es werde niemals Frieden geben im Nahen Osten. »They like guns more than peace. They are thirsty for guns.«
Dann erklärt Elie, Adolf Hitler sei der größte politische Führer aller Zeiten gewesen – eine Einschätzung, die man im arabischen Raum häufiger zu hören bekommt und die auf einen Deutschen immer besonders absurd wirkt. Natürlich, das mit den Juden sei irgendwo nicht in Ordnung gewesen, aber wie Hitler aus Deutschland eine Großmacht gemacht habe, nach dem Ersten Weltkrieg, nach Versailles, dafür müsse man ihm den allergrößten Respekt aussprechen.
Der Libanon selbst als multikonfessioneller Staat war nie wirklich stabil. Auch wenn der 15 Jahre währende Bürgerkrieg oft als Religionskonflikt missverstanden wurde, kämpfte eigentlich »jeder gegen jeden«, das ist soweit historischer Konsens. 1943 wurde das Land unabhängig von Frankreich. Die Verfassung sah vor, dass der Staatspräsident ein Christ, der Ministerpräsident ein Sunnit und der Parlamentspräsident ein schiitischer Muslim sein sollte, um die damalige ethnisch-konfessionellen Bevölkerungsverteilung angemessen zu repräsentieren.
Byblos ist ein Ort, an dem sich alle Erdzeiten aufeinander stapeln. Die Ruinen leuchten optimistisch im spärlichen Sonnenlicht, während die Skyline von Beirut am Horizont hinter dem Meer in dunkle Wolken gehüllt ist. In dem menschenleeren Museum auf dem Besichtigungsgelände kann man sich alte Keile, Speerspitzen, Becher und Schalen anschauen, die in Glaskästen fein säuberlich beschriftet und aufbereitet wurden.
Ebenso verlassen wie die Ruinen ist der kleine Hafen von Byblos. Bei Pepe’s Fishing Club sieht man keine ausländischen Gäste, dabei wirbt das Empfangsschild mit einem »Rendez-vous des personnalites internationales«. Das Restaurant war einmal ein Treffpunkt des internationalen Jetsets, noch vor dem Bürgerkrieg, der 1970 ausbrach, unfassbar lange ist das her. Besitzer Youssef Gergi Abed, der Pepé Abed genannt wurde, war ein Unternehmer-Tycoon mit dem Sinn für das feine Leben, ein Gunter Sachs des Nahen Ostens. Zu den Gästen des fishing club gehörten damals zum Beispiel die schwedische Schauspielerin Anita Ekberg, der tschechische Präsident Václav Havel und der libanesische Staatschef Camille Chamoun selbst.
Auf dem Schild steht als letzte Zeile »la tradition continue…«, aber der Himmel ist nur trüb und grau, ein paar unspektakuläre Boote liegen im Hafen, man möchte hier jetzt nicht einmal einen Kaffee trinken.
Ich lerne einen jungen Libanesen namens Kevin kennen, der früher einmal Schiit war und anders hieß. Er wohnt in einem kleineren Ort in der Beeka-Ebene und hat zwei serbische Couchsurfer zu Besuch. Wir beschließen, uns gemeinsam die Tropfsteingrotten von Jeita anzuschauen und nehmen ein Taxi. Der Libanon ist ein kleines Land, man muss nie lange fahren, um von einem Ort zum anderen zu kommen.
Der Wagen kurvt hinauf in die Berge, wir verlassen das Taxi und müssen noch einmal mit einer Seilbahn weiter in die Schlucht hineinfahren, um in die Grotten zu kommen. In der Höhle herrscht striktes Fotografieverbot. Mindestens sechs Aufpasser laufen herum und lassen die Besucher nicht aus den Augen. Miljan lässt sich beim Fotografieren erwischen und muss alle Fotos löschen, es ist überhaupt ein Wunder, dass ihm die Kamera nicht gleich abgenommen wird, vollkommen lächerlich.
Die Sonne steht schon tief, als wir weiter nach Jounieh fahren. Dort führt wieder eine Seilbahn auf einen Berg. Oben befindet sich eine maronitisch-christliche Pilgerstätte mit einer Kapelle und einer Statue der Jungfrau Maria, der Nôtre Dame du Liban. Ein Weg umkreist den Koloss und führt auf seine Spitze.
Über Beirut und dem Mittelmeer senkt sich mittlerweile die Sonne. Die bewaldeten Berghänge hinter der Stadt und die griechisch-katholische Basilika St. Paul werden in ein weiches Licht getaucht, das absolut computersimuliert aussieht. Es ist Nacht, als wir in Richtung Innenstadt aufbrechen.
Zurück in Beirut, Flanieren in Hamra. Was ist das eigentlich für eine Stadt?
Aufgemotzte SUVs mit laut aufgedrehter arabischer Popmusik schleichen über den Asphalt, Ellenbogen lehnen aus den Fenstern. Ich sehe die Pflaster auf den Nasen der jungen libanesischen Frauen, die Luxusboutiquen der Downtown, Hermés und Gucci und Versace, wirklich jedes Label ist hier vertreten. Direkt neben dem Platz der Märtyrer, an diesem Ort der Revolution, der Hoffnungen und Ängste, steht ein gelber Ferrari F458 Spider im Schaufenster. Das halb abgerissene Plakat einer Immobilienfirma wirbt für »incomparable Beirut« als »the place where people go to enjoy life to the fullest«. Überall Baukräne und Geld, das wieder vermehrt die reichen Syrer anzieht, die keine Lust mehr auf den Bürgerkrieg haben. Beirut ist natürlich schizophren. In Hamra gibt es überall Restaurants im Stil amerikanischer diner. Man braucht nie aufhören, einen Kaffee zu trinken: Costa Coffee, The Coffee Bean & Tea Leaf, Hamra Coffee, Gloria Jean’s Coffee, überhaupt die Cafélattesierung der internationalen Metropolen, ein Lifestyle des Westens.
Beirut wirkt so, als wollte sich das Land durch Konsum aus allen Zerwürfnissen retten. Ich komme mir vor, als wäre ich in das Auge eines Sturms gereist, in ein Zeitloch fragiler Stabilität. Im Palast wird noch gezecht, doch vor den Toren hat der Mob schon zu den Sturmgewehren gegriffen.
In den Monaten nach meinem Aufenthalt im Libanon nehmen die Gewaltausbrüche zu: Raketen schlagen in der Beeka-Ebene ein. Die Armee liefert sich Kämpfe mit einem Salafisten-Scheich in Sidon. Syrische Kampfflugzeuge fliegen mehrfach Einsätze auf libanesischem Staatsgebiet. Durch eine Autobombe in einem schiitischen Hisbollah-Vorort von Beirut kommen 24 Menschen ums Leben, in Tripoli zünden Attentäter vor sunnitischen Moscheen zwei Bomben, 29 Menschen sterben, 500 werden verletzt. Der deutsche Außenminister warnt kraft- und machtlos vor einem »Flächenbrand«. Die EU setzt den militanten Arm der Hisbollah, der nach dem Bürgerkrieg per UN-Resolution 1559 eigentlich hätte entwaffnet werden sollen, auf ihre Terrorliste.
Am letzten Tag will ich nach Baalbek fahren, obwohl das Auswärtige Amt eindringlich vor Reisen in die Beeka-Ebene warnt. Ich habe mittlerweile mit vielen Menschen im Libanon gesprochen, und alle haben mir gesagt, dass es dort sicher sei.
Der Bus verlässt Beirut und schraubt sich die Straßen ins Gebirge hinauf. Der junge Libanese neben mir erzählt, vor drei Wochen hätten hier noch drei Meter Schnee gelegen. Er will mich sofort bei Facebook als Freund hinzufügen, dort nennt er sich »Miles To Go«. Auf der Fahrt über die Berge muss ich an einem check point nur einmal meinen Reisepass vorzeigen. Dann blicke ich irgendwann herunter in das weit ausgeschnittene Hochtal.
Man bekommt ein Gefühl dafür, wie es zum Beispiel im Pamir aussehen könnte, obwohl es dort natürlich noch viel trockener ist als in der fruchtbaren Beeka-Ebene. Aber dieser Landstrich wirkt viel arabischer als die Küste. Es gibt mehr voll verschleierte Frauen, die Häuser sind einfacher, keine westlichen Imbissbuden und Restaurants und sowieso überhaupt keine Touristen aus dem Westen. Alles ist kärglicher und dörflicher. Baalbek liegt zehn Kilometer entfernt von der syrischen Grenze, die Bergketten am Horizont tragen feine Schneekuppen.
Ich besuche die alten römischen Kultstätten, die Ruine und den Hexogonalhof des Jupiter-Tempels aus der Zeit des Kaisers Nero und den gewaltigen Bacchus-Tempel, der ohne Mühe die Kulisse eines jeden Historienepos abgeben würde. Als Kaiser Wilhelm II. 1898 ins Heilige Land kam, beauftragte er aus Faszination gleich zwei Archäologen mit der weiteren Erschließung des Areals. In Baalbek soll es auch ein Hisbollah-Museum geben, aber ich finde es nicht.
Am Nachmittag esse ich am Straßenrand ein Brot mit Lamm. Die tief stehende Sonne lässt die Tempel leuchten. Vor den Ruinen stehen wieder Souvenirverkäufer, wie in Byblos, aber niemand kauft etwas. Ein Mann führt ein Kamel an einer Leine umher und wartet auf Touristen, denen er für ein Aufsitzen einen völlig überteuerten Preis abnehmen kann. Ich schaue zu den Bergen, hinter denen Krieg ist, und es ist grotesk.
Wird sich die Geschichte wiederholen?
Die Libanesen kennen die unüberschaubare asymmetrische Kriegsführung in Syrien mit schnell wechselnden Fronten und Konfliktparteien, Attentaten und militärischen Patt-Situationen aus ihrem eigenen Bürgerkrieg. Kaum zu sagen, wie sich die Lage entwickeln wird, im gesamten Nahen Osten, wo arme Schiiten gegen arme Sunniten kämpfen, angestachelt von fundamentalistischen Theokraten in Teheran und den reichen Königshäusern der Golfmonarchien.
Wie oft hört man von »der arabischen Welt«, dieser romantisierenden Indifferenz, als spräche man sonst von der Währungskrise »in der europäischen Welt«? Dabei versteht man – das wird bei einer Reise in den Libanon deutlich – wenig bis überhaupt nichts von dieser ruhelosen Krisenregion. Allahu akbar.
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Hey,
ich wüsste gar nicht das es in Libanon gar nicht so gefährlich ist. Ich kenne eine Studentin die da Ihr Praktikum machen wollte, aber das würde von der Schüle abgelehnt, weil es dort zu gefährlich wäre.
Hallo! Man muss dazu sagen: Ich war im Februar dort, bis heute ist die Lage noch mal um einiges unsicherer geworden. Außerdem ist es, denke ich, ein Unterschied, ob man eine Woche dort reist oder einen längeren Aufenthalt plant. Am besten ist es wohl, wenn man vor Ort schon jemanden kennt (oder schnell kennenlernt), der die Lage beurteilen kann. Im Moment würde ich mir wohl auch ein anderes Reiseziel suchen.
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