Außerirdisch schön – Der Roque de los Muchachos

Über­all auf der Insel fin­det man abstrus anmu­ten­de Weg­wei­ser: Pola­ris – 4:077.483.636.167.800 km steht da zum Bei­spiel und weist Inter­es­sier­ten den Blick­win­kel direkt zum Polar­stein. Ehr­lich gesagt bin ich kein Astro­no­mie-Fan. Ich genie­ße den Ster­nen­him­mel am liebs­ten mit einer Fla­sche Vega Nor­te, guck ein­fach sinn­frei in den Him­mel und freue mich über jede Stern­schnup­pe – und man sieht viel davon auf der Isla Boni­ta. Aber das Fir­ma­ment über La Pal­ma macht schon neu­gie­rig. Mit einer Ster­nen-App las­sen sich schnell Venus und Mars fin­den – der rote Pla­net ist hier wirk­lich rot-oran­ge,– und irgend­wann will man mehr.

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Ich fas­se den Plan, noch näher an die Ster­ne zu kom­men: Ich will auf dem Roque de Los Mucha­chos fah­ren, mit 2.426 Metern die höchs­te Erhe­bung der Insel. Dort gibt es eins der größ­ten Obser­va­to­ri­en der Welt. Ähn­li­ches fin­det man nur noch auf Hawaii und in Chi­le. Mein ursprüng­li­cher Plan: Ich will dort den Son­nen­un­ter­gang genie­ßen und dann bei einem Pick­nick auf die Herr­lich­keit des Him­mels war­ten. Aber die Stre­cke ist lang und kur­vig. Also beschlie­ße ich, erst mal am Tag dort hin­auf zu fah­ren. Die Aus­sicht soll nicht so schlecht sein.

The long and winding road

Vom herr­li­chen Strand von Taza­cor­te im Wes­ten La Pal­mas pla­ne ich ca. 90 Minu­ten ein. Der Tag ist son­nig, es sind jetzt im Novem­ber um die 24 Grad, idea­les Wan­der­wet­ter. Die Berg­stre­cke beginnt. Spitz­keh­re folgt auf Spitz­keh­re. Die Aus­sicht ist gran­di­os. Die Lau­ne ist eupho­risch – solan­ge man kei­nen Bus vor der Stoß­stan­ge hat. Es geht durch aus­ge­dehn­te Bana­nen­plan­ta­gen, klei­ne Dör­fer, Pini­en­wäl­der. Aber es dau­ert! Und die Kur­ve­rei kann einem schon mal auf den Magen schla­gen Bei Tija­ra­fe brau­che ich eine Pau­se, gucke mir den roman­ti­schen Kirch­platz an und esse die letz­ten Man­del­kek­se aus Fuen­ca­li­en­te – nir­gend­wo gibt es bes­se­re! Hin­ter Pun­tagor­da geht es ab in die Wala­chei.

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Die Stra­ßen wer­den schma­ler. Plötz­lich Stau: Die Stra­ße ist mit einer Schran­ke gesperrt. Stein­schlä­ge haben die Stra­ße ver­schüt­tet. Stein­schlä­ge sind durch das Hoch­ge­birgs­kli­ma hier nichts unge­wöhn­li­ches, höre ich von war­ten­den Insi­dern, aber eigent­lich eher im Früh­jahr, wenn das Eis schmilzt. Was tun? Abzie­hen oder blei­ben? Irgend­je­mand will gehört haben, dass die Stra­ße um 11.30 Uhr wie­der geöff­net wird. Also plau­dern und war­ten. Gegen 12 Uhr dre­hen die ers­ten um und fah­ren ab. Als ich gera­de auch auf­ge­ben will, kom­men eini­ge zurück: Der Inspek­tor ist im Anmarsch. Und wirk­lich: 10 Minu­ten spä­ter wird die Schran­ke hoch­ge­klappt und die Blech­ka­ra­wa­ne setzt sich wie­der in Bewe­gung Rich­tung Roque-Gip­fel.

Jetzt wird es wirk­lich steil: Mehr als der zwei­te Gang geht gar nicht mehr. Die Bäu­me wer­den sel­te­ner, Schnee­fel­der tau­chen am Stra­ßen­rand auf, und plötz­lich bin ich mit­ten in einer Sci­ence Fic­tion Land­schaft: Rie­si­ge Para­bol­spie­gel, kugel­för­mig ver­spie­gel­te Gebil­de, Brü­cken in Gebäu­de, die wie gigan­ti­sche Milch­con­tai­ner aus­se­hen. Vor mir liegt das ORM, das Obser­va­to­rio del Roque de los Mucha­chos.

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Science Fiction World

Wo bin ich hier gelan­det: Auf Chro­ma oder David Bowies Wüs­ten­pla­net? Es ist wie im Sci­ence Fic­tion: 15 Spie­gel­te­le­sko­pe sind hier seit 1984 instal­liert wor­den, dar­un­ter das Größ­te Euro­pas, das Gran Tels­co­pio Cana­ri­as. Bri­an May von Queen, selbst mal ein alter Astro­phy­si­ker, soll eine Eröff­nungs­hym­ne ver­fasst haben. Das rie­si­ge Spie­gel­te­le­skop mit­ten­drin dop­pelt die Land­schaft auf irrea­le Wei­se. Es dient der Erfor­schung der Gam­ma­strah­len; Deut­sche Wis­sen­schaft­ler for­schen hier zusam­men mit Kol­le­gen aus 19 Natio­nen. Aber ich kom­me nicht rein. Ich weiß auch gar nicht so recht zu sagen, was jetzt Tele­skop und was Ver­wal­tungs- oder Visi­tor­ge­bäu­de ist. Ein ver­zweig­tes Wege­sys­tem tut sich auf, aber über­all ist mir als Nicht-Wis­sen­schaft­ler der Zutritt ver­wehrt.

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Ich muss sehr ver­lo­ren wir­ken, denn ein besorg­tes Paar spricht mich an. Eva und Micha­el waren schon häu­fi­ger hier und klä­ren mich auf: Füh­run­gen sind mög­lich, aber nur nach Vor­anmel­dung übers Inter­net. Ich fra­ge, ob man denn auch an die Rie­sen­fern­roh­re her­an­kommt. Eva lacht über mei­ne Retro­vor­stel­lun­gen: Man sehe eigent­lich haupt­säch­lich Com­pu­ter­bild­schir­me mit Auf­zeich­nun­gen und Mess­ergeb­nis­sen. Da muss man schon Ahnung haben. Hab ich nicht, und damit ist das Pro­jekt pro­fes­sio­nel­les Ster­nen­gu­cken für mich erst mal gestor­ben.

Außerirdisch schön

Aber war­um zu den Ster­nen grei­fen? Der Roque selbst ist außer­ir­disch schön. Neben einem gut begeh­ba­ren und gesi­cher­ten Höhen­grad klafft die Cal­de­ra de Tabu­ri­en­te, ein gigan­ti­scher Vul­kan­kes­sel mit bizar­ren Fels­for­ma­tio­nen. Die Luft ist so klar wie nur an weni­gen Orten auf der Welt, des­halb haben sich hier die pro­fes­sio­nel­len Ster­nen­gu­cker nie­der­ge­las­sen.

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Der Him­mel ist post­kar­ten­blau und wol­ken­los, denn die Wol­ken wabern unter mir durch den 1.500 Meter tie­fen Can­yon. Mal zie­hen sie sich zu, dann rei­ßen sie wie­der auf und prä­sen­tie­ren atem­be­rau­ben­de Bli­cke in die Tie­fe – ein wah­res Wol­ken­thea­ter. Da gibt es viel zu gucken – hin­ter den Wol­ken zeich­net sich der Tei­de auf Tene­rif­fa ab. Die Son­ne wärmt ange­nehm. Dabei ist die Grund­tem­pe­ra­tur hier oben 3°. Ich bin froh über mei­ne Win­ter­ja­cke und gucke mit­lei­dig auf Mit­tou­ris­ten, die in Flip-Flops und kur­zen Hosen die­sen gran­dio­sen Ort mehr erlei­den als erle­ben. Die gucken mit­lei­dig auf mich, der ich mei­ne Kek­se schon auf der Anrei­se geges­sen habe und jetzt nichts für ein Pick­nick ein­set­zen kann. Zu kau­fen oder ein­zu­keh­ren gibt es hier nichts. Ich bin hier an einem durch und durch tou­ris­ti­schen Ort, der voll­kom­men natür­lich gehal­ten wor­den ist.

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Direkt neben mir lan­det ein Kolk­ra­be auf der Mau­er und betrach­tet mich prü­fend. Ich bli­cke zurück auf den Pfad, den ich gekom­men bin: Wie auf einer Amei­sen­stra­ße zie­hen die Besu­cher dar­auf über den Roque. Ich füh­le mich sehr klein und gran­di­os zugleich. Als ich mich umdre­he, sind die Nach­bar­inseln im Nebel ver­schwun­den. Der Rabe hebt wie­der ab. Das hier ist ein­deu­tig nicht ganz von die­ser Welt.

Sonnenuntergang

Am Abend sit­ze ich mit Vega Nor­te auf mei­ner Ter­ras­se bei Todo­que und genie­ße den Son­nen­un­ter­gang. Und irgend­wann kom­men sie wie­der – die Aber­mil­lio­nen Ster­ne, von denen wie­der der Mars deut­lich rot schim­mert. Ich über­le­ge, ob ich Evas Tipp fol­gen soll. Es gibt geführ­te Ster­nen­be­ob­ach­tun­gen, hat sie erzählt, mit Fern­roh­ren und ohne Com­pu­ter in Eng­lisch und Spa­nisch. Viel­leicht wäre es reiz­voll ein­mal mehr als den Mars zu erken­nen.

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Antworten

  1. Avatar von Graja Redaktion
    Graja Redaktion

    Ein schö­ner Bericht der Lust auf die »Isla boni­ta« macht und viel­leicht ein ent­schei­den­des Kri­te­ri­um für Unschlüs­si­ge bei der Wahl des nächs­ten Rei­se­ziels.

  2. Avatar von Elmar

    Ergän­zend zum obe­ren Kom­men­tar von mir möch­te ich noch erwäh­nen, dass die Tele­sko­pe an den Feri­en­häu­sern recht ein­fach zu bedie­nen sind, und nach einer kur­zen Ein­füh­rung kann eigent­lich jeder damit umge­hen. Beson­ders span­nend ist die Mög­lich­keit Kom­pakt­ka­me­ras, oder auch Spie­gel­re­flex­ka­me­ras anzu­brin­gen und so Astro­fo­to­gra­fie zu betrei­ben. Es gibt Adap­ter für die Mar­ken Nikon und Canon, oder ein­fach Befes­ti­gungs­mög­lich­kei­ten für ande­re Kame­ras. Auch ent­spre­chen­de Astro­li­te­ra­tur ist vor­han­den, es kann also gleich los­ge­hen!
    Hier fin­det Ihr etwas Zusatz­in­for­ma­ti­on und links zu mög­li­chen Feri­en­häu­sern: https://www.paradies-lapalma.de/de/service/astronomie-la-palma

    Elmar

  3. Avatar von Elmar

    Hal­lo Richard,

    auf La Pal­ma hat sich mitt­ler­wei­le ein Astro­tou­ris­mus eta­bliert, und vie­le Feri­en­häu­ser bie­ten ein eige­nes Tele­skop für die Gäs­te an. Die Feri­en­haus­be­sit­zer haben das von der Insel­re­gie­rung sub­ven­tio­niert bekom­men und muss­ten an einer Schu­lung über Astro­no­mie und Benutzng von Tele­sko­pen teil­neh­men.
    Ich sel­ber, ich ver­mitt­le Feri­en­häu­ser auf der Insel, gebe hin und wie­der Ein­füh­run­gen in den Nacht­him­mel. Meis­tens machen das aber spe­zi­ell geschul­te Leu­te, die mit mei­nen Feri­en­gäs­ten ent­we­der am Feri­en­haus, oder in der Nähe des Roque de los Mucha­chos Astro­ex­kur­sio­nen unter­neh­men.
    Eine Ein­füh­rung in die The­ma­tik, auch wenn man nicht wie Kepp­ler durch ein Tele­skop die Ster­ne sehen kann, gibt es durch die geführ­ten Tou­ren schon. Am Tele­skop Isaac New­ton lässt sich auch etwas über die Geschich­te des Obser­va­to­ri­ums erfah­ren und natür­lich eini­ges über die Vor­gän­ge am Him­mel.
    Hier: https://bit.ly/2L6uZcM kann man Ter­mi­ne am Obser­va­to­ri­um direkt machen. Und kei­ne Angst, es geht hier noch nicht um Spek­tral­ana­ly­sen oder den Erkennt­nis­ho­ri­zont, son­dern um für nor­ma­le Men­schen ver­ar­beit­ba­re Infor­ma­tio­nen.

    Das unter dt. Lei­tung ste­hen­de Magic Tele­skop, wel­ches nun ein drit­tes bekom­men hat, ist in beson­de­rem Inter­es­se mei­ner Gäs­te, viel­leicht hat das was mit der neu­en Astro­no­mie und der Gra­vi­ta­ti­ons­wel­len-Beob­ach­tung zu tun.

  4. Avatar von Lenni

    Hal­lo Richard,
    dan­ke für den tol­len Arti­kel!
    Ich kann Dei­ne Sehn­süch­te, Gedan­ken und Erleb­nis­se genau nach­voll­zie­hen.
    Super, dass du uns dar­an teil­ha­ben lässt 🙂
    Wel­ches war denn dein uner­war­te­tes High­light? Wel­ches war einer die­ser Momen­te mit denen du nicht gerech­net hät­test?
    Lie­be Grü­ße

    Len­ni

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