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Neonreklame blinkt, Wolkenkratzer verdecken den Himmel und schrille Popmusik dröhnt aus den Spielhöllen. All das sehe und höre ich hier nicht, auf Kyushu, der südlichsten Hauptinsel Japans. Es ist friedlich, ursprünglich, ja fast möchte ich sagen: still.
Kyushu war einst, vor ein paar Jahrhunderten, das Fenster zur Welt. Die Europäer setzten vom nahe gelegenen asiatischen Festland über, betrieben Handel und brachten mit Waffengewalt das Christentum. Bis die Japaner es leid waren und sich für ein striktes sakoku entschieden. Die Landesabschließung. Und obwohl der Inselstaat im Jahr 1853 vom Westen zur Öffnung gezwungen wurde, so scheint Kyushu noch im Dornröschenschlaf zu dämmern. Ein vergessenes Paradies, weit ab von der Glitzermetropole Tokyo.
Kyushu ist traditionell. Kyushu ist japanisch.
Das ist schön. Und beinahe möchte ich diesen Reisegeheimtipp nicht verraten, nicht hinausposauen, sondern für mich behalten. Aber ich bin schwach, ich muss von diesem Eiland berichten. Von Reisfeldern, Zedern und rotem Ahorn. Die Straßen eingerahmt wie ein Gemälde. Hier sehe ich noch Männer und Frauen in Kimonos, hier hat man noch Zeit.
Kunst und heiße Luft
In den Städten und Dörfern steigt der Dampf der Onsen in den Himmel. Das siedende Wasser stammt aus vulkanischen Quellen. Das Bad spielt in der japanischen Kultur eine wichtige Rolle, insbesondere zum Entspannen nach der Arbeit.
Ich entspanne beim Essen. In keinem anderen Land habe ich bisher so gestaunt. Nahrung ist der falsche Ausdruck, das hier ist Kunst. Virtuos arrangiert, achtsam serviert.
Tödlicher Fisch
Auf Kyushu liebt man die ungewöhnliche Küche. Neben Aal und rohem Pferdefleisch gehört auch der Kugelfisch, in Japan Fugu genannt, auf die gut sortierte Speisekarte.
Der Genuss kann tödlich enden. Schuld daran ist das Gift Tetrodotoxin in Leber, Darm und Rogen des Tieres. Falsch zubereitet – und der Tag ist gelaufen. Der Geschmack ist eher fahl. Allein deshalb lohnt sich Fugu nicht. Es ist der Nervenkitzel, der mit am Tisch sitzt.
Damit der Gast am Leben bleibt, sollte der Koch eine spezielle Ausbildung absolviert haben und eine Lizenz besitzen. Kugelfischabfälle müssen zudem als Sondermüll entsorgt werden.
Das Toxin im Körper eines Tigerfugus – für die Japaner der König der Kugelfische – reicht aus, um 30 Menschen zu töten. Kein Wunder, dass der Verzehr in Deutschland verboten ist.
Mittlerweile sterben nur noch fünf Japaner jährlich den qualvollen Tod. Doch nach wie vor ist Fugu das einzige Nahrungsmittel, das der kaiserlichen Familie nicht aufgetischt werden darf. Wie sagt ein altes Sprichwort? No risk, no fugu.
Made in Japan
Kyushu ist nicht nur bekannt für sanfte Landschaften und gute Küche, sondern auch für Porzellan. Seit über 300 Jahren schon wird Ton in 150 Öfen rund um den kleinen Ort Arita gebrannt. Arita-Porzellan genießt weltweites Ansehen und ein Rundgang durch das Keramik-Museum lohnt sich allemal.
Eine Rheinländerin im Kimono
Wer Kyushu bereist, sollte die alte Samuraistadt Kitsuki besichtigen. In einem Laden für Kimonos lasse ich mich ausstaffieren. Zwei Japanerinnen wuseln um mich herum, legen Stofflage auf Stofflage, binden Knoten. Als karnevalsleidgeprüfte Rheinländerin müsste ich solche Verkleidungen lieben, aber ich stehe derlei folkloristischen Kostümierungen skeptisch gegenüber. Warum sollte sich eine westliche Touristin in einen indischen Sari hüllen oder weshalb muss sich der brasilianische Fußballspieler bei Bayern München in die Lederhose zwingen? Das Bild ist stets schief. Es bleibt Maskerade.
Der Kimono sitzt eng an der Taille. Wie eine Umarmung. Der Rücken richtet sich automatisch auf, die Körperhaltung wird plötzlich elegant.
Ich schaue in den Spiegel und finde es – toll! Hurra, ich trage einen Kimono! Die Zweifel sind vergessen, ich lasse mich auf den Budenzauber ein und schreite in weißen Strümpfen und Holzcloqs durch Kitsuki. In winzigen Schritten. Mehr Folklore geht nicht. Die Japaner freuen sich, ich freue mich. Es werden viele Fotos geschossen. Alle sind froh. Ein schöner Tag.
Der letzte Samurai
Irgendwo versteckt in der Präfektur Kumamoto lebt Genrokuro Matsunaga. Seit 40 Jahren fertigt der Schmied Katanas, die japanischen Samuraischwerter.
„Schon als kleiner Bengel habe ich mit Holzschwertern gespielt,“ der 70-jährige lächelt selig, „ich liebe Schwerter!“
Nach der Schule sprach Matsunaga bei einem Schwertschmied vor. Zunächst zögerte der Meister, ihn als Lehrling anzunehmen, stimmte aber zu, dass der junge Mann ihn beobachten dürfe, während er arbeitete. So wartete Matsunaga jeden Morgen vor der Türe und blieb bis zum Abend. Der Meister war beeindruckt von der Beharrlichkeit, bot dem Burschen eine Lehre an und verriet ihm die Geheimnisse der Schwertschmiedekunst.
Mittlerweile gehört Matsunaga zu den herausragenden Schmieden des Landes. Er gewann Preise und verschickt seine Schwerter in die ganze Welt. Eine Geschichte wie aus einem Hollywood-Film. Matsunaga ist vielleicht nicht der letzte Samurai, aber ein Bewahrer der japanischen Kultur.
Für mich wird hier, irgendwo in Kumamoto, ein Traum wahr. Ich darf mit einem Samuraischwert trainieren. Zur Meisterschaft reicht es in diesem Leben nicht mehr. Ich werde wohl nie Stahl butterweich durchschneiden oder Seidentücher in der Luft zersäbeln. Aber ich freue mich wie ein Kind.
Die eineinhalb Kilo liegen schwer in der Hand, das Schwingen ist alles andere als erhaben. Mein Gegner ist eine mannshohe gerollte Matte aus Igusa-Gras. Bedrohlich genug, denn diese Matte scheint unbesiegbar.
Der Schnitt mit einem Katana wird horizontal, diagonal oder senkrecht ausgeführt. Der Winkel spielt bei dem Ergebnis eine entscheidende Rolle. Die Aufgabe: Mit einem einzigen Hieb soll die Säule durchtrennt werden, ohne, dass sie zu Boden stürzt. Und das klappt nur, wenn das Katana sicher geführt wird.
Der Sensei ist streng und ermahnt mich, die Hand anmutig und zugleich kraftvoll in den Griff zu drehen. Ich bin zu zögerlich, zu zaghaft. Das Schwert kostet 10.000 Euro.
Die ersten Hiebe hinterlassen nicht einen Kratzer. Ich bilde mir ein, die Grasmatte lächelt müde, bevor sie sich fallen lässt. Und fallen soll sie nicht.
Gut, noch ein Versuch. Der neunte. Ich schließe die Augen, drehe meine Hand in den Griff und schwinge. Das Schwert durchtrennt die Grassäule zur Hälfte. Sie kippt nicht! Applaus. Ich bin stolz. Und platt. Mich beruhigt der Gedanke, dass das Erlernen der perfekten Kampfkunst 50 Jahre dauern kann. Ich winke dem Schmied zum Abschied. Der Alte verbeugt sich.
Heilige Tänze
Am Abend besuche ich einen Kagura Tanz. Kagura sind uralte Shinto-Rituale und nach wie vor sehr beliebt in der Bevölkerung. Der Schrein ist überfüllt mit Menschen, die gebannt auf die Bühne blicken. Wir sitzen auf dem Boden und lassen uns von den Trommeln und maskierten Tänzern einfangen. Fächer und Glocken sind die Requisiten. Würdevoll werden sie zum Rhythmus bewegt.
Der Ursprung der Kagura geht der Legende nach auf die Göttin Ame no Uzume zurück, die damit die Sonnengöttin Amaterasu aus einer Höhle herausgelockt haben soll. Amaterasu hielt sich dort versteckt und auf der Erde brach ewige Nacht herein.
Die Tänze gehören zum kulturellen Erbe Japans und werden zurecht mit ausgiebig Applaus belohnt.
Mit dem Luxuszug durch Kyushu
Die letzten Tage verbringe ich auf Schienen. Im Cruise Train Seven Stars. Ein Luxuszug. Ausgestattet wie der Orient-Express tuckert die Eisenbahn seit 2013 durch Kyushu. Die Kabinen sind holzvertäfelt, die Waschbecken handgefertigt. Das Porzellan stammt aus Arita.
Zwölf Crewmitglieder versorgen uns vierzehn Passagiere. Ein Sushimeister kredenzt die köstlichsten Speisen und eine Pianistin spielt Leonard Cohen. So viel Perfektion ist kaum aushaltbar. Ich werde mich nie wieder in die Deutsche Bahn setzen können.
Für zwei Tage und eine Übernachtung ist man mit rund 3000 Euro locker dabei. Zugegeben, ein mittelloser Student kann sich den Kurzurlaub nicht leisten. Die Zugfahrt ist nur was für den üppigen Geldbeutel. Aber dafür wird der Gast wie Gott behandelt. Und es wird gedrängelt. Die Suiten sind über Monate hinweg ausgebucht.
Ich sitze in der Kabine, die halb so groß wie meine Düsseldorfer Wohnung ist, und betrachte die vorbeirauschende Landschaft. Japaner winken an den Gleisen, Täler und Seen ziehen vorüber.
Das ist der wahre Luxus. Nicht die Ausstattung, nicht der Service, nicht das Porzellan. Sondern still hier hocken und aus dem Fenster schauen. Wunderschönes Kyushu! Ich trinke einen Sake und freue mich über den Sonnenuntergang.
Die Reise wurde unterstützt und organisiert von der Nippon Travel Agency und Cruise Train Seven Stars
Foto 12: Aufgenommen von Claude Leblanc
Der Satz „No risk, no fugu“ stammt aus einem Artikel der Welt von 2012
Erschienen am
Antworten
Sehr interessant und beneidenswert. Die Fotos sind auch toll. Vor allem die vom Essen. Ja, ich bin neidisch! Auf so eine Reise hätte ich große Lust, auch in einem ganz gewöhnlichen Zug.
Kimono könntest Du übrigens öfter tragen 😉
Lieber Björn, danke dir.
Das Essen war großartig! Und das mit dem Kimono überlege ich mir. 🙂
Einfach wunderschön, angenehm zu lesen und tiefsinnig, ich mag es sehr!
Wow.…
man möchte sofort selbst die Koffer packen und auf die Reise nach Kyushu gehen.
Danke für deinen Reisebericht.
Ich hoffe auf mehr.…
Lieber Marco, vielen Dank für die lieben Zeilen. Ja, Kyushu ist wirklich schön. Wenn du mal die Gelegenheit hast, dann fahr hin.
Liebe Grüße
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