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Kulturelle Unterschiede weltweit
Fische wissen nicht was Wasser ist, wie David Foster Wallace so treffend bemerkt hat. Für Wassertiere ist Wasser eben selbstverständlich.
Wir Menschen sind Kulturtiere. Kultur umgibt uns jederzeit, wie Fische im Wasser. Aber wir wissen gar nicht, was unsere Kultur ausmacht. Dazu müssen wir unseren Kulturraum verlassen.
Du kannst als Mitteleuropäer natürlich nach Südeuropa, Nordamerika oder Australien reisen. Die kleinen kulturellen Unterschiede sorgen aber eher für Erheiterung als Erleuchtung.
Meine Frau kommt aus den Vereinigten Staaten von Amerika. Nach 5 Jahren zusammen und fast 1 Jahr davon in den USA würde ich behaupten: Unsere Kulturen unterscheiden sich vor allem in Details.
Eine stärkere Dosis Kulturschock findest du in Asien, Afrika, Südamerika und Mittelamerika. Ich habe mehrere Dutzend Länder auf diesen Kontinenten besucht, aber keines ist so wie Indien.
Indien ist ein Kulturschock Maximum
Daheim sind wir Fische im Wasser. In Indien sind wir an Land geworfene Fische, die nach Luft schnappen. Es ist unangenehm – wir wissen nicht, wie uns geschieht. Aber wir verstehen nun sofort, was Wasser – was unsere Kultur ausmacht.
Klar, die verbleibenden Jäger und Sammler im Amazonas sind von uns kulturell noch weiter entfernt als jeder Inder. Ich finde Stammesleute im Regenwald aber ehrlich gesagt zu krass anders. Sie sind kulturell zu inkompatibel.
Stell dir vor ein Amischer geht mit 16 Jahren während des traditionellen »Rumspringens« nach New York. Dort sieht er zum ersten Mal Technologie, Alkohol und unsere Konsumgesellschaft. Das ist natürlich auch ein Kulturschock, aber wahrscheinlich zu viel auf einmal.
Indien ist maximaler Kulturschock, aber ohne sich grundsätzlich von unserer Kultur zu unterscheiden. Inder haben ähnliche oder für uns nachvollziehbare Wünsche und Ziele und die gleichen Konsumgüter. Dennoch ist alles ganz anders.
Indien hält dir angeblich den Spiegel vor die Augen: »Du findest in Indien dich selbst«. Klar, das kann passieren. Aber das passiert dir auch daheim, wenn du nur weit genug deine Komfortzone verlässt. Das vermag auch ein gutes Buch.
Was dir kein Buch, sondern nur Indien zeigen kann, ist die ungeschminkte menschliche Natur. Indien erdet dich, wie kein zweites Land. Indien zeigt dir mehr Möglichkeiten Lebensfreude zu spüren als nur Konsum und Besitz.
Erlebe Indien selbst
Du bist ein Abenteurer oder ein Suchender? Du willst die Welt so sehen, wie sie wirklich ist? Du willst das Leben in seiner rohen und farbigen Herrlichkeit spüren? Natürlich musst du nach Indien!
Du fühlst dich nicht angesprochen? Indien hat auch Antworten, wenn du nicht weißt, daß du Fragen hast. Die gibt dir Indien aber nur persönlich. Was ich hier erzähle ist nur die Facette von Indien, die ich gesehen habe.
Ja, Indien ist fordernd und meistens unbequem. Aber das Problem ist nicht Indien. Das Problem ist deine Vorstellung wie unsere Welt zu sein hat. Indien gibt dir die Gelegenheit die Welt mit neuen Augen zu sehen.
Für mich gibt es zwei Arten von Menschen:
- Du warst schon in Indien
- Du musst noch nach Indien
Aber versteh mich nicht falsch. Für eine Reise nach Indien musst du bereit sein. Es ist eben nicht wie die USA, wo überall alles zu haben ist und wo du dich einfach wie in Europa zurechtfindest. Eine organisierte Indien-Tour ist deshalb gar keine schlechte Idee.
Lerne indische Lebensfreude kennen
Unseren Wohlstand suchst du bei den meisten Indern vergebens. Trotzdem leben sie ihr Leben und lächeln nicht gerade selten. Lebensfreude ist für mich die wichtigste Lektion, die Indien zu bieten hat.
Als ich das erste Mal nach Indien kam, haben mich die widrigen Lebensumstände schockiert. Wie können wir mit ruhigem Gewissen unserem Alltag nachgehen, wenn unsere Mitmenschen in Indien so leben?
Aber Indien will dir nicht nur ein schlechtes Gewissen machen. Das Mitleid gilt auch dir. Fast jeder Inder fragt dich in den ersten Gesprächsminuten, welche Religion und wieviele Kinder du hast.
Du wirst nun ganz sicher mitleidige Blicke ernten, außer du bist gläubiger Hindu, Moslem, Sikh oder notfalls Christ mit genug Nachwuchs für eine Cricket-Mannschaft oder zumindest eine Volleyball-Mannschaft.
Klar, der materielle Besitz ist auch hier sehr wichtig und die Frage nach dem Beruf kommt gleich danach. Gier und Neid sind aber viel weniger verbreitet als bei uns. Es gelten Kastensystem und Karma, statt Meritokratie.
Was dein Gegenüber mit der Frage nach dem Einkommen wirklich wissen will? Wie viele Familienmitglieder kannst du ernähren. Am besten du kannst die ganze erweiterte Großfamilie in deinem Haus versorgen. Familie ist alles in Indien.
Indien bedeutet Menschenmassen
Mit so einer Einstellung zur Familienplanung ist es kein Wunder, daß Indien bald das bevölkerungsreichste Land vor China sein wird. Heute schon leben mehr als eine Milliarde Menschen auf einer Fläche kleiner als die EU.
Meine Wahlheimat Bangkok ist keine menschenleere Stadt. Aber jedes Mal, wenn ich von Indien nach Bangkok zurückfliege, denke ich »Wo sind denn die ganzen Leute?«. Noch krasser ist der Vergleich zum ausgestorben wirkenden Deutschland.
Alles was du über Indien gehört hast stimmt. Jede noch so kleine Wahrscheinlichkeit mal einer Milliarde wird ziemlich wahrscheinlich. Und trotzdem, die größte Demokratie der Welt funktioniert irgendwie.
Napoleon meinte Quantität hat eine eigene Qualität. Alles in Indien ist geprägt von Menschenmassen. Es gibt keine Privatsphäre oder Ruhe und bei den meisten Indern offenbar auch keinen Wunsch danach. Um so größer ist die Neugierde.
Mit der Vielzahl kommt auch eine große Vielfalt. Es gibt das Großstadt-Indien, das Himalaya-Indien, das Foodie-Indien und tausend mehr. Das Land hat für fast jeden Reisenden etwas zu bieten, egal ob Sinn- oder Sonnensucher.
Die Balance finden in Indien
Ja es gibt sogar das ruhige und entspannte Indien. Indien lässt sich dosieren und das musst du unbedingt lernen um aus deiner Indien-Reise das beste zu machen.
Eine der verrücktesten Städte in Indien ist Varanasi. Bei meinem dritten Besuch vor ein paar Monaten saß ich wie schon so oft zuvor am Ganges und schaute dem seltsamen Treiben zu.
Ich hatte auf einmal ein Grinsen im Gesicht, das ich mir wirklich nicht erklären konnte. Eigentlich mag ich Varanasi gar nicht. Eigentlich war ich nur auf Durchreise und wollte am nächsten Tag weiter.
Stattdessen blieb ich eine Woche und das Grinsen blieb bei mir. Wo diese Freude herkam? Es war kein Bhang Lassi. Vielleicht war es die richtige Balance. Ich verbrachte diesmal nicht wie die vorherigen Male den ganzen Tag auf der Strasse oder am Ganges.
Selbst diese verrückte Stadt, die niemals schläft, bietet Abwechslung vom Gewusel. Wenn du Abends auf einer der Dachterrassen den vielen Kindern beim Drachensteigen zusiehst wird es schwer nicht zu grinsen.
Immer wieder Indien
Egal ob die Balance stimmt oder nicht, ich bin immer wieder froh Indien zu verlassen. Indien ist nicht zuletzt wegen der Unmenge an Eindrücken so eindrucksvoll. Indien ist zu viel von allem und zehrt an der Substanz.
Wenn ich der indischen Dauer-Reizflut entkommen bin, wirken alle meine Sinne erstmal gedämpft. Es dauert eine Weile, bis ich mich an Sauberkeit, Ruhe und die große Leere da draußen und in mir gewöhnt habe.
Kaum ein paar Wochen nach der Rückkehr aus Indien ertappe ich mich unerwartet bei einem vorher noch unmöglichen Gedanken: »Ich will zurück nach Indien«.
Und ich werde zurück gehen nach Indien. Spätestens wenn sich mein Leben blass und leblos anfühlt, gehe ich zurück in das lebendige Land um meinen Vorrat an Gefühlen und Farben aufzufüllen.
Seit meinem ersten Mal in Indien 2011, bin ich jedes Jahr zurückgekehrt. Ich kann Indien verlassen, aber Indien wird mich nie verlassen.
Warst du schon in Indien oder gehst du noch? 😉
Dies ist mein Beitrag zum Projekt 360 auf dem lesenswerten Reiseblog 7 Kontinente. Unter dem Motto Um die Welt zu dir selbst findest du dort weitere lebensverändernde Reiseberichte.
Antworten
Dein Artikel ist wirklich super. Ich war 2015 das erste mal in Indien und wollte eigentlich danach nie wieder hin . Aber mit Abstand von ein paar Monaten überkam mich wieder diese Lust auf das Abenteuer Indien und ich verspührte diesen Drang wieder hinzuwollen. Ich weiss auch nicht warum – es ist laut , dreckig , total anstrengend, die vielen Leute , die alle was von dir wollen nerven , aber trotzdem hatte ich noch nie vorher auf einer Reise so viel erlebt – und so viele Bauklötzer gestaunt . Ich fahr 2019 auch noch einmal hin .
Also ich habe es 2x mit Indien versucht.…und jetzt reicht es (für mich) auch 😉 Aber Dein Artikel ist schön zu lesen und gibt einen sehr guten und realistischen Eindruck. Ich wünsche Dir weiterhin viele schöne Erlebnisse in Indien!
Kann ich gut verstehen, daß es mit Indien reichen kann.
Um ehrlich zu sein kann ich meine Faszination für Indien nicht erklären 😉
Toller Artikel! Indien ist auf jeden Fall eine andere Welt, aber auch eine Reise wert. Viele Leute Schrecken ja leider etwas davor zurück nach Indien zu reisen, aber man sollte sich trauen. Ich war vor ca. 2 Jahren im Süden unterwegs. Die Menschen dort sind alle freundlich und entspannt und auch das Reisen war dort deutlich einfacher als gedacht. Der Norden soll da ja schon ganz anders sein. Aber auch dieser wird noch in den nächsten 1–2 Jahren bereist.
Meine Erfahrungen in Indien gibt es hier zu lesen: http://roadtripsta.com/2‑wochen-durch-den-sueden-indiens-reiseroute-und-tipps/LG Sabrina
Das mit dem Süden hört man immer wieder. Nach meiner Erfahrung gibts da keinen Unterschied.
Genauso freundliche Menschen wie in Tamil Nadu und Karnataka habe ich in Punjab, Kaschmir, Bihar und Orissa getroffen.
Evt. ist mit »Nordindien« das goldene Dreieck Delhi-Jaipur-Agra gemeint. Dort sind extrem viele Touristen unterwegs und die Leute sind entsprechend darauf eingestellt. Das nervt dann ganz schön. Aber Nordindien ist doch ein bissl größer als die 3 Orte 😉
Das stimmt , der Süden ist weitaus chilliger als der Norden. Im Norden gibt es von allem mehr , mehr Dreck , mehr Menschen, Mehr Stress. Trotzdem zieh ich den Norden dem Süden vor. Ich find das Essen im Norden noch einen Ticken geiler . Und ich persönlich finde den Norden interessanter von den Sehenswürdigkeiten her. aber meine chilligsten 2 Wochen auf meinem Indien Trip hatte ich in Goa und Kerala .
Ich kann deine Gedanken nachfühlen. Einer der schönsten Momente in Indien war für mich der Moment, als es sich trotz der täglich neuen Erfahrungen, neuer Eindrücke und vieler Dinge, die mir fremd sind, angefühlt hat wie Heimat – vertraut. Es hat mich geformt und ich muss schmunzeln, wenn ich Elemente der indischen Kultur in mir wiedererkenne. Ich habe sechs Monate in Indien gelebt und fliege nun bald wieder für einige Wochen hin. Ich kann es kaum erwarten, das Gefühl nach Hause zu kommen und dennoch dort so viel Neues und Aufregendes auf mich wartet.
Ein sehr schöner Beitrag, der – ohne dass ich bisher im Land der Kontraste war – in gewisser Weise dem entspricht, was ich erwarte dort vorzufinden. Momentan taste ich mich noch langsam ein einige Aspekte dieser Kultur heran und werde Ende des Monats dann »endlich« von Sri Lanka nach Indien fliegen. Ich bin sehr gespannt. Danke fürs Vorfreude schüren 😉
Nach der Eingewöhnung in Sri Lanka ist es nur noch halb so wild.
Wobei, von Nepal aus war es bei meinem ersten Mal schon noch ein großer Unterschied.
Viel Spass!
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