Dein Warenkorb ist gerade leer!
Wenn ich von einer Reise zurückkomme freue ich mich auf Freunde, Familie, mein eigenes Bett, auf Trinkwasser, das einfach so aus der Leitung kommt, Fahrradfahren ohne mein Leben aufs Spiel zu setzen, nachts im Dunkeln angstfrei durch die Straßen gehen und vieles mehr. Ich weiß was mich erwartet und freue mich drauf. So einfach ist das.
Aber das war nicht immer so. Das erste Mal war ganz anders. Ich war noch nie „zurückgekommen“ und fühlte ich mich völlig überrumpelt von dem, was mich zu Hause erwartete.
Ich hatte den letzten Dollar für den Rückflug ausgegeben und kam über Guatemala, Miami und London um drei Uhr morgens im Hauptbahnhof von Köln an. Hungrig, müde und überglücklich, ja geradezu euphorisch.
War ich doch ein Jahr lang unterwegs gewesen, hatte Abenteuer und Krankheiten überstanden, südamerikanische Landschaften gesehen, die mich schlicht überwältigten, unendlich liebevolle Begegnungen mit völlig fremden Menschen erlebt und Momente, in denen ich glaubte vor Glück platzen zu müssen.
All das sprudelte und quirlte in mir und ich war ganz heiß darauf, die Menschen, die ich in Deutschland zurück gelassen hatte und die ich liebte, daran teilhaben zu lassen.
„Bist du blöd um die Uhrzeit anzurufen?“
Da ich keinen müden Cent mehr hatte schnorrte ich am Bahnhof zwanzig Pfennig und rief zu Hause an. Am Apparat mein jüngerer Bruder. Seine ersten Worte nach einem Jahr: „ey bist du blöd um die Uhrzeit anzurufen? Weißt du eigentlich wie spät es ist?“
Das war der erste Schock. Und schon bald wurden es immer mehr. Die ersten drei Monate zurück in Deutschland fühlte ich mich wie ein Zombie. Was ich als Backpackerin im Südamerika der achtziger Jahre erlebt hatte, inmitten von Militärdiktaturen und mir völlig fremden Kulturen… es hatte mich verändert.
Aber in meiner Heimat schien die Zeit stehen geblieben zu sein. Da hatte sich gar nichts verändert. Und es interessierte sich auch niemand für das, was ich erlebt hatte. Klar, da wurde mal gefragt, „na wie war’s“ – aber fing ich an zu erzählen wechselte man schnell das Thema. So als ob man Angst hätte, allein durch die Beschreibung eines möglichen anderen Lebens aus dem eigenen Alltag gerissen zu werden. Es kam mir vor, als trennten mich die neuen Erfahrungen, die ich auf einem anderen Kontinent gemacht hatte, von den Menschen, mit denen ich mich vorher doch so verbunden gefühlt hatte.
Worüber regen wir uns eigentlich auf?
Ich war verwirrt. Da wurden in meinen Augen total banale Themen mit einer Ernsthaftigkeit diskutiert als hinge unser aller Leben davon ab. Einmal, als ich mit meinen Eltern und Geschwistern zusammen saß, regte meine Schwester sich über eine Schrankwand auf, die noch neu und eben gekauft, eine Macke an der Rückseite hatte. Eine gefühlte Ewigkeit ging es um geforderte Preisnachlässe, böse Briefe und um Beschwerden. Sogar ein Rechtsanwalt wurde in Erwägung gezogen.
Ich dachte an den entführten und gefolterten Bruder einer chilenischen Freundin, die ich in Santiago kennen gelernt hatte. Ich dachte an die hustenden Bergarbeiter aus Potosi und die bolivianischen Kinder aus dem Hochland, die barfuss über gefrorene Pfützen sprangen.
Ich dachte an die bettelnden Leprakranken in den Straßen von Recife. Ich musste weinen. Meine Schwester beruhigte mich. So schlimm sei das nun auch wieder nicht mit der Reklamation. Man werde sich schon einigen.
Fremd in der Heimat
Manches Mal habe ich in den ersten Wochen nachts still in mein Kissen geweint. Weil ich mich fremd fühlte. Zu Hause. Weitaus fremder als ich mich je auf meinen Reisen gefühlt hatte. Vielleicht ist das der Grund, warum ich nicht anders kann und immer wieder meine Tasche packe und reise. Mit jeder Reise ist das Heimkehren ein bisschen besser geworden. Weil ich weiß was mich erwartet. Und ich habe keine Angst mehr, mit meinen Erinnerungen allein zu bleiben. Ich hüte sie wie einen Schatz und schöpfe auch Jahrzehnte später noch Kraft daraus. Wer daran teilhaben will ist herzlich willkommen. Aber niemand muss.
Erschienen am
Antworten
Liebe Gitti, vielen Dank für deinen Bericht und diese ehrlichen Worte! Eindrucksvoller und nachhaltiger hätte man es nicht schildern können. Die Vorfreude auf Zuhause, aber auch die Enttäuschung, die eine jede Rückkehr von einer langen Reise mit sich bringt, kann ich nachvollziehen. Sei es die Herzlichkeit der Menschen, die man auf Reisen trifft und die dir viel weniger nahe stehen und dich eigentlich viel weniger kennen als die eigene Familie und Freunde daheim, oder die vielen Belanglosigkeiten, über die man sich in Deutschland und Europa aufregt und die in der Welt da draußen so unbedeutend erscheinen. Respekt vor dem, was du auf deinen Reisen erlebt hast – nichts in der Welt lässt sich gegen diesen Erfahrungshorizont eintauschen! Liebe Grüße und ein besinnliches Weihnachtsfest! Katrin
Hallo Gitti,
Du sprichst mir gerade aus der Seele…Diesen Beitrag hätte ich sehr wohl schreiben können, hat mich sehr berührt. Nach einem Aufenthalt in Brasilien wollte ich erst gar nicht ins Flieger einsteigen…die Lebensfreude, die Leichtigkeit, das Laissez-Faire, die Ungezwungentheit. Den gesamten Flug von Rio de Janeiro nach Lissabon habe ich damit verbracht, die nächste Reise zu planen, bis ins kleinste Detail. Südamerika, insbesondere Brasilien hat irgendwas, was ich einfach nicht erklären kann…das Land ›verschluckt‹ einen, man integriert sich nicht, man wird ›infiziert‹, man bekommt irgendwie ein ›Brasilien‹-Fieber, wie die Veranstallter von Austausch-Programmen es beschreiben.
Jedenfalls, die Erfahrungen, die Du beim Rückkehr gemacht hast, mache ich gerade. Banalitäten, Trivialitäten, Kleinigkeiten, keiner interessiert sich so richtig für Deine Erlebnisse, dabei haben die Dich so stark geprägt und bereichert, dass Du das Ganze einfach loslassen musst, man explodiert, so viele Impressionen, so viel Freunde auf einmal, darauf war ich nicht vorbereitet, eine Achterbahnfahrt die ewig hält…
Auf Portugiesisch haben die ein Wort, was scheinbar sehr genauso zusammenfasst, was ich nur für Brasilien spüre : ›Saudade‹ 🙁
saudade ist wirklich unübersetzbar, vielleicht ähnlich wie »sehnsucht« oder »fernsucht« im deutschen…hat auch in den meisten sprachen keine entsprechung. ist auf jeden fall ein starkes gefühl. und gefühl ist energie. also auf zur nächsten reise!
Ich ‑deutlich älter als viele Reiseblogger – bin mit meiner verstorbenen Frau 2007 für ein Jahr in Nordamerika gewesen und zwar mit dem eigenen Wohnmobil. Natürlich haben wir auch eine ganze Zeit der Eingewöhnung gebraucht. Europa/Deutschland fanden wir hinterher so beengt, Parkplätze, Wohnmobilstellplätze voll. Vor allem aber merkten wir, dass Einwohner, die sich kaum aus Deutschland heraus trauen, häufig den eigenen Ort als Nabel der Welt empfinden und nicht immer in der Lage sind, das eigene Leben als relativ privilegiert zu sehen
lieber Gerd, das ist wohl wahr. ich komme gerade aus Guatemala zurück und bin mir wieder einmal sehr bewußt wie privilegiert wir hier sind. In Guatemala ist die Gewalt allgegenwärtig, überall Schwerstbewaffnete und Willkür. Wer eine kritische Meinung vertritt lebt dort gefährlich. Wie gut wir es doch haben!
Ich gehe persönlich auch sehr gerne auf Reisen, nur kenn ich das Gefühl, den Nicht Heimkehren wollens so eigentlich nicht. Meine längste Reise war mal 2 Wochen, doch irgendwie habe ich mich bereits wenige Tage vor dem Abflug schon wieder auf mein Zuhause gefreut.
Mir scheint, dass es bei jedem anders verläuft, weshalb man am Flughafen auf dem Heimweg mal fröhliche und mal traurige Gesichter sieht.
Wer weiß, wie es bei mir ist, wenn ich mal länger als 1 Monate fliege. Ich fand Deinen Artikel auf jeden Fall sehr interessant und er zeigte mir eine andere Sicht auf die Gefühle eines Heimkehrers.
Bitte weiter so offen schreiben.
Eine Heldin
Liebe Heldin,
ist ja auch schön wenn man sich auf zuhause freut. geniess es einfach. meine erfahrung ist, dass ich auf kurzreisen (1–3 wochen) mit einem bein immer noch in deutschland bin, deshalb fremdele ich dann auch nicht wenn ich zurück komme. wenn ich aber lange unterwegs bin lasse ich mich wirklich ein, wobei einlassen auch loslassen heißt. Und nur dann bekomme ich einen ganz frischen und anderen blick auf die dinge…auch auf die dinge zu hause.
liebe grüße
gitti
Wie gut ich dieses Gefühl kenne! Oh ja … der Kulturschock in der Ferne ist mir eher fremd, der bei der Rückkehr nicht! All die Kleinigkeiten zB., die »zu Hause« ein riesengroßes »Problem« darstellen …
Bei mir geht das inzwischen so weit, dass ich mich von »zu hause« richtiggehend entfremdet habe. »Zu Hause« ist für mich mittlerweile da draußen, (fast) überall in der bunten Welt …
Liebe Grüße
WolfgangKann ich gut nachvollziehen. Das Reisen verändert einen und mit jeder Reise scheint die Anzahl der Menschen abzunehmen, die einen in der Heimat noch verstehen. Aber auf der anderen Seite ist es doch auch so, dass man erst durch längere Auslandsaufenthalte viele Dinge in Deutschland schätzen lernt. Dinge, die man früher nie bewusst wahrgenommen hat oder die einen früher genervt haben. Dinge, von denen man einfach erwartet das sie funktionieren, weil sie in Deutschland eben immer funktionieren. Woanders aber nicht.
Das fehlende Interesse kenne ich zur Genüge. Nach spätestens 2 Minuten sind Aufmerksamkeit und Interesse weg und man fragt sich: Erzähle ich so schlecht? Sind meine Fotos wirklich so uninteressant? Ist das neue iPhone6 wirklich so viel interessanter?
stimmt. man lernt viele dinge in deutschland auch schätzen. wenn ich die strasse überquere muss ich nicht wie ein hase haken schlagend um mein leben rennen, es brettern keine hupenden und russenden LKW’s durch die stadt und wenn ich wo essen gehe laufen eben nicht 5 fernseher mit unterschiedlichen sendern und voller dröhnung gleichzeitig. Hat auch viel schönes!
Schöner Artikel und sau interessantes Thema. Der Rückkehrschock beschäftigt mich seit langer Zeit, da ich ihn persönlich auch sehr hart miterleben durfte. Ich finde dieses Thema ist noch viel zu wenig im Munde der Menschen und deshalb schreibe ich auch meine Masterarbeit darüber.
Außerdem sehr schöne Fotos, die gut zusammen passen. 🙂Liebe Grüße,
Charleendanke Charleen und viel Glück bei deine Masterarbeit. Auf jeden Fall spannendes Thema! Liebe Grüße, Gitti
Liebe Gitti,
Mensch, das muss eine harte Phase gewesen sein. Und doch gehört sie auch zum Reisen dazu: das Heimkehren wird nur oft »unterschlagen«. Vielleicht, weil es eben nicht so glamurös klingt, wie eine Inkaruine zu erklimmen, mit Haien zu tauchen oder durch den Dschungel zu wandern. Vielen Dank, dass Du uns an Deinen Erfahrungen und Emotionen teilhaben lässt.
LG & weiterhin buen viaje!
AylinPS: so ein Alpaka-Schild inkl. Alpaka – Foto habe ich gerade gestern gemacht, da musste ich grad schmunzeln 🙂
sehr gerne Aylin. Wo hast du denn das Alpaka-Schild gemacht?
Hallo Gitti, im Norden Argentiniens, nahe der Grenze zu Bolivien 🙂
JAJAJAJAJAJAJA!!!!! Genau so fühlt es sich an – und genauso ist es immer wieder!
Schnall ich irgendwie nicht. Ich komme ständig zurück, vom Tengelmann, vom Arzt, ausm Wald…
Oh Gott du hast sowas von Recht. Wenn man in Deutschland landet ändert sich Vieles so schnell. Leute die in Anzügen am Besten mit 2 Handys am Ohr hetzen um den nächsten Flieger zu erreichen. Menschen die aneinander vorbeilaufen ohne auch nur einmal aufzusehen.
Ich kann mich noch gut daran erinnern als ich daheim ankam nach meiner Südostasienreise. Der erste deutsche Satz den ich hörte war von einem Taxifahrer der am Telefon seinen Chef als dummes A***loch bezeichnete, da setzt man sich am liebsten wieder in den Flieger.
Viele Grüße
Matthias
haha, ja das stimmt. Das mit dem Taxifahrer war bestimmt in Berlin (-; Mir fällt nach jeder Reise auf wie unfreundlich wir hier miteinander umgehen. Und leider ist das auch ein bisschen ansteckend.
Danke Gitti, wie wahr, wie wahr, mit ein bisschen Abstand sieht man das eigene Land ganz anders.
Ich bin gespannt, wie ich aus Südamerika zurückkommen werde 🙂Ich glaube man ist nach jeder Reise ein bisschen anders. Und das ist gut so. Ich wünsche Dir viele schöne Erfahrungen in Südamerika. Die kann dir keiner mehr nehmen.
Da kriegt man ja Angst nachhaus zurück zu gehen…
Ich war bis jetzt immer nur 4 Wochen am Stück unterwegs und da fiel es mir schon schwer zurückzukehren. Wie es etwa nach 6 Monaten aussieht?
Auf jeden Fall toller Artikel! Konnte mich darin wiederfinden.Danke Armin. Aber Angst machen wollte ich damit nicht. Wenn man ein bisschen darauf vorbereitet ist, kann man mit dem Kulturschock besser umgehen. Also, keine Angst. Manchmal hilft es sich mit anderen Nomaden auszutauschen. Geniess die Reise!
Hallo Gitti,
wirklich ein sehr ehrlicher Bericht von dir! Ich habe auch schon festgestellt, dass es Daheimgebliebene oftmals nicht so interessiert, was man alles erlebt hat. Ich hoffe du hast deinen Weg gefunden und bleibst dir treu!
Lieben Gruß!danke, Anna. Beim mir treu bleiben haben mir viele Weggefährten geholfen. Die Idee zur Geschichte hatte ich als mein Sohn im April von seiner ersten Rucksackreise zurück kam. Es fühlte sich ähnlich fremd und als ich ihm erzählte wie es mir damals ergangen ist fand er das irgendwie befreiend. Er meinte ich solle es aufschreiben. Ist wohl irgendwie ein zeitloses Problem.
Ganz so krass war es bei mir nicht. Klar kann man nicht jedem alles so erklären, das der Gesprächspartner es auch wirklich nachfühlen kann. Aber es gibt ja auch andere »Vielreisende« und mit denen kann man sich doch schon heftig ausstauschen und in einen Rausch reden. Und viele andere haben sehr aufmerksam zugehört. Die fanden dann Details meiner Reise großartig, die für mich wiederum banal waren.
Fremd fühl(t)e ich mich manchmal aber trotzdem in D.ja, mit vielreisenden kann man sich dann oft besser austauschen, das stimmt.
Wie wahr
Schreibe einen Kommentar