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Es ist schon erstaunlich, wie krass konditioniert wir auf unsere „heile“ westliche Welt sind. Wie bestürzt wir sind, wenn wir Dinge sehen, die wir aus unserem Alltag nicht kennen. Wie erstaunt wir sind, wenn wir uneingeschränkte Gastfreundschaft erfahren und Dinge ohne Gegenleistung, sondern einfach aus Nächstenliebe getan werden. Wie unterschiedlich die Welten sein können auch, wenn sie nur 6 Flugstunden voneinander getrennt sind. Seit 2 Jahren schon fliege ich für 14 Tage nach Kenya, um das soziale Leipziger Projekt „Herzschrittmacher für Ostafrika“ zu unterstützen. Ich nenne es den Schleudergang, der mich erdet und zwar völlig ungebremst.
Es ist ein ganz normaler Tag in Kenya. Wir wurden zu einer Taufe eingeladen. Irgendwo 25km außerhalb von Nairobi entfernt. 7 Uhr soll uns das Taxi abholen. Genau ab diesem Zeitpunkt geht schon der ganz normale Wahnsinn wieder los. Der bestellte Fahrer kommt fast eine Stunde zu spät. Zwei verrückte Typen in einer Karre, die gefühlt 6 Millionen Kilometer auf dem Buckel hat. Eins habe ich in dem Zusammenhang über kenianische Autos gelernt: Je größer die Zerstörung der Autos ist, desto imposanter muss die Bassrolle sein. 9 Personen in einem Kleinwagen? Klappernde Dämpfer, Achsen, Kupplungen und hängende Auspuffrohre? Kein Problem. Hauptsache es gibt Musik. Muss man mögen. Die beiden Fahrer werden ganz galant abgewürgt. Sorry Leute! Aber ihr hättet wenigstens mal Bescheid sagen können. Angeblich der größte Stau, den die Welt je in Nairobi gesehen hat. Sicherheitshalber haben wir schon den nächsten Fahrer organisiert. Dieser muss aber erstmal mit einem Motorrad zu uns kommen. Sein Auto steht nämlich wo ganz anders. Ja, richtig bei uns im Hotel auf dem Hof. Seine erste Amtshandlung: Erstmal das Auto öffnen und die Mücken rauslassen. Wir sagen ihm die Adresse. Er hat allerdings keinen Plan, wo er überhaupt hin soll. Überhaupt keinen. Also müssen wir wieder ins Hotel rein, uns per GoogleMaps die Strecke als Offline-Karte herunterladen, danach dem Fahrer erklären, wo es hingeht und schon geht es los. Es kann so einfach sein. 75 Minuten Verspätung. Es ist 8.15Uhr. Die Taufe beginnt wohl in ein paar Minuten. Das Navi sagt uns eine Punktlandung voraus. Ist die Tanknadel kaputt oder der Tank leer? Kann kann hier beides sein. Wir müssen natürlich noch tanken. Beim Blick Richtung Fahrer sehen wir ein paar Lampen leuchten. ABS? Defekt! Ölstand? Prüfen. Motorleuchte ist natürlich auch an. Irgendwie beruhigt mich das. Scheint zu bedeuten, dass der Motor noch da ist. Aber ganz in Ruhe…ist doch schließlich noch Zeit.
Wie durch ein Wunder schaffen wir es pünktlich. Die Taufe fängt scheinbar sowieso später an. War irgendwie klar. Nach einer endlos langen aber sehr schönen Zeremonie, begeben wir uns wie im letzten Jahr wieder nach Kamangu. Ein bisschen rumhängen, essen und mal abseits von Nairobi etwas Durchatmen. Zum Abschluss beschließen wir in den örtlichen Pub zu gehen. Vier kahle Wände. Ein kleines Oberlicht. Ein paar Plastikstühle. Niedrige Tische mit Plastiktischdenken. Warmes Bier, dass hinter einem blauen Gitter heraus serviert wird. Eher ein Spätverkauf als eine Kneipe. Ein Einheimischer kommt in die Bar, sieht uns, macht auf den Absatz kehrt. Kulturschock. Sieben weiße Menschen sind wirklich sehr exotisch in dieser Gegend. Wir trinken unser Bierchen und dann beginnt er wieder: Der ganz normale Transportwahnsinn in Kenya. Ein Matattu soll uns wieder Heim bringen.
Ach, diese kleinen Transportbusse. Irgendwelche Toyota Kleinbusse. Fahrender Schrott. Man muss damit fahren. Besser lässt sich Kenya nicht erklären. Es gibt einen Fahrer, einen Conductor und einen, der an Haltestellen den Motor mit Gasschüben am Leben lässt. In unserem Fall ist Letzterer ziemlich besoffen. Aber der Fahrer ist eh verschwunden. Wir sind eigentlich schon voll. 14 Leute sind bereits im Fahrzeug. Unter 20 Personen wird hier nicht gestartet. Die Dinger werden bis zum Rand vollgepackt. Wenn der Kassierer nicht mit reinpasst, hängt er sich einfach draußen dran. Zum Glück sind die Omis hier schön weich gepolstert an der Hüfte, da tun mir nur die Schienbeine ein bisschen weh. Die stecken im Vordersitz. Beim Blick nach unten sehe ich den Straßenbelag. Blick nach hinten 20 schwitzende Fahrgäste zu einem Menschenberg zusammengequetscht. Der Fahrer kommt. Der Conductor haut zweimal mit der Münze gegen die Scheibe. Los geht es! Wir stocken zwischendurch mal auf 23 Leute auf. Schlaglöcher werden über die gesamte Straßenbreite umfahren. An jeder Haltestelle redet das ganz Dorf auf uns ein. Jeder gibt dir die Hand. Die meisten sind betrunken, machen Witze oder versuchen sich im Smalltalk. Hektik. Chaos. Schmerzende Schienbeine. Einer sagt, dass er ab der Hüfte abwärts seine Beine nicht mehr spürt. Egal. Umfallen kann man hier eh nicht. Nach einer gefühlten Unendlichkeit kommen wir wieder in Kikuyu an. Ein Umsteigeplatz. Vom kleinen Bus in den großen Bus. Noch mehr Hektik. Noch mehr Busse. Noch mehr Chaos. Aber wir kommen an. Wir kommen mal wieder irgendwo an. Lebend.
Man funktioniert tagsüber, weil man die Eindrücke gar nicht so schnell verarbeiten kann. Als wir abends beim Bier zusammen sitzen, lassen wir den Tag nochmal aufleben. Habt ihr das gesehen? Ist euch der „Fleischer“ aufgefallen? Oder der Rattengrill? Der Pub? Die Organisation an der Straße? Die halsbrecherischen Fahrmanöver? Manchmal so knapp, dass wir den Atem anhalten müssen. Mir wird immer wieder bewusst, dass wir uns hier in einer völlig anderen Welt befinden. Wir sind nur ein kleiner Spielball. Jeder hat zu tun. Jeder macht hier mit irgendwas ein bisschen Cash, um den nächsten Tag zu erreichen. Einer sitzt vor einem kleinen Shop. Er fragt uns nach Fußballergebnissen und füllt mit unseren Infos einen Tippschein aus. Um uns herum bettelnde Kinder. Gegenüber eine Tankstelle, wo gerade die Einfahrt gemacht wird. Für die drei Meter Regenabfluss brauchen sie hier wahrscheinlich drei Tage. Stört aber auch keinen. Wozu die Eile? So schnell wird sich hier nichts ändern! Die Frage ist, ob nur wir das wollen oder ob die Veränderungen überhaupt notwendig sind?
Da halte ich mich doch an meinem Freund Moses fest. Er hat eine kleine Tochter und sieht sie fast nur jeden Montag, da er 12 Stunden am Tag unsere Hoteleinfahrt bewacht. Ihm genügt das. „Ich habe einen Job. Werde regelmäßig bezahlt. Mein Kind ist gesund und meine Frau schmeißt den Haushalt. Montags machen wir was Schönes zusammen! Es ist ein gutes Leben. Alle sind gesund“, sagt er zu mir. Er lächelt. Ich drucke ihm das Portrait aus, dass ich von ihm gemacht habe. Er freut sich und schaut es sich sehr lang an. Er ist stolz. Er zeigt auf das Hotel und sagt: „Das ist mein Hotel. Ich beschütze es. Genau wie auf dem Bild!“ Ich nicke. Wir klatschen ab. Ein ganz normaler Tag in Nairobi eben.
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Sehr gut geschriebener Artikel und tolle Bilder. Nach den ersten paar Sätzen war ich mental wieder in Kenia – danke 😉
guter artikel, schoene bilder! (in dem einem Bild sieht man dass es eine Fuji ist, welche genau und welches objektiv benutzt du?) lg rob
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