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»Bist du von hier?«
Ich blicke auf, geschmeichelt. Die Dame hinterm Verkaufstresen denkt, ich sei von hier. All das Englisch-Vokabeltraining am heimischen Küchentisch meiner Eltern hat sich tatsächlich ausbezahlt. Und für eine Sekunde bin ich dann auch versucht, ja zu sagen.
Aber über meine Herkunft zu lügen und zu sagen, ich sei von hier würde mich nicht sehr weit bringen. Heute ist mein erster Tag in Kapstadt und ich habe mich schon verlaufen in dem Moment, als ich aus dem Mietwagen gestiegen bin.
»Nein, ich bin nur zu Besuch,« sage ich also wahrheitsgemäß.
Die Dame lächelt, während sie Lolita in Papier wickelt.
»Und hast du eine gute Zeit?« fragt sie.
»Ja,« sage ich,« ich liebe diese Stadt.«
Ich reiche ihr Geldscheine, zwei mit einem Löwenbild darauf, einen mit Mandela. Im Gegenzug bekomme ich Nabokov.
»Aber was wäre denn, wenn ich es wäre… von hier, meine ich?« frage ich.
… Ja, was wäre, wenn ich von hier wäre? Was wäre, wenn ich in Kapstadt leben würde?
Ich würde in einer WG wohnen, die Einrichtung simpel, ein Bett hätte ich nicht, nur eine große Matratze auf dem Holzboden. Weiß gestrichene Dielen, in den Rillen Sand.
Mein Zimmer wäre klein, hätte aber ein großes Fenster, von dem aus ich jeden Abend die Sonne über den Dächern untergehen sehen und in der Ferne das Meer rauschen hören könnte.
Das Apartment, (das ich mir teile mit Jeremy, der in einem Café arbeitet, aber jede freie Minute damit verbringt, seine Surf-Buddies mit der Go-Pro zu filmen; und Layla, die aus London kommt und hier ein Semester lang studiert) wäre nur einen Steinwurf vom Meer entfernt und ich würde jeden Tag laufen am Strand. Barfuß.
Meine Zeit würde ich schreibend verbringen. Freelance-Kram. Oft sind es Reise-Themen, das ist toll. Öfter noch sind es aber langweilige Texte, die die Miete zahlen. Und dann wäre da noch die Schreibmaschine. Klick-klick-ding. Die habe ich in Berlin gekauft, dort aber nur selten benutzt. Die Schreibmaschine ist für’s Herzblut reserviert. Klick-klick-ding, würde sie hier jeden Tag machen.
Das Schreiben fiele mir hier leicht. Hat was, dieses nah am Wasser wohnen, aber gleichzeitig in einer großen Stadt. Schon in Lissabon wollte ich nicht zuletzt deshalb bleiben.
Natürlich wäre aber auch nicht alles leicht. Im Gegenteil. Meine Familie würde mir fehlen und die abgehackten Skype-Gespräche würden nur schwer das gemeinsame Abendbrot ersetzen. Geld wäre ein Problem. Aber ist es das nicht immer? Und außer meinen Mitbewohnern würde ich erstmal nicht allzu viele Leute kennen.
Aber es würde mich glücklich machen, jeden Tag am Strand sein zu dürfen. Es würde mich glücklich machen, in der St. Georges Mall einen Snack zu kaufen und dann auf einer Parkbank in den Company Gardens die Menschen zu beobachten, wie sie den Sprinkleranlagen ausweichen. Es würde mich glücklich machen, am Wochenende die Pinguine am Kap zu besuchen und die Wale heimkehren zu sehen. Es würde mich glücklich machen, eine Jahreskarte für die Seilbahn am Tafelberg zu besitzen und regelmäßig meinen Kopf in die Wolken zu stecken.
Und ich würde mir einen Bar-Job fürs Wochenende suchen, um mehr unter Leuten zu sein.
Und ich würde die Haare immer an der warmen Luft trocknen.
Und ich würde etwas Geld sparen für einen Schreibkurs in dem Buchladen, wo ich an meinem ersten Tag in Kapstadt war.
Und dann würde ich wirklich hier leben.
»Also, wenn du wirklich hier leben würdest,« sagt da die Dame hinter dem Tresen, »dann könntest du eine Mitgliedskarte bekommen und damit kriegst du dann ab und zu einen kleinen Rabatt.«
»Oh, das wäre ja phantastisch,« sage ich, ein bisschen zu aufgeregt ob der Aussicht auf eine Buchladen-Mitgliedschaft und gelegentliche Rabatte.
»…aber wie gesagt, ich bin leider nicht von hier, ich bin nur Tourist.«
»Na, vielleicht ziehst du ja eines Tages nach Kapstadt und dann bekommst du doch noch die Mitgliedskarte. Das wäre doch was!«
»Ja, das wäre was. Na dann, auf Wiedersehen,« sage ich zum Abschied und dann noch Danke für das Buch.
Und als ich die drei Stufen hinab auf den sonnigen Bordstein nehme, fühle ich mich leichter. Und irgendwie schwerer zugleich.
In 14 Texten um die Welt!
Tag 1: Im Balkan
Tag 2: Damaskus, Syrien
Tag 3: Petra, Jordanien
Tag 4: Sierra Leone
Tag 5: Kapstadt, Südafrika
Tag 6: Deception Island, Antarktis
Tag 7: La Paz, Bolivien
Tag 8: Havanna, Cuba
Tag 9: Tijuana, Mexiko
Tag 10: Melbourne, Australien
Tag 11: Sulawesi, Indonesien
Tag 12: Hanoi, Vietnam
Tag 13: Don Det, Laos
Tag 14: Bhutan
Erschienen am
Antworten
… und du könntest jeden Abend vom Signal Hill aus zuschauen wie die Sonne ins Meer fällt.
… Und an einem besonders schönen Tag ein Auto leihen und an der Küste entlang mit Bastille im ohr! Der Blick aufs Meer… Unbezahlbar
Hach ja.… Komm, wir bleiben doch gleich hier…
Das macht richtig Spaß zu lesen. Bitte mehr Geschichten über Südafrika!!!!
Kommt, Carmen! Sobald ich zu Hause bin geht’s ans Werk!
Ach, möchte man dir zurufen, mach’s einfach. Und schreib uns, klick-klick-ding, noch ein paar Geschichten von da unten. Über Jeremy, Layla, die Buchhändlerin und dein neues Leben ohne Föhn.
Ach, wenn es doch nur so einfach wäre, lieber Dirk! Na, ich schau mal, ob ich das irgendwie hinbekomme..
Eine ganz tolle Geschichte die bewegt!!!!
Danke!!!!
darioungefähr genauso könnte Dein Leben dort aussehen .… vielleicht würdest du noch an der Seapoint Promenade Laufen gehen?!
ich durfte mal 2 jahre dort so glücklich sein 😉Für einen Moment war ich da.…
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