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Tag 5: Bist du von hier?

»Bist du von hier?«
Ich bli­cke auf, geschmei­chelt. Die Dame hin­term Ver­kaufs­tre­sen denkt, ich sei von hier. All das Eng­lisch-Voka­bel­trai­ning am hei­mi­schen Küchen­tisch mei­ner Eltern hat sich tat­säch­lich aus­be­zahlt. Und für eine Sekun­de bin ich dann auch ver­sucht, ja zu sagen.

Aber über mei­ne Her­kunft zu lügen und zu sagen, ich sei von hier wür­de mich nicht sehr weit brin­gen. Heu­te ist mein ers­ter Tag in Kap­stadt und ich habe mich schon ver­lau­fen in dem Moment, als ich aus dem Miet­wa­gen gestie­gen bin.

»Nein, ich bin nur zu Besuch,« sage ich also wahr­heits­ge­mäß.

Die Dame lächelt, wäh­rend sie Loli­ta in Papier wickelt.

»Und hast du eine gute Zeit?« fragt sie.

»Ja,« sage ich,« ich lie­be die­se Stadt.«

Ich rei­che ihr Geld­schei­ne, zwei mit einem Löwen­bild dar­auf, einen mit Man­de­la. Im Gegen­zug bekom­me ich Nabo­kov.

»Aber was wäre denn, wenn ich es wäre… von hier, mei­ne ich?« fra­ge ich.

… Ja, was wäre, wenn ich von hier wäre? Was wäre, wenn ich in Kap­stadt leben wür­de?

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Ich wür­de in einer WG woh­nen, die Ein­rich­tung sim­pel, ein Bett hät­te ich nicht, nur eine gro­ße Matrat­ze auf dem Holz­bo­den. Weiß gestri­che­ne Die­len, in den Ril­len Sand.
Mein Zim­mer wäre klein, hät­te aber ein gro­ßes Fens­ter, von dem aus ich jeden Abend die Son­ne über den Dächern unter­ge­hen sehen und in der Fer­ne das Meer rau­schen hören könn­te.

Das Apart­ment, (das ich mir tei­le mit Jere­my, der in einem Café arbei­tet, aber jede freie Minu­te damit ver­bringt, sei­ne Surf-Bud­dies mit der Go-Pro zu fil­men; und Lay­la, die aus Lon­don kommt und hier ein Semes­ter lang stu­diert) wäre nur einen Stein­wurf vom Meer ent­fernt und ich wür­de jeden Tag lau­fen am Strand. Bar­fuß.

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Mei­ne Zeit wür­de ich schrei­bend ver­brin­gen. Free­lan­ce-Kram. Oft sind es Rei­se-The­men, das ist toll. Öfter noch sind es aber lang­wei­li­ge Tex­te, die die Mie­te zah­len. Und dann wäre da noch die Schreib­ma­schi­ne. Klick-klick-ding. Die habe ich in Ber­lin gekauft, dort aber nur sel­ten benutzt. Die Schreib­ma­schi­ne ist für’s Herz­blut reser­viert. Klick-klick-ding, wür­de sie hier jeden Tag machen.

Das Schrei­ben fie­le mir hier leicht. Hat was, die­ses nah am Was­ser woh­nen, aber gleich­zei­tig in einer gro­ßen Stadt. Schon in Lis­sa­bon woll­te ich nicht zuletzt des­halb blei­ben.

Natür­lich wäre aber auch nicht alles leicht. Im Gegen­teil. Mei­ne Fami­lie wür­de mir feh­len und die abge­hack­ten Sky­pe-Gesprä­che wür­den nur schwer das gemein­sa­me Abend­brot erset­zen. Geld wäre ein Pro­blem. Aber ist es das nicht immer? Und außer mei­nen Mit­be­woh­nern wür­de ich erst­mal nicht all­zu vie­le Leu­te ken­nen.

Aber es wür­de mich glück­lich machen, jeden Tag am Strand sein zu dür­fen. Es wür­de mich glück­lich machen, in der St. Geor­ges Mall einen Snack zu kau­fen und dann auf einer Park­bank in den Com­pa­ny Gar­dens die Men­schen zu beob­ach­ten, wie sie den Sprink­ler­an­la­gen aus­wei­chen. Es wür­de mich glück­lich machen, am Wochen­en­de die Pin­gui­ne am Kap zu besu­chen und die Wale heim­keh­ren zu sehen. Es wür­de mich glück­lich machen, eine Jah­res­kar­te für die Seil­bahn am Tafel­berg zu besit­zen und regel­mä­ßig mei­nen Kopf in die Wol­ken zu ste­cken.

Und ich wür­de mir einen Bar-Job fürs Wochen­en­de suchen, um mehr unter Leu­ten zu sein.
Und ich wür­de die Haa­re immer an der war­men Luft trock­nen.
Und ich wür­de etwas Geld spa­ren für einen Schreib­kurs in dem Buch­la­den, wo ich an mei­nem ers­ten Tag in Kap­stadt war.
Und dann wür­de ich wirk­lich hier leben.

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»Also, wenn du wirk­lich hier leben wür­dest,« sagt da die Dame hin­ter dem Tre­sen, »dann könn­test du eine Mit­glieds­kar­te bekom­men und damit kriegst du dann ab und zu einen klei­nen Rabatt.«

»Oh, das wäre ja phan­tas­tisch,« sage ich, ein biss­chen zu auf­ge­regt ob der Aus­sicht auf eine Buch­la­den-Mit­glied­schaft und gele­gent­li­che Rabat­te.

»…aber wie gesagt, ich bin lei­der nicht von hier, ich bin nur Tou­rist.«

»Na, viel­leicht ziehst du ja eines Tages nach Kap­stadt und dann bekommst du doch noch die Mit­glieds­kar­te. Das wäre doch was!«

»Ja, das wäre was. Na dann, auf Wie­der­se­hen,« sage ich zum Abschied und dann noch Dan­ke für das Buch.

Und als ich die drei Stu­fen hin­ab auf den son­ni­gen Bord­stein neh­me, füh­le ich mich leich­ter. Und irgend­wie schwe­rer zugleich.

 

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In 14 Texten um die Welt!

Tag 1: Im Bal­kan
Tag 2: Damas­kus, Syri­en
Tag 3: Petra, Jor­da­ni­en
Tag 4: Sier­ra Leo­ne
Tag 5: Kap­stadt, Süd­afri­ka
Tag 6: Decep­ti­on Island, Ant­ark­tis
Tag 7: La Paz, Boli­vi­en
Tag 8: Havan­na, Cuba
Tag 9: Tijua­na, Mexi­ko
Tag 10: Mel­bourne, Aus­tra­li­en
Tag 11: Sula­we­si, Indo­ne­si­en
Tag 12: Hanoi, Viet­nam
Tag 13: Don Det, Laos
Tag 14: Bhu­tan

Erschienen am



Antworten

  1. Avatar von Antje

    … und du könn­test jeden Abend vom Signal Hill aus zuschau­en wie die Son­ne ins Meer fällt.

  2. Avatar von Rieke
    Rieke

    … Und an einem beson­ders schö­nen Tag ein Auto lei­hen und an der Küs­te ent­lang mit Bas­til­le im ohr! Der Blick aufs Meer… Unbe­zahl­bar

    1. Avatar von Gesa

      Hach ja.… Komm, wir blei­ben doch gleich hier…

  3. Avatar von Carmen

    Das macht rich­tig Spaß zu lesen. Bit­te mehr Geschich­ten über Süd­afri­ka!!!!

    1. Avatar von Gesa

      Kommt, Car­men! Sobald ich zu Hau­se bin geht’s ans Werk!

  4. Avatar von Dirk

    Ach, möch­te man dir zuru­fen, mach’s ein­fach. Und schreib uns, klick-klick-ding, noch ein paar Geschich­ten von da unten. Über Jere­my, Lay­la, die Buch­händ­le­rin und dein neu­es Leben ohne Föhn.

    1. Avatar von Gesa

      Ach, wenn es doch nur so ein­fach wäre, lie­ber Dirk! Na, ich schau mal, ob ich das irgend­wie hin­be­kom­me..

  5. Avatar von Dario Urbanski

    Eine ganz tol­le Geschich­te die bewegt!!!!
    Dan­ke!!!!
    dario

  6. Avatar von Eva

    unge­fähr genau­so könn­te Dein Leben dort aus­se­hen .… viel­leicht wür­dest du noch an der Sea­point Pro­me­na­de Lau­fen gehen?!
    ich durf­te mal 2 jah­re dort so glück­lich sein 😉

  7. Avatar von sou enim

    Für einen Moment war ich da.…

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