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Schwitzend wuchtete ich meinen überfüllten Rucksack von meinen Schultern hinunter auf den heißen Asphalt der engen Bergstraße und drehte mich um. Mittlerweile hatte ich wieder eine gute Aussicht über Vallehermoso – das „schöne Tal“. Zwar war der schwarze Sandstrand, der das Ende des Tals bildete noch hinter einer großen Felsformation verborgen, dafür lag mir das kleine, nach dem Tal benannte Städtchen, auf dessen Marktplatz ich noch vor einer guten Stunde im Schatten einer Palme zu Mittag gegessen hatte, nun direkt zu Füßen. Auf der anderen Seite des Tales, vielleicht drei oder vier Kilometer Luftlinie entfernt, konnte ich den Bergrücken erkennen, den ich gestern entlanggewandert war und an dessen Hängen ich am vorherigen Abend irgendwo zwischen ein paar dürren Büschen im Niemandsland mein kleines Ein-Mann-Zelt aufgeschlagen hatte. Die Vegetation war spärlich in den niedrigeren Höhenlagen der Insel.
Trockenvegetation in den niedriger gelegenen Teilen Gomeras
Als ich dann an diesem Morgen wieder meinen Rucksack geschultert hatte um weiter gen Westen zu laufen, war gerade die Sonne über dem Teide aufgegangen. Dies war einer jener Momente gewesen, während derer man das Gefühl hat, sie in der kurzen Zeit in der sie anhalten gar nicht ausreichend würdigen zu können. Man wünscht sich, sie auf irgendeine Weise festhalten zu können, um sie etwas länger anhalten zu lassen – in der Hoffnung, dadurch mehr Zeit zu haben, ihnen gerecht zu werden als es die Echtzeit erlaubt. Momente so schön, dass man für sie solche Wanderungen unternimmt. Ich jedenfalls.
Der Teide unter seinemWolkentuch
Genauso perfekt wie der Tagesbeginn war auch der Rest des Vormittags verlaufen. Angekommen am nördlichsten zu Fuß erreichbaren Punkt der Insel, war ich einem steilen Pfad von den hohen Klippen hinunter zu jenem schwarzen Sandstrand gefolgt. Während des Abstieges hatte sich drüben über dem Meer ein Tischtuch aus weißen Wolken über die Spitze des Vulkans gelegt. Unten auf der Talstraße hatte mich dann ein Einheimischer in seinem klapprigen Seat vom Strand die wenigen Kilometer das Tal hinauf in das kleine Städtchen mit den bunten Häusern gebracht. Es war dort, wo ich meinen von drei Tagen Wandern fern jedes Dorfes leicht gewordenen Rucksack wieder bis zum Rand mit Lebensmitteln gefüllt und zusätzlich vier große Plastikflaschen mit Wasser daran befestigt hatte. Die vergangene Stunde hatte ich dann damit verbracht, diesen Rucksack durch die immer schwüler werdende Mittagshitze entlang einer engen Straße die östliche Talflanke hinauf zu schleppen.
Vallehermoso: Ein buntes Kanaren-Städtchen
„Der viele Proviant und das Wasser machen dich für ein paar Tage unabhängig von größeren Ortschaften“, motivierte ich mich selbst, als ich den Rucksack wieder auf meine Schultern hievte und weiter bergauf zu wandern begann – vorbei an terrassenförmig angelegten Feldern, auf denen exotische Früchte auf dem fruchtbaren, vulkanischen Boden wuchsen. Die Luftfeuchtigkeit schien derweil immer weiter anzusteigen und allmählich wurde mir klar, dass es nur noch eine Frage der Zeit sein würde, bis das gute Wetter umschlug. Als die Sonne sich endgültig hinter die aufziehenden Wolken verzogen hatte und die ersten Regentropfen fielen, kramte ich im Schutz einer hohen Palme meine Landkarte heraus. Ich musste seit Verlassen des Tals schon über 500 Höhenmeter gestiegen und damit bereits wieder auf etwa 800 Metern Höhe angekommen sein. Demnächst würde ich auf eine kleine Teerstraße treffen und nicht weit von dort wies die Karte ein Gasthaus aus. Da es kaum danach aussah, dass der Regen schnell wieder nachlassen würde, beschloss ich dort nach einem Zimmer zu fragen. 20 Euro würde meine Reisekasse dafür ausnahmsweise mal hergeben und mir eine nasse Nacht im Zelt ersparen.
Doch so einfach ließ mich der Regen an diesem Tag nicht entkommen. Was auf der Karte als Gasthaus ausgeschrieben war, stellte sich als Restaurant heraus – ohne Gästezimmer. Also folgte ich weiter der engen Teerstraße durch verregnetes Ackerland. Das nächste kleine Dorf war noch einige Kilometer weit entfernt und die nächste größere Ortschaft war zu Fuß an diesem Tag nicht mehr erreichbar. Die Landschaft, die im Sonnenschein dieses Vormittages vermutlich noch idyllisch und attraktiv gewirkt hätte, hatte nun im Regen jeden Reiz verloren. Gelegentlich hob ich den Daumen, in der Hoffnung eines der sich spärlich gebenden Autos könnte sich meiner durchnässten Erscheinung erbarmen und mich in hoffnungsvollere Gefilde befördern. Trampen, philosophierte ich, kann sich für einen Wanderer anfühlen wie eine Zeitreise – gerade trottet man noch im Steinzeittempo über die Straße, denkt in Kilometern pro Tag und im nächsten Moment wird man von einem motorisierten Vehikel aufgesammelt, das Einen in einer Stunde mehr als doppelt so weit bringen kann, als man es selbst unter besten Bedingungen zu Fuß niemals hätte schaffen können. An diesem Tag jedoch blieb mir vorerst nur das Steinzeittempo; niemand schien Lust zu haben, sich seinen Autorücksitz von einem durchnässten Wanderer einsauen zu lassen.
So erreichte ich einige Zeit später zu Fuß ein kleines Dorf an einem Stausee. Nur wenige, verstreute Häuser. Kaum ein Mensch auf der Straße. Ein Junge fuhr auf einem knatternden Moped an mir vorbei. Hier gab es nichts für mich. Kein Gasthaus, kein Platz zum Zelten. Ein Blick auf die Karte verriet, dass ich es vor Einbruch der Dunkelheit noch nach Juego de Bolas schaffen könnte, wo einige Gasthäuser eingezeichnet waren – ich hoffte dort vielleicht im Garten eines Restaurants für ein paar Euros mein Zelt aufstellen zu können. Der Regen hielt an, als ich einige bewaldete Anhöhen überquerte – erst auf Waldwegen, dann eine enge Serpentinenstraße hinauf. So gelangte ich wieder in die hochgelegenen Gebiete, wo die Passatniederschläge die Voraussetzungen für dichten Nebelwald schufen. Eine gute Wanderstunde später stellte sich Juego de Bolas dann als ein Nationalpark-Informationsgebäude heraus – daneben zwei oder drei Restaurants, von denen nur eines geöffnet hatte. Der Barkeeper dieses Restaurants war hilfsbereit, verweigerte mir aber das Zelten in seinem Garten mit Hinweis auf angeblich strenge Polizeikontrollen. Unschlüssig, was ich nun tun sollte, stand ich im Regen auf einer Kreuzung. Die Landschaft eignete sich nicht zum Zelten. Steil und felsig. Ganz zu schweigen von der allgegenwärtigen Nässe, die mir immer mehr aufs Gemüt schlug. Dazu kam, dass ich wenige hundert Meter weiter die Grenzen des Nationalparks überqueren würde, wo Wildzelten sehr teuer werden konnte.
Da stand ich also im strömenden Regen und wusste nicht so recht, wie es nun weitergehen sollte, als wenige Meter von mir ein kleines schwarzes Auto hielt. Zwei ältere Männer stiegen aus dem Wagen und entfalteten eine Straßenkarte. „Wenn das nicht die Männer waren, die mich von diesem trostlosen Ort wegbringen würden!“, dachte ich mir. Zeit mein Spanisch auszupacken. „Hola señores, qué buscan?“ Sie antworteten, dass sie zu einem Ort namens „La laguna Grande“ wollten, was mich zum innerlichen Ballen einer Siegerfaust veranlasste; zufällig wusste ich nämlich genau wo sich dieser Ort – eine Art Ausflugsziel für Familien mitten im Nationalpark, durch den ich erst vor wenigen Tagen auf meiner Wanderung gekommen war – befand. Ein schnelles gedankliches Screening meiner mittlerweile ganz brauchbaren Ortskenntnis der Insel verriet mir, dass sie auf dem Weg dorthin ganz knapp am einzigen Campingplatz der Insel vorbeikommen mussten! Und von meinem letzten Aufenthalt auf dem Platz wusste ich, dass es dort – für nur zwei Euro pro Nacht – die beiden Dinge gab, nach denen ich mich gerade am meisten sehnte: Überdachte Zeltplätze und eine heiße Dusche.
Die hohen Lagen Gomeras: bedeckt von dichtem Nebelwald
Die beiden Männer willigten ein, mich mitzunehmen. Überglücklich, diesem verregneten Loch zu entkommen, sprudelte mein Spanisch wie ein Springbrunnen von Zischlauten und gerollten Erres aus mir heraus und die beiden Herren entpuppten sich als nette und gesprächige Einheimische aus dem Süden der Insel. Friseure von Beruf, um die fünfzig Jahre alt und offensichtlich auf einer Spazierfahrt um ihre Insel, auf der sie sich erstaunlich schlecht auskannten. Doch auch meine eigene Ortskenntnis war noch nicht perfekt, wie ich zu meinem Schrecken nach einigen Kilometern Fahrt entlang enger Straßen durch das tropfende Grün des Regenwalds feststellen musste, auf der mir nämlich Eines immer klarer wurde: „So eine Scheiße, es gibt eine Straße mitten durch den Nationalpark!“ Im selben Moment war mir klar, was das bedeutete: Mitnichten würden wir nun an dem ersehnten Campingplatz mit seiner heißen Dusche vorbeikommen. Stattdessen würde ich fernab meiner geplanten Route mitten im Nationalpark landen, wo mich ein illegaler Zeltplatz 200 Euro kosten könnte – ohne warme Dusche.
Nach 20 Minuten Fahrt kamen wir an der „Laguna Grande“ an. Die beiden Herren wollten von hier aus weiter nach Hause in den Süden der Insel fahren. Dies wurde mir allerdings erst in dem Moment klar, als ich schon im strömenden Regen meinen Rucksack aus dem Kofferraum hievte. Ich hatte angenommen, die beiden würden hier bleiben, vielleicht in dem kleinen Ausflugs-Restaurant zu Abend essen. Als mein Gehirn diese neue Information verarbeitet und geschlossen hatte, dass es im Anbetracht der Situation wohl das Beste gewesen wäre, die Beiden zu bitten mich mit sich in den trockenen (weil unterhalb der Nebelzone gelegenen) Süden der Insel zu nehmen, hatte sich das schwarze Auto schon in ein Paar sich rasch entfernende rote Rücklichter im strömenden Regen auf einer einsamen Straße mitten im Nebelwald verwandelt.
Ich stellte mich unter ein paar Bäume am Straßenrand, die mäßigen Schutz vor dem Regen boten und rekapitulierte meine neue, verschlechterte Situation: Der Regen war heftig und ununterbrochen, ich stand buchstäblich mitten im Nationalpark, wo Zelten strengstens verboten war, auf der Straße fuhr kaum ein Auto, und in gut eineinhalb Stunden würde es dunkel sein. Die Grenze des Nationalparks war etwa eine Stunde Fußmarsch von hier entfernt. Ich war auf meiner Wanderung erst vor ein paar Tagen an dieser Stelle vorbeigekommen und hatte am Ende jenes Tages mein Zelt etwas außerhalb des Parks in einem Gebüsch aufgeschlagen. Dasselbe könnte ich nun wieder tun. Ein Notfallplan – alles andere als attraktiv. Er würde mich weitab meiner geplanten Route führen und ich hätte spätestens in einer halben Stunde loslaufen müssen, um mein Zelt noch vor Einbruch der Dunkelheit außerhalb des Nationalparks aufstellen zu können.
Um den Tag noch zu retten, musste es mir also innerhalb der nächsten 30 Minuten gelingen, ein Auto anzuhalten, das mich etwa 10 Kilometer die Straße hinauf in Richtung Hermigua bringen konnte. Von dort aus, so hoffte ich, könnte ich die restlichen 2 Kilometer einer Nebenstraße folgend zu dem ersehnten Zeltplatz laufen.
Leider musste ich feststellen, dass der Erfolg beim Trampen weitgehend unabhängig von der Motivation des Trampers ist. Egal mit wie viel Nachdruck dieser den Daumen heraushält: wenn die Fahrer der vorbeifahrenden Autos nicht anhalten, bleibt man wo man ist. Natürlich kann man versuchen mit verschiedenen Tricks, die Wahrscheinlichkeit mitgenommen zu werden etwas zu steigern. Ich hielt also meinen rechten Arm mit weit abgespreiztem Daumen in einem perfekten 70°-Winkel (90° hielt ich für zu aufdringlich, kleinere Winkel für zu unauffällig) von meinem Körper weg, während ich einen halben Meter vom Straßenrand und etwa 20 Meter vor einer kleinen Haltebucht (damit potentielle Mitnehmer auch bequem anhalten können) an einer bereits aus mehreren hundert Meter Entfernung gut einsehbaren Stelle (damit unschlüssige Autofahrer möglichst lange Zeit haben mich zu sehen und hoffentlich zu dem Schluss kommen, mich mitzunehmen) stand. Dazu nahm ich trotz des auf mich einprasselnden Regens bei jedem vorbeifahrenden Auto meine Kapuze vom Kopf und setzte mein sympathischstes, und gleichzeitig mitleiderregendstes Lächeln auf.
Das bescheidene Sehnsuchtsziel meiner Tramp-Ambitionen: Ein einfacher überdachter Zeltplatz. Nicht im Bild: die warme Dusche.
Doch wie gesagt: all diese Tricks garantieren dem Tramper noch lange nicht, mitgenommen zu werden – egal wie sehr er sich das wünscht. Und so stand ich zwanzig Minuten lang an dieser Straße im Regenwald während Autos in ernüchternden Abständen von mehreren Minuten an mir vorbeifuhren.
Die Bescheidenheit mit der Einem die Natur während solcher Touren selbst die kleinen, im Alltag selten als solche wahrgenommenen Freuden wertschätzen lässt, ist eine zweiter Grund weshalb ich solche Wanderungen unternehme. Eine Zeltnacht unter einem trockenen Dach sowie eine heiße Dusche nach einem durchwanderten Regentag war eine solche Freude und für mich kam sie an diesem Abend in Gestalt eines kleinen Leihwagens jene Straße im Nebelwald herangefahren. Das Auto, das mir jenen Tag rettete wurde von einer jungen Frau aus Mallorca gelenkt. Neben ihr auf dem Beifahrersitz saß ihr Freund mit eingegipstem, linkem Bein. Hätte er sich nicht eine Woche vor ihrer Reise das Bein gebrochen, wären die Beiden ebenfalls gerne über La Gomera gewandert. Und hätten sich keinen Leihwagen genommen mit dem sie einem anderen Wanderer in letzter Minute den Tag retteten.
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Antworten
Den Nebelwald haben mein Mann und ich auf Teneriffa kennengelernt. Erst an unserem Abreisetag ist er verschwunden.
Schöne Bilder! Bin gespannt ob sich Gran Canaria im Frühling ähnlich zeigt. In einer Woche geht’s los 🙂
Ich bin nächste Woche auf La Palma wandern und hoffe, dass mir das Regenszenario erspart bleibt… Hey, aber bald kannst du drüber lachen 😉
Wird bestimmt ein Erlebnis, die Kanaren sind einfach ein tolles Stück Naturl Auf La Palma war ich nicht, aber jede Kanareninsel scheint auf ihre Art besonders zu sein.
So schön geschrieben. Danke!
Jetzt will ich auch auf die Insel.Freut mich 🙂
Du solltest auch hin, ist wunderschön!
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