Ist Machu Picchu eine Reise wert?

Ich sit­ze im Star­bucks, den Blick auf den Pla­za de Armas gerich­tet. Im Star­bucks in Cus­co zah­len Aus­län­der mehr für ihren Kaf­fee als Ein­hei­mi­sche (sogar ganz offi­zi­ell 15%). Das regt mich auf, hält aber vom Kon­sum nicht ab. Da bin ich nicht allei­ne, der Cof­fee­shop ist voll von Tou­ris­ten, die hier im Inter­net sur­fen oder offen­bar auf ihren Nacht­bus war­ten.

Plaza de Armas Cusco

Ungefilterte Kontraste: Cusco

Tou­ris­ten mit Schlapp­hut und Kame­ra auf der einen, Ver­käu­fer mit Fly­ern und lami­nier­ten Fotos auf der ande­ren Sei­te. Eigent­lich kommt man kei­nen Meter vor­wärts, ohne irgend­wem ein­mal mehr ein No, gra­ci­as ent­ge­gen­zu­wer­fen. Ket­te? No, gra­ci­as. Pull­over? No, gra­ci­as. Son­nen­bril­le? No, gra­ci­as. Tour? Bus? Machu Pic­chu? NO GRACIAS. Ich sage die­se zwei Wor­te irgend­wann unbe­wusst vor mir her. Wie ätzend die­se Jobs für die Cus­que­ños wohl sein müs­sen. Ich habe nur ein­mal, im Win­ter 2006, als wan­deln­des Schild samt däm­li­cher Zip­fel­müt­ze in der Bre­mer Innen­stadt gear­bei­tet (Schild-Auf­schrift: 10%, 20% und 50 % auf alle Weih­nachts­ar­ti­kel). Nach­dem mich eine Grup­pe puber­tä­rer Halb­star­ker ver­höhnt hat­te, schwor ich mir, dass dies mein letz­ter Tag als Rabatt­schild auf der Bre­mer Obern­stra­ße war.

Jeder, der nach Peru kommt, will Machu Pic­chu sehen. Und jeden ver­schlägt es dafür nach Cus­co, der Inka­haupt­stadt, die in hauch­dün­ner Anden­luft auf 3300m liegt.

Peru_Ollantaytambo_indigene_Frauen

Trek­king­tou­ren, Machu Pic­chu 1 Day Cheap, Alpa­ka­pull­over, bun­te Woll­müt­zen mit Lamas drauf. Indi­ge­ne Frau­en in far­ben­fro­hen Gewän­dern samt Baby­schaf auf dem Arm und Klein­kind an der Hand: Foto! Foto! für ein paar perua­ni­sche Soles ver­steht sich. Trau­ri­ge Folk­lo­re. Ein buk­li­ger alter Mann mit Leder­haut bie­tet Was­ser­me­lo­nen­schei­ben feil. Sein Pull­over ist an der Schul­ter geris­sen, ich sehe sein krumm gewach­se­nes Schul­ter­blatt. Wir igno­rie­ren uns bei­de. Eine runz­li­ge Frau mit nur noch einem Zahn streckt einem japa­ni­schen Tou­ris­ten ihre fal­ti­ge, ris­si­ge Hand ent­ge­gen. Ein paar Soles, ten­go hambre (ich habe Hun­ger). Immer wie­der auf die­ser Rei­se die gna­den­lo­se Kon­fron­ta­ti­on mit Armut. Und, nein, dar­an gewöhnt man sich nicht. Und das ist auch gut, denn wer will schon so abge­stumpft sein?

Ges­tern früh kamen wir nach 12 Stun­den Nacht­fahrt im erwa­chen­den Cus­co an. Ich mache eine men­ta­le Notiz: Cus­co, die rote Stadt. Back­stein, rote Erde, grün-brau­ne Hän­ge. Wer­be­sprü­che der poli­ti­schen Par­tei­en an den Häu­sern. Am 5. Okto­ber, mei­nem Geburts­tag, wird in Peru gewählt. Die Men­schen sind poli­tisch aktiv: Bei­na­he täg­lich sehen wir Demons­tra­tio­nen oder Para­den für eine der zahl­rei­chen Par­tei­en. Die Nacht­fahrt war kur­vig und zu warm, Ste­fan und ich taten kaum ein Auge zu. Trotz­dem direkt duschen, in die Alt­stadt lau­fen. Wir essen im Mer­ca­do Cen­tral für 4 Soles (1 Euro). Ein Gericht für die Armen und Har­t­ar­bei­ten­den: Reis mit Ei, Pom­mes und frit­tier­ter Bana­ne. Arroz a la Cuba­na.

mercado central Cusco

Die Entzauberung von Machu Picchu

Die Orga­ni­sa­ti­on eines Besu­ches von Machu Pic­chu for­dert eini­ge Ent­schei­dun­gen ab. Trek­king­tour zwi­schen 3 und 5 Tagen, Zug­fahrt oder ganz bil­lig: Mit drei ver­schie­de­nen Bus­sen bis zu den Zug­schie­nen fah­ren und nach Agu­as Cali­en­tes, dem Machu Pic­chu Dorf, lau­fen. Vom Sturz in Hua­cachi­na noch nicht ganz erholt, viel­leicht auch unser Bei­der Aus­re­de für ganz unab­en­teu­er­li­che Bequem­lich­keit, geneh­mi­gen wir uns die völ­lig über­teu­er­ten Tou­ris­ten-Zug­ti­ckets ab Ollan­tay­tam­bo. Der loka­le (und güns­ti­ge) Zug darf näm­lich nicht von Aus­län­dern genutzt wer­den.

Incarail Zug

Ste­fan inter­es­siert sich eigent­lich nicht so sehr für die Inka­rui­ne, aber für mich beher­bergt sie einen Zau­ber, der bereits 2007 gelegt wur­de:

Damals, ich war gera­de mal 21 Jah­re alt, schlief ich auf der Couch eines Perua­ners. Ich hat­te ein Bewer­bungs­ge­spräch in Frank­furt und war damals noch nicht im Bil­de, dass man sich Anfahrts- und Über­nach­tungs­kos­ten erstat­ten las­sen konn­te. Also nutz­te ich die kos­ten­lo­se Couch eines perua­ni­schen Stu­den­ten, der in sei­nem Zim­mer frei her­um­lau­fen­de Kanin­chen und Meer­schwein­chen beher­berg­te. Sie soll­ten nicht ein­ge­sperrt wer­den. Er erzähl­te mir von Lima, der häss­li­chen, dre­cki­gen Stadt. Und von Machu Pic­chu, der Inka­rui­ne, die hin­ter den Anden lag. Damals, ich war noch nie gereist, klang das nach einem fer­nen, magi­schen Ort. Ein Ort, den nur wah­re Aben­teu­rer, ech­te Tra­vel­ler, kann­ten und sich erschlie­ßen konn­ten. Vom Grin­go-Trail oder Lonely Pla­net South Ame­ri­ca on a Shoestring hat­te ich nie gehört. Von da an war Machu Pic­chu der Inbe­griff des Aben­teu­ers. India­na Jones Bil­der befüll­ten mei­nen Kopf. Eine mys­ti­sche, ver­bor­ge­ne Inka­stadt. Dass ich nun im Jah­re 2014 in Cus­co mit ´nem Kaf­fee sit­zen und mor­gen sel­ber hin­fah­ren wür­de: hät­te mir das jemand damals pro­phe­zeit, ich hät­te wohl nur müde und ungläu­big gelä­chelt.

Eine Neben­wir­kung des Rei­sens ist die Ent­zau­be­rung der Welt. 

Machu Pic­chu zu sehen ist ein rei­ner finan­zi­el­ler Auf­wand, kei­ne Leis­tung. Kei­ne Erobe­rung.

Mor­gen also wer­de ich hin­fah­ren, in der Hoff­nung, dass ich trotz­dem etwas füh­le. Und viel­leicht ein wenig vom Zau­ber bleibt. Oder ein Neu­er gelegt wird.

Auch das ist eine Neben­wir­kung des Rei­sens.

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Antworten

  1. Avatar von DoGui

    Hal­lo ihr zwei,
    ich plat­ze fast vor Neid, die Augen wer­den feucht und der Hin­tern juckt 🙂
    Ist alles schon paar Jah­re her, ich könn­te grad den Foto­ap­pa­rat wie­der ein­pa­cken und ein­fach abhau­en.
    Aber so ein­fach isses nicht, wenn’s so ein­fach wäre! Ihr müsst mir mal ver­ra­ten wie ihr das finan­ziert habt, es gibt viel zu sehen, nix wie weg 🙂
    LG

    1. Avatar von Aylin

      Hey DoGui, ehr­lich gesagt haben wir kein Geheim­re­zept: Arbei­ten, Spa­ren, Los. 🙂

      Glück­li­cher­wei­se lässt sich ja auch mit kür­ze­ren Rei­sen viel ent­de­cken- wenn man nicht gleich alle Zel­te in Deutsch­land abbre­chen will.

      LG Aylin

  2. Avatar von Maria
    Maria

    Man kann Machu Pic­chu erobern… das Gefühl, wenn man nach vier Tagen anstren­gen­dem Sal­kan­tay-Trek und mit einer hal­ben Lun­gen­ent­zün­dung dann mor­gens um 6 im Nebel steht, und viel weni­ger Tou­ris­ten um einen her­um sind, als erwar­tet, ist ein­fach unschlag­bar!!!
    Mit dem Zug kann jeder hin­fah­ren, aber hin­zu­wan­dern gleicht fast schon einer Pil­ger­rei­se.

    1. Avatar von Aylin

      Lie­be Maria,

      das klingt in der Tat nach einer Wahn­sinns-Erfah­rung, auch wenn ich Dich nicht um die Lun­gen­ent­zün­dung benei­de!

      LG Aylin

  3. Avatar von Aylin

    Hey Jakob,

    ja- Du hast voll­kom­men Recht- gro­ße Attrak­tio­nen zie­hen immer vie­le Leu­te an (mich ja auch ein­ge­schlos­sen), egal ob Machu Pic­chu, Ang­kor Wat, das Taj Mahal… Wir haben uns Machu Pic­chu auch ange­se­hen, ein­fach, weil ich mir eben mein eige­nes Bild machen woll­te. Wir haben übri­gens hier die (durch­aus posi­ti­ven) Ein­drü­cke fest­ge­hal­ten:

    https://www.reisedepeschen.de/machu-picchu-oder-8670-treppenstufen/

    Die Reak­tio­nen auf unse­re Arti­kel haben mir auch gezeigt, wie indi­vi­du­ell Machu Pic­chu wahr­ge­nom­men wird.

    Lie­be Grü­ße & wei­ter­hin Gute Reise(n), Aylin

  4. Avatar von Wolfgang

    Tja …

    Nächs­tes 2015 geht´s für mich auch nach Peru. Flug ist schon gebucht …

    Und wo ich garan­tiert nicht hin will, ist Machu Pic­chu. Da war »jeder« schon. Dar­über schreibt »jeder«. Das foto­gra­fiert »jeder«.

    Wie gesagt, ich wer­de da wohl einen Bogen drum machen. Wahr­schein­lich. Wie es tat­säch­lich kommt, wer­de ich sehen … 😉

    1. Avatar von Wolfgang

      Erset­ze »Nächs­tes 2015« durch »Nächs­tes Jahr« (alter­na­tiv: »2015«) … 😉

    2. Avatar von Jakob

      Ich kann dei­ne Schluss­fol­ge­rung aus die­sem Arti­kel nicht nach­voll­zie­hen. Ich war 2011 in Peru, und selbst­ver­ständ­lich auch in Cus­co und dann beim Machu Pic­chu. Ja, ich bin auch mit die­sem Zug gefah­ren, und ja, ich fin­de den Zug auch eher teu­er.
      Aber es lohnt sich. Machu Pic­chu ist etwas, das man trotz­dem nicht aus­las­sen soll. Dazu unbe­dingt früh rauf, damit man noch ein Ticket für den Berg (Huay­na Pic­chu?) bekommt und eine gran­dio­se Aus­sicht genie­ßen kann. So hat man MP auch halb­wegs für sich allei­ne. Auch Cus­co habe ich nicht so wild in Erin­ne­rung, son­dern eher als einer der ange­neh­me­ren Städ­te Perus.
      So kön­nen sich Erfah­run­gen unter­schei­den…

      Die oben beschrie­be­nen, mit der Zeit ner­ven­den, Ver­hält­nis­se (dau­ernd wird einem etwas ange­bo­ten, etc.) hat man ein­fach mal an jedem tou­ris­ti­schen Hot­spot. Das hat aber noch lan­ge nichts mit der Attrak­ti­vi­tät einer Attrak­ti­on ansich zu tun, und soll­te davon auch nicht nega­tiv beein­flusst wer­den, son­dern etwas dif­fe­ren­zier­ter.

      Alter­na­tiv könn­te man ja nach Cho­que­qui­rao (oder wie man das schreibt) wan­dern, angeb­lich genau­so schön, und dort ist man ziem­lich sicher eher allei­ne unter­wegs…

      Wünsch dir, und Aylin & Ste­fan noch eine schö­ne Rei­se in Peru! 🙂

      Grü­ße aus Wien,
      Jakob

    3. Avatar von Aylin

      Hal­lo Wolf­gang, schön, dass es für Dich 2015 nach Peru geht. Gro­ße Attrak­tio­nen sind eben ein zwei­schnei­di­ges Schwert, genau dar­um habe ich auch die­se Gedan­ken am Abend vor unse­rem Machu Pic­chu Besuch auf­ge­schrie­ben. Da jeder sowie­so durch sei­ne eige­ne Bril­le schaut, ist es eben eine Fra­ge, wor­an man sich erfreut. Ich bin gespannt auf Dei­ne Ein­drü­cke (wenn Du Dich dann doch zu MP hin­rei­ßen lässt) 😉

      Lie­be Grü­ße,
      Aylin

    4. Avatar von Wolfgang

      Das war doch kei­ne Schluss­fol­ge­rung aus, dem Arti­kel, Jakob. Das ist eine grund­sätz­li­che Ein­stel­lung. Ich mag es nicht so, Orte zu besu­chen, die man schon »tau­send­mal« auf Fotos gese­hen hat und wo, wie gesagt, ohne­hin »jede´r« hin­geht. Da fehlt mir der Reiz, das ist eben so … 😉

      Und der Arti­kel ist ja eher ein Anreiz, es doch zu machen und die­ses Hin­ter­tür­chen habe ich mir ja auch offen gelas­sen (»wie es tat­säch­lich kommt … etc. pp.«).

      Ansons­ten dan­ke für die guten Wün­sche! 😉 Peru ist übri­gens »erst« im /​ ab April an der Rei­he. Ich »muss« vor­her noch 2 Mona­te in Indi­en »über­brü­cken«! 😉

      Lie­be Grü­ße
      Wolf­gang

    5. Avatar von muhammed
      muhammed

      inter­es­siert mich net

    6. Avatar von Julian

      I bin auch kein Freund vom Mas­sen­tou­ris­mus aber Machu Pic­chu war obwohl es sehr tou­ris­tisch ist wun­der­schön, dass ist genau­so wie Ang­kor wat was ich fin­de noch tou­ris­ti­scher ist mitt­ler­wei­le und den­noch ist der Ort magisch

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