Iranische Schutzengel heißen Djavad

Der ira­ni­sche Ver­kehr ist kei­ne Freu­de! Und dabei ist es voll­kom­men unbe­deu­tend, ob man sich auf einer nahe­zu unbe­fah­re­nen Land­stra­ße fort­be­wegt, in einem klei­nen ver­schla­fe­nen Dorf oder einer Mil­lio­nen­me­tro­po­le wie Tehe­ran. Gän­gi­ge Glau­bens­sät­ze wie „Rechts­ver­kehr bedeu­tet, dass man selbst rechts sowie der Gegen­ver­kehr links fährt“ sind voll­kom­men irrele­vant! Und es ist mehr als naiv anzu­neh­men, dass die Anzahl der Fahr­spu­ren auf den Stra­ßen irgend­et­was mit der Anzahl der neben­ein­an­der fah­ren­den wei­ßen Peu­geots oder Trucks zu tun haben könn­te. Ein guter Mul­ti­pli­ka­tor ist wahr­schein­lich „2“ – drei Spu­ren bedeu­ten etwa sechs Fahr­zeu­ge neben­ein­an­der. Die Men­schen mit Schub­kar­ren, Tier­her­den und Fahr­rad­fah­rer, die dabei noch die Stra­ße über­que­ren, sind nicht mit­ge­rech­net. Ein Glück, dass unser Truck gut zu sehen ist! So schwim­men wir ein­fach irgend­wie mit. Inschal­lah! So gut es geht.

Es war einer die­ser Tage: Tank­stel­le mit genü­gend ver­füg­ba­rem Die­sel und hilfs­be­rei­tem LKW-Fah­rer fin­den, der uns auf sei­ne Die­sel­kar­te tan­ken lässt … und froh­lo­cken bei den Prei­sen (etwa 10 Euro für 130 Liter Die­sel), Geld zu einem rea­lis­ti­schen Kurs wech­seln um kurz­fris­tig zum Mil­lio­när zu wer­den, Was­ser für den Wasch­tank fin­den, fri­sches Gemü­se ein­kau­fen – und bei zuneh­men­der August­hit­ze meh­re­re Stun­den über stau­bi­ge Auto­bah­nen fah­ren. Von Maku nach Tab­riz. Am spä­ten Nach­mit­tag kom­men wir trie­fend – doch end­lich an. Wir ver­su­chen unser Glück im Zen­trum der Groß­stadt, hal­ten die Augen offen nach einem Stell­platz – beleuch­tet und bes­ser nicht zu ein­sam. So unse­re Regeln. Wir krei­sen durch Tab­riz und ver­zwei­feln an den irr­wit­zi­gen Fahr­zeug­po­lo­nai­sen und den für uns kryp­ti­schen Schil­dern. Die Stadt erwacht zuse­hends aus dem Hit­ze­ko­ma des Nach­mit­tags. Es ist sti­ckig. Voll. Und laut. Alle Nano­se­kun­de ertönt eine ohren­be­täu­ben­de nach Auf­merk­sam­keit hun­gern­de Hupe. Dazwi­schen immer wie­der ein Schrei durchs Fens­ter „Hel­lo Mis­ter! Whe­re are you from?“

Da weder wir noch unser Navi sich in die­sem Wahn­sinn aus­ken­nen, erwi­schen wir eine eher „fal­sche“ Stra­ße! Dann noch eine. Unser Truck ist zu breit! Wir manö­vrie­ren uns todes­mu­tig an par­ken­den Autos vor­bei und unter nied­ri­gen Bäu­men hin­durch. Es wird heiß, anstren­gend und wir hal­ten kurz in zwei­ter Rei­he, um einen ziel­füh­ren­de­ren Plan zu schmie­den. Und dann höre ich plötz­lich eine frem­de Stim­me – in einem Dia­lekt, der hier wahr­lich nicht hin­ge­hört. „Hal­lo! Brau­chen Sie Hil­fe?“ Mei­ne kopf­tuch­ge­krön­te Frau beugt sich weit aus dem Fens­ter und spricht höf­lich und all­zu deutsch mit einem Mann, den ich selbst nicht sehen kann. Sie ver­ab­re­det offen­sicht­lich, dass wir dem Frem­den erst ein­mal aus die­ser Stra­ße hin­ter­her­fah­ren. Wir par­ken in einer brei­ten Quer­stra­ße, stei­gen aus, stel­len uns vor.

Vor uns steht Dja­vad. Wie sich her­aus­stel­len wird, unser ganz per­sön­li­che Schutz­en­gel! Und das nicht nur für die­ses Mal! Dja­vad hat vie­le Jah­re in Deutsch­land gelebt, in Düs­sel­dorf. Er stammt ursprüng­lich aus dem wun­der­schö­nen und vor allem sehr offe­nen und freund­li­chen Tab­riz. Nach dem Inge­nieur­stu­di­um zog er nach Deutsch­land um zu arbei­ten, sich eine Exis­tenz auf­zu­bau­en. Zwei sei­ner drei Söh­ne stu­die­ren heu­te in Ber­lin, so dass er immer noch regel­mä­ßig zu „Hilfs­ak­tio­nen“ in die alte Wahl­hei­mat eilen muss – sei es um bei Umzü­gen oder Lie­bes­kum­mer zu hel­fen – oder auch ein­fach nur um nach dem Rech­ten zu sehen! Da wir gera­de erst drei Tage im Iran sind ver­su­chen wir immer noch die kom­pli­zier­ten Spiel­re­geln des Lan­des zu ver­ste­hen. Und da kommt Dja­vad mehr als von den Göt­tern geru­fen!

Ehe wir uns ver­se­hen sind wir mit­ten drin in einer ganz pri­va­ten Stadt­füh­rung: die High­lights von Tab­riz zu Fuß. Dabei ergat­tern wir eine ira­ni­sche SIM-Kar­te, ler­nen Vie­les über die Geschich­te, besu­chen die größ­te Moschee sowie die „Schong­se­lie­se von Täbris“ [Champs-Ély­sées von Tab­riz] und essen „dat bes­te Kebab“ der Stadt, viel­leicht des gan­zen Irans. Mit sei­ner wun­der­bar leich­ten Art uns sei­ne Stadt vor­zu­stel­len, gewin­nen wir schnell einen Über­blick über Tab­riz und Tab­riz gewinnt uns als ech­te Fans. Mit Dja­vad ver­ab­re­den wir uns für den nächs­ten Tag. Als es spät wird, fal­len wir selig, satt und glück­lich ins Bett. Unser Zuhau­se steht nun mit­ten drin in die­ser Stadt. Mit dem Segen unse­res Schutz­en­gels. „Hier seid ihr sischer. Wenn wat is, hier is mei­ne Num­mer. Isch bin in 5 Minu­ten da!“

Der Grand Bazaar of Tab­riz ist laut vie­ler Stim­men „der größ­te Bazaar der Welt“. Nach­dem wir die­sen den gesam­ten fol­gen­den Tag uner­müd­lich erkun­det und auf­ge­so­gen haben, tref­fen wir unse­ren Schutz­en­gel am spä­ten Nach­mit­tag wie­der. Er fährt mit uns zu sei­nem wun­der­voll grü­nen Gar­ten­grund­stück außer­halb der Stadt. Nach einer hal­ben Stun­de Fahrt stel­len wir das Gla­arks­house unter einen Hain von Wal­nuss­bäu­men. Es ist wun­der­bar ruhig und fried­lich hier. Auch ein biss­chen küh­ler als im Zen­trum. Wir ent­span­nen uns schnell. Fra­gen uns nicht mehr, was wir hier gera­de tun. Las­sen uns trei­ben. Bald schon kom­men Dja­vads Schwes­ter Robab, sein Schwa­ger Hosang und deren Sohn Sina.

Wir trin­ken unglaub­lich viel Tee, essen fri­sche Melo­nen, Hosang grillt Kebab von der Hüh­ner­le­ber, wir reden über den Iran, über Deutsch­land – die Unter­schie­de, Poli­tik, die Reli­gi­on und das Leben – und wie aus dem Nichts drückt mir Dja­vad die Schlüs­sel zu sei­nem Gar­ten­haus in die Hand. Sie alle müs­sen zurück in die Stadt, wir sol­len erst ein­mal aus­schla­fen und vor allem unse­ren Was­ser­tank mit dem fri­schen Quell­was­ser auf­fül­len. Jen und ich schau­en uns ein biss­chen ver­dutzt an. Wir wis­sen nicht, ob wir die­se Gast­freund­schaft und das Ver­trau­en anneh­men dür­fen. Dja­vad ent­geg­net bei­läu­fig „Ihr seid mei­ne Freun­de und damit seid ihr mei­ne Fami­lie!“ So ein­fach – und so wun­der­schön – kann das sein.

Wir schla­fen wie die Engel – im Gar­ten des Engels. Als wir am Mor­gen gera­de zusam­men­ge­packt haben hören wir eine Hupe. Vor uns ste­hen Dja­vad und sein Nef­fe Sina mit einem wun­der­vol­len ira­ni­schen Früh­stück in der Hand: Fla­den­brot, Zie­gen­kä­se, Toma­ten, Oli­ven, Honig­jo­ghurt. Wir schlem­men bis in den frü­hen Nach­mit­tag. Als wir uns lang­sam auf­ma­chen wol­len stel­len wir fest, dass uns Dja­vad und sei­ne direkt Art unglaub­lich ans Herz gewach­sen sind.

Der Abschied fällt schwer in die­sem Moment und wird so lan­ge wie mög­lich hin­aus­ge­scho­ben. Ich spü­re, dass Jen gleich zu wei­nen beginnt, wenn wir nicht bald los­fah­ren.
Die kom­men­den vier Wochen ist Dja­vad unser ste­ter und treu­er Beglei­ter. Von der Über­set­zung hun­der­ter Kebab Vari­an­ten per­si­scher Spei­se­kar­ten per Tele­fon über ein regel­mä­ßi­ges „Allet klar bei eusch?“ bis hin zu kom­pli­zier­tes­ten Buchungs­vor­gän­gen bei ira­ni­schen Fähr­ge­sell­schaf­ten ist Dja­vad per Tele­fon für uns da, wenn wir ihn brau­chen. Und auch wenn wir die schwie­rigs­ten Situa­tio­nen ganz stolz allei­ne meis­tern und ihm davon erzäh­len, so fragt er rüh­rend „War­um habt ihr misch denn nisch anje­ru­fen!“

Drei Wochen spä­ter jagt Dja­vad sei­ne gan­ze Fami­lie 2.000 km von Tab­riz bis nach Per­se­po­lis bei Shiraz – unter ande­rem um die bei­den ver­rück­ten Deut­schen mit ihrem Uni­mog vor ihrer Abrei­se noch ein­mal kurz zu sehen! Unglaub­lich! So tref­fen wir Dja­vad, sei­ne Frau Mari­an und den klei­nen Araz zu einem typisch ira­ni­schen Pick­nick auf dem Park­platz bei Per­se­po­lis mit gro­ßem „Salam!“ wie­der! Es waren wie­der ein paar wun­der­schö­ne Stun­den und eine unver­gess­li­che Begeg­nung!

 

Dan­ke Dja­vad! Oder bes­ser: Mer­ci! Du bist groß­ar­tig! Dan­ke für dei­ne 24/​7 Erreich­bar­keit, dei­ne Hil­fe, dei­ne Rat­schlä­ge und das wun­der­schö­ne Gefühl, einen wah­ren Freund gefun­den zu haben!* Inschal­lah! Wir wer­den dich ganz bestimmt wie­der tref­fen! Und dar­auf freu­en wir uns jetzt schon!

 

* Ein Jahr spä­ter haben wir noch immer Kon­takt. Und das ist ein gro­ßes Geschenk.

 

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Antwort

  1. Avatar von Janinetravelblog.wordpress.com/ via Facebook

    Ich lie­ben die­sen Arti­kel. Es tat so gut zu lesen, wie Men­schen ein­an­der die Hand rei­chen kön­nen. Wie aus klei­nen Momen­ten Freund­schaf­ten ent­ste­hen kön­nen. Vie­len Dank für die­se schö­ne Erin­ne­rung!!