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Ich war in einem sogenannten tropischen Inselparadies angekommen und nicht in dem Sinne gut drauf. Koh Rong, gepriesenes Eiland vor der Küste Kambodschas: der Sand nahezu ohne Farbe, also weiß, türkisfarbenes Meer, ein paar dramatische Wolken in der Ferne. Auch ein sehr phantasieloser Reisender hätte hier keine große Mühe gehabt, für eine Postkarte überzeugend schwärmerische Worte zu finden. Wobei das Bild der Landschaft vorne auf der Karte ja sowieso alles gesagt hätte. Meinte man jedenfalls. Ich schaute umher und war sterbenseinsam.
Mein Reisebegleiter war vor einer Woche von Saigon zurück nach Deutschland geflogen, und ich hatte es für eine schlüssige Idee gehalten, nach drei Wochen auf dem Landweg unterwegs durch Vietnam und Kambodscha noch drei Tage am Meer abzuspannen. Dagegen war auch nichts einzuwenden. Ich mochte es, alleine zu reisen.
Allein auf Koh Rong
Auf Koh Rong gab es nur Holzhütten, keine Vier- oder Fünf-Sterne-Anlagen, wo man zu internationalen Service-Standards die Mühsal des weit weg geglaubten Alltags auszublenden gedenkt. Ich hatte eine Herberge bezogen, war kurz im Meer schwimmen gewesen, saß nun auf der hölzernen Veranda meiner Unterkunft und erkannte in diesem Moment des ersten Herunterfahrens, dass ich einem gängigen Trugschluss aufgesessen war: Auch am schönsten Flecken Erde sucht der alleinreisende Mensch in der Regel keine tiefe Kontemplation, sondern in erster Linie Anschluss.
Die Ergriffenheit in Gegenwart überwältigender Natur, diese intensive Angerührtheit im Angesicht einer Landschaft – man kann das nicht aktiv suchen und dann finden. Dieser Zustand stellt sich plötzlich ein, zieht über einen hinweg wie ein Regenschauer. Ich kannte das Gefühl. Doch auf Koh Rong saß ich in der Mittagshitze, fast alle Schatten hatten sich unter Palmen und Planken verkrochen, und eine gute Stunde unkonzentrierter Überlegungen mündete in der Schlussfolgerung: Klar, wirklich ein schöner Strand, und jetzt?
Koh Rong war eine typische Backpacker-Destination, wobei das ja auch nichts mehr aussagte. Auf einem schmalen Küstenstreifen reihten sich hier am Tui Beach im Südosten der Insel vielleicht ein Dutzend Bungalow-Unterkünfte auf, fast alle direkt am Wasser. Dazu ein paar Bars, ein Bootsanleger – im Prinzip eine überzeugende Infrastruktur. Aber es kam eben noch ein bisschen mehr auf die Menschen an.
Da gab es die typischen draufen Teilzeitaussteiger, von denen manche so aussahen, als würden sie schon zu lange zu schlechte Drogen nehmen. Aber es gab eben auch – sagen wir mal rein fiktiv – Katharina, 25, die in Münster was mit Medien studierte, Nachtzug nach Lissabon als ihr liebstes Buch bezeichnete und noch mal »ein bisschen reisen« wollte, bevor der Ernst des Lebens losging. Ganz normale Leute also. Aber nicht nur: Eine bildschöne französische Familie sah aus, als beziehe sie normalerweise eine Villa an der Côte d’Azur. Sie umgab so eine Savoir-vivre-Aura von Terrassenfrühstück, weißen Leinenhemden und einem eher gehauchten »Merci pour le café, cherie.«
Auf der Veranda meiner Unterkunft kam ich mit Justin ins Gespräch, einem linksliberalen Demokratenwähler aus Ohio – natürlich Obama-kritisch! –, der den lieben langen Tag Pot in einer kleinen Pfeife rauchte, die er für 10 Dollar in Sihanoukville auf dem Festland gekauft hatte. Eigentlich ein angenehmer Typ. Trotzdem fühlte ich mich verloren.
Mir war nach anregendem Austausch, nach hellsichtigen und heiteren Menschen. Ich war angeödet von dem stumpfen Checker von Coco Bungalows, der in sehr deutsch gefärbtem Englisch die Neuankömmlinge am Bootssteg empfing, um alles zu erklären, »what you need to know about this island« (aha, genau, was bitte?). Einer der abgeklärten Abhänger aus seiner Crew trug wirklich eine Kappe mit der Aufschrift »Full Moon Party«. Auch die Pärchen, die nicht redeten und sich mit ihren Smartphones um die wenigen verfügbaren Steckdosen postierten wie Motten ums Licht, fand ich schwer zu ertragen. Aber am meisten kotzte ich mich natürlich selbst an in meiner Lethargie und Unschlüssigkeit, was mit diesem Inselaufenthalt denn nun anzufangen wäre. Der Strand rief mir zu: Sei doch mal ein bisschen happy!
Meine Enttäuschung: Die Leute hätten auch am Baggersee in Kleinfurzstadt sitzen können, und die Situation wäre nicht wesentlich anders gewesen. Oder war bloß ich das Problem? Nein, die paradiesische Tropeninsel sorgte leider für keinen besonderen Zauber, der das Zwischenmenschliche irgendwie neu anordnete. Einfach auf dieses leuchtende Meer zu schauen, war keine Erfüllung. Der vermeintliche Traumstrand ist die hohlste Phantasie herbeigewünschten Instant-Glücks und damit zurecht Aushängeschild so vieler kommerzieller Reisekataloge.
Dass auch die vorgespielte Aussteiger-Idylle falsch war, konnte man dem allgemeinen Hinweis entnehmen, unter keinen Umständen Wertsachen unbeaufsichtigt in den Bungalows zu lassen. Eine Eintracht zwischen Travellern und einheimischen Bediensteten existierte offenbar nicht.
So konnte es nicht weitergehen. Ich tat etwas, das ich immer tat, wenn der Tag keinen Reiz versprach und ich mich langweilte auf Reisen. Ich musste aufbrechen, loslaufen, auf Entdeckungstour gehen. Der Strand war zwar nach wenigen hundert Metern vorerst zu Ende, dort reichte der Urwald bis zum Wasser. Aber man konnte über die Felsen hüpfen und auf diesem Weg der Küstenlinie weiter folgen. Ich war zum Glück nicht der einzige, der diese Idee hatte.
Nach einer Weile holte ich eine Frau ein, die auf dem gleichen Weg wie ich unterwegs war: weg vom Strand mit seiner Backpacker-Meile, hinein in die Wildnis. Ich war etwas schneller als sie, so begegneten wir uns. Dianas Eltern kamen aus Kambodscha, aber sie selbst war in Kalifornien aufgewachsen. Sie sprach ein helles, fröhliches, amerikanisches Englisch und war ein Mensch, der viel lachte, ohne dass es irgendwie nervte.
Wir kamen also ins Gespräch, setzten unseren Weg gemeinsam fort, sprangen über die Felsen, bis wir zu einer Lagune kamen. Hier mündete ein kleiner Fluss im Meer. Wir zogen die Schuhe aus und gingen auf einer Sandbank durch das Wasser, wie über eine Landbrücke, die nur ein wenig überspült war. Die breit ausgedehnte Bucht, die wir nun erreichten, war menschenleer. Nur ein Hund lief uns nach, den wir, wenn ich mich recht erinnere, Mang-Mang tauften.
So verbrachten wir den Rest des Tages zusammen in dieser einsamen Bucht, bis das Licht zu schwinden begann. Diana sprach von ihrem Vater und darüber, wie die Männer sind in Kambodscha, wie sie auf die Frauen schauen. Sie sprach über ihre bewegte und bewegende Kindheit. Ohne hier das Privatleben eines Unbeteiligten ausbreiten zu wollen, kann ich sagen, dass es ein witziges, anrührendes, ernstzunehmendes Gespräch war, das sich am Abend beim Essen auf der Veranda der Herberge fortsetzte. Ein Austausch, der eine Verbindung herstellte, wie man sie sich auf Reisen wünscht. Kein belangloser Traveller-Talk. Wir redeten viele Stunden.
Auch hatte unsere Begegnung nichts Amouröses, vielleicht eine kleine Andeutung in diese Richtung, aber mehr nicht. Nichts jedenfalls, dem man seine Absichten und damit den Gesprächsverlauf unterwirft. Am nächsten Tag war die Abreise angesetzt. Ich konnte nun, nachdem ich Diana kennengelernt hatte, meinen Frieden mit der Insel machen.
Dass die Dinge am Ende doch so gut standen, hatte ich keiner Heldentat zu verdanken. Es war nur die kleine Neugier auf das gewesen, was hinter der Bucht lag, und dann die große Neugier auf das, was dieser mir bis dato völlig unbekannte Mensch zu erzählen hatte. Diana war es wohl ähnlich gegangen. Schon der kluge Reiseautor Andreas Altmann stellte fest: Es ist egal, ob einer Pauschaltourist oder Abenteurer ist, Hippie oder Dandy – die Neugier auf die Welt zählt.
Manchmal ist es wichtig, seinen Impulsen zu folgen, wenn die innere Ruhe sich nicht einstellen will: mal bei den Felsen schauen, bisschen die Küste entlangspringen. Und dann: großes Leben! So war etwas entstanden, das Bedeutung haben würde in der Erinnerung an diese Insel. Alles hatte angefangen mit dem Satz, den Diana sprach, als ich sie eingeholt hatte: »You are not a serial killer, are you?« Im Rückblick, denke ich, waren damit schon die Würfel der Sympathie gefallen.
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Antworten
Und was lernen wir daraus? Man nimmt sich immer mit, egal wie weit man flüchtet … 🙂
»Flüchtet«, das klingt mir zu negativ. Oft reist man ja erst einmal aus Neugier: Wie sieht’s aus? Was leben da für Menschen? Was gibt’s da zu essen? Sowas…
Wunderschöne Fotos. 🙂 Da bekommt man richtig Lust auf Sommer, Sonne und Strand.
Grüße aus dem Wellnesshotel TirolGerne auch den Text lesen! 😉
Sehr passend gewählte Worte. Mit Wiedererkennungswert für mich – zumindest bei etlichen Passagen.
Nicht auf Koh Rong, sondern auf den Perhentians in Malaysia geschehen. Als ein Berliner und ich die Plastikstühle und Feuershows am wahrhaft schönen Strand satt hatten und uns am nächsten Tag aufmachten, die Insel an der Küste zu umrunden, die Zeit unterschätzten, er sich irgendwann die Sohle an einer Koralle aufschlitzte und wir schließlich, ehrlicherweise kurzzeitig entmutigt, bei Dunkelheit von einem Fischer in seinem schmalen Boot völlig durchnässt zurück an den »Partystrand« gebracht wurden.Ich denke auch, das Phänomen kann man an vielen Orten Südostasiens beobachten.
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