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Vorbei an akkurat aufgestapelten Feldsteinmauern, frei umher laufenden Schafen und einsamen Landhäusern, eingehüllt in einem Kokon nicht enden wollenden Nebels. Die durchlöcherte Straße forderte den Stoßdämpfern ebenso viel ab, wie der ungewohnte Linksverkehr dieser mysteriösen Insel.
Steht Reisen für mich eher im Sinne der Flucht, bin ich heute auf der Suche. Ich möchte ihn finden, den echten Iren, vor einem Guinness sitzend im ländlichen Pub. Den freundlichen Raufbold mit roten Haaren und roter Nase. Möchte seine Hingabe zu seinem Nationalgetränk und dem guten Whiskey verstehen. Ich weiß, dass ich ihn nicht finden werde, weil diese Beschreibung ein Resultat von Vorurteilen ist. Aber weckt diese Vorstellung nicht bereits große Sympathie? Vielleicht war es vom Schicksal so gewollt, dass der erste Pub, den ich betreten sollte, genau meinen Wünschen entsprach. Ehrlich sollte er sein; gefüllt mit seinen eigenen Landsleuten. Fernab der Touristenpfade.
Ich öffne die alte Holztür und ließ damit einen Lichtschein in die Dunkelheit hineinfallen, der die alten Männer an der Theke die Augen zusammenkneifen ließ. Langsam drehen sich alle zu mir um und erkennen sofort, dass ich ein Fremder bin. Also verhalte ich mich wie ein Reisender, der nicht als Tourist abgestempelt werden möchte – lässig und anteilnahmslos setze ich mich an die Bar und bestelle mit einem Kopfnicken das Getränk des Hauses. Die Männer links und rechts von mir schauen gedankenversunken Blickes auf das halb volle Glas vor ihnen.
Ich tue es ihnen gleich und zeige vielleicht jetzt die Anteilnahme, derer ich mich eben noch verweigert habe. Vielleicht liegt es auch an dem Musiker in der Ecke, der mit seinem Banjo ein Lied über den Abschied singt. Ich kann mir gut vorstellen, dass jeder in diesen Raum ein Familienmitglied oder einen guten Freund Lebewohl und viel Glück für das neue Leben in einem anderen Land sagen musste. Viele Iren verlassen ihr Land. Einige kehren zurück. Andere kommen nie wieder.
Nach einer gefühlten abgelaufenen Zeitepoche stellt der Wirt das Nationalgetränk vor meiner Nase ab und nimmt sich das Geld. Mein linker Sitznachbar dreht sich zu mir und erhebt sein Glas.
Unterhält man sich mit Iren über Guinness oder Whiskey, betritt man ein Fettnäpfchenminenfeld wie bei einem Rendevouz mit einer bezaubernden Schönheit, die man nicht loslassen möchte. Besonders der Frage nachgehend, wo das beste Guinness gezapft wird. Ein Streitthema. Generell liegt die historische Entwicklung von Pubs und dem Guinness einzig und allein der unerbittlichen Willensdurchsetzung der Landsleute zugrunde. Ist die Barkultur in meiner Heimat eine recht einfache – es wird getrunken, was das Lager hergibt -, so dreht sich im Pub alles um den gut gezapften Pint.
Ein Beispiel der Beharrlichkeit: Ein Pint sind 0,56 Liter. Eine alte Maßeinheit, die dem Frontalangriff der einheitlichen Maßgebung in Europa standhält. Die Iren bestehen auf ihren Pint. Daran wird sich nichts ändern. Wird in einem Pub ein guter Pint gezapft – was ein langer Prozess ist -, spricht sich das schnell herum. Umgekehrt genauso. Existenzen hängen von dieser gezapften Maßeinheit ab. Sollte der Pint dem Anspruch des Trinkers nicht gerecht werden, nimmt der Wirt das noch volle Glas ungefragt zurück und zapft ein neues. Dieses Stout erhält so viel Achtsamkeit wie nirgendwo sonst auf dieser Welt. Ein Pils wird hingegen emotionslos auf die Theke gestoßen. Ohne Blume. Ohne Liebe.
Ich sehe das Glas vor mir – mittlerweile das dritte – nun mit anderen Augen. „Was du alles angerichtet haben musst in der Vergangenheit.“, sagte ich zum Bier im Stillen. Der Wirt und mein Sitznachbar klären mich auf. Wenn das Zapfen solch ein Aufwand ist und diesem so viel Aufmerksamkeit geschenkt wird, was trinkt der Ire außerhalb das Pubs, wollte ich wissen. Zunächst sei gesagt, dass der Ire es vorzieht in Pubs zu trinken. Sollte er daran gehindert werden, trinkt er Guinness aus der Dose. Die Flasche hat sich nicht durchgesetzt. Die Iren wollten ihr Stout so wie sie es im Pub bekommen. Mit einer daumenbreiten Schaumschicht, die nicht nur einen Löffel stehen lässt, sondern auch standhaft bleibt, bis das Glas leer ist. Eben wie ein Ire.
Dem Flaschenbier lag immer eine kleine Plastikspritze bei (teilweise heute noch in Deutschland erhältlich), mit der Luft in das schale Getränk gespritzt wurde. Ab dem sechsten Guinness ein umständliches Unterfangen. Vorausgesetzt die Spritze ist bis dahin nicht abgebrochen. Mit dem Dosenbier wurde das Leid gelöst. In der Dose ist eine Plastikkugel befestigt, in der sich Flüssiggas befindet. Diese Kugel öffnet sich, sobald die Dose geöffnet wird. Das Gas entweicht und es entsteht eine zarte Schaumschicht. Beim Öffnen kann unter Umständen das Bier ein wenig überlaufen. Ist mir in meinem Hostelzimmer (mehrmals) passiert. Dennoch freuten sich die Iren über diese stilvolle Ergänzung. Keine Spritzen, viel Schaum und 50 Millionen Euro Entwicklungskosten für die Guinness-Brauerei. Sláinte!
Irland liegt im Alkoholkonsum längst nicht an vorderster Stelle. Trotzdem sagt man den Iren eine gewisse Trinkfreude nach. Vielleicht liegt es eher daran, dass der Pub die soziale, klassenlose Schnittstelle zwischen Realität und Traumwelt ist. Hier versammeln sich alle Anwohner am Ende des Tages. Freiraum für Kommunikation. Lange überlegte ich, woher diese Einstellung kommen mag. Sicherlich spielen viele Faktoren eine Rolle. Ein Punkt lässt sich jedoch nicht leugnen. Für uns Reisende ist die Landschaft in Irland, der Einklang mit der Natur und diese Einsamkeit auf dem Land der ideale Ausgleich. Würde ich dort wohnen und müsste den ganzen Tag allein mein Haus und Hof aufrecht erhalten, mit dem Gedanken, dass ich auf einer Insel lebe – ich wäre der erste Gast des Tages im nächsten Pub.
Vielleicht kommt daher auch die Freundlichkeit. Als ich vor der Tür eine Zigarette zu meinem Bier genießen möchte (das eine geht nicht ohne das andere), kommt mir der Wirt hinterhergerannt. Freundlich macht er mich darauf aufmerksam, dass die Gläser nicht mit nach draußen genommen werden dürfen. Es schien ihm fast unangenehm zu sein. Er nimmt mein Glas und trägt es, in beiden Händen haltend, zu meinem Platz, auf dem jetzt ein anderer Gast sitzt. Daraufhin macht er dem Gast darauf aufmerksam, dass dieser Platz bereits belegt sei. Nun war mir diese ganze Situation etwas unangenehm. So viel Freundlichkeit ist auch für mich ungewohnt.
Nach sieben Bieren fühlte sich mein Magen an, als hätte ich ich fünf Liter Kartoffelsuppe gegessen. Das liegt vielleicht auch an meiner im Pub aufgestellten Theorie, dass die Anzahl der Toilettengänge des Stouts deutlich unter dem des Pils liegen. Ich warf das Handtuch und musste ins Bett. Auf meinem Weg zum örtlichen Hostel war ich der einzige Passant, der auf den Straßen umher streifte. Ich habe ihn zwar nicht nach meinen Vorstellungen vorgefunden, den echten Iren, aber eines habe ich an diesem Abend mit größter Freude und Heiterkeit erleben können – seine Lebenseinstellung und die Gabe seiner Beredsamkeit.
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Ein wirklich sehr gelungener Artikel. Vielen Dank dafür! Wie genau dies mit dem Guinness in der Dose funktioniert, dafür war ich mal Experte. Vor einigen Jahren durfte ich in einer Weiterbildung einen Vortrag darüber halten. Um das Ganze anschaulich zu gestalten nahm ich zwei Dosen und zwei Pint Gläser mit. Die beiden Experten fanden die Idee witzig und waren glücklich, nach all den vorangegangenen, trockenen Vorträgen ein Bier zu bekommen.
Wie auch immer. Die Lebensfreude und ‑Einstellung ist etwas, was mich an den Iren so fasziniert. Ob es den »echten« Iren überhaupt gibt? Ich denke nicht. Die Iren sind so verschieden und vielseitig wie alle anderen Westeuropäer auch. Nach dem einen Stereotypen zu suchen ist auch sinnlos. Begegnen wir den irischen Gastgebern als Tourist doch einfach auf dieselbe Art wie sie uns begegnen. Offen, freundlich, ehrlich, geradeaus mit einer gehörigen Portion Humor. So werden wir vielleicht Freunde fürs Leben finden. Ganz sicher aber eine andere Kultur kennen lernen dürfen und eine schöne Begegnung mehr in unserem Leben zählen dürfen.
Wirklich sehr cooler Artikel, ich sehe den Pub direkt vor mir. Biergeschwängerte Gespräche mit den Einheimischen.… Und die Erkenntnis, dass man am Ende des Tages auch einer von ihnen wäre, hat mich echt zum Lachen gebracht.
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