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Wenn sie gefragt werden, was sie mit Schweden verbinden, antworten die meisten IKEA, dann ABBA. Doch der Superlativ fehlt – Dalarna. Einige nennen die Region in Mittelschweden, die im Westen auf Norwegen stößt, das Herz Schwedens, aber das ist untertrieben: Dalarna, da liegt Schwedens Seele verborgen. Irgendwo zwischen roten Holzhäusern, Dala-Pferden und Mittsommerfeiern, die bis in den Juli dauern.
„Rot sehen“ ist gut
In Dalarna ist es normal, Rot zu sehen. Wobei der Begriff „Schwedenrot“ eher irreführend ist und korrekt ‚Falunrot‘ (Faluröd) heißen muss. Das kommt erstens von Falun, der Hauptstadt Dalarnas, und zweitens vom Faluner Kupferbergwerk, im 17. Jahrhundert das größte der Welt. 1992 wurde es stillgelegt, 2001 Teil des UNESCO-Welterbes. Dort baut man seit 1764 das sogenannte Pigment Falunrot aus Eisenoxid und weiteren Inhaltsstoffen ab und brennt den Farbstaub, der nach durchlaufenem Prozess als rostrote Farbe auf den Hauswänden landet. Laut Legende war es die neugierige Ziege Kåre, die im 8. oder 9. Jahrhundert im Bergwerk herumschnüffelte, mit rotem Staub an den Hörnern zurückkehrte und ihren Bauern auf den Kupfer-Schatz in der Grube aufmerksam machte, woraufhin diese ab Ende der Wikingerzeit in Betrieb genommen wurde. „Die Vorräte reichen noch etwa 100 Jahre“, verrät Bergwerkführerin Johanna Nybelius während der einstündigen Tour über 400 Stufen bis in 67 Meter Tiefe.
Wichtig, bevor der Abstieg beginnt: dreimal an die Eingangstür klopfen, dabei fluchen und pfeifen. Im Bergwerk wohnt nämlich der Berggeist, und der hat sein Begrüßungsritual. Früher leisteten ihm über 1.000 Arbeiter Gesellschaft, heute nur noch Besucher in Regencapes und mit Schutzhelm, die hoffen, der Abstieg in die +5 Grad kühle Grube habe verjüngende Wirkung. Leider ist die Chance einer Verjüngung bei der Besichtigung eher gering (da müsste man schon etwas länger bleiben, wie der Tannenbaum, der bereits seit Jahren im Bergwerk steht und aussieht, als wäre er gestern geschlagen worden, oder Max, ein verschütteter Bergwerkarbeiter, der 42 Jahre später gefunden wurde und noch so knackig war wie am Tag seines Todes), die Gefahr, sich im Labyrinth der niedrigen Wege zu verlaufen, dafür umso größer. Besonders, wenn die Lampen ausgehen und es zappenduster wird.
Faluns Kupferbergwerk war jedoch nicht nur das größte, sondern auch einer der bedeutendsten Arbeitgeber Schwedens. Und es kommt noch besser: In der Grube liegt der Ursprung des schwedischen Arbeitsgesetzes, Urlaubsgesetzes und der Versorgung im Krankheitsfall, denn man verstand, dass Bergarbeiter besser arbeiteten, wenn sie gut verdienten. Die Gewerkschaft für Bergarbeiter war die erste in Schweden, die überhaupt über Urlaub verhandelte, außerdem gab es auch gesundheitliche Versorgung für die Bergarbeiter – ab Ende des 16. Jahrhunderts arbeitete in Falun ein Arzt, und gegen Ende des 17. Jahrhunderts wurde eine Notfallstation bei der Grube eingerichtet. Diese Versorgung war für die Arbeiter kostenlos. Kam ein Mann im Bergwerk ums Leben, wurde sich darüber hinaus um dessen Familie gekümmert. Und das kam schon mal vor, denn am Seil im großen Schacht wurden nicht nur Eimer mit abgebautem Erz hochgezogen – Arbeiter, die wohl etwas schneller Feierabend machen wollten, stellten sich gern auf den Eimerrand, um mit nach oben zu fahren, oder glitten die 200 Meter am Seil nach unten. Für diese Seile aus Ochsenleder starben im Jahr etwa 10.000 Ochsen, deren Restfleisch zu ‚Falukorv‘, Wurst aus Falun, verarbeitet wurde – heute neben der rostroten Hausfarbe ein weiteres Markenzeichen Schwedens.
Knackig ist gut
Wer nicht auf Wurst steht, ist in Dalarna trotzdem richtig, denn es gibt auch Knäckebrot. Zum Beispiel in Stora Skedvi zwischen Falun und Avesta. Und das nicht zuletzt dank Benny Andersson von ABBA. Doch eins nach dem anderen. Wenn Besucher nach Stora Skedvi kommen, dann vor allem wegen Skedvi Bröd, denn im Dorf wird bereits seit 1950 Knäckebrot produziert. Bis 2013 buk Vikabröd, das dem Unternehmen Leksand gehörte, in der Fabrik, dann wurde sie geschlossen. Doch so schnell gaben sich die Menschen vor Ort nicht geschlagen. Ihre Geschichte und was sie erreichten passt in ein Motivationshandbuch „Alles ist möglich, wenn du wirklich daran glaubst“. Plus eine kleine Prise Glück. Natürlich. Gemeindemitglieder und ehemalige Angestellte wollten die tote Fabrik wiederbeleben, darunter Malin Floridian und Anders Åkerberg. Anders, der Besuchergruppen durch die neue Fabrik führt, strahlt das Selbstbewusstsein von einem aus, der weiß, was er will. Und wie er es erreichen kann. Viele Augenpaare kleben an seinen Lippen, während er berichtet, wie Skedvi Bröd wie Phönix aus der Asche auferstand.
„Vikabröd erlaubte uns nicht, ihre alten Öfen zu benutzen, sie rissen alles raus“, erzählt er. „Wir wollten das Gebäude trotzdem kaufen und starteten eine Crowdfunding-Kampagne.“ Innerhalb kurzer Zeit hätten sie gut 60.000 Euro zusammenbekommen, doch das Teuerste sei die neue Ausrüstung gewesen. „Wir brauchten mehr Investoren, und dann geschah es: Benny Andersson von ABBA meldete sich und bot sich als Investor an!“ Das Leuchten in Anders‘ Augen lässt noch erahnen, wie sehr er sich darüber gefreut hat. „Benny sagte: „Wenn ihr mir Brot gebt, gebe ich euch Geld“, und damit war der Deal geschlossen.“ Anders lacht.
Seit Dezember 2014 laufen die neuen Öfen der Fabrik auf Hochtouren. Besuchern schlägt die Hitze entgegen, es riecht nach frischem Brot aus Roggen, Wasser, Salz und Hefe. Und wenn Begeisterung einen Geruch hätte, würde der alles überlagern. „Wir wollten eine Touristenattraktion aus der Fabrik und Bäckerei machen, wo Besucher zuschauen können, wie wir Brot backen, und sie können hier auch essen.“ Das sei einzigartig, nicht nur in Dalarna, sondern in ganz Schweden. Anders hat große Pläne: Stehen bisher noch Tische in einem Teil der großen Markthalle verteilt, an denen Besucher essen können, soll nun ein richtiges Restaurant entstehen. Besonders beliebt sind die Tapas mit Schinken und Käse, zu denen eine Papiertüte voller Knäckebrot auf den Tisch kommt. Verkauft wird es in blauen und gelben Packungen – in blauen mit dunkel gebackenen Broten, in gelben mit hell gebackenen.
Hoch zu (schwedischem) Ross
Kaum ein Schwedenbesucher verlässt das Land, ohne eins davon im Koffer zu haben – ein kleines meist rotes Holzpferd mit aufgepinseltem Sattel und grün-weißem Zaumzeug, das Symbol für Schweden. Natürlich wird es nicht irgendwo in Schweden, sondern in Dalarna produziert, in verschiedenen Werkstätten, von denen eine der wichtigsten in Nusnäs steht. Richtig bekannt wurde das Dala-Pferd, auf Schwedisch Dalahäst, als es sein Land 1939 bei der Expo in New York repräsentierte, doch das Handwerk geht bereits aufs 17. Jahrhundert zurück. Damals schnitzten die Bewohner der Region in kalten Winternächten Holzspielzeug, weil es sonst nicht viel zu tun gab.
Die Produktion in Nusnäs begann der 15-järhige Nils Olsson mit seinem Bruder im Jahre 1928, und bis heute kann man zusehen, wie die Pferdchen in Farbbottichen verschwinden und dann liebevoll per Hand bemalt werden. Gleich am Eingang der Werkstatt sitzt Gosta Helldal, der seit zehn Jahren jedes Wochenende in die Fabrik kommt, um Pferdchen zu schnitzen und den Besuchern geduldig zu erklären, was er macht. „Es gibt 20 verschiedene Größen des Dala-Pferdes und vier Farben, rot, schwarz, blau und weiß“, erklärt er, wobei Rot die Häuser repräsentiere, Blau die Außentür, Weiß Fenster und Türen und Schwarz den Stall. „Eigentlich haben wir angefangen, Hähne zu schnitzen, und Schweine machen wir auch, aber die Pferde sind am beliebtesten.“ Dabei gebe es eigentlich nur eine Regel – jedes Pferd müsse aus Holz sein.
Im Nachbarzimmer bemalt Gostas Kollegin bereits rot gefärbte Pferde mit den typischen Mustern. „Ich brauche etwa fünf Minuten pro Pferd und bemale 60 oder 70 am Tag“, berichtet sie, ohne von der Arbeit aufzusehen. Das Pferd muss dann zwei bis drei Tage trocknen. Bis es ganz fertig ist, vom geschnitzten Holzstück bis zum perfekt bemalten Dala-Pferd, vergehen in der Regel zwei Wochen, unabhängig von der Größe. Kein Wunder also, dass der beliebte Gaul nicht gerade billig ist, denn schon ein 13 Zentimeter großer kostet etwa 25 Euro. Billiger gibt es sie ab und an mal bei IKEA, wird gemunkelt.
Fahrradrunde mit Augen- und Ohrenschmaus
Nach einer Verjüngungskur unter der Erde im Faluner Bergwerk, viel Knäckebrot im Magen und dem Farbduft der Dala-Pferde in der Nase, ist es an der Zeit, ein wenig Dalarna-Landluft zu schnuppern. Bei einer Fahrradtour auf der 26 Kilometer langen Dalhallarundan, die in Rättvik mit seiner 625 Meter langen Landungsbrücke am Siljan-See, dem siebtgrößten in Schweden, losgeht und endet.
Ich bin an einem Sonntag am Start und traue meinen Augen nicht, als ein langes Ruderboot über den wellenlosen Siljansee schnellt, dekoriert mit grünem Gestrüpp und gerudert von jungen Männern in schwarzen Trachtenanzügen. Beim Näherkommen lassen sich auch Mädels in schicken Kleidern an Bord ausmachen. „Das ist das Kirchenboot, es kommt jeden Sonntagmorgen von der anderen Seeseite herüber zur Kirche“, erklärt Lotta Backlund, die in ihrer Agentur für Ökotourismus Green Owl Travel auch geführte Fahrradtouren rund um Rättvik anbietet. Wir stehen genau vor der malerischen Dorfkirche mit etwa 100 sogenannten Kirchenhütten aus dem 17. Jahrhundert. Diese Kirchendörfer mit Hütten, Ställen oder Vorratsräumen wurden früher in Nord- und Mittelschweden bei Kirchenbesuchen genutzt, heute wirken die Holzhüttchen wie Ferienhäuser, bei denen man die Fenster vergessen hat.
Das Gefühl, in einem Heimatfilm aus den 50ern gelandet zu sein, verstärkt sich, als immer mehr in Trachten gekleidete Männer, Frauen und Kinder herbeiströmen, um die Ankömmlinge vom Boot zu begrüßen. „Das ist die typische Dalarna-Tracht“, weiß Lotta. Die Frauen tragen weiße Blusen und schwarze Röcke, vorne mit Schürze, teils gestreift, teils gemustert, und zum perfekten Outfit gehört ein gleichfarbiger Stoffbeutel. „Es gibt jedoch Unterschiede, je nach Herkunft, Familienstatus und sozialem Rang“, erklärt Lotta. Den Männern und Jungen stehen in ihren schwarzen Fracks und Hüten die Schweißperlen auf der Stirn, doch alle lachen, laufen freudig zur Kirche. „Die Menschen in Dalarna nutzen jede Gelegenheit, ihre Trachten zu tragen. Heute gibt es eine Konfirmation.“
Dass man sich in Dalarna befindet, der schwedischsten aller schwedischen Gegenden, wo auch die Schweden selbst gern Urlaub machen, zeigt sich auf der Dalhallarundan an jeder Ecke. Sogar auf einem Golfplatz stehen Dala-Pferdchen über den Rasen verteilt. Auf dem Weg nach Nittsjö komme ich mir vor, als wäre ich in Bullerbü unterwegs, zwischen Holzhäusern in Falunrot mit weiß gestrichenen Kanten. In jedem noch so kleinen Dorf thront ein Maibaum, manchmal mit Strohherzen geschmückt, meistens mit dem Wappen Dalarnas, zwei gekreuzten Rudern in Blau und Gelb. Alle paar Meter steht ein Pappschild „Loppis“ – Flohmarkt –, wo jemand vor seinem Haus Ramsch verkauft. Ebay in Live-Version mitten auf dem Land. Für Ramsch- wie für Keramikliebhaber gilt: unbedingt Fahrrad mit Körbchen ausleihen, denn den Flohmärkten folgt die Nittsjö Keramikfabrik von 1840. Ein echter Urlauberfänger, der Schweden aus allen Landesteilen anlockt: Jedes Jahr gibt es neue limitierte Wichtel-Kreationen für Weihnachten, sogenannte Luvnisse, die zu Sammlerobjekten geworden sind.
Mit dem einen oder anderen Wichtel an Bord geht es weiter, vorbei an Seen, wo selbst im Hochsommer kein Mensch ist. Ich verstehe auf einmal diese Schweden-Fanatiker, die jedes Jahr zu den roten Häuschen hochfahren und von Stille und Weite und Freiraum erzählen. Freiraum, der an so vielen Orten Mangelware ist, vor allem im Hochsommer. Nicht in Schweden. Nicht mal in allernächster Nähe zu Schwedens Seele. Es ist heiß, ich würde am liebsten in jede Pfütze springen, aber Lotta hat andere Pläne.
Wieso braucht man überhaupt einen Guide, wenn man die Dalhallarundan auch bequem allein fahren kann? Bald soll die Antwort kommen. Aber zunächst gibt es einen Abstecher zur Namensgeberin der Fahrradrunde – nach Dalhalla, einer riesigen Freilichtbühne in einem stillgelegten Kalksteinbruch. „Dalhalla ist eine Wortmischung aus Dalarna und Walhall aus der nordischen Mythologie“, erklärt Lotta. Und wieso befindet sich in der 60 Meter tiefen Grube nun eine Bühne? „Die Opernsängerin Margareta Dellefors hatte die Idee in den 90er Jahren. Der Kalkbruch ähnelte bereits einem Amphitheater, und die Akustik ist fantastisch.“ Und so steht die Freilichtbühne seit 1994 von Juni bis September für Konzerte offen. Angeblich zählt sie sogar zu den vier besten Freiluftarenen der Welt, sah schon Künstler wie Björk, Deep Purple und die Pet Shop Boys.
Langsam habe ich Hunger, frage mich, was Lotta zum Mittagessen geplant hat. Sie lächelt geheimnisvoll. Ganz anders als eine düstere Figur am Wegesrand, die jeden aus großen weißen Augen anstiert. „Das ist Mörksugga.“ Der Name dunkle Seele passt zu dem sonderbaren Wesen. „Ein Künstler aus Rättvik schuf diese Figuren und verteilte sie über die Gegend, um Kinder davon abzuschrecken, nach Einbruch der Dunkelheit in den Wald zu gehen.“
Zum Glück ist es noch nicht dunkel, denn wir quetschen uns mit den Rädern vorbei an Mörksugga, tiefer hinein in den Wald. Die Pfade sind schon längst nicht mehr fahrradtauglich, doch das stört Lotta nicht. Was hat sie bloß vor? Bald stehen wir vor einer kleinen Holzhütte zwischen den Bäumen, die mich an das Sommerhaus meiner finnischen Freundin in Turku erinnert. Dieses ist das Sommerhaus von Lottas Familie mit drei Betten und einer winzigen Küche im Inneren und einer Toilettenhütte im Dickicht. Mein Herz hüpft vor Freude. Während Lotta den Picknickkorb voller Würstchen, rohem Gemüse und Zimtschnecken auspackt, spaziere ich runter zum Fluss, der mitten im Sommer nur noch in Bachgewand vor sich hinplätschert, Lotta aber als Badewanne dient, wenn sie ein paar Tage in der Hütte bleibt. Außer dem Plätschern und Summen von Bienen und Fliegen höre ich nichts. Meine Lieblingsmusik: Stille mit der Natur als Hintergrundchor.
„Schnitzt euch mal einen Stock, auf den ihr die Würste spießen könnt“, lautet Lottas Anweisung, und schon hocken wir auf den Bänken rund um einen Steinbottich, in dem bereits Kohle lodert. Das Feuer muss begrenzt werden, denn gerade im Sommer ist die Waldbrandgefahr hoch. Hach, es gibt doch nichts Schöneres, als inmitten immenser schwedischer Wälder zu sitzen und Wurst zu grillen. Ich bin sicher: Bevor die Worte „Carpe diem“ dem Römer Horaz über die Lippen gingen, wurden sie bestimmt schon mal von einem Schweden ausgesprochen. Wenn ich an Dalarna zurückdenke, denke ich zuerst an die Hütte im Wald. An Plätschern und Summen und Stille. Und Würstchen.
Mittsommer im Juli
Es gibt keine bessere Art, sich von Dalarna zu verabschieden, als bei einem Mittsommerfest. Dazu gibt es keine Eile, denn während im Rest Schwedens um den 24. Juni gefeiert wird, geht es in Dalarna munter weiter bis in den Juli. Auf der Website der Region kann man sich informieren, an welchem Tag wo eine Feier startet und dann hinfahren und mitmachen. Wenn gerade keine Waldbrandgefahr besteht, wird Hering gegrillt, ansonsten bringt man sein Picknick mit. Vor allem, wenn Mittsommer in einem winzigen Dorf wie Mångberg unweit des Siljansees stattfindet, wo nur fünf Häuser ständig bewohnt und der Rest Ferienhäuser sind.
Es ist gegen achtzehn Uhr, als Familien mit kleineren oder größeren Kindern eintröpfeln, aber auch ältere Leute und Pärchen. Mångberg liegt an einem winzigen See, wo die Kids bei noch hoch am Himmel stehender Sonne baden. Einer, der ihnen lächelnd zusieht, ist der fast 80-jährige Sid Jansson, der ein langes Horn mit sich herumschleppt, ein sogenanntes Näverlur, um zu zeigen, wie die Telefonkommunikation lange vor dem Handy funktionierte.
Mit allen anderen wartet er gespannt darauf, dass die Gruppe der Fiedler von der anderen Seeseite herüberkommt, gefolgt von Kindern, die Blätterkränze und eine Blättergirlande für den Maibaum tragen. Alles geht hochfeierlich und nach festen Regeln vonstatten, denn Mittsommer ist in Schweden eine ernste Sache. „Das eigentliche Mittsommerfest wurde am Geburtstag von Johannes dem Täufer am 24. Juni gefeiert“, berichtet Sid. „Schon die isländischen Sagen sprechen von diesem Brauch. Und alles, was mit Mittsommer zu tun hat, dreht sich um Fruchtbarkeit und Leben.“ Er deutet auf den Maibaum, einen etwa 25 Meter langen Pfahl, der zuerst mit den herangetragenen Gewächsen geschmückt und dann in einem schweißtreibenden Prozess aufgerichtet wird. Der Pfahl ist nämlich nicht irgendein Baumstamm, sondern ein Stahlpfahl von etwa 700 Kilo. Der Maibaum-Master gibt über Mikrofon Anweisungen, während Männer in kleinen Grüppchen an verschiedenen Stellen des Pfahls wuchten. Millimeter um Millimeter, denn sonst kann der Maibaum abstürzen und Unheil anrichten.
„Die Kränze oben werden von dem Maibaum penetriert, es ist das größte Fruchtbarkeitssymbol überhaupt“, erzählt Sid mit glänzenden Augen. Der Baum gewinnt an Höhe, die Fiedler geigen weiter, die Männer schnaufen. „Wir haben ein Sprichwort, das besagt die Mittsommernacht sei nicht sehr lang, setze aber sieben und siebzig Wiegen in Bewegung.“ Etwa eine halbe Stunde später ist der große Moment gekommen: Der Maibaumpfahl steht wie eine Eins, der Maibaum-Master seufzt erleichtert ins Mikro, die Leute klatschen. Die Party kann beginnen. Die Fiedler klemmen die Geigen fester unters Kinn und Mütter machen sich mit ihren Kindern bereit für den ersten Tanz rund um den Maibaum, welcher der Einfachheit halber bis zum folgenden Sommer stehenbleibt.
Ich sitze in der nur zögerlich untergehenden Sonne auf der Picknickdecke, schaue fasziniert zu. Denn Mittsommer im Juli, das gibt es nur in Dalarna. Eine gute Entschuldigung dafür, immer wieder in die Trachten zu schlüpfen. Ein guter Grund, zusammenzukommen und fröhlich zu sein und zu feiern, auch wenn die eigentliche Feier längst vorbei ist. Denn in Dalarna feiert man die Feste eben nicht, wie sie fallen, sondern dann, wenn man Lust darauf hat. Und das sollte man überall viel öfter machen.
Informationen:
Diese Reise wurde unterstützt von Visit Sweden mit Unterkunft im Quality Hotel Dalecarlia, Tällberg. ( https://www.dalecarlia.se/)
Empfehlenswerte Restaurants: Neben der Gaststätte bei Skedvi Bröd ist mir besonders ein Restaurant in Erinnerung geblieben: Solgårdskrogen in Rättvik, auch Gasthaus, betrieben vom schwedischen Koch Jonathan, der bereits in Michelin-Star-Restaurants arbeitete, und seiner australischen Frau Genevieve. Man sitzt bei den beiden im Garten hinterm gemütlichen Landhaus – natürlich in Falunrot – direkt neben den Wiesen mit Schafen und Ziegen und am Holzkohleofen, wo Jonathan alle Köstlichkeiten zaubert.
Antworten
Klingt nach einer abenteuerlichen Reise. Ich habe einige deiner Posts gelesen und wollte fragen, ob du Erfahrungen mit Roadtrips gemacht hast.
Und hast du bestimmte Apps, die dir das Reisen erleichtern (das Planen davor, die Organisation währenddessen) bzw. hast du überhaupt einen solchen Bedarf?
Liebe Grüße,
Roaddreamer
https://road-dreamer.blogspot.comHallo Roaddreamer,
also eine praktische App ist für mich Triposo. Und ansonsten lese ich gerne persönliche Reiseberichte über meine Ziele oder recherchiere online, was mich interessieren könnte. Und ganz viel entscheide ich auch immer erst vor Ort, durch Gespräche mit Einheimischen und anderen Reisenden.
Liebe Grüße
Bernadette
Hallo,
der Bericht (Falun) hat mich an die traurig-schöne Erzählung von Johann Peter Hebel ‑Unverhofftes Wiedersehen- erinnert.
Gruss Hans-Dieter KnebelHallo, das kann ich gut verstehen. Viele Grüße
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