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Irland im Herbst. Keine optimale Reisezeit für den Kerry Way, wettermäßig: Es regnet einfach zu oft. 6 Etappen wollen wir wandern, mit Distanzen oft deutlich jenseits der 20km-Schmerzgrenze. Ja, man muss das alles wirklich wollen.
Es gibt immer den kurzen Moment bei der Reiseplanung, in dem ich dem Lockruf des Komfortablen nachgegeben möchte. Einfach mal ’ne Woche Strand buchen und dann nur Hängematte und die Beach-Ball Schläger einpacken.
Aber ich lasse es. Ich will es richtig machen. Mich bewegen, mich fordern, mich behaupten. Ich weiß natürlich, dass ich mir selber so mehr gefalle. Irland it is.
Es ist ein bisschen widersprüchlich, denke ich noch. Wir brechen auch wegen des Freiheitsgefühls auf, doch unser Weg ist bis ins Detail vorgezeichnet: auf dem Handy und einer Wanderkarte, falls die Technik unterwegs versagt. Jede Tagesetappe muss stattfinden, koste es, was es wolle. Schließlich werden im Vorfeld Übernachtungen gebucht und sogar ein Gepäcktransport organisiert.
Ankunft in Irland: „Do you want THE coffee?“
Ich war vorher noch nie in Irland. Der Dialekt haut mich um, als ich die erste Person sprechen höre. Er klingt provinziell gemütlich. Auffällig ist auch, dass oft der bestimmte Artikel verwendet wird, also „Do you want THE coffee?“ oder „Are you going home for THE Christmas?“, was am Einfluss der irischen Sprache liegen soll, die hier gleichberechtigt koexistiert.
Die Heuston Station, Dublins Bahnhof. Nach zwei Tagen Vorgeplänkel in Irlands Hauptstadt machen wir ernst und reisen in die südliche Grafschaft (im irischen: County) Kerry. Mit dem Zug geht’s erst nach Killarney, dann weiter mit dem Bus nach Glenbeigh. Ein letzter Kaffee noch, dazu die guten irischen Scones, als ob es ab jetzt mit jeglichem Genuss vorbei wäre.
„I hope you stay dry!“
Am nächsten Morgen, sitzen wir bei unserer Gastgeberin Katy am Frühstückstisch. So ist es üblich in der Region, in Privatunterkünften, sogenannten B&B’s, zu übernachten. Auch das wird unsere Woche auf dem Kerry Way prägen: heimelige Wohnstuben, in denen wir von bodenständigen Iren mit Tee und Früchtebrot empfangen werden.
„When would you like to have your breakfast?“ fragt uns Katy noch vor dem Zubettgehen. Die Sonne geht nun im Herbst erst gegen 8:30 Uhr auf, so dass wir lieber schon um 7:30 Uhr essen wollen. Eigentlich sollte das Tageslicht (immerhin noch zwischen 10–11 Stunden) reichen, doch ehrfürchtig planen wir lieber mit dem Sonnenaufgang loszuziehen.
Omelett, Joghurt, Müsli, kräftiger Kaffee. Draußen ist es finster, nur im Lichtkegel der Straßenlaterne tanzt rhythmisch der Regen. „I hope you stay dry!„, sagt Katy noch wohlwollend, als wir in die Dunkelheit aufbrechen. Es liegt auf der Hand, dass das kaum möglich sein wird.
Der Kerry Way: nicht laufen, wandern.
Die ersten Meter sind immer besonders. Man läuft anders, bewusster. Weil das jetzt nicht mehr gewöhnliches Umherlaufen ist, sondern offizielles Wandern. Sitzen die Schuhe? Der Rucksack? Soll ich meine Jacke doch wieder ausziehen, obwohl ich sie eben erst angezogen habe? Das ist ja das Schöne am Wandern: Es sind simple Fragen, auf die man klare Antworten findet.
Nachdem wir uns durch einen trüben Morgen vorarbeiten, klart ausgerechnet an der schönsten Stelle der ersten Etappe der Himmel auf. Wir blicken hinab auf die Dingle Bay und sehen genau das, was man erwartet, wenn man an Irland im Herbst denkt: Grün in all seinen Schattierungen, Schafe an steilen Hängen und dann das so wilde Meer, wie es ausladend gegen die Bucht prescht.
Schafe im Nebel
Hinter dem Hang verschwinden die Schafe allerdings in einer Nebelwand, die auch uns für den Rest des Tages schlucken wird. Es wird zäh gegen Ende der Etappe. Mit nassen Socken gehen wir entlang der Hauptstraße nach Cahersiveen. Ein Kleinwagen hält neben uns, die Fahrerin lässt das beschlagene Fenster einen Spalt hinunter. Gerade soviel, dass ich sie sehen kann und sie ihre Trockenheit nicht gefährdet. „Are you David?„, fragt sie. “I’m Stefan”, muss ich zugeben. Trotzdem nimmt sie uns mit ins Dorf. Sie vermietet ein Zimmer und möchte noch ihren Gast David samt Freundin auflesen, bevor die Nacht einbricht.
Cahersiveen, stellt sich heraus, ist eine Straße mit ein paar Läden und Pubs. Am Ende steht eine Kirche, die, man glaubt es kaum, in eine schicke Pizzeria umfunktioniert wurde. Für mich gibt’s Pizza mit scharfer italienischer Salami und ich kann mein kleines Glück kaum fassen. Noch ein Vorteil von solch reduzierten Hiking-Touren: Die kleinen Freuden des Alltags werden plötzlich ganz groß.
Tiefpunkt auf den Hügeln
Die nächsten zwei Tage wird uns das Wetter weiter beschäftigen, sogar „mehr als uns Recht ist“. Auf den Hügeln zwischen Cahersiveen und Waterville fällt zunächst ein dichter Nebelvorhang auf uns herab. Hier sollten tolle Ausblicke auf wunderschöne irische Landschaften und das Meer auf uns warten. Aber wir sehen überhaupt nichts.
Das Waten durch den aufgeweichten, schlammigen Morast zehrt zusätzlich an den Nerven, zumal es konstant regnet. Jeder Schritt muss geplant werden, um nicht plötzlich knietief im Schlamm zu stecken. Wir springen über Pfützen oder suchen uns Wege um sie herum, wenn sie zu groß sind. Hier, auf der weiten Hügelebene, gibt es keinen Unterstand, keine Gelegenheit Pause zu machen, um sich zu sammeln. Wir erhöhen das Gehtempo unbewusst, weil wir aus der Situationen rausdrängen wollen. Irgendwo, weiter vorne, muss es doch besser sein. Ist es aber nicht. Stundenlang.
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Irgendwann essen wir im stehen Brot und Tomaten. Unsere Finger sind rot und kalt, die Nässe zieht durch sämtliche Textilschichten hinab zu den Socken. Stehenbleiben macht es nur schlimmer. Doch was kann man nun tun, mitten in der Einöde? Ganz genau, nichts. Außer den Kalorienspeicher aufzufüllen und dann weiterzugehen. Es gibt keine Optionen für uns, außer einen Fuß vor den anderen zu setzen und diese desolate Gesamtsituation irgendwie hinzunehmen. Nach 21 Kilometern spüren wir Asphalt unter den Füßen. Wir heben den Daumen zum trampen, rote Bremslichter im Nebel sahen noch nie so schön aus.
Abbruch! Okay, doch nicht.
Unsere Schuhe trocknen über Nacht, Socken und Klamotten auch. Der trübe Vortag ist abgehakt. Ein vernünftiges irisches Frühstück später ziehen wir vorsichtig optimistisch los. Die Etappe von Waterville nach Caherdaniel ist die kürzeste der Tour. Doch es geht wieder los mit dem Regen. Diesmal schüttet es richtig. Wir laufen noch nicht einmal eine halbe Stunde, als meine Hose am Oberschenkel klebt, wie ein zudringlicher Duschvorhang.
Wir beißen uns noch 1–2 Stunden entlang eines Hanges vorwärts, zu unserer rechten versteckt sich das Meer unter grauem Nebel. Dann fällen wir die Entscheidung: Abbruch! Einfach irgendwie nach Caherdaniel kommen und einen Haken an diese verkorkste Etappe machen. 10:30 Uhr und schon genug vom Tag. Wir kehren vom Wanderweg ab, krabbeln unter einem Zaun in den Garten eines hübschen Häuschens und schlagen uns durch zur Hauptstraße, vielleicht nimmt uns wieder jemand mit.
Ein Labradoodle & 2 begossene Pudel
Unser Starrsinn bringt uns und auch die Autofahrer in eine haarige Situation. Diese kurvenreiche Küstenstraße im dicken Nebel entlangzulaufen und dann auch noch zu trampen ist nicht ganz ungefährlich. Es gibt keinen Seitenstreifen, die Autos zischen nah an uns vorbei. Selbst, wenn jemand anhalten wollen würde, müsste dies auf offener Straße passieren.
Doch es passiert. Eine Amerikanerin hält im Gegenverkehr, wendet auch noch waghalsig und winkt uns hinein. „I can’t let you walk in the rain!“ Dankbar hieven wir uns wie zwei begossene Pudel in ihren kleinen Mietwagen, während ihr munterer Labradoodle auf dem Beifahrersitz hüpft. Die kurze Autofahrt ändert unsere Laune schlagartig.
„I’m from the U.S. but I don’t like Trump.“, das muss sie sofort klarstellen. Sie sei wegen der vorgelagerten Insel an die Küstenstraße gekommen: Skellig Michael, eigentlich unscheinbar, aber dank Hollywood weltberühmt. Einige Szenen aus den neueren Star Wars Filmen wurden hier gedreht. Sie kann uns ein paar Kurven mitnehmen, aber eigentlich ist sie ja genau in die entgegengesetzte Richtung unterwegs. Fünf Minuten später stehen wir wieder am Straßenrand, es regnet nun deutlich schwächer. Und noch etwas hat sich geändert: Unsere Moral ist zurück. Wir beschließen die restliche Etappe zu gehen. Dieser kurze Moment der Menschlichkeit beflügelt uns anscheinend.
Es gibt in Caherdaniel nur einen einzigen Pub, den Blind Piper, wo wir am Abend die Eckbank besetzen. Jetzt bin ich froh, dass wir die Etappe nicht übersprungen haben. Und stolz auf Aylin. Dass sie diesem ganzen Unterfangen etwas abgewinnen kann, den Wert erkennt in diesen tagelangen Hiking-Touren, die ihre Belohnung oft lange aufsparen.
Nach Regen kommt Sonnenschein
Der zweite Teil des Kerry Way. Auf Regen folgt Sonnenschein und alles wird einfacher. Die vierte Etappe, wir sehen blauen Himmel und das Laufen macht wieder Spaß. Einen Tagestreck später schlendern wir durch Sneem. Ein Ort wie eine Filmkulisse, total aus der Zeit gefallen. Jeder zweite Laden wird von einer O’Sullivan-Familie betrieben. Wir blicken durch die Fenster in geschlossene Pubs. Unbefriedigend, im Angesicht eines 20 Kilometer-Kohldampfs. Eine Frau schließt von innen auf: „Hungry?“ „Yes!“ „No worries, I can do some pizzas“. Das möchte man jetzt hören.
Am Morgen spiegelt sich die Sonne in der ruhigen Kenmare Bay. Wir sitzen auf einem Felsen. Man kann das jetzt. Kein Regen mehr, der uns voran peitscht. Wir verweilen hier sehr lange, weil wir es jetzt besonders genießen, ein paar Sonnenstrahlen einzufangen und in die ruhige Bucht zu blicken.
Und nun zeigt es sich, das herbstliche Irland. Durch Wälder und über Berge führt unser Pfad, die Küste immer zu unserer Rechten. Wie aus dem Bilderbuch, dieser harmonisch grün-braune Farbverlauf. So ziehen wir in das weite Land, überqueren Hügel, durchschreiten Täler und geben nun selbst den Rhythmus vor.
Killarney-Nationalpark: Gedränge am Wasserfall
Am letzten Wandertag ziehen wir durch den Killarney-Nationalpark, lange Zeit balancieren wir über eine Planke, die mannshohe Gräser in der Mitte zerteilt. Im Kern des Parks gibt es einen See, einen Wasserfall und einen Parkplatz. Frischgeföhnte Menschen führen Hunde aus, Gedränge am Wasserfall wegen der Selfies. Wir sind nicht mehr „da draußen“, das Ende der Tour zeichnet sich ab.
Die letzten Kilometer ziehen sich. Es ist wie Arbeit, die asphaltierte Straße nach Killarney abzugehen. Als wir an den ersten B&B’s, Hotels und Gaststätten vorbeikommen, drehe ich mich nochmal um. Die Hügel Kerrys liegen im Würgegriff bedrohlich grauer Gewitterwolken. Zum Glück liegt das alles hinter uns.
Ich bin so stolz. Immer in solchen Momenten. Die körperliche Leistung strahlt ab auf meine Befindlichkeit: Egal welche Hügel im Weg stehen, ich kann sie bezwingen. Für diese kitschige Message bin ich wohl empfänglich. Kerry Way geschafft. Haken dran. Was kommt als nächstes?
Pressereise | Transparenz: Wir haben die individuelle Kerry Way Wanderung auf Einladung von ASI Reisen unternommen. Für uns war es sehr komfortabel die Organisation der Übernachtungen und die Routenplanung in kompetente Hände zu geben.
Antworten
wow, ein schöner und ausführlicher Beitrag. Ich reise auch sehr gerne und habe noch viele Punkte auf meiner persönlichen Weltkarte, die ich noch bereisen möchte. Ich wünsche dir alles Gute und schreib weiterhin solch tolle Berichte. Liebe Grüße Marcel aus Berlin
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