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Vor uns nehmen Autos die Ausfahrt auf die E68 oder biegen nach rechts ab, Richtung McDonalds Drive-In. Zwischen Autolärm und Kaffeegeruch stehen wir hinter uns die großen Trekkingrucksäcke. Nur wenige Rumänen können sich ein Auto leisten, darum ist Autostoppen ein gängiges Mittel um voranzukommen, stand im Reiseführer. Das klang schlüssig. Ein junger Rumäne stand schon hier, als wir vor einer Stunde gekommen sind. Er streckt den linken Arm nach vorne und lässt die Hand locker hängen. Ein Auto fährt rechts ran, eine kurzes Gespräch dann sind wir die einzigen am Straßenrand. Das selbstgebastelte Schild mit der Aufschrift „Brasov“ zittert in meiner Hand. Zehn weitere Minuten, dann werden wir die Rucksäcke schultern, uns heißen Tee kaufen, vielleicht einen Cappuccino und zurück in die Stadt gehen.
Sein Musikgeschmack ist das erste, das wir von Deniz kennenlernen. „Pentru Ca“, die Hitsingle der rumänischen Popsängerin Inna, dringt durch die geöffneten Scheiben, als der weiße VW Golf in zehn Metern Entfernung hält. Bevor das Lied aus ist sitzen meine Freundinnen auf der Rückbank. Neben mir am Fahrersitz: Deniz, 24, weißes Cappi, Jeans, Turnschuhe. Die Autoboxen beschallen die Vorstadt, lassen die Sitze zittern. Wir schweigen. Weil Deniz kaum Englisch spricht und wir kein Rumänisch. „We speak German, English“, versuche ich es über dröhnenden Bass hinweg und deute auf die Rückbank: „and French, Spanisch, Russian. And I speak some Italian. Ma solo un pó“, nur ein bisschen wende ich ein. „Ho lavorato a Roma, como ponteggiatoro,“ antwortet Deniz in fließendem Italienisch. Kurz stoppt die Musik als Deniz mir sein großes Smartphone gibt. „Ponteggiatoro“ gebe ich auf google translate ein. „Gerüstbauer“ steht auf dem Bildschirm.
Fernarbeit und Heimaturlaub
Deniz ist 24 Jahre alt. Seit er zwanzig ist sieht er sein Heimatland Rumänien nur im Sommer. Wie drei Millionen weitere seiner Landsleute arbeitet er im Ausland. Während der Bausaison war Deniz abwechselnd in Deutschland, Spanien, Österreich. Seine letzte Baustelle war am Flughafen Rom Fiumicino. Italien ist, auch wegen der sprachlichen Nähe des Italienischen zum Rumänischen das Land in dem am meisten Rumänen arbeiten. Rund 1,25 Millionen waren es im letzten Jahr. Mit 4,8 Prozent hatte Rumänien zwar eine der niedrigsten Arbeitslosenquoten der EU, doch die Jugendarbeitslosigkeit lag mit 18 Prozent im europäischen Spitzenfeld. Viele Junge entscheiden sich wegen der besseren Verdienstmöglichkeiten für einen Job im EU-Ausland. Seinen VW Golf, hätte sich Deniz nicht kaufen können, wäre er nicht als Ponteggiatoro in ganz Europa im Einsatz. Wie viel der gekostet hat verrät er nicht. Nur, dass er aus St.Pölten in Niederösterreich stammt. 300 Euro Rabatt hat ihm der Autohändler gegeben. Ein Gefallen, den Deniz jetzt an Österreich zurückgeben will, indem er uns ein Stück mitnimmt, sagt er.
Die weiten Sonnenblumenfelder seiner Heimat sieht Deniz nur ein paar Wochen im Jahr.
Wir fahren durch Dörfer die mich mit ihren gedrungenen, der geflasterten Straße zugewandten Häuser an das österreichische Burgenland erinnern und passieren weite, abgeblühte Sonnenblumenfelder. Nach dem hier könnte man sehnsüchtig werden, denke ich. „Come ti piace lavorare fuori?“, will wissen. Wie ist es, im Ausland zu arbeiten? In den letzten vier Jahren war Deniz nur wenige Wochen in Rumänien. Seine Antwort fällt knapp aus: „Mi mancha mia famiglia e miei amichi.“ Auf den Baustellen in Italien sprechen nur seine rumänischen und moldawischen Kollegen mit ihm. Die italienischen Ponteggiatori sagten ihm er solle nach Hause gehen. Er sei noch so jung. Daheim wird er bestimmt gebraucht und in Rom nimmt er den Italienern die Arbeit weg.
Weitermachen ohne Principessa
Das einzig gute an Italien, sagt Deniz, war, dass seine rumänische Freundin dort auf die Schule ging. Vier Jahre waren sie ein Paar. Vor zwei Wochen hat Principessa Deniz für verlassen. Wir sind auf halber Strecke zwischen Sibiu und Brasov, als Deniz an den Straßenrand fährt. Er dreht die rumänische Popmusik ab und es wird leise im Golf. Deniz tippt auf seinem Handy. „Principessa“ ist der erste Kontakt in der Kurzwahl, der Name wird eingerahmt von zwei rosaroten Herz-Emojis. In der Bildergalerie Fotos von ihm und Principessa im Urlaub, mit seiner Oma, auf einer Hochzeit. Mit dem Geld, das er in Italien verdiente wollte Deniz seine Principessa nach Paris einladen. Er zieht den Autoschlüssel ab. Am Schlüsselbund baumelt ein Verlobungsring.
„Che posso fare“ fragt Deniz und blickt ins Leere. „Continuare“, antworte ich, weitermachen. Am Horizont über der Kleinstadt Făgăraș explodiert ein Feuerwerk. Heute ist Stadtfest.Wir halten am Zebrastreifen um Väter, die ihre Kinder auf den Schultern tragen über die Straße zu lassen. Kurz riecht es nach Zuckerwatte. Deniz schweigt, die Boxen auch. Wir beschließen, ihn abzulenken und übernehmen die Musikauswahl. Spanische Balladen, russischer Rap und deutsche Hip-Hop Tracks dröhnen auf den letzten hundert Kilometern durch die offenen Fenster in die Ebene. Die Sonnenblumenfelder sind nur mehr schemenhaft zu erkennen. Kalter Nachtwind bläst uns ins Gesicht, die Fenster bleiben trotzdem oben. Am Stadtrand von Brasov hält der weiße VW Golf. Ein kleines Licht an der Unterseite der Beifahrertür projiziiert das VW Logo auf den Asphalt. Siebzig Kilometer muss er noch fahren, dann ist Deniz bei seiner Familie. Drei Wochen bleibt er diesmal. Dann fliegt der Ponteggiatoro zu seiner nächsten Baustelle nach Dubai. Vielleicht, sagt Deniz, finde ich dort meine nächste Principessa.
Antwort
Richtig schön und ein bisschen traurig.….
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