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»Wer viel reist hat hinterher viel zu erzählen«, sagt der Volksmund. Nun bin ich schon ein wenig herum gekommen in der Welt, und freue mich immer über die seltenen Momente, in denen ich im Freundes- oder Familienkreis einige Geschichten zum Besten geben kann. Einige der wirklich guten Geschichten beginnen dabei mit den Worten: »Als ich damals durch Papua-Neuguinea reiste…«
Papua-Neuguinea. Allein der Name verspricht Exotik und Abenteuer und es ist tatsächlich völlig »off the beaten track«, wie es der Lying Planet vollmundig (so oft zu Unrecht) verspricht. Ich eröffne meine PNG-Reihe mit einem zweiteiligen Bericht über die Besteigung des Mt. Wilhelm, dem mit 4.509 Metern höchsten Berg Papua Neuguineas.
Also: Als ich damals durch Papua Neuguinea reiste, weilte ich eine Zeit lang in Goroka, der Hauptstadt der Eastern Highlands. Goroka gehört trotz gerade einmal etwa 20.000 Einwohnern zu den zehn größten Städten Papuas. Ich war bereits zwei Monate im Land, hatte erst kürzlich eine schwere Malaria tropica überstanden und zehn Kilogramm Gewicht eingebüßt. Nicht gerade ideale Voraussetzungen für körperlich anspruchsvollere Touren.
Doch dann bot sich mir und meinem kleinen Budget überraschend die Möglichkeit den Mt. Wilhelm zu besteigen. Ich zögerte nicht einen Sekunde, denn meiner Erfahrung nach ergeben sich viele Gelegenheiten im Leben nur ein einziges Mal und dann muss man laut »Hier!« rufen und sofort zugreifen.
Zwischenstation in Kundiawa
Es ist bereits dunkel, als Josef und ich das kleine Dorf zu Füßen des Bismarkgebirges erreichen. Auf den Ladeflächen mehrerer PMVs (Public Motor Vehicle) hatten wir, von Goroka kommend über Kundiawa, in knapp zehn Stunden die fantastische Distanz von 100 (!) Kilometern zurückgelegt.
PMV = Public Motor Vehicle beim Betanken
Nach Monaten auf Papua Neuguinea bin ich immerhin milde überrascht, überhaupt innerhalb eines Tages ans Ziel gelangt zu sein. Die letzten Kilometer der Piste waren in einem erbärmlichen Zustand, dabei habe ich noch Glück: In der Regenzeit ist die Strecke unpassierbar, und auch jetzt sind – trotz minimalem Verkehr – Unfälle mit tödlichem Ausgang häufig.
Umsteigen auf ein kleineres PMV
Viele Unfälle ließen sich vermeiden, wären die PMV-Piloten nüchtern. Dazu kommen noch Unwägbarkeiten wie schlammige Pisten direkt am viele hundert Meter tiefen Abgrund und Brücken, die noch aus Zeiten des zweiten Weltkrieges stammen.
Die Holzbalken der alten Brücken verrotten im feuchten Klima schnell oder werden zum Häuserbau gestohlen
Josef ist mein guter Hirte und führt mich nach einigen Kilometern Fußmarsch zur Hütte eines Onkels. Wir sind nicht angekündigt, der Onkel nicht zu Hause. Dafür die Tante und die Hälfte ihrer zehn Kinder. Sie ist sichtlich irritiert mich zu sehen. Obwohl hin und wieder mal ein Weißer auf den Berg steigt, übernachtet in der Regel doch keiner bei den Bewohnern des Dorfes, deren kleine Rundhütten im nebelverhangenen Tal verschwinden.
Kleines Dorf im Nebel
Auf PNG bin ich ein Exot – mehr als in jedem anderen Land welches ich bisher bereist habe.
Viele Niguinis, vor allem in den abgelegeneren Gebieten haben bis heute noch nie Weiße gesehen. Meist begegnet man mir mit Neugier und großer Gastfreundschaft, manchmal mit Gleichgültigkeit, selten mit Aggressivität, wenn man mich für einen Australier hält. Deutsche stehen hier, trotz kolonialer Vergangenheit, in einem guten Ruf, erst recht aber deutsche Ärzte.
Das Land, insbesondere das Hochland sind immer noch sehr gefährlich. Kriminalität, Stammeskriege und Aberglaube wurden so manchem Reisenden zum Verhängnis. Davon zeugt auch der Gedenkstein für einen deutschen Missionar, den wir auf dem Weg zum Dorf passierten. Der arme Teufel hatte in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts versucht, die Simbu dieser Gegend zu missionieren und war irrtümlich getötet worden. Man hatte ihn, seiner bleichen Hautfarbe wegen, für einen Geist gehalten und mit einem Pfeil bedacht.
Im ganzen Land habe ich erlebt, dass kleine Kinder sich vor Angst oft einnässen und anfangen zu weinen, wenn sie meiner gewahr werden. Eltern erzählen ihren Kindern die Geschichte vom „bösen weißen Mann“, der Nachts kommt, um sie zu holen.
Politisch unkorrekt, keine Frage. Aber erzählen sie das mal einem Niguini… Doch ich schweife ab.…
Ich stehe also immer noch an besagter Hütte und harre der Dinge die da kommen. Die Tante diskutiert mit Josef, meinem Guide, und da sie das in ihrer lokalen Stammessprache tut (von der es auf PNG etwa 820 geben soll), ist mein geschliffenes Tok Pisin nutzlos.
Auch wenn ich dem Inhalt des Gesprächs nicht folgen kann, so verstehe ich dennoch, dass die gute Frau verärgert darüber ist, dass mein Kommen nicht angekündigt wurde. Wie jede andere gute Hausfrau hätte sie sonst noch aufgeräumt und ihre Haare gemacht und überhaupt.
Schließlich werde ich außerordentlich freundlich und sehr verlegen gebeten einzutreten. Ich passe nur gebückt durch die Tür und trete ins Halbdunkel der etwa 20 m² großen Rundhütte.
Das Haus meiner Gastfamilie
Die Mitte des Raumes bildet eine offene Feuerstelle. Der Rauch zieht mehr oder weniger gut durch das gräserne Dach, so dass die Hütten stets zu dampfen scheinen.
Die Wände bestehen aus mehreren Lagen Stämmen, Rinde und Schilfmatten und so einfach die Bauweise ist, so einfach ist auch die Einrichtung. Strom oder gar fließendes Wasser sucht man vergebens.
Ich blicke in ein Dutzend dunkler Augen und sie blicken erwartungsvoll zurück. Als guter Gast, der ich sein will, übergebe ich, wie es der Brauch verlangt, der Hausherrin die traditionellen Gastgeschenke, Reis, Zucker, Tee… Was nach wenig klingt, ist auf PNG nicht gerade billig und hier schwer zu bekommen.
Die herzliche Tante findet ihre Fassung über den Besuch eines „Whiteskin“ wieder und überreicht mir feierlich ein sehr gut gearbeitetes, traditionelles Hochland-Bilum, eine gestrickte Tragetasche mit schönen, bunten Mustern.
Man weist mir einen Schlafplatz zwischen den anderen Familienmitgliedern zu, dann muss ich essen. Eine gewaltige Portion Kaukau (Süßkartoffel) mit Kumu (grünes Gemüse) später bin ich so voll, dass ich mich kaum mehr bewegen kann. Auch meine Gastfamilie betreibt auf den sehr fruchtbaren Böden des Hochlandes Subsistenzwirtschaft. Jeder deutsche Landwirt würde vor Neid erblassen, wenn er das erstklassige Biogemüses erblicken würde, dass hier in beeindruckender Quantität auf den Feldern wächst.
Mi leik kisim picta long yu, yu oright o nogat?
In der Hütte wird es nun zunehmend enger. Immer mehr Verwandte drängen sich, um den Weißen zu sehen. Ich reiche einen kleinen Bildband aus der Heimat herum, Josef übersetzt die englischen Texte. Mit all seinen steinernen Monumenten, den modernen Innenstädten und dem hohen Lebensstandard muss die Bundesrepublik meiner Gastfamilie wie ein fernes Albion erscheinen.
Wer um die Wirklichkeit des Alltags in PNG nicht weiß, würde in einem Anfall von romantischer Verklärtheit vielleicht annehmen, die Niguinis hier hätten das bessere Los gezogen. Mit ihrem Familien- und Stammeszusammenhalt, ihren fruchtbaren Böden, dem sauberen Wasser und ihren alten Traditionen. Wer das annimmt, dem sei gesagt: er irrt.
Tatsächlich ist die Kinder- und Schwangerensterblichkeit enorm hoch, Gewalt in der Familie ist eher die Regel als die Ausnahme. Viele Niguinis leiden unter Malaria und Tuberkulose und die HIV Durchseuchung der indigenen Bevölkerung steigt seit Jahren.
Drogenkonsum, Kriminalität und Gewaltverbrechen finden sich nicht nur im Umfeld der wenigen großen Städte. Dazu herrscht eine enorme Korruption, die ihresgleichen sucht. Ausländische Minenkonzerne erzielen hohe Gewinne aus der reichen Erde Neuguineas, doch das Geld der Minenkonzessionen füllt dabei überwiegend die Taschen korrupter Regierungsbeamter.
Ich habe noch einige alte Ausgaben der ZEIT im Gepäck. Ein wertvoller Rohstoff, den ich freigiebig verschenke. Meine Gastmutter wird sie gewinnbringend auf dem Markt verkaufen, als Papier für Zigaretten. Witzige Anekdote: Die Niguinis sind so daran gewohnt, ihren Tabak in Zeitungspapier zu rauchen, das lokale Tabakkonzerne ihren maschinell hergestellten Zigaretten die äußere Erscheinung von Zeitungspapier geben.
Es ist, für europäische Begriffe, noch früh am Abend, als wir alle zu Bett gehen. Ich schlafe wirklich gut und bemerke so dankenswerter Weise nicht, dass sich viele kleine Tiere an meinem Blut gütlich tun.
Josef weckt mich noch vor Sonnenaufgang. Mit in heißer Asche gebackenen KauKau (Süßkartoffeln) als Frühstücksproviant, wandern wir durch das nebelverhangene Tal dem Massiv entgegen. Der Mt. Wilhelm, unser fernes Ziel, bleibt vor uns verborgen, verdeckt von den anderen Gipfeln des Gebirges, die von der schnell aufgehende Sonne in rosafarbenes Licht getaucht sind.
Dramatik und wilde Naturschönheiten folgen in Teil zwei stop Aufstieg durch den Nebelwald, vorbei an Baumfarnen, Wasserfällen, Hochgebirgsseen und zerschellten Flugzeugen stop Versuch eines nächtlichen Gipfelsturms stop Schafft es der Protagonist bis zum Ziel, oder wird das Bismarkmassiv ein weiteres Opfer fordern?
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Ein toller Beitrag. Die Situation bei der Gastfamilie liest sich sehr lustig. 😀
spannend geschrieben; bin schon gespannt auf den zweiten Teil! Papua-Neuguinea fasziniert mich sehr; habe dazu vor einiger Zeit eine Reportage auf meinem Blog vorgestellt – vielleicht eine ganz gute Ergänzung; hier der Direktlink zur Reportage: Price of Progress: http://mediastorm.com/clients/the-price-of-progress-for-discovery
Wunderbarer Reisebericht, wun-der-bar! Macht Lust auf mehr, lass dir nicht allzu lange Zeit mit dem 2ten Teil. 🙂
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