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Wir stehen am Rand der Umgehungsstraße von Hosapete, irgendwo im indischen Bundesstaat Karnataka. Ein paar Kilometer noch, dann erreichen wir Hampi, die einst stolze Hauptstadt des letzten großen südindischen Hindureiches. Der Tag rotiert über den Horizont. Noch immer ist es heiß. Müde und hungrig stehen wir am Straßenrand; kraftlos vom stundenlangen Warten unter der tropischen Sonne und der zehrenden Reise ins Landesinnere.
Graue Betonwände erheben sich hinter der mehrspurigen Fahrbahn. Es sind die letzten Gebäude der Stadt. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite liegen weite Ackerflächen. Drei Finger genügen, um die Pkws zu zählen, die hier vorbei kommen. Stattdessen nähern sich Rikschafahrer, die uns fordernd auf ihre Dienste aufmerksam machen. Wir lehnen ab, erst freundlich, dann bestimmt, und ernten beleidigende Gesten.
Als endlich ein Pkw hält, rollen drei Rikschas knatternd aus der Dunkelheit und versperren den Weg. Die Fahrer marschieren auf uns zu. Ihr Rädelsführer, ein feister Typ, verbietet uns, in den Pkw einzusteigen und verlangt stattdessen, dass wir sein klappriges Gefährt nutzen.
So viel Dreistigkeit verschlägt uns die Sprache. Ich habe den Kerl so gern wie Fußpilz. „Wer bist du denn?“, frage ich mich und füge laut hinzu: „Wenn mir einer Befehle gibt, dann nur mein Vater.“ Die Familie ist in Indien das höchste Gut. In einem Staat, der dem Individuum nichts gibt, ist der familiäre Rückhalt überlebenswichtig. Ihr gehört Respekt, denn ohne Familie geht man in Indien unweigerlich unter.
Ich weiß, dass der Rikschafahrer das weiß. Gegen die Familie wagt er nichts zu sagen. Schon gar nicht gegen den Vater. Wir schauen uns wütend an, aber der Konflikt ist zu unseren Gunsten entschieden. Wir steigen in den Pkw und lassen die Taugenichtse mit ihren Rikschas am Straßenrand zurück.
Nichtsdestotrotz fühle ich mich schlecht. Dass wir glimpflich aus der Situation entkommen, ist purer Zufall. In Indien ist körperliche Gewalt nie besonders weit entfernt. Latent liegt sie in der Luft, wartet nur darauf im überbevölkerten, von Schikanen und Korruption gezeichneten Land, auszubrechen. Fäuste fliegen schnell und oft bleibt es nicht dabei. Das Kastensystem trägt seinen Teil dazu bei. Obwohl offiziell abgeschafft ist es im indischen Gesellschaftsgefüge noch immer präsent. Nach unten wird getreten, nach oben gebuckelt.
Wir erreichen das Dorf Hampi Basar in der frühen Nacht. Häuser ragen wie dunkle Schatten empor. Der Fluss Tungabhadra windet sich an der Siedlung vorbei. Die meisten Unterkünfte befinden sich am anderen Ufer. Eine Fähre setzt die Besucher trockenen Fußes über das Wasser. Doch im Schutz der Nacht wird aus dem jungen Fährmann ein abenteuerlicher Pirat, der für die dreiminütige Überquerung das Fünfundzwanzigfache des üblichen Preises verlangt.
Wir versuchen zu handeln, was ihn offenbar persönlich beleidigt, denn unvermittelt wird er ähnlich ausfallend wie die Rikschafahrer in Hosapete. Mit wilden Geste brüllt er uns konfuse Dinge entgegen. Dann erklärt er das Ufer zu seinem Privatbesitz und weil wir noch immer nicht bereit sind, unverschämte Preise zu zahlen, verscheucht er uns vom Fähranleger.
Wir nehmen uns ein Zimmer in Hampi Basar und vermissen die Schwerelosigkeit, die bisher stets im indischen Chaos zu finden war. Es dauert nicht lange, bis wir die Geister ausfindig machen, die die Menschen in Hampi umtreiben. Hier befinden sich die imposanten Reste der Stadt Vijayanagar. Die Hauptstadt des gleichnamigen Reiches war in ihrer Blüte, zwischen dem 14. und 16. Jahrhundert, größer als Rom und prächtiger als Lissabon zur gleichen Zeit.
Die UNESCO würdigt seit 1986 die Ruinen als Weltkulturerbe. Touristen kommen, Unterkünfte und Restaurants entstehen ebenso wie kleine Geschäfte, die in ihrer Summe eine beachtliche Infrastruktur stellen. All das mitten in den Ruinen. Die historischen Mauern stützen Kioske, halten Wellblechdächer und Planen, geben Unterschlupf.
In Hampis Ruinen herrscht Leben, doch die UNESCO möchte ein Museum. Es geht um den Erhalt alter Steine, archäologischer Schätze und so weiter. Denkmalschutz. In Indien bedeuten solche Forderungen Willkür, Polizeigewalt, Zwangsumsiedlung. 2011 kommen die Bulldozer zum ersten Mal. Sie reißen Häuser ein, die über Nacht mit roten Kreuzen markiert wurden. Wo eben noch ein Zuhause war, ist wenig später Schutt und Staub. Das ist nun bereits Jahre her. Noch immer stehen ein paar Wohnhäuser in Hampi Basar. Auch die touristische Infrastruktur funktioniert weiterhin. Wie lange, dass weiß niemand. Die Bewohner in Hampi sind angespannt. Unsicherheit begleitet sie jeden Tag. Vielleicht stehen schon morgen die Bulldozer erneut in den staubigen Gassen. Angst und Wut brodeln in ihren Herzen wie glühende Lava in einem dunklen Krater.
Das mächtige Reich Vijayanagar
Noch vor wenigen Jahrzehnten ist Hampi ein großer weißer Fleck. Ein gemütliches Dorf, Reisbauern und Ruinen. Die Öffentlichkeit hat keine Ahnung vom Schatz, der zwischen Palmen und Bananenstauden in der Gegend herumsteht. Am südlichen Ufer des Tungabhadras befindet sich einst der Königssitz des Reiches Vijayanagar. Unvorstellbar wohlhabende Könige und Prinzen lassen unvorstellbar prachtvolle Tempel und Paläste errichten. Um sie herum wächst eine Stadt, die sich in ihrer Blüte auf 25 km² erstreckt. Im beginnenden 16. Jahrhundert reicht der Einfluss des Reiches über weite Teile des indischen Südens.
Die Herrscher von Vijayanagar kontrollieren den Handel von der Westküste am Arabischen Meer bis zur Ostküste am Golf von Bengalen. In ihrer Hauptstadt leben 300.000 bis 500.000 Menschen. Vijayanagar ist so bedeutend wie Agra und Delhi. Paläste und Villen säumen Prachtstraßen, die an Grandeur kaum zu überbieten sind. Europäische Reisende berichten von mitreißenden Festen, von Edelsteinen und Seide an den feingliedrigen Körpern edler Damen, von einem Luxus, den sie selbst aus ihrer Heimat nicht kennen.
In einer Zeit in der die großen europäischen Königreiche ihre Kassen im Wettlauf um die Entdeckung der Welt leeren, horten die Herrscher Vijayanagars wahnsinnige Schätze. Sie lassen sich regelmäßig mit Gold und Silber aufwiegen, um die Reichtümer dann unter ihren Untertanen zu verteilen. An den Küstenhäfen Südindiens sind sie es, die das Monopol auf Arabische Pferde und indische Gewürze halten. Ein lukratives Geschäft. Ihre Handelsbeziehungen reichen vom chinesischen Kaiserhof bis zu den Adelsfamilien in Portugal.
Doch nur ein paar Jahrzehnte später verbünden sich die benachbarten Sultanate zu einer Allianz und fordern Vijayanagar zur entscheidenden Schlacht heraus. 1565 fällt das letzte unabhängige Hindureich. Die königliche Familie flieht mit einer Elefantenkarawane voll beladen mit Luxusgütern und noch immer bleibt so viel wertvolles Zeug zurück, dass ihre Hauptstadt für sechs Monate geplündert und gebrandschatzt wird.
Als die Glut erlischt, sind die ruhmreichen Tage der Stadt beendet. Das Zentrum der Macht gerät in Vergessenheit. Die größte Stadt des indischen Südens verfällt in provinzielle Bedeutungslosigkeit. Was bleibt, ist ein Ruinenfeld: Steine, Ziegel, Stuck, Götterfiguren und die hoch aufragenden Gopurams, die Eingangstürme, der Tempel.
Sonnenuntergang über Hampi
Heute heißt Vijayanagar Hampi. Am nördlichen Ufer des Flusses haben wir uns einquartiert. Es sind nur ein paar Meter bis zu leuchtend grünen Reisfeldern und noch ein paar mehr Meter bis zu einem Hügel aus gewaltigen Granitfelsen. Von dort oben betrachten wir den Sonnenuntergang. Mit uns haben etwa fünfzig weitere Menschen diese Idee. Reiseführer mit Millionenauflage verleihen Hampi den Status eines Geheimtipps. Davon ist der Ort mittlerweile weit entfernt. Die Sonne hängt tieforange hinter einem grauen Dunstschleier.
Vor uns liegt ein weites, fruchtbares Land. Saftige grüne Reisfelder, ausladende Palmen und üppige Bananenplantagen schmiegen sich in der hügeligen Landschaft um gigantische Felsbrocken, die sich goldbraun von der Vegetation abheben. Bis an den Horizont liegen sie verstreut, verkeilen sich zu kleinen Gebirgen oder balancieren in gewagten Winkeln aufeinander.
Das dunkle Band des Flusses schlängelt sich mitten durch das Grün. Ruinen und Tempel ragen aus der malerischen Landschaft empor. Trübes Licht hüllt sie in mystischen Schein. Oben auf dem Hügel werden Gitarren und Trommeln ausgepackt. Hippiesound klingt vom Aussichtspunkt über die Felder. Tätowierte Menschen jonglieren, trinken Bier, reichen Joints umher. Es ist magisch.
Wie ein luzider Traum. Nackte, honigfarbene Felsen spielen mit üppig grüner Vegetation. Die Natur ist im Rausch, sortiert Granitbrocken in einem gigantischen Steingarten. Die Sonne sinkt immer tiefer. Kurz vor dem Horizont durchtrennt eine Wolke den feuerroten Ball am Himmel, der nun in zwei Teilen aus dem Blickfeld rutscht. Ein paar einheimische Jungen sind auch hier oben. „Your name? Your country?“, wollen sie wissen. Sie verkaufen Postkarten und Bier und Softdrinks in eisgekühlten Eimern. Die Gespräche flauen ab. Bekifftes starren zum Horizont.
Mehr als eintausend archäologische Fundstätten befinden sich in einer spektakulären Landschaft zwischen Feldern und Felsen. Wie wundervoll muss es hier ausgesehen haben, als die Stadt Vijayanagar in ihrer Blüte stand, als sich die Holzhäuser der Metropole kilometerlang zwischen Märkten, Tempeln und Palästen erstreckten? Tore, Verteidigungsposten, Bewässerungsanlagen, Stallungen, Lager. Die Stadt war einst größer als Rom oder Bagdad oder Istanbul. Heute ist sie das größte Ruinenfeld Indiens. In seiner Bedeutung vergleichbar mit Angkor in Kambodscha. Doch von unserem Aussichtspunkt ist nicht viel davon zu sehen. Lediglich das kleine Dorf Hampi Basar taucht in einiger Entfernung zwischen die Palmen auf.
Don›t worry, be Hampi
An den Ghats unten am felsigen Flussufer, dort wo die Piratenfähre liegt, paddeln Einheimische in kleinen, runden Bambusbooten im Wasser. Dorfbewohner baden im Fluss. Ein paar Schritte entfernt schlagen Waschfrauen Seifenlauge aus bunten Stoffen. Und noch ein Stück weiter liegt der Tempelelefant Lakshmi im Wasser und wird von zwei Pflegern abgeschrubbt. Es ist nur ein kleines Stück bis ins Dorf Hampi Basar. Bauchladenverkäufer schleichen umher. Marktfrauen sitzen mit ihrer Ware auf der Erde. Ein paar heilige Kühe erfüllen ihre Aufgabe, vorhanden zu sein.
Reisebüros und Cafés haben sich auf die Bedürfnisse internationaler Reisender eingestellt. Restaurants servieren Pizza und Pommes, Burger und Sandwiches. Kioske verkaufen Toilettenpapier und Schokoriegel. Die Touristen haben ein kleines bisschen Wohlstand nach Hampi gebracht. Dennoch ist die Stimmung im Ort schlecht. Gier und Missgunst wachsen, hören wir von den Einheimischen. Besonders seit niemand mehr weiß, ob morgen nicht schon das gesamte Hab und Gut abgerissen wird.
Der Rausch gehört zu Hampi. Sadhus, die Bettelmönche des Subkontinents, sind hier zuhause. Die wilden Männer mit ihren verfilzten Haaren leben zu Dutzenden in den Höhlen rund um Hampi. Dort üben sie sich in Askese und Meditation oder berauschen sich am Ganja, je nach dem.
Rucksackreisende auf Sinnsuche fühlen sich erst dann angekommen, wenn ihre Gedanken so psychedelisch bunt sind, wie die Batik T‑Shirts mit Shiva und Ganesh, die auf der Straße verkauft werden. Sie nennen es Selbsterfahrung, was ihnen offenbar besonders gut in der Gruppe und einem Cocktail aus Rum, Bier und Marihuana gelingt.
Von einer Terrasse schauen wir in den Garten unserer Unterkunft. Ein paar Meter weiter sitzt eine Israelin aus der Generation unserer Eltern. Jeden Morgen, wenn die Temperaturen noch erträglich sind, führt sie eine kleine rote Bong an den Mund. So beginnen planlose Tage. Wenig später klimpert sie auf einer Klangschale. Frei sein, high sein.
Am Abend haben wir neue Nachbarn. Noch bevor wir Hallo sagen können, sind die beiden Russen schon betrunken. Sie torkeln glucksend umher, verfehlen ihre Hängematte und purzeln, als sie doch zufällig in die Aufhängung fallen, schnell wieder heraus. Sie kotzen über die Veranda und liegen nach intensiven Momenten gekrümmt und nicht mehr ansprechbar auf dem Betonboden vor ihrem Zimmer.
Wir ziehen uns zurück. Doch die Nächte werden nicht ruhiger. Fünf junge Hunde, die tagsüber träge vor unserer Tür rumhängen, werden nachts an gleicher Stelle aktiv: kauen, klauen und zerlegen sind ihre Lieblingsbeschäftigungen, weshalb die Terrasse jeden Morgen aussieht als seien über Nacht mehrere Müllbeutel explodiert. Unsere Schuhe sind weg, dafür haben wir anderthalb neue Paare. Treudoofe Blicke verfolgen uns, als wir unsere Latschen im Blumenbeet wiederfinden. Die Köter sind vermutlich ein bisschen stolz auf ihr Werk. Don›t worry, be Hampi.
In den Ruinen einer vergessenen Stadt
Mittendrin in Hampi Basar steht der Virupaksha-Tempel. Seit Jahrhunderten kommen Pilger aus ganz Südindien hierher, um an dieser historischen Stätte Shiva anzubeten. Ein etwa fünfzig Meter hoher Tempelturm ragt über den Gläubigen empor. In bunten Saris schlackern einheimische Frauen durch die beiden Innenhöfe. In den schattigen Gängen des Tempels verbringen sie die heißen Mittagsstunden und manchmal lassen sie sich vom Tempelelefanten Lakshmi für ein paar Rupien segnen.
Doch Hampis wichtigstes Kleinod liegt etwas außerhalb; vorbei am Virupaksha-Tempel, vorbei an der alten Marktstraße. Nordöstlich von Hampi Basar erhebt sich der Vitthala-Tempel am Ufer des Flusses. Errichtet im 15. Jahrhundert gilt er als der architektonische Höhepunkt im Vijayanagar-Reich. Er ist in all seiner Pracht dem Gott Vishnu und seinem Reittier, dem Fabelwesen Garuda gewidmet. Sonore Granitsäulen in seinem Inneren lassen Tonleitern erklingen. Im Innenhof des Tempels steht ein reich verzierter, in Indien einzigartiger, steinerner Tempelwagen.
Die archäologische Stätte Hampi ist vollgepackt mit historischen Bauten – mal sakral, mal säkular, aber immer anschaulich. Zwischen Palmenwäldern, Felsen und Feldern erheben sich die Überreste alter Tempel und Pavillons. Es ist nicht schwer, sich in der herrlichen Landschaft zu verlaufen. Ehe wir uns versehen, versperrt ein Wasserbüffel unseren Weg. Wir versuchen uns zu orientieren und laufen schließlich aufs Geratewohl weiter. Zu schön ist es hier, als das die kürzeste Strecke eine Option wäre.
Auf dem Hemakuta Hügel, der sich hinter dem Virupaksha-Tempel erhebt, stehen Tempel und Schreine, die viel älter sind als das Vijayanagar-Reich. Hier beten die Hindus schon seit dem neunten Jahrhundert ihre Götter an. Ganesh gehört natürlich dazu. Der Elefantenkopfgott sitzt hinter dem Hügel in einem Pavillon mit groben Säulen, die seinem dicken Bauch gerade so Platz lassen.
Drei Kilometer weiter südlich stehen die Überreste der ehemaligen Palastbauten der Königsfamilie. Von den meisten Gebäuden sind nur noch die Grundmauern geblieben. Nur wenige Bauwerke ragen wie Skelette ihrer selbst empor. Da stehen verfallene Wachtürme, gewaltige Elefantenstallungen und Gartenpavillons. Von hoch aufragenden Podesten betrachtet der König einst imposante Paraden, lässt sich von Musik und Tänzerinnen betören oder von Kämpfen belustigen: Mann gegen Mann, Elefant gegen Elefant.
Im königlichen Palasttempel sind die Wände detailreich mit Szenen aus der hinduistischen Mythologie verziert. Die altindischen Legenden aus der Ramayana tauchen immer wieder auf. Aber es sind nicht nur Mythen abgebildet. Viele Reliefs im alten Vijayanagar sind antike Comicskripte. Sie zeigen das Leben am Hof, erzählen von Tänzerinnen mit melonengroßen Brüsten und breiten Hüften, von Kriegern und wilden Elefanten, vom tanzenden Gott Shiva. Wir schlendern die verzierten Mauern entlang, verlieren uns in den Bildergeschichten vergangener Jahrhunderte.
Manche Szenen sind hochgradig erotisch. Unbekleidete Frauen spreizen die Beine, öffnen ihre Scham. Daneben legen nackte Männer selbst die Hand an sich. Öffentliche Pornographie die Epoche für Epoche überdauerte. Wie konnte aus so freizügigen Bildhauern und Wandgestaltern die prüde indische Gesellschaft der Gegenwart werden in der die Menschen selbst beim Baden vollbekleidet sind? Mit einem Roller fahren wir durch die malerische Landschaft. Schweiß steht uns auf der Stirn. Es ist unglaublich heiß, klebrig feucht. Zuckerrohrfelder und Bananenplantagen säumen den Weg. Reis wird großflächig angebaut. Palmen ragen empor. Hunderttausende wild umherliegende Granitbrocken brechen die klare Ordnung der Vegetation.
Die Legende von Hanuman
Nördlich des Flusses Tungabhadra erhebt sich der Hügel Anjanadri. Auf seiner Kuppe steht ein kleiner weißer Tempel. Er ist dem Affengott Hanuman geweiht, der als General die mächtigste Primatenarmee befehligte, die je durch die Baumkronen dieser Erde tobte. Ein steiler Pfad führt mit 578 Stufen auf den felsigen Hügel. Dort oben turnen Makaken über das unwegsame Gelände. Ohne Scheu klettern sie auf die Schultern und Köpfe der Tempelbesucher, stibitzen Wasserflaschen. Ungeniert geben sie sich jedem Unfug hin. Hier sind sie zuhause.
Alte Legenden erzählen vom Königreich Kishkindhya, das hier einst in einem gigantischen Wald lag. Hanuman soll auf dem Hügel Anjanadri geboren sein. Er ist Berater, Kriegsherr und Botschafter seiner Könige. Ein wackerer Recke, gutmütig und loyal, unermesslich stark und schnell wie der Wind. Außerdem kann Hanuman fliegen und seine Größe nach Bedarf verändern. Ein richtiger Superheld. Neben Shiva und Ganesh ist Hanuman einer der beliebtesten Götter in ganz Indien. Vor allem Angehörige der unteren Kasten, Bedienstete und Angestellte verehren ihn.
Hanuman verkörpert das Ideal eines Dieners. Er ist opferbereit, unerschrocken, demütig und gehorsam. Im Heldenepos Ramayana wird er zum treuen Helfer des Gottes Rama, der gegen den Dämon Ravana in den Krieg zieht, um seine Frau Sita zu retten. Die Geschichte kennt bis heute jedes Kind in Indien. Unter der Führung Hanumans stellt Rama eine Affenarmee der besten und stärksten Kämpfer zusammen. Jeder will dabei sein, wenn es gegen den Dämon in die Schlacht geht und zum Beweis ihrer Muskelkraft verstreuen die Affenkrieger überall gigantische Felsen, stapeln sie zu mächtigen Türmen übereinander.
Der legendäre Wald ist nicht mehr da, aber die von den Affen hin und her geworfenen Granitblöcke liegen noch immer in der Landschaft. Vom Anjanadri Hügel mit dem Hanuman-Tempel öffnet sich eine fantastische Aussicht auf Reisfelder und Palmen und Felsbrocken, die unwirklich mitten aus dem dichten Grün herausragen. Die Makaken schlendern noch immer um den Tempel. Im Land Hanumans haben sie nichts zu befürchten. Entspannt hocken sie in unserer Nähe und weil wir ihnen irgendwann zu langweilig werden, genießen auch sie den Blick in die Ferne.
Rund um Hampi lässt es sich aushalten. An der irren Landschaft können wir uns kaum sattsehen. Faule Tage, gleißende Sonnenuntergänge und imposante Ruinen verführen nicht nur uns. Kaum jemand entkommt diesem Bann. An den Felsen hinter Hampi Basar hängen Kletterer an schroffen Wänden. Sie nutzen die weniger heißen Morgenstunden. Danach geht es zum Baden an den nahen Sanapur See oder gemütlich in die Hängematten. Es könnte herrlich sein. Doch neben der Leichtigkeit liegt die Ungewissheit. Wie es mit Hampi Basar weitergeht, liegt in den Sternen. Vielleicht vermag ja Hanuman zu helfen.
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