Hamburgmüde im Wendland

Som­mer 2016. In Ham­burg wird gebaut. Über­all gleich­zei­tig, seit Mona­ten schon. In Alto­na ent­steht ein neu­es Vier­tel, in Eims­büt­tel ist die Oster­stra­ße Groß­bau­stel­le, in der Innen­stadt rei­ßen sie den Gän­se­markt auf. Über­all häm­mern Press­luft­ham­mer, krei­schen Kreis­sä­gen, zwän­gen sich Men­schen genervt an Absper­run­gen vor­bei.

Ich bin groß­stadt­mü­de gewor­den. Zum ers­ten Mal in sechs Jah­ren habe ich Ham­burg satt. Mit den Bau­stel­len fängt es an. Dann gehen mir – noch mehr als sowie­so schon immer – die grö­len­den Men­schen in den S- und U‑Bahnen auf den Geist. Auf die ist Ver­lass bei jedem Event und jeden Frei­tag- und Sams­tag­abend Rich­tung Ree­per­bahn. Irgend­wann ist es mir ein­fach über­all zu voll. In den Geschäf­ten. Auf den Stra­ßen. In den Beach Clubs, in denen man vor lau­ter Gäs­ten den auf­ge­schüt­te­ten Strand­sand nicht mehr sieht.

Einladung in ein Hotel im Wendland

In die­ser Zeit bekom­me ich eine E‑Mail: Es gebe da ein Hotel im Wend­land, das gern mit Blog­gern zusam­men­ar­bei­te. Ein Bio-Hotel, am Rand des Göhr­de-Wal­des gele­gen, mit öko­lo­gisch durch­dach­tem Kon­zept und krea­ti­ver Küche. Ide­al für eine kur­ze Aus­zeit. Ob ich nicht Lust hät­te? Habe ich! Zumal ich dort noch nie gewe­sen bin. Ich könn­te nicht ein­mal sagen, wo genau es liegt, die­ses Wend­land.

Jeden­falls ist es von Ham­burg nicht weit: Kei­ne andert­halb Stun­den bin ich mit mei­ner Freun­din Maja am letz­ten August­wo­chen­en­de zum Hotel „Ken­ners Land­lust“ unter­wegs. Ein schö­nes, gel­bes Fach­werk­haus mit gemüt­li­cher Wohn- und Tee­kü­che, mit einem Kamin­zim­mer und vol­len Bücher­re­ga­len.

Hin­term Haus erstreckt sich eine Wie­se. Einen Hoch­sitz gibt es hier, einen Spiel­platz mit Schau­keln, noch dazu eine Hän­ge­mat­te und Lie­ge­stüh­le unter Apfel­bäu­men. Gleich dahin­ter beginnt der Göhr­de-Wald.

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Grün, so weit das Auge reicht. Wir früh­stü­cken gut gelaunt drau­ßen und machen uns dann auf den Weg in den Wald.

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Stille und Schmetterlinge in der Göhrde

Die Göhr­de, lese ich spä­ter, ist das größ­te zusam­men­hän­gen­de Misch­wald­ge­biet Nord­deutsch­lands. Dra­ma­tisch schö­ne Lich­tun­gen war­ten hier auf uns. Fel­der mit wild wach­sen­de Son­nen­blu­men, von Bäu­men ein­ge­rahmt. Vor allem aber: abso­lu­te Stil­le. Vogel­stim­men und Wip­fel­rau­schen aus­ge­nom­men.

Zwei Stun­den lang begeg­net uns, außer einem Paar, kein Mensch. Dafür umso mehr Schmet­ter­lin­ge. So vie­le habe ich noch nir­gend­wo zuvor gese­hen.

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So ent­span­nend die Natur, so ent­spannt sind hier die Men­schen. Ihr Ver­trau­en bekommt man ohne Vor­leis­tung. Zum Bei­spiel in unse­rem Hotel: Im „Ken­ners Land­lust“ schreibt man Extra-Geträn­ke selbst an und zahlt spä­ter. Gäs­te dür­fen das klei­ne, gepfleg­te Schwimm­bad ein paar Meter die Stra­ße hin­auf benut­zen. Tags­über ste­hen sei­ne Türen offen. Sie müs­sen sich nir­gend­wo mel­den, sie tre­ten ein­fach ein. Im Wend­land wohnt der Arg­wohn nicht, scheint uns.

Ein Ort, an dem die Welt noch in Ordnung zu sein scheint

Und dann ist da noch Nie­per­fitz.

Andert­halb Kilo­me­ter ent­fernt liegt die­ser Orts­teil der Gemein­de Nah­ren­dorf – und wird wenig spä­ter unser Inbe­griff für Idyl­le, für hei­le Welt und Bul­ler­bü. In Nie­per­fitz ist Stra­ßen­fest, steht auf dem Fly­er am schwar­zen Brett im „Ken­ners Land­lust“.

Wir füh­len uns sofort will­kom­men. Jeder, wirk­lich jeder, lächelt uns im Vor­bei­ge­hen an. Haben die sich abge­spro­chen? Ein­hei­mi­sche klö­nen und ver­kau­fen neben­bei Kuchen und Limo, Spiel­sa­chen und Klei­dung. „Wie viel kos­tet der Sei­den­rock?“, fra­ge ich eine jun­ge Frau. „Och“, winkt sie ab und lächelt, „bloß ’ne klei­ne Spen­de.“ Maja und ich spie­len ein paar Run­den an einem Tisch­ki­cker am Weges­rand. Spä­ter set­zen wir uns mit einem Stück Kuchen in die Son­ne und las­sen den Frie­den auf uns wir­ken.

Freiluftkino, Dorfstyle

Das High­light hier ist das Frei­luft­ki­no: Auf einem Feld kurz vorm Orts­aus­gang steht eine statt­li­che Lein­wand auf einem Heu­wa­gen, davor ein paar Stuhl­rei­hen und Bän­ke. Gut fünf­zig Leu­te kön­nen hier sit­zen. Heu­te Abend zei­gen sie „Bekas“.

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Die Son­ne ist gera­de unter­ge­gan­gen, als wir in der zwei­ten Rei­he Platz neh­men. Wir kom­men uns vor wie in einem kiti­schi­gen ZDF-Film, so per­fekt ist die Kulis­se, so lie­be­voll alles hier her­ge­rich­tet. An der Sei­te steht ein Wagen mit Geträn­ken. Bier, Cola, alles da. Ver­langt wird auch hier­für nur eine klei­ne Spen­de. Eine Blech­büch­se hängt für die Mün­zen bereit.

All­mäh­lich macht uns die nie enden­de Herz­lich­keit schwach. Wir wer­fen uns kopf­schüt­telnd Bli­cke zu. „Jetzt zün­den sie auch noch Wind­lich­ter an!“, sagt Maja. „Jetzt ver­tei­len sie auch noch kos­ten­los Pop­corn!“, füge ich hin­zu.

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Wäh­rend der Heim­fahrt am nächs­ten Tag hören wir Radio. An einer Ampel kom­men die Nach­rich­ten aus der Stadt. Irgend­wo ist kilo­me­ter­lang Stau. Irgend­wo haben Unbe­kann­te einen Super­markt über­fal­len. Maja hält sich auf dem Fah­rer­sitz die Ohren zu und schließt die Augen. „Nie­per­fitz! Nie­per­fitz! Nie­per­fitz!“, ruft sie gegen den Spre­cher an.

Wir beschlie­ßen, irgend­wann mal wie­der ins Wend­land zu fah­ren. Viel­leicht zum nächs­ten Stra­ßen­fest in Nie­per­fitz.


Vie­len Dank an das Bio-Hotel „Ken­ners Land­lust“ für die Ein­la­dung! Mei­ne Ansich­ten hat sie nicht beein­flusst.


Nach­trag: Mich hat Kri­tik zu die­sem Text erreicht. Er gebe ein ver­klär­tes Bild des Wend­lands wie­der, der Bul­ler­bü-Ver­gleich sei unan­ge­mes­sen. Ich neh­me die Kri­tik gern an. Ich habe auf­rich­tig und ehr­lich den Ein­druck fest­ge­hal­ten, den ich bei mei­nem Besuch in ledig­lich zwei Tagen an ledig­lich zwei Orten gewon­nen habe. Der Ver­gleich bezog sich nur auf Nie­per­fitz wäh­rend eines Stra­ßen­fes­tes. Mein Bei­trag erhebt nicht den Anspruch, die gesam­te Regi­on poli­tisch und struk­tu­rell zu erfas­sen – das könn­te ich nicht, denn mehr habe ich vom Wend­land nicht ken­nen gelernt. „Bul­ler­bü“ gilt so vie­ler­orts nicht, das neh­me ich zur Kennt­nis. Es hat sich mir aber ein klei­ner Teil der Regi­on in kur­zer Zeit so dar­ge­stellt.

 

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Antworten

  1. Avatar von Pauli

    Hey, ihr Ent­de­cker! Ich lie­be Ham­burg und wenn Eure Rei­se mal dort­hin geht, kann ich euch die­se güns­ti­gen Unter­künf­te direkt in der City emp­feh­len:
    https://www.monteur-zimmer-hamburg.com/
    Ein­fach mal rein­schau­en und gute Rei­se!
    Pau­li

  2. Avatar von feli

    Hal­lo Susan­ne,

    Es klingt so wun­der­voll! Ich habe Freun­de aus dem Wend­land und kann dir nur zustim­men – auch mir hat es sehr gut gefal­len 🙂 Bestimmt wirst du dort jetzt öfter hin­fah­ren oder?

    ganz lie­be Grü­ße aus Argen­ti­ni­en
    feli

    1. Avatar von Susanne Helmer

      Hi Feli,

      durch­aus mög­lich, es bie­tet sich an von Ham­burg aus. 🙂

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