Guatemala: Willkommen in der Gegenwart

Eine Woche lang bin ich wei­nend durch Pana­ja­chel gelau­fen. Stun­den­lang habe ich auf dem Steg unten am Atit­lan­see geses­sen und den Vul­kan durch den Schlei­er mei­ner Trä­nen ange­starrt. Ihm war’s egal. Die Leu­te im Dorf spra­chen mich an. Was war los mit die­ser Grin­gui­ta, war­um wein­te sie fort­wäh­rend? Sie trös­te­ten mich und luden mich ein zu hei­ßer Scho­ko­la­de mit Honig. Und das half. Das vie­le Wei­nen hat­te die schwar­zen Schat­ten weg­ge­spült. Am Ende fühl­te ich mich frisch und stark.

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Man sagt, Erleb­nis­se, die an star­ke Emo­tio­nen gekop­pelt sind gera­ten nie in Ver­ges­sen­heit. Und nun, 35 Jah­re spä­ter, irre ich durch die Stras­sen von Pana­ja­chel und erken­ne nichts wie­der. Gleich­wohl sind die Erin­ne­run­gen von damals so leben­dig, als sei das Ges­tern gera­de erst ins Heu­te geflos­sen: ich sehe die unge­pflas­ter­te Stras­se, die ein­zi­ge, die run­ter zum See führ­te. Ich sehe den Steg wo ich geses­sen habe.

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Ich erin­ne­re einen schma­len Pfad, den ich jeden mor­gen durch die Mais­fel­der am See­ufer ent­lang zu einer Maya-Fami­lie außer­halb des Ortes lief. Dort hat­ten sie ein paar Fel­der, ein paar Hüh­ner und Schwei­ne. Seit­dem Maria mir das Weben bei­brach­te war ich ruhi­ger gewor­den. Unse­re Web­stüh­le waren oben an einem Baum befes­tigt und so saßen wir neben­ein­an­der, still arbei­tend und mein Geist kam zur Ruhe ange­sichts der vie­len fei­ne Fäden, die mei­ne Hän­de zu zäh­men hat­ten. Ich erin­ne­re den Geruch des Was­sers, sein Glu­ckern, das knis­tern­de Geräusch von bren­nen­dem Holz wenn Maria Tor­til­las mach­te. Wäh­rend wir web­ten hat­te ich Maria die gan­ze Geschich­te von der ver­lo­re­nen Lie­be erzählt. Ich weiß, sie hat nichts ver­stan­den aber sie hör­te mir zu wie kein ande­rer.

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Chris­ti­an und ich waren 7 Jah­re lang ein Paar und fast ein Jahr lang sind wir zusam­men durch Süd-und Mit­tel­ame­ri­ka gereist. Man sagt, Rei­sen schweißt zusam­men. Die Wahr­heit ist: es kann auch aus­ein­an­der schwei­ßen. Wer reist, reist auch inner­lich und am Ende ist er nicht mehr der­sel­be. Plötz­lich sieht er die Din­ge anders, man­ches wird wich­tig was vor­her kei­ne Bedeu­tung hat­te.

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Chris­ti­an war vor und wäh­rend der Rei­se unser Finanz­mi­nis­ter. Er konn­te spa­ren wie ein Fuchs, führ­te Buch über jedes Brot das wir kauf­ten. Ich war froh, dass er das über­nahm, denn ohne sei­ne Pfen­nig­fuch­se­rei wäre die Rei­se wahr­schein­lich nie zustan­de gekom­men.

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Aber wäh­rend er an jedem Ort, den wir besuch­ten, die Prei­se der feil­ge­bo­te­nen Waren ver­glich mit jenen die wir hier oder dort gese­hen hat­ten, die Schau­fens­ter­aus­la­gen stu­dier­te und Pro­zen­te aus­rech­ne­te, schwärm­te mei­ne deut­sche Roman­ti­ker­see­le von Natur­er­leb­nis­sen, ver­zwei­fel­te an den Bett­lern in den Stras­sen und am Gestank von Krank­heit und Elend.

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In Gua­te­ma­la war es dann soweit. Wir trenn­ten uns. Wir ver­ab­schie­de­ten uns. Ich blieb in Pana­ja­chel und trau­er­te.

Aber jetzt, fünfund­rei­ßig Jah­re spä­te fin­de ich nichts von alle­dem wie­der. Mei­ne Erin­ne­run­gen und die­ser Ort schei­nen nichts mit­ein­an­der zu tun zu haben. Wo einst ein klei­nes Dorf am See war, fin­de ich 35 Jah­re spä­ter ein Spin­nen­netz von gepflas­ter­ten Stras­sen mit end­lo­sen Sou­ve­nir­stän­den rechts und links. Ver­geb­lich suche ich das Cafe wo ich früh­stück­te, die Pen­si­on, den Steg am See wo ich so vie­le Stun­den ver­brach­te. Nichts von alle­dem erken­ne ich wie­der.

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Unten am See ste­hen ver­sun­ke­ne Häu­ser. Viel­leicht gehör­ten sie denen, die damals beschlos­sen ihren Ruck­sack abzu­le­gen und hier zu blei­ben. Jetzt hat der See ihre Häu­ser geschluckt.

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Die Ein­hei­mi­schen sagen, der See atme. Fünf­zig Jah­re stei­ge der Was­ser­spie­gel und fünf­zig Jah­re sin­ke er dann wie­der erklärt mir ein Fischer. Des­halb bau­en sie ihre Häu­ser wei­ter oben am Berg. Nichts ist geblie­ben wie ich es in Erin­ne­rung habe, nicht ein­mal der Was­ser­stand.

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Ich neh­me ein Boot und fah­re zurück zu mei­ner Unter­kunft in Lagu­na Lodge. Gebaut, wie die Lehm­hüt­ten der Ein­hei­mi­schen. Deko­riert mit alten Web­stof­fen, anti­ken Möbeln und Kunst­ge­gen­stän­den. Solar­zel­len auf dem Dach.

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Bewähr­te indi­ge­ne Tra­di­ti­on ver­eint mit den Errun­gen­schaf­ten der Moder­ne. Vor 35 Jah­ren wäre das undenk­bar gewe­sen. Ich set­ze mich auf den Steg setz­te und schaue eine gan­ze Wei­le auf das Was­ser und den Vul­kan. Mein Frust ver­flüch­tigt sich lei­se und zum ers­ten Mal spü­re ich – wie damals – die Magie des Atit­lan Sees.

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Ich atme tief ein und neh­me den Moment dank­bar in mir auf. Das ist es. Das Jetzt. Wenn ich wie­der­kom­me, ist es weg. Es war ein­mal die Ver­gan­gen­heit. Will­kom­men in der Gegen­wart.

 

 

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Antworten

  1. Avatar von Martina

    Hal­lo Git­ti, dan­ke für dei­nen wun­der­ba­ren Bericht. Mit viel Herz geschrie­ben. Wir über­le­gen, ob wir nächs­tes Jahr an den Atit­lan See fah­ren. Wür­de mich schon sehr rei­zen. Vie­le Grü­ße, Mar­ti­na

  2. Avatar von Sally

    Dan­ke Git­ti! Das machen wir! Schön, dass ihr noch Freun­de seid. Wenn Du Lust auf Mit­rei­sen hast: http://www.ersieweltreise.de – hän­gen gera­de in Anti­gua fest. Auch mal schön: All­tag auf Welt­reie. Wir ler­nen Spa­nisch. Has­ta lue­go!

  3. Avatar von Sally

    Lie­be Git­ti!
    Dein Text berührt mich sehr, wun­der­bar von Her­zen geschrie­ben. Mein Freund und ich rei­sen seit sechs Mona­ten zusam­men. Wir genie­ßen das Geschenk, dass uns die Erleb­nis­se der Rei­se ver­bin­den. Nächs­te Woche wer­den wir an den See fah­ren und ich wer­de ganz fest an Dich den­ken! Alles Lie­be!
    Sal­ly

    1. Avatar von gitti

      Lie­be Sal­ly,
      Gibt es etwas Schö­ne­res für einen Autor als zu wis­sen dass sei­ne Tex­te berüh­ren? Ich glau­be nicht. Euch bei­den eine schö­ne Zeit. Übri­gens: auch wenn wir uns damals getrennt haben, wir sind bis heu­te Freun­de und reden noch oft über die gemein­sa­men erleb­nis­se der Rei­se. Das kann uns und euch kei­ner neh­men. Euch bei­den eine schö­ne Zeit am See. Fahrt mal nach San Pedro! Lie­be Grü­ße
      git­ti

  4. Avatar von Sam Arn via Facebook
    Sam Arn via Facebook

    Gross­ar­tig!

    1. Avatar von gitti

      dan­ke! ich freue mich wenn ich mit mei­nen tex­ten men­schen errei­che.

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