Gestatten, Greifswald

Frü­her war es so: Fuhr man von der A20 ab, um dann der Land­stra­ße in Rich­tung Greifs­wald zu fol­gen, emp­fing einen irgend­wann am Weges­rand ein Schild mit der Auf­schrift: „Gestat­ten Ost­vor­pom­mern“.

Den Land­kreis Ost­vor­pom­mern gibt’s schon lan­ge nicht mehr, er ging 2011 im Land­kreis Vor­pom­mern-Greifs­wald auf. Folg­lich ist auch das Schild mit sei­nem knap­pen Gruß Geschich­te. Und doch habe ich es bis heu­te klar vor Augen: schlich­tes Design, oben blau, unten grün; an kla­ren Som­mer­ta­gen füg­te es sich per­fekt in die Land­schaft ein, die es umgab.

Das weiß ich des­halb, weil ich aus Greifs­wald kom­me. Nach der Schu­le zog ich zum Stu­die­ren nach Ros­tock und nach dem Stu­di­um zum Arbei­ten nach Ham­burg. Frü­her kam ich öfter per Mit­fahr­ge­le­gen­heit zu Besuch und tauch­te „Gestat­ten Ost­vor­pom­mern“ am Stra­ßen­rand auf, war die Hei­mat nicht mehr weit.

Wobei mir die Wert­schät­zung für mei­ne Her­kunft damals fehl­te. Zu auf­re­gend war es, in einer grö­ße­ren Stadt zu woh­nen, in der man S‑Bahn fuhr, in der es mehr als nur ein Kino gab (und eines, das Fil­me im Ori­gi­nal­ton zeig­te), in der ich nicht jeden Stein und so vie­le Gesich­ter schon kann­te. Ver­gli­chen mit Ros­tock erschien mir Greifs­wald unbe­deu­tend. Ver­gli­chen mit Ham­burg war mei­ne Hei­mat­stadt ein Dorf.

Unterwegs in Greifswald: immer mit dem Rad

Dabei war es wun­der­bar, in Greifs­wald auf­zu­wach­sen. Fast über­all bin ich als Kind und Tee­nie mit dem Fahr­rad hin­ge­fah­ren. Vom Neu­bau­vier­tel Schön­wal­de II bis ins Zen­trum mit sei­nen Kopf­stein­pflas­ter­stra­ßen. Unter den Bäu­men hin­durch, die den „Wall“ säu­men, und auf ihm an der Alt­stadt vor­bei. Quer über den Markt­platz mit sei­nen hüb­schen Gie­bel­häu­sern und dem roten Rat­haus. Immer am Ufer des Ryck ent­lang zum Strand­bad in Elde­na. Durch das Fischer­dorf Wieck, einen Orts­teil der Han­se­stadt, an des­sen Ende eine Mole in den Greifs­wal­der Bod­den ragt.

An Sams­tag­aben­den fuhr ich oft zum Men­sa­club. Der spiel­te die Musik, die damals bei Viva 2 lief, und war der place to be, als ich 18 war.

Greifswald macht aus sich selbst kein Spektakel

Ob er das heu­te noch ist? Man könn­te die vie­len jun­gen Men­schen fra­gen, die gera­de in der Han­se­stadt stu­die­ren. Fast 11.000 sind es mitt­ler­wei­le, sie machen Greifs­wald zur jüngs­ten Stadt Meck­len­burg-Vor­pom­merns: Jede:r Vier­te der 58.000 Einwohner:innen ist heu­te zwi­schen 18 und 30 Jah­re alt. Und seit Jah­ren pflegt man zu behaup­ten, jun­ge Leu­te, die zum Stu­die­ren nach Greifs­wald zie­hen, wei­nen zwei­mal: Wenn sie ankom­men und wenn sie die Stadt wie­der ver­las­sen.

Skulp­tu­ren im Orts­teil Wieck

Abge­dro­schen, zwei­fels­oh­ne, aber heu­te glau­be ich das gern. So spo­ra­disch mei­ne Besu­che pha­sen­wei­se auch waren: Mit jedem Jahr, das ver­ging, fuhr ich ein biss­chen lie­ber ein paar Tage in die Hei­mat. Es ist sicher kein Zufall, dass ich die­sen Text aus­ge­rech­net jetzt schrei­be, da ich wei­ter weg kaum sein könn­te: Seit März 2019 lebe ich in Nepals Haupt­stadt Kath­man­du und den­ke öfter an mei­ne Geburts­stadt im Nord­os­ten Deutsch­lands, in der mei­ne Fami­lie bis heu­te lebt.

Wenn ich in Greifs­wald bin, lie­be ich das Feh­len von Hek­tik, die­se beson­de­re Ruhe, wenn man zum Bei­spiel am Vor­mit­tag durch die Innen­stadt spa­ziert und kaum mehr als die eige­nen Schrit­te auf dem Asphalt hört. Ich lie­be den rau­en Wind, die kla­re Luft und die Segel­boo­te, die wie gemalt im Muse­ums­ha­fen lie­gen. Ich lie­be Eis­essen auf dem Markt­platz, an dem es selbst an Markt­ta­gen äußerst ent­spannt zugeht. Kaum jemals gibt es hier Enge und Gedrän­ge. Wieck, mein liebs­tes Aus­flugs­ziel, ist selbst an son­ni­gen Wochen­end­nach­mit­ta­gen nicht über­lau­fen. Wür­de ich in Greifs­wald leben, ich wür­de so oft wie mög­lich auf ein Fisch­bröt­chen oder einen Kaf­fee in das ehe­ma­li­ge Fischer­dorf fah­ren – mit dem Fahr­rad, ver­steht sich.

Greifswald Wieck 2

Greifs­wald macht um sich selbst nicht viel Auf­he­bens. Die Stadt ist jung und stu­den­tisch, dabei aber nicht laut, nicht hip, nicht spek­ta­ku­lär. Es gibt kein Ramen und kei­ne Bud­dha Bowls, kei­nen Schnick­schnack und kein Chi­chi – aber viel von dem, was wirk­lich glück­lich macht. Das Schild, das Besucher:innen frü­her im Land­kreis Ost­vor­pom­mern begrüß­te, es wür­de bis heu­te auch am Orts­ein­gang der Han­se­stadt pas­sen. Gestat­ten, Greifs­wald. Damit wäre fast alles gesagt.

Tipps für einen Besuch in der Hansestadt

Greifs­wald ist sowohl Han­se- als auch Uni­ver­si­täts­stadt, bei­des prägt sie eben­so wie ihre Lage am Greifs­wal­der Bod­den, einer Bucht in der süd­li­chen Ost­see. Hier kom­men die Orte in Greifs­wald, die ich Rei­sen­den ans Herz legen möch­te.

Wieck und sein Wahrzeichen

Ein Aus­flug ins ehe­ma­li­ge Fischer­dorf Wieck ist für mich bei jedem Besuch ein Muss. Hier steht eines der Wahr­zei­chen der Han­se­stadt: die Wiecker Holz­klapp­brü­cke. Sie wird bis heu­te zur vol­len Stun­de mit­hil­fe einer Dreh­kur­bel per Hand auf­ge­zo­gen.

Greifswald Wieck

Hat man die Brü­cke über­quert, kann man die klei­ne Hafen­pro­me­na­de bis zur Mole ent­lang spa­zie­ren. Unter­wegs macht man am bes­ten Halt am „Reu­sen­haus“, um ein Fisch­bröt­chen zu essen. Das kommt im schlich­ten, aber knusp­rig-war­mem Auf­back­ba­guette daher, ist üppig belegt und schmeckt köst­lich. Sehens­wert sind auch die teils denk­mal­ge­schütz­ten Reet­dach­häu­ser in Wieck, von denen eini­ge an der Pro­me­na­de ste­hen. Mehr von ihnen fin­det man, wenn man links ins Dorf abbiegt. Auf der ande­ren Hafen­sei­te kann man den Fischern bei der Arbeit zuse­hen.

So rich­tig voll wird es im Orts­teil Wieck nur zum all­jähr­li­chen Fischer­fest Gaf­fel­rigg jeweils am drit­ten Wochen­en­de im Juli. Das größ­te mari­ti­me Volks­fest in Vor­pom­mern ist eine ech­te Tou­ris­ten­at­trak­ti­on: An drei Tagen kom­men etwa 50.000 Gäs­te nach Wieck und zum Muse­ums­ha­fen im Stadt­zen­trum. Tra­di­ti­ons­schif­fe lau­fen gemein­sam ein und aus, rund­her­um gibt es Fahr­ge­schäf­te, Büh­nen­shows und Sport­wett­kämp­fe.

Und wie kommt man nach Wieck? Von der Innen­stadt bie­tet sich ein Spa­zier­gang oder eine klei­ne Rad­tour über den „Trei­del­pfad“ an. Der Weg führt immer am Schil­fu­fer des Flus­ses „Ryck“ ent­lang, an Boo­ten und Ang­lern vor­bei.

Strand und Klosterruine in Eldena

Wenn man sich schon mal auf den Weg nach Wieck macht, ist man schnell auch im benach­bar­ten Orts­teil Elde­na. Hier ste­hen die Res­te eines Klos­ters, das im 12. Jahr­hun­dert von däni­schen Zis­ter­zi­en­ser­mön­chen gegrün­det wur­de. Die Klos­ter­rui­ne Elde­na war eines der Lieb­lings­mo­ti­ve des aus Greifs­wald stam­men­den Malers Cas­par David Fried­rich. Sie gibt bis heu­te ein star­kes Foto­mo­tiv ab.

Das Gelän­de ist frei zugäng­lich und die Kulis­se mit rot­brau­nen Back­stein­mau­ern und hohen Tor­bö­gen wird viel­fäl­tig genutzt: Es gibt eine Frei­licht­büh­ne, auf der Thea­ter­vor­füh­run­gen und Kon­zer­te statt­fin­den, allen vor­an die Elde­na­er Jazz Evenings am ers­ten Juli-Wochen­en­de.

Klosteruine Eldena in Greifswald

Im Orts­teil Elde­na befin­det sich außer­dem der Stadt­strand von Greifs­wald, das „Strand­bad Elde­na“. Seit 2019 ist hier der Ein­tritt frei. Das Strand­bad ver­fügt über Toi­let­ten, einen Kiosk, der Strand­kör­be ver­leiht, und einen Grill­platz. Da das Was­ser hier über vie­le Meter flach bleibt, ist ein Aus­flug hier­her eine wun­der­ba­re Unter­neh­mung mit Kin­dern. Wer aller­dings einen Ost­see­strand erwar­tet, wird ent­täuscht sein, es han­delt sich um eine klei­ne Bod­den-Bade­bucht.

Unterwegs in Greifswalds Altstadt

Greifs­wald ist berühmt für sei­ne gut erhal­te­ne his­to­ri­sche Alt­stadt und sei­ne drei Kir­chen: die St.-Marien-Kirche („Dicke Marie“), die St.- Jaco­bi-Kir­che („Klei­ner Jacob“) und den Dom St. Niko­lai („Lan­ger Niko­laus“).

Letz­te­rer hat einen 100 Meter hohen Kirch­turm mit Aus­sichts­platt­form auf etwa 60 Metern. Die 264 Trep­pen­stu­fen soll­te man ruhig mal hin­auf­stei­gen und den Blick auf die Bod­den­land­schaft und die Stadt genie­ßen. Von hier oben hat man einen guten Blick auf den Markt­platz mit sei­nen bun­ten Fas­sa­den und goti­schen Gie­bel­häu­sern.

Marktplatz

Direkt am Markt steht das Pom­mer­sche Lan­des­mu­se­um, unter ande­rem mit einer Gale­rie, in der auch Gemäl­de von Cas­par David Fried­rich hän­gen. Wer sich näher für den Maler – einen der bedeu­tends­ten aus der Zeit der Roman­tik – inter­es­siert, bekommt Infos und Füh­run­gen im Cas­par-David-Fried­rich-Zen­trum (Lan­ge Stra­ße 57).

Zu guter Letzt darf bei einem Stadt­rund­gang durch Greifs­wald der Muse­ums­ha­fen nicht feh­len, vom Markt­platz ist es dort­hin nicht weit (in Greifs­wald ist es sowie­so nir­gend­wo­hin „weit“). Der Muse­ums­ha­fen hat sich in den ver­gan­gen Jah­ren zu einer belieb­ten Fla­nier­mei­le mit schwim­men­der Gas­tro­no­mie ent­wi­ckelt. An sei­nem Ufer gibt es heu­te Rasen, Bän­ke und Stu­fen zum Sit­zen.

Museumshafen in Greifswald

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Antworten

  1. Avatar von Anne
    Anne

    Tat­säch­lich bin ich im März 2018 dort gewe­sen (nach 10 Jah­ren Abwe­sen­heit). Zusam­men mit mei­nem Mann, dem ich die Stadt schon ein­mal zei­gen konn­te, und auch mit mei­nen Kin­dern. Mir war es wich­tig, dass sie die Stadt ein­mal sehen, von der ich oft erzäh­le.
    Und im nächs­ten Jahr fah­ren wir zu Ostern hin, weil dann ein Fami­li­en­tref­fen statt fin­det. Da freu­en wir uns schon rie­sig.
    Lie­be Grü­ße!

  2. Avatar von Anne
    Anne

    Lie­be Susan­ne, dan­ke für dei­ne lie­be­vol­le Sicht auf Greifs­wald. Ich selbst bin dort gebo­ren, aber nicht auf­ge­wach­sen. Trotz­dem war ich als Kind jedes Jahr dort, um mei­ne Groß­el­tern zu besu­chen und noch heu­te den­ke ich zärt­lich und vol­ler Hei­mat­ge­fühl an die­se Stadt. Ich bin gedank­lich mit dir die Run­de durch die auf­ge­führ­ten Plät­ze gegan­gen und habe jede Zei­le genos­sen.

    1. Avatar von Susanne Helmer

      Lie­be Anne, ich habe mich sehr gefreut über Dei­nen Kom­men­tar, vie­len Dank! Und viel­leicht kommst Du ja bald mal wie­der nach Greifs­wald. Lie­be Grü­ße! Susan­ne

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