Ganz entspannt in Montevideo

Eines Mor­gens wache ich auf und das Wort „Mon­te­vi­deo“ liegt mir noch auf der schlaf­trun­ke­nen Zun­ge. ‚Mon­te­vi­deo. Ich muss unbe­dingt ein­mal nach Mon­te­vi­deo’ den­ke ich und gleich dar­auf: wo zum Teu­fel liegt das?’

 

IMG_7599

Weni­ge Wochen spä­ter sit­ze ich auf der Ter­ras­se eines Cafe’s mit­ten in der Alt­stadt von Mon­te­vi­deo, Haupt­stadt von Uru­gu­ay. Das Land hat­te ich auf der Welt­kar­te kaum aus­ma­chen kön­nen. Win­zig klein liegt es zwi­schen den bei­den Gigan­ten Bra­si­li­en und Argen­ti­ni­en. Des­we­gen habe ich es auf mei­nen zahl­rei­chen Latein­ame­ri­ka­rei­sen wohl immer über­se­hen und muss­te erst davon träu­men bevor ich es besu­che.

IMG_0297

Ich lau­fe durch die Stra­ßen, vor­bei an maro­den Häu­ser­fas­sa­den und füh­le mich ein wenig wie in Havan­na. Es weht ein Hauch von gemäch­li­cher Ver­gan­gen­heit durch die Gas­sen der Alt­stadt und von über­all sieht man das Meer. Mal ist es rechts, mal links, mal gera­de­aus. Denn die Alt­stadt liegt da wie eine Halb­in­sel. Bäu­me in ver­win­kel­ten Stra­ßen spen­den Schat­ten, Plät­ze mit Cafes und klei­nen Floh­märk­ten laden zum Ver­wei­len ein. Aber nur, wenn das Kreuz­fahrt­schiff kommt. Sonst herrscht hier Dorn­rös­chen­schlaf.

IMG_7570
IMG_7595 IMG_7572

Gäbe es einen Preis für die ent­spann­tes­te Groß­stadt in Latein­ame­ri­ka, Mon­te­vi­deo hät­te ihn sicher. Die Uhren ticken lang­sam, wenn über­haupt. Nie­mand rennt oder stresst sich. Autos hal­ten am Zebra­strei­fen; ja, sie hal­ten sogar ohne Zebra­strei­fen wenn Fuß­gän­ger über die Stra­ße wol­len. Das Trink­was­ser ist rein und zum ers­ten Mal esse ich in Süd­ame­ri­ka völ­lig unge­straft kna­cki­ge Sala­te, Smo­thies, Eis und ande­re unge­koch­ten Lecke­rei­en. Ohne hin­ter­her das Nach­se­hen zu haben. Mein Darm regt sich weder auf noch macht er dicht. Er ist, so wie die­ses Land, völ­lig ent­spannt.

IMG_0244

Am nächs­ten Mor­gen lau­fe ich am Meer ent­lang zum Strand nach Poci­tos, vor­bei an unauf­ge­reg­ten Leu­ten, die auf der Kai­mau­er sit­zen und Mate trin­ken. Vor, zwi­schen oder nach der Arbeit. Der Uru­gu­ay­er scheint die Per­so­ni­fi­zie­rung von Ruhe zu sein. Jeder ist wie er ist, nie­mand scheint sich um Mode oder Gad­gets zu sche­ren. Man(n) trägt beque­me Schu­he oder Flip­flops, locke­re Hosen, ger­ne halb­lang oder kurz, ein ein­fa­ches T‑Shirt oder Hemd dazu. Krava­tten sind Exo­ten in Mon­te­vi­deo.

IMG_0233

Kein Wun­der eigent­lich. Der bis März 2015 amtie­ren­de Prä­si­dent Pepe Muji­ca hat sich ganz offi­zi­ell als Krava­tten­has­ser geoutet, trägt San­da­len, wohnt in sei­nem klei­nen beschei­de­nen Lehm­häuss­chen, fährt einen uralten hell­blau­en VW-Käfer und gibt über 80% sei­nes Ein­kom­mens an sozia­le Ein­rich­tun­gen und poli­ti­sche Orga­ni­sa­tio­nen ab. Der Ex-Gue­ril­le­ro bezeich­net sich ger­ne selbst als „Erd­klum­pen mit zwei Füs­sen“ und liebt es in sei­nem Gar­ten zu bud­deln.

Abge­se­hen von der unspek­ta­ku­lä­ren Klei­dung trägt der Uru­gu­ay­er in der lin­ken Arm­beu­ge aus mir zunächst uner­find­li­chen Grün­den eine Ther­mos­kan­ne und in der rech­ten Hand einen Mate-Krug. Viel­leicht , den­ke ich, ist heu­te der Tag der Ther­mos­kan­ne oder so was? Ich fra­ge einen Uru­gu­ay­er am Kai. Ohne eine Mine zu ver­zie­hen ant­wor­tet er, die uru­gu­ay­ischen Babys wür­den mit einer klei­nen Ther­mos­kan­ne in der lin­ken Arm­beu­ge gebo­ren. Wenn nicht, wäre es kein Baby aus Uru­gu­ay. Spä­ter, wenn aus dem Baby ein Jugend­li­cher gewor­den ist, braucht er die Ther­mos­kan­ne näm­lich um Mate zu trin­ken. Von nun an trägt er links die Ther­mos­kan­ne und in der rech­ten Hand eine Kala­bas­se mit einem metal­le­nem Stroh­halm und dem anre­gen­den Mate­kraut. Jetzt wird mir auch klar war­um bei 34 Grad Hit­ze an den Kios­ken ein Schild hängt: ‚Hier hei­ßes Was­ser’. Tat­säch­lich brau­chen alle jeder­zeit Nach­schub für ihren Mate, egal ob im Bus, zu Fuß, auf dem Weg zur Uni, zum Strand oder zur Arbeit, ob jung oder alt. Zeit für Mate ist immer.

IMG_0214

Die zwei­te Lie­be des Uru­gu­ay­ers gilt –ich spre­che nicht vom Fuß­ball, denn das ist mehr als Lie­be- dem Fleisch. Fleisch in allen Varia­tio­nen, vom Rind, vom Schaf und am liebs­ten vom Grill oder aus dem eige­nen Ton-Ofen im Gar­ten und vor allem in rau­en Men­gen. Es ver­geht kein Tag an dem der Uru­gu­ay­er nicht Fleisch isst. Von glück­li­chen Rin­dern die ihr Leben auf fet­ten, grü­nen Wie­sen und in sal­zi­ger Mee­res­luft ver­bracht haben. 12 Mil­lio­nen Kühe auf 3 Mil­lio­nen Ein­woh­ner: da kann man schon was weg­put­zen.

IMG_0466

Beson­ders lus­tig ist des­halb fol­gen­de Bege­ben­heit, die ich in einem der öffent­li­chen Stadt­bus­se erlebt habe:

an einer Hal­te­stel­le steigt ein jun­ger Mann im Hip­pie­look ein, im Arm ein Bün­del von Zei­tun­gen. Er stellt sich vor, er sei Juan aus Spa­ni­en und hät­te gera­de ein Restau­rant auf­ge­macht in Mon­te­vi­deo.

Die Leu­te im Bus hören inter­es­siert zu.

Ein ganz ein gesun­des Essen gebe es dort. Und, ja, bit­te erschre­cken Sie nicht mei­ne Damen und Her­ren, es ist ein vege­ta­ri­sches Restau­rant.

Die Leu­te im Bus schmun­zeln.

Und er wis­se ja auch, dass man in Uru­gu­ay so ger­ne Fleisch esse, aber es sei wirk­lich gesün­der Gemü­se zu essen und er habe hier auch ein paar Rezept­samm­lun­gen mit­ge­bracht, vege­ta­ri­sche und auch vega­ne. Einer der Fahr­gäs­te hat schon die gan­ze Zeit sein Kichern unter­drückt, jetzt platzt es aus ihm her­aus und die Uru­gu­ay­er, obwohl sehr höf­lich und tole­rant, prus­ten alle los.

Der Bus brüllt vor Lachen, auch der Fah­rer kann sich kaum noch hal­ten. Juan aus Spa­ni­en lacht mit, was soll er machen, ein Ver­such war es wert.

IMG_7653

Über Muse­ums­be­su­che (alle gra­tis, ich bin einem sozia­lis­ti­schen Land), Thea­ter­vor­füh­run­gen (gra­tis), Kon­zer­te (spott­bil­lig) und Kar­ne­vals­ver­an­stal­tun­gen (spott­bil­lig oder gra­tis) ver­geht die Zeit tröpf­chen­wei­se. Eigent­lich könn­te ich wei­te­re vier Wochen in Mon­te­vi­deo blei­ben und wäre hin­ter­her top erholt. Aber es gibt noch viel zu ent­de­cken in die­sem klei­nen Land. Also packe ich mei­nen Ruck­sack und neh­me den Bus Rich­tung Nor­den.

es bröckelt der Putz an den Fassaden

Erschienen am



Antworten

  1. Avatar von Chrissy

    Wie gemein! Der Bei­trag hört ja auch, wenn er gera­de noch mal rich­tig span­nend wird. Wie ging die Rei­se denn wei­ter? Und was hast du noch alles gese­hen und erlebt? … Mein Fern­weh ist jetzt auf jeden Fall ange­sta­chelt.

    Lg aus dem Pas­sai­er­tal

    1. Avatar von Gitti Müller

      Chris­sy, ich woll­te nicht gemein sein (-; Fort­set­zung folgt. Als nächs­tes kommt ein span­nen­de Geschich­te über ein ehe­ma­li­ges Fischer­dorf in Uru­gu­ay, das sich die Rei­chen und Schö­nen unter den Nagel geris­sen haben. Die Fischer woh­nen jetzt im Nach­bar­dorf und lie­fern den Fisch für Shaki­ra und Rocke­fel­ler Jr.

      lie­be Grü­ße

  2. Avatar von Barbara
    Barbara

    Uru­gu­ay ist schon lan­ge eines mei­ner Sehn­suchts­zie­le – und nach die­sem Bei­trag und den Fotos noch viel mehr. Dan­ke dafür, das macht rich­tig Lust auf Mon­te­vi­deo und das Land.

    1. Avatar von Gitti Müller

      das freut mich! Die Rei­se lohnt sich. Viel Spaß!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert