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Es fing alles an, als ich in den Bus zum Stadion gestiegen bin. Wohin ich den möchte? Racing? Ja da hinten sitzt schon ein Racing Fan. Sein Name war Hannibal, lange graue Haare, Hut, des englischen mächtig und ein absoluter Glücksgriff für mich. Er hat sich auch sogleich neben mich gesetzt und angefangen zu erzählen. Eigentlich hat er die gesamten 3–4 Stunden unseres Zusammenseins nur erzählt. Keine Fragen gestellt. Keine Kommentare verlangt.
Racing Club, das ist neben Boca Juniors und River Plat Club Nummer drei aus Buenos Aires. Ehemaliger Weltpokal-Sieger, zwischenzeitlich abgestiegen in Liga zwei und bekannt für die größte Blockfahne der Welt. Ich wollte unbedingt ein Fußballspiel sehen in Buenos Aires. Die Entscheidung auf Racing fiel aufgrund des Spieplanes und weil ich einen Racing Fan beim Umtrunk in einer Kneipe kennengelernt hatte. Reine Bauchentscheidung.
Hannibal hat mir den Weg zum Stadion gezeigt. Ich war mir nicht sicher wieviel Hochstapler in ihm steckt. Er meinte, er hätte die erste Racing Blockfahne überhaupt entworfen. Aha. Und hat auch sonst recht viel erzählt. Drei Stunden vor Anpfiff standen wir dann an einem verschlossenen blauen Tor, er meinte ich solle einfach still sein, nichts sagen, er würde alles regeln. Wir sollten wohl irgendwohin, wo normalsterbliche keinen Zutritt hatten. Er klopfte am Tor, niemand machte auf. Schwätzer dachte ich, aber ein Netter. Mit uns vier Polizisten am warten. Die passierten fünf Minuten später das Tor, Hannibal und ich hinterher. Ich durfte also mit rein. Niedergelassen haben wir uns dann in einem kleinen Vereinshaus und dass es tatsächlich etwas speziell war mit dem Zutritt, hab ich spätestens gemerkt, als der Ordner vom Tor reinkam und zwei Gäste aufgefordert hat das Gebäude zu verlassen. Waren anscheinend nicht erwünscht.
Vor dem Stadion ging dann das Gesellschaftsspiel los. Hier eine Begrüßung, Marketing Chef, da ein Küsschen, ehemaliger Spieler, hier eine Bekanntschaft…eigentlich kannte er fast jeden da. Und er stellte sie mir nacheinander vor. „Nicht hingucken. Das ist Nummer 4.“ Nummer vier in der Hooligan Hierarchie der größten Fangruppe Guadia Imperial (mit einem schönen Pretorianer als Logo). Nummer vier war der Einäugige und das war kein Wortspiel. Ich bin ja mitlerweile recht schmerzfrei, was Menschen angeht und kann mich mit allen Typen umgeben. In Gegenwart von Nummer vier hab ich mich allerdings maximal Unwohl gefühlt.
Er war ein unscheinbarer Typ, wirkte oberflächlich freundlich, nicht sehr groß auch nicht unbedingt kräftig und das ist auch das ganze Problem an der Sache. Wenn sich jemand in solchen Hierarchien hochgearbeitet hat und keinen Körper eines Reeperbahn-Türsteher aufweist, dann steckt da was anderes dahinter und ich will mir nicht ausmalen, was er für ein Irrer sein muss. Hannibal hat nur vage Andeutungen gemacht. Das reichte mir.
Als ich einen Moment alleine dort rumstand hat er sich vor mich gestellt und mit mir geredet. Ich hab kein Wort verstanden. Ehe ich mich versah hat er mich „gebeten“ (mit freundlichen stössen, die keine Wiederworte zulassen) in die Ecke dort zu treten, wo ich dann auch sogleich umringt war von 4–5 Hools Marke Kleiderschrank. Allerdings hatte Nummer 4 eine solche Ausstrahlung, das ich diesen vier Jungs lieber Nachts in einer dunklen Seitenstraße im Boca Juniors-Dress über den Weg gelaufen wäre, als ihn hier vor mir stehen zu haben. „Documenta“ wolle er. Ich erklärte ihm wo ich wohne und das ich keinen Pass dabei habe. Er wollte mit mir zu unserem Haus gehen. „Amigo Amigo“, ja da hinten ist Hannibal. Er kam auch sogleich an und hat die Situation aufgeklärt. Ich weiß immernoch nicht, ob die checken wollten, dass ich sauber bin, oder es einfach nur ein Scherz war. Nummer 4 hatte einen sonderbaren Humor und offensichtlich Freude daran Menschen einen Schrecken einzujagen. Gehörte irgendwie zu seinem Wesen.
Nummer drei war dann auch meine persönliche Lebensversicherung. Netter fürsorglicher Typ. Hat aber wahrscheinlich auch schon für seinen Verein getötet. Man weiß es nicht. Das Gute war auf jedenfall, dass ich natürlich frei ins Stadion durfte und mitten im Herzen der Kurve stand. Ich hab mich das ganze Spiel auch keinen Zentimeter von den mir bekannten Gesichtern wegbewegt. Nummer 2 habe ich nur kurz gesehen. Der durfte nicht rein, hatte Stadionverbot. Nummer eins war nicht da. Wahrscheinlich durfte der nicht raus und sitzt im Gefängnis. Spekulation. „Private Dinge“ kommentierte Hannibal sein fehlen. Eine nette Truppe von Verrückten und Irren auf jedenfall.
In Minute zehn ging dann auch ordentlich die Post ab im Stadion. Grundsätzlich hängen das gesamte Spiel Blockfahnen und eine ausgewählte Gruppe steht auf den Geländern und hält sich an den Fahnen fest. Ich hab keine Ahnung was passiert ist, aber 3 Meter neben mir stand einer der älteren Hools auf dem Geländer und ein junger Kerl unter 18 kam an und hat ihn da runtergeholt. Der war natürlich mega sauer und hat sich den Jungen genommen und erstmal äußerst unschön zusammengeschlagen, bis Nummer 3&4 dazwischen gegangen sind. Damit war das aber nicht getan. 5 Minuten später kam der Jungspund wieder an. Wohl irgendwelche Revierkämpfe. Das Zweite mal hat er es aber nicht so dolle kassiert.
Mr. Geländer-Hool hat sich dann im weiteren Verlauf des Spiels noch mit einem größeren Brocken angelegt, war wohl ne Familienfede. Boxkampf, steckt vier üble Kopftreffer ein, blutüberströmt, steht aber wie ne Eins und ist total in Rage. Fordert Revanche, läuft zum Zaun, weil da mehr Platz ist und winkt seinen Kontrahenten zur nächsten Runde. Der bleibt aber stehen, Nummer 3&4 haben alle Mühe für Beruhigung zu sorgen. Sah nach gebrochener Nase aus und einem Cut an der Backe. Irgendwann Situation vorbei und alle wieder am Feiern.
Danach war mein Sensationsbedürfnis auch schon mehr als bedient. Ich hätte eigentlich nach Hause gehen können. War genug. Aber noch nicht das Ende. Zur Halbzeit hat sich ein Getränkemensch mit einem prall gefüllten Rack Coca-Cola in unsere Hool-Ecke verlaufen. Das war dann auch ein besonderes Schauspiel, wie auf einmal Anarchie ausbrach, mindestens 20 Leute auf den armen Cola Verkäufer zustürmten und einfach alles plünderten, was zu holen war. Pures Entsetzen in seinem Gesicht. Ja, frag mich mal, ich muss hier noch 45 Minuten mit den ganzen Verrückten Fußball schauen.
Dazwischen, Frauen, Mädchen in Fankleidung, Familien mit Babys. War eben durch und durch ein Familienblock. Blutüberströmte Typen die über kleine Mädchen drübersteigen, welche auf den Stufen Platz genommen haben. Sieht man auch nicht alle Tage. Nachdem ich am Spielende von Nummer 4 noch eine Seesack voll Blockfahne in den Rücken geworfen bekommen hab, der mich in eine Gruppe Hoolfreunde gerissen hat, hab ich dann auch recht bald das Weite gesucht. Dabei kann ich noch nichtmal sagen, ob das jetzt seine Art war Sympathie auszudrücken, oder als ein dezentes „Verpiss dich!“ gemeint war. Ist auch egal.
Rückfahrt dann noch in einem Fanbus. Alle höchst amüsiert einen Deutschen dabei zu haben. Mega Party im Bus, da auf der Rückbank ne komplette Samba Gruppe Platz gefunden hat. Trommeln, Singen, Cola mit Wein, Polizeieskorte (Heimweg führte durch das Boca Juniors Viertel) und ich durfte letztendlich aus dem fahrenden Bus springen und mitten über die größte Straßenkreuzung von Buenos Aires Richtung zu Hause laufen.
Fußball hier absolut verrückt. Wie auch die ganze Stadt. Großen Dank an Guardia Imperial, Hannibal und alle anderen Durchgeknallten für die Erfahrung. Fußball gespielt wurde übrigens auch. Hab nur nichts davon mitbekommen. Blockfahne lies keine freie Sicht zu, Stehplatz war eh in scheiß Position und Aufnahmefähigkeit war stark strapaziert. Racing gewann 2:0.
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