Dein Warenkorb ist gerade leer!
„If you come to Islamabad, don’t forget to give us a call!”, haben wir noch die Worte der Colonels und ihrer Familien im Ohr, als wir sie an unserem ersten Tag in Pakistan, hoch im Norden, treffen. Dieser Tag ist mittlerweile schon einen Monat lang her, ob sie sich wohl überhaupt noch an uns erinnern? Über WhatsApp schreiben wir der Nummer, die wir damals in Passu bekommen haben. Und tatsächlich! Wenige Minuten später lesen wir Qasims Antwort: „Nice to read from you, we have been waiting for you for many days :-).”
Es wird bereits dunkel, als uns der Colonel und sein Sohn Qasim in unserem Hotel abholen. Es war eine Punktlandung, rechtzeitig zurück nach Hause zu kommen, denn unser „schneller Ausflug“ nach Rawalpindi, um dort ein Mitbringsel für unsere Abendessenseinladung zu erstehen, war chaotischer als gedacht. Erst wurden wir von lauter geschlossenen Geschäften überrascht (Freitag!), danach von einem riesen Stau, in dem nichts mehr ging. Zum Glück konnten wir am Ende noch einen leckeren Kuchen auftreiben, um nicht mit leeren Händen dazustehen.
Doch statt gemütlich zwei Stündchen früher wieder im Hotel zu sein und vielleicht sogar noch duschen zu können, kommen wir erst zwei Minütchen vor dem Colonel und Qasim an und können nur noch schnell ein paar Sachen im Hotelzimmer ablegen, bevor es nun auch schon losgeht. Falls sie enttäuscht sind, dass wir ohne unser Gepäck kommen, lassen sie sich auf jeden Fall nichts anmerken. Über WhatsApp hatte uns Sohn Qasim eingeladen, mit Sack und Pack in ihr Gästezimmer zu ziehen. Und auch wenn uns dieses Angebot sehr freut, so wollen wir doch auch ein bisschen Privatsphäre und Rückzugsort haben und entschieden uns gegen ihre Einladung und für unser Hotel.
Wie lebt wohl ein Colonel der pakistanischen Armee im Ruhestand? Wir sind positiv überrascht von einem großen, schönen, gepflegten Haus mit Garten und einem Kinderspielplatz auf der anderen Seite eines kleinen Weges. Die Frau des Colonels, »my lady wife« wie er sie uns gegenüber immer nennt, öffnet uns strahlend die Türe, drei kleine Kinder drücken sich um ihre Beine. „My granddaughter and grandsons“, stellt sie uns die Kleinen vor. Während zwei der drei ängstlich das Weite suchen, ist der Jüngste der Unerschrockenste und lässt sich von uns sonderbar aussehenden Besuchern nicht einschüchtern.
Der Abendessenstisch ist bereits gedeckt und ich freue mich, viele Teller und Gläser zu sehen. Ich hatte vorab bereits überlegt, ob wohl die ganze Familie mit uns essen wird oder nur die Männer. Doch tatsächlich sitzen wir wenig später mit den drei Enkeln, Qasim und den Eltern am Tisch. Auch ihre Tochter Maryam mit dem wenige Wochen alten Baby setzt sich zu uns. Die Stimmung ist entspannt und der neben mir sitzende Abdullah gibt mir ohne Worte, aber mit unmissverständlichen Gesten zu verstehen, dass er noch mehr Hühnchen essen will.
Als die Türe aufgeht, bin ich im ersten Moment verwundert, eine komplett verschleierte Frau vor mir stehen zu sehen, die sich auf die andere Seite von Abdullah setzt. In perfektem Englisch stellt sie sich als Hajrah vor, Schwiegertochter des Colonels und Mutter von Abdullah. Wir unterhalten uns gut, sie ist mir direkt sympathisch. Trotzdem ist es komisch, sich länger mit einem Menschen zu unterhalten, von dem ich nur die Augen und sonst nichts sehen kann. Wenn sie lacht, bilden sich kleine Fältchen um die Augen und ihre Stimme verändert sich. Ansonsten kann ich mir ihr Gesicht nur vorstellen.
Als irgendwann das Essen verputzt und die Teller von einem stillen Jungen weggeräumt sind, klatscht der Colonel in die Hände. „They stay only two days in Islamabad. That gives us not much time to get the most out of it.” Und so wird über unseren Kopf hinweg nun generalstabsmäßig geplant, wie die kommenden zwei Tage verbracht werden können. Gemeinsam berät die Familie, was wohl besser ist: Ein Ausflug in die alte britische Hill Station Murree? Oder doch lieber ein Spaziergang in den Margalla Hills? Ein Besuch der Schah-Faisal-Moschee? Oder doch lieber ins Museum? Irgendwann schauen uns dann doch alle an und wir dürfen ein paar Wünsche äußern. Und so wird der Plan geschmiedet, am nächsten Tag die von den Briten gegründete Hill Station Murree zu besuchen.
Zum Abschied drückt uns die Frau des Colonels einen riesigen Obstkorb in die Hand. „We prepared it for you. For your room. Take it with you.” Es wurde also doch mit unserem Einzug ins Gästezimmer gerechnet. Ein etwas schlechtes Gewissen macht sich in mir breit. Aber so toll die Familie des Colonels auch ist, wir wussten schon vorab, dass sie sich gut um uns kümmern würden. Und das bedeutet in Pakistan: Keine Zeit alleine. So sind wir froh, diese Nacht in unserem eigenen Bett in unserem Hotelzimmer schlafen zu können und den nächsten Tag in Ruhe bei einem einfachen Frühstück zu beginnen.
Murree – Von Luftgewehren, Steinschleudern und der ersten Golfstunde unseres Lebens
Auf kurvigen Straßen fahren wir immer weiter hinein in die Berge nahe Islamabads, Qasim mit seinem Freund in seinem Kleinwagen entweder vor oder hinter unserem Auto. Dass Qasim noch gar keinen Führerschein hat, ist nicht so wichtig. Doch es sei gut, wenn er in der Nähe seines Vaters fahren würde, der könnte ihn zur Not aus einer Polizeikontrolle herausboxen, verrät er uns später.
Nach zwei Stunden Fahrt kommen wir in Murree an und biegen, wie hätten wir anderes erwarten können, auf den Parkplatz des Golfplatzes des pakistanischen Militärs ab. Neben uns ist auch eine befreundete Familie der Colonels zum Ausflug eingeladen, deren Männer ebenfalls beim Militär arbeiten.
Die Frau des Colonels, »my lady wife«, schiebt mich freundlich, aber bestimmt vor sich her und während Sebastian mit den Männern draußen auf der Terrasse des Clubhauses Platz nimmt, setzen wir Frauen uns drinnen an einen schon gedeckten Tisch. Das Essen läuft geschlechtergetrennt ab. Immerhin ist die Tochter des anderen Colonels auch dabei und ich bin überrascht, dass sie ihr Haar als einzige anwesende Frau (neben mir) nicht bedeckt hat. Als sich die Frauen nach dem Essen für ihr Gebet zurückziehen, setze ich mich auf die Terrasse zu den Männern. Als einzige Person ist es mir über den Tag hinweg immer wieder möglich, zwischen den zwei Lagern zu wechseln.
Irgendwann werden wir in Richtung driving range beordert. Ein älterer Herr steht schon mit einer Golftasche bereit und stellt sich als Abdullah, unser Golflehrer, vor. Qasim versucht sein Glück und gleich können wir sehen, dass es nicht das erste Mal für ihn ist, dass er einen Golfschläger in der Hand hält. Uns hingegen muss Abdullah alles ganz von Anfang an erklären und wir machen uns erst mal vor allen Zuschauern zum Affen. Doch der ein oder andere Schlag gelingt und da sonst niemand will, nutzen wir die kommende Stunde die Gelegenheit, unter Abdullahs Aufsicht die Bälle in die Prärie zu schlagen.
Irgendwann scheint das zeitliche Limit erreicht zu sein, alle packen zusammen und auch wir folgen. Ist der Ausflug beendet? Nein, wir wechseln bloß die Location. Eine kurze Autofahrt später stoppen wir vor einem Campingplatz des Militärs. Hier können wir unser Glück nun im Luftgewehrschießen, im Badminton, beim Bogenschießen oder mit der Steinschleuder versuchen. Auch jetzt haben die Damen der Gesellschaft eine überaus passive Rolle, immerhin dreimal wird ein bisschen der Federball hin- und hergeschlagen, dann ziehen sie sich in eine Art Zelt zum Teetrinken zurück. Doch sind nun Qasim und sein Freund ein wenig aktiver, wenngleich Sebastian und ich mit Abstand am meisten beschäftigt sind, uns im Luftgewehrschießen und den anderen Aktivitäten auszuprobieren.
Bald aber ist dann der Ausflug wirklich zu Ende und wir fahren zurück nach Islamabad. Was wir nun noch machen möchten, will der Colonel von uns wissen. Shoppen gehen? Ich mache den Fehler und berichte, dass ich gerne einen Shalwar Kameez, ein langes Oberteil mit Pluderhose, kaufen würde. Also stoppen wir auf dem Rückweg bei einem Geschäft und ich probiere ein Modell nach dem nächsten an. Tatsächlich werde ich fündig und kann mich an der Kasse gerade so gegen die Frau des Colonels durchsetzen und meinen Einkauf selbst bezahlen. Anderes wäre mir eindeutig sehr, sehr unangenehm gewesen! Doch zum Abendessen lassen es sich die beiden nicht nehmen, uns schick auszuführen.
Um elf Uhr abends, 13 Stunden nach unserem Aufbruch heute Morgen, fallen wir todmüde ins Bett. Es war ein wunderschöner, aber auch sehr ausgefüllter Tag. Und das Programm für morgen steht bereits auch schon fest…
Ein Tag in Islamabad – Picknick, Barbecue und ein bisschen Kultur
Mein Handy klingelt, es ist Qasim. „Can you come? My family is waiting with the picnic.” Es ist uns eine willkommene Ausrede, endlich die Selfie-Orgie zu beenden, in die wir vor der Faisal-Moschee Islamabads geschlittert sind. Als einzige zu sehende Ausländer weckten wir schnell das Interesse der Pakistaner, die teils selbst aus weit entfernten Gegenden des Landes angereist sind, um die große Moschee der Hauptstadt zu besuchen. Wir spürten die neugierigen Blicke und versuchten, so wenig Blickkontakt wie möglich aufzunehmen.
Doch irgendwann half alles nichts mehr. „Can I take a photo with you?” Wir sagten ja und dann dauerte es gute zwanzig Minuten, bis die meisten Menschen endlich ihr Foto mit uns geschossen hatten. Jetzt ernten wir immer noch einige enttäuschte Blicke und hören ein „Wait! Ek minute! One minute only!“, doch wir gehen. Sonst kommen wir hier nie wieder los.
Auf dem Parkplatz wartet Qasim mit einem neuen Freund im Auto auf uns. Unser zweiter heutiger Stopp ist der Jinnah-Park, in dem uns seine Familie bereits erwartet. Ich freue mich zu sehen, dass heute auch Hajrah und Maryam mit ihren Kindern dabei sind. Es wurde bereits eine riesige Box mit Club Sandwiches, geschichteten Sandwiches mit Ei und Hühnchenfleisch, vorbereitet. Zudem frittieren die Frauen Pakora, mit einem Teig aus Kichererbsen ummanteltes Gemüse, auf dem Campingkocher. Eine Variante für uns, eine für sie. Ihre hat deutlich mehr Chili im Teig…
Heute fallen mir die beiden Jungs besonders auf, die sich um die Kinder der Familie kümmern. „Our helpers“, sagt die Frau des Colonels, die meinem Blick gefolgt ist. Die beiden Jungen, vielleicht zehn und vierzehn Jahre alt, leben bei ihnen, erzählt sie mir. Ihre Eltern hätten sie eindringlich gebeten, ihre Söhne mit in die Hauptstadt zu nehmen und bei ihnen wohnen zu lassen. Für ihre Arbeitsleistung zahlen die Colonels ihren Familien einen monatlichen Betrag. Ob die Jungen in die Schule gehen, möchte ich wissen. Die Frauen schütteln den Kopf. „But we teach them how to read and write“, nickt Maryam. Wie gut sie lesen und schreiben lernen, frage ich weiter. Genug, damit sie einen Einkaufszettel selbst zusammenstellen und im Laden lesen können, gibt der Colonel zurück.
Es beschäftigt mich sehr, diese beiden Kinder zu sehen, die im Haus einer anderen Familie leben und arbeiten. Sie kümmern sich rührend um die Enkel des Colonels, dabei sind sie selbst noch Kinder. Ich erinnere mich an unser erstes Abendessen und wie der Colonel uns fragte, wie es Deutschland geschafft hätte, sich aus dem Krieg in eine heute so gute wirtschaftliche Position zu arbeiten. Ob diese beiden Jungen es wohl in ihrem Leben schaffen werden, sich aus ihrem Status als Hausangestellte befreien zu können, ohne Schulbildung und ohne Berufsausbildung? Ich weiß es nicht, aber es fällt mir schwer, hier positiv zu denken.
„Come, we show you a nice viewpoint”, unterbricht Qasim unser Gespräch. Gemeinsam mit seinem Freund fahren wir zu viert zum Restaurant Monal, in den Bergen oberhalb Islamabads gelegen. Im Radio läuft auch hier Despacito. Im Restaurant angekommen, ist Qasim zerknirscht. Es ist nichts zu sehen. Ganz Islamabad ist in einer beeindruckenden, gelblichen Smogwolke verschwunden! Auf Fotos sehen wir, was wir heute verpassen. Aber was soll’s, es lässt sich nicht ändern. So gehen wir zurück zum Auto und fahren nach Hause zu den Colonels.
Es wartet der vierte und letzte Programmpunkt des Tages auf uns: Barbecue auf der Dachterrasse. Die Colonels haben sich wieder mal nicht lumpen lassen, Berge von Lamm- und Hühnchenfleisch liegen bereit sowie Spieße wabbeligen Fetts. Wer diese Stücke aus dem Lammhintern wohl essen will? Mich graust es schon beim Anblick der weißen Würfel. Doch wie ich später sehe, scheinen ganz besonders diese der beliebteste Teil des Barbecues zu sein. Gut für uns, da können wir uns in aller Ruhe über Hühnchen- und Lammfleisch hermachen. Und sogar extra für mich gibt es einen kleinen Salat, denn die Frau des Colonels hat richtig beobachtet, dass ich den gerne mag.
Den Abend lassen wir im Wohnzimmer ausklingen und endlich können wir mal wieder unser Fotoalbum mit Bildern aus der Heimat zeigen. Viele Fragen werden uns zum Leben in Deutschland gestellt und alle Bilder werden genauestens angeschaut. Bei einem Bild von mir mit meinen Eltern und Brüdern werde ich überhaupt nicht erkannt und als ich auf mich zeige, kann sich der Colonel ein erstauntes „This is you? You look very healthy!“ nicht verkneifen. Ich weiß, was das heißt: ich sehe auf dem Bild sehr viel besser genährt als aktuell aus… Schnell ist der Gedanke an die gerade erst hinter uns liegende Woche in Skardu wieder da, die natürlich nicht spurlos an mir und auch nicht an Sebastian vorbeigegangen ist. Trotzdem kann ich über den Kommentar des Colonels lachen. „Healthy“, nette Umschreibung… 🙂
Wir wollen uns gerade verabschieden, da rufen mich Hajrah und die anderen Frauen ins Wohnzimmer zurück. Alle schauen mich erwartungsvoll an als auf einmal Hajrah ihren Gesichtsschleier zur Seite zieht. Spitzbübisch lächelt sie mich an, als ich zum ersten Mal ihr Gesicht sehen kann. Maryam und die Frau des Colonels lachen herzlich. Es ist eine komische Geste, die mir so noch nie untergekommen ist, doch es ist auch eine sehr verbindende. Ich freue mich sehr, dass Hajrah mir ihr Gesicht für diesen kurzen Augenblick gezeigt hat, wenngleich ich trotzdem nicht verstehen kann, warum sie es in der Öffentlichkeit nicht zeigen möchte. Dafür sind wir wahrscheinlich einfach viel zu verschieden aufgewachsen.
Erschienen am
Antworten
Dankeschön, das freut uns sehr!
Großartig! Sehr interessant,
Schreibe einen Kommentar