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Die Erlösung.
An einem verregneten Morgen verlassen wir Amritsar. Trotz der vermeintlichen Abkühlung durch den Regen ist die Luft immer noch zu schwer zum Atmen. 49 Grad. Wir fahren Richtung Norden, nach Srinagar – der ehemaligen Hauptstadt Kaschmirs – am Fuße des Himalayas. Nach ein paar Kilometern bemerken wir die zahlreichen Soldaten am Straßenrand. Gedanken über Kaschmir, militante Rebellen, Spannungen zwischen Hindus und Moslems schießen uns durch den Kopf. Viele der Soldaten sind Moslems. Oder Sikhs. Und die meisten Soldaten winken uns fröhlich zu! Wir winken zurück.
Es ist immer noch regnerisch, schwül, doch langsam steigen wir auf. Der NH 1D führt uns auf zahlreichen Serpentinen durch sattgrüne Wälder, bunte Dörfer, vorbei an lächelnden, winkenden Menschen – hinein ins Himalaya. Die Straße ist okay, der Verkehr dicht. Wir hören immer wieder „Welcome to Kashmir!“ und schauen uns fragend an „Was ist denn hier los?“ Nach gut einer Stunde Fahrt fällt uns auf, dass wir auch wieder richtig atmen können. Auch als plötzlich dichter Nebel um uns aufzieht, inhalieren wir die frische, klare Luft. Sie ist eine Erlösung. Nach zweieinhalbtausend Kilometern in fünf Tagen von Katmandu bis nach Amritsar – in dieser brutalen Hitze des indischen Sommers (ohne Klimaanlage im Truck) sind wir mehr als dankbar für diese Abkühlung!
Und kurz vor dem Jawahar Tunnel wird es offiziell: wir reisen nach Kaschmir ein. Ein einzelner Grenzbeamte steht vor uns auf der Straße. Auch er begrüßt uns mit „Welcome to Kaschmir!“ Obwohl dieser Teil Kaschmirs zu Indien gehört, werden unsere Personalien aufgenommen und wir werden höflichst gebeten, bei der Ausreise ein weiteres Formular abzugeben. Dass er uns keinen Tee anbietet liegt nur daran, dass er gerade kein Gas mehr hat in seiner kleinen Grenzhütte. Aber wir erfahren endlich warum der gesamte Highway mit Soldaten und gepanzerten Fahrzeugen gesäumt ist: Premierminister Murdi besucht Srinagar am folgenden Tag. Gottseidank! Die ganzen Soldaten stehen nur wegen ihm hier auf der Straße! Nicht wegen uns.
Müde und immer noch ein bisschen unsicher wie Kaschmir nun tatsächlich sein wird, machen wir auf einer kleinen Schotterebene halt für die Nacht. Ein paar Jungs kommen vorbei und rufen „Hello!“ Wir quatschen über den Stellplatz, die tolle Aussicht, Kaschmir und dass Murdi morgen genau hier vorbeifährt – auf dem Weg nach Srinagar! Die Jungs sind extrem höflich, fröhlich, einfach gut drauf.
Begeistert von der Freundlichkeit der Menschen, die wir in den letzten Wochen oft entbehren mussten, schlafen wir ein … und werden in der Früh ziemlich jäh aus dem Schlaf gerissen: es wird laut an unser Auto gehämmert, Stimmen und Fußtritte auf der Eingangsleiter des Trucks sind zu hören! Es ist 7 Uhr morgens. Vor der Tür stehen mindestens sechs Soldaten. Mit Gewehr. Weil Murdi kommt, wollen sie nicht, dass hier irgendjemand an der Straße herumlungert. Doch auch die Soldaten sind sehr freundlich – und uns tausendmal lieber als andere Menschen mit Gewehr! Sie sind aber auch sehr bestimmt! Mit Sand in den Augen packen wir uns in wenigen Minuten zusammen und fahren schnurstracks nach Srinagar. Und wir müssen den Schreck ganz ohne Kaffee überstehen!
Srinagar ist wunderbar! Eine moslemische Stadt direkt am Dal See gelegen, umzäunt von schneebedeckten Bergen mit einem Klima, das uns wie eine gigantische Erlösung erscheint.
Und die Kaschmiris tun ihr Übriges: nach den vielen Monaten in Indien und Nepal haben wir zunächst Schwierigkeiten die schier endlose Gastfreundschaft der Menschen hier anzunehmen. Es ist wunderbar! Wir freuen uns über den Gesang der Muezzine und fühlen uns zurück erinnert an unsere großartige Zeit in der Türkei, im Iran und Oman.
Die Ehrfurcht.
Nach drei Tagen ist es soweit: wir fahren weiter Richtung Leh – immer noch auf dem NH 1D. Und es dauert keine Stunde bis wir endlich verstehen warum ausnahmslos alle Menschen, die bereits hier waren, von diesem Teil der Welt so unendlich begeistert sind. Wir fahren durch Landschaften die mit Worten nicht zu beschreiben sind. Fast hinter jeder Kurve, jedem Pass eröffnet sich der Blick in eine andere Welt. Wir sind sprachlos. Ehrfürchtig. Kommen uns klein und unbedeutend vor. Hier in Kaschmir und Ladakh.
Immer wieder stellen wir uns die Frage, ob das wirklich Indien ist? Der Verkehr ist zivilisiert, der Straßenrand sauber, die Menschen auf und an der Straße neugierig und fast ausnahmslos ebenso ehrfürchtig wie wir. Man verirrt sich nicht durch Zufall hierher. Alle genießen diese neue, andere Welt. Die Natur. Diesen Teil Indiens, den man nicht für möglich halten kann, der nicht real sein kann, weil er so gänzlich anders ist.
Von Pilgern.
Die Amarnath Höhlen beherbergen einen riesigen Stalagmiten aus Eis, der für Hindus, Buddhisten, Moslems genauso wie für Sikhs einen Shiva „Phallus“ symbolisiert. Damit wird Amarnath eine der wichtigsten Pilgerstätte Indiens. Und diese Pilgerstätte ist nur 40 Tage im Jahr zugänglich. Man muss dazu allerdings auf fast 4.000 Meter rauf. Zu Fuß, auf dem Esel, getragen von den eigenen Söhnen oder per Helikopter. Alles ist erlaubt! Nur Gondeln gibt es nicht.
In den ersten 10 Tagen dieses Ereignisses haben sich bereits über eine Million Pilger vor der übergroßen Shiva Linga verbeugt. Dass es bereits unglaubliche 10 Todesfälle auf dem Berg gab, wird von den Veranstaltern offensichtlich als „Kollateralschaden“ hingenommen. Höhenkrankheit, Erschöpfung oder Vorerkrankungen sind die Ursachen. Die medizinische Versorgung offensichtlich nicht ausreichend.
Ach ja, und wir sind mittendrin im Pilgern. Warum? Baltal ist der Ausgangsort für diesen Pilgerweg. Und Baltal liegt genau auf unserem Weg nach Ladakh. An diesem Tag sind wir wahrscheinlich die einzigen Nicht-Inder in dieser vom Wahnsinn getriebenen Mega-Popup-Zeltstadt, die nur 40 Tage im Jahr stehen darf. Neben einer 6 Kilometer Sand- und Staubpiste türmen sich Müll, Autos, Zelte aus Abdeckplanen, Menschen, Mini-Markets, Apotheken, Esel mitsamt Futterbergen und Bandheras – Essenszelte in denen die Pilger umsonst oder gegen „Donation“ verköstigt werden. Ein indischer Freund hat einen Kumpel (Michael) und einen Onkel (Duddu). Der eine ist Chief Officer bei der Polizei – und der andere Dorfberühmtheit und Manager eines dieser Bewirtungszelte. Wie dem auch sei: per Polizei-Eskorte fahren wir in die Bandhera des Onkels und sehen nun endlich mit eigenen Augen das gesamte Ausmaß des Pilgerns. Pures Entsetzen und Schmunzeln wechseln sich in unseren Gesichtern ab.
Endlich sitzen wir! Auf dem Fußboden in der Bandhera. Um uns herum wieselt eine nicht genau bestimmbare Anzahl von Freiwilligen, die die Pilger verköstigen. Aber zunächst müssen wir unzählige Fotos machen. Also machen lassen – von uns. Und viele Hände schütteln. Und gefühlte 87 Mal erzählen, wie man mit einem Truck aus Deutschland bis nach Indien fahren kann. „Is there a road?“ Nach Buttermilch, Kirschen, Lassi, Masala Tea, Tomatensuppe und Nüssen geht es über zu einem unglaublich leckeren Thali. Pure Veg natürlich. Und ehe wir uns versehen, sitzen wir rot bepunktet, mit drittem Auge, in der Polizei-Eskorte zurück zu unserem kleinen, achso-ruhigen Heim.
Wir sind immer noch sprachlos. Pilgern kann ganz schön hart sein! Und deswegen beschließen wir, dass wir am kommenden Morgen nicht mit den anwesenden 70.000 Pilgern auf den Berg zur Höhle steigen – sondern die Flucht nach Vorne antreten, um in Leh den Dalai Lama erleben zu können. Das 33. Kalachakra findet zufällig genau zu dieser Zeit an unserem Zielort – mitten in Ladakh statt. Nichts wie hin!
Drei Tage später betreten wir etwas ungläubig das gigantische Gelände, auf dem täglich etwa 150.000 (vornehmlich) Buddhisten (über Radio-Übersetzung) dem Dalai Lama und seinen beeindruckenden Lehren lauschen.
Die Pilger sitzen friedlich auf ihren mitgebrachten Matten. In regelmäßigen Abständen wird jeder Besucher mit frischem Brot, Wasser und Buttertee versorgt. Es wird mehr geflüstert als gesprochen und über allem liegt ein meditatives Brummen, dass von den Mönchen zum richtigen Zeitpunkt angestimmt wird. Die Atmosphäre ist andächtig, fast konzentriert. Und immer wieder strömt eine Welle an Wärme, an Menschlichkeit über das flugplatzgroße Feld und bringt die Pilger zum Schmunzeln. Der Dalai Lama hat mal wieder einen kleinen Scherz untergebracht! So ist das Pilgern gar nicht mehr so hart.
Immer noch gebannt von den starken Eindrücken dieses Tages wollen wir mehr wissen über den Buddhismus. Die nächsten Wochen und Monate werden sicherlich unglaublich spannend. In Ladakh!
Antworten
Die Reise nach Ladakh war meine erst »große« Reise… Danke für den schönen Bericht und die tollen Bilder! Der Norden ist so wunderschön. Genießt die Zeit!
Ich erinnere mich noch sehr genau an die Fahrt nach Leh… die Höhe, die Landschaft, die atemberaubenden Ausblicke. Aber auch an die Straßen. RESPEKT, dass ihr selber gefahren seid. Ich bin innerlich mehr als einen Tod gestorben, vor allem dann, wenn uns ein anderer Truck entgegen gekommen ist……wir auch! 😉 …oft ist es aber ein besseres Gefühl (aber noch lange kein gutes Gefühl!), wenn man selbst das Steuer in der Hand hat!
Es ist aber ein grossartiges Fleckchen Erde da oben! …
Wow! Das hört sich mal nach richtigem Abenteuer an! Toller Reisebericht mit interessanten Fotos.
… ja, ein bisschen abenteuerlich ist es dort schon! Aber auch wunderschön! Danke für deinen Kommentar!
Hallo, mit viel Begeisterung habe ich euren Reisebericht gelesen. Wir haben Leh im Juli von der Manaliseite her bereist – allerdings in einer selbst organisierten Gruppenreise mit indischen Fahrern. Ich wünsche euch noch einen guten Aufenthalt in Leh und eine interessante und gesunde Weiterreise. Viele Grüße aus Deutschland.
Vielen Dank! Das indische Himalaya ist wirklich eine traumhafte Region! Dir auch tolle Reisen.…
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