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Bridge over troubled water

Die Europabrücke an der Oder 

Das Früh­jahr naht, eine neue Rad- und Wan­der­sai­son lädt zum Ent­de­cken ein. Die Grenz­ge­bie­te zwi­schen Deutsch­land und unse­ren öst­li­chen Nach­barn Polen und Tsche­chi­en bie­ten eine wun­der­vol­le, noch oft unent­deck­te Natur, herr­li­che Rad- und Wan­der­we­ge und beweg­te Geschich­te (n) zwi­schen den Län­dern.

„Schö­ne Brü­cke hast mich oft getra­gen. Wenn mein Herz erwar­tungs­voll geschla­gen und mit Dir den Strom ich über­schritt. Und mich dünk­te, dei­ne stol­zen Bogen sind in küh­ne­ren Schwün­gen mit­ge­zo­gen und sie fühl­ten mei­ne Lie­be mit.“

Gott­fried Kel­ler

Die Europabrücke an der Oder 

Fast ein wenig unnah­bar wirkt sie in ihrer grau­en, erha­be­nen Ele­ganz; will schein­bar kein Ende neh­men, lockt den Wan­de­rer, immer wei­ter und wei­ter zu gehen. Neu­gier und Ent­de­cker­geist erfas­sen ihren Besu­cher unwill­kür­lich. Unter ihr, schnell und mit vie­len Stru­deln, fließt die Oder, Deutsch­lands öst­lichs­ter und geschichts­träch­ti­ger Fluss. Sie ent­springt in Tsche­chi­en und bil­det seit dem Ende des Zwei­ten Welt­krie­ges die Gren­ze zwi­schen Deutsch­land und Polen. Eine hohe Aus­sichts­platt­form macht es mög­lich, den Blick über die unend­li­chen Fluss­au­en schwei­fen zu las­sen. Einer­lei zu wel­cher Jah­res­zeit, der Aus­blick ist wun­der­schön. Auf der deut­schen Sei­te noch Ebe­ne, zur pol­ni­schen Sei­te bewal­de­te Hügel­land­schaft. Sogar jetzt, in der kal­ten Jah­res­zeit, kann man vie­le Was­ser­vö­gel beob­ach­ten. Der Kra­nich ras­tet hier, nach sei­ner beschwer­li­chen Rei­se aus Afri­ka. Der sel­te­ne Sing­schwan fühlt sich in den Auen nahe der Euro­pa­brü­cke zuhau­se.

Wir wan­dern aus­ge­hend vom win­zi­gen Ort Bie­nen­wer­der in Rich­tung Euro­pa­brü­cke; über uns ein Him­mel, der alle Wet­ter­la­gen in sich birgt. Mal tief­schwar­ze Wol­ken, dann bereits wär­men­de Son­nen­strah­len, die uns blen­den. Der star­ke Wind zer­zaust uns die Haa­re und wir wickeln uns fes­ter in unse­re Jacken ein. Und da ist sie dann plötz­lich. Hin­ter altem Baum­be­stand taucht sie über dem Deich auf. Ein Stahl­ge­bil­de, das unend­lich erscheint. Etwa 7O0 Meter ist sie lang. Trut­zig lie­gen noch immer rechts und links von ihr, die mäch­ti­gen alten Fun­da­men­te der ursprüng­li­chen Brü­cke, die als Eisen­bahn­brü­cke kon­zi­piert war, im leb­haf­ten Was­ser. Sie war die Basis für die heu­ti­ge Euro­pa­brü­cke.  Bewach­sen sind die Pfei­ler inzwi­schen mit Bir­ken oder Wei­den, die es sich in den Ris­sen der alten Gemäu­er bequem gemacht haben.  Wäre es nicht so kalt, könn­te man lan­ge aus­har­ren, um die Stru­del zu betrach­ten, die leb­haft um die Pfei­ler krei­sen. Hin­ein­fal­len möch­te man da nicht. Eine Brü­cke über beweg­ten Was­sern. Im wah­ren, wie im über­tra­ge­nen Sin­ne. 

Spot­ka­nia- Ein Ort der Begeg­nung:  Die Euro­pa­brü­cke hat einen eben­so dra­ma­ti­schen Hin­ter­grund, wie auch die Geschich­te der bei­den Län­der, die sie nun ohne Grenz­kon­trol­le ver­bin­det.  Ein­fach waren die Bezie­hun­gen zwi­schen Deutsch­land und Polen nie. Krie­ge, Tei­lun­gen und Res­sen­ti­ments bestimm­ten lan­ge die Situa­ti­on zwi­schen bei­den Völ­kern. Eine Brü­cke der Ver­stän­di­gung im Osten Euro­pas soll sie nun sein. Und ob man sie nun von deut­scher- oder pol­ni­scher Sei­te aus über­quert: Man begeg­net sich in ihrer Mit­te und grüßt ein­an­der freund­lich und respekt­voll. „Spot­ka­nia“, die Begeg­nung, wie es auf Pol­nisch heißt. Dzi­en Dob­re soll­te man kön­nen. Hal­lo ver­steht jeder. Die Rad­fah­rer oder Wan­de­rer lächeln sich oft an; man kommt ins Gespräch und tauscht sich aus. Als wir die Brü­cke über­que­ren, stu­die­ren wir die zahl­rei­chen Hin­weis­ta­feln, die die Geschich­te der Brü­cke erzäh­len.

Die Europabrücke an der Oder 

Die Geschichte der Europabrücke

Die eins­ti­ge Eisen­bahn­brü­cke über die Oder war über Jahr­zehn­te gesperrt. 1892 eröff­net, führ­te sie von Wrie­zen nach God­kóv, dem dama­li­gen Jädi­cken­dorf. Sie ver­band damit Ber­lin mit der Neu­mark. 1930 dann, wur­de wegen des hohen Ver­kehrs­auf­kom­mens eine neue Bahn­brü­cke gebaut und der vor­han­de­ne Teil zur Stra­ßen­brü­cke umfunk­tio­niert. Bei­de Brü­cken wur­den 1945 gesprengt. Die Deut­sche Reichs­bahn begann in den 1950er Jah­ren mit dem Wie­der­auf­bau der jün­ge­ren der bei­den Brü­cken. Hin­ter­grund waren stra­te­gi­sche Kon­zep­tio­nen der War­schau­er Ver­trags­staa­ten.  Sie wur­de auch bis 1989 nur zu mili­tä­ri­schen Zwe­cken genutzt. Nach der Wen­de wur­de die Brü­cke gesperrt und 30 Jah­re lang nicht genutzt. Im Herbst 2022 wur­de die Brü­cke dann offi­zi­ell als Rad- und Wan­der­brü­cke vom Bran­den­bur­gi­schen Minis­ter­prä­si­den­ten Diet­mar Woid­ke und sei­nem pol­ni­sche Kol­le­gen, Olgierd Geble­wicz, eröff­net.

Ehrung für einen besonderen Menschen: Władysław Bartoszewski. 

Noch heu­te ist der Poli­ti­ker und Publi­zist Wła­dysław Bar­to­szew­ski in Polen eine mora­li­sche Instanz. Der Mann, des­sen Leben im Zei­chen der Völ­ker­ver­stän­di­gung stand, wird mit einer bron­ze­nen Sta­tue am Ufer der Oder und einem Pla­kat auf der Euro­pa­brü­cke geehrt. Im Jah­re 1940 wur­de er bei einer Mas­sen­raz­zia von SS-Trup­pen auf­ge­grif­fen und in das Ver­nich­tungs­la­ger Ausch­witz gebracht. Dort war er 6 Mona­te lang von 1940- 1941 gefan­gen :„ Wenn mir jemand, vor 60 Jah­ren, als ich geduckt auf dem Appell­platz des KZ Ausch­witz stand, gesagt hät­te, dass ich Deut­sche, Bür­ger eines demo­kra­ti­schen und befreun­de­ten Lan­des als Freun­de haben wer­de, hät­te ich ihn für einen Nar­ren gehal­ten.“ Der Sohn einer katho­li­schen Beam­ten­fa­mi­lie, der am Ran­de eines jüdi­schen Vier­tels von War­schau auf­wuchs, ver­bit­ter­te trotz der Grau­sam­kei­ten, die er in Ausch­witz erfah­ren muss­te nicht. „Ich wur­de also nach Ausch­witz gebracht, wo ich die Häft­lings­num­mer 4427 gehabt habe. Nicht nur, dass ich selbst ver­prü­gelt wur­de, aber dass die ande­ren Leu­te, ehr­wür­di­ge Leu­te, Pries­ter, Leh­rer, ver­prü­gelt und ernied­rigt wur­den oder getö­tet wur­den in mei­ner Anwe­sen­heit, das war für mich eine ganz neue Pro­ble­ma­tik. Mei­ne Welt befand sich in Auf­lö­sung, das war ein Erd­be­ben in mei­nem dama­li­gen Leben.“

Die Europabrücke an der Oder 

Nach dem Krieg stand Bar­to­szew­ski in Oppo­si­ti­on zum kom­mu­nis­ti­schen Polen. Wäh­rend er als Jour­na­list arbei­te­te, geriet er ins Visier der pol­ni­schen Staats­si­cher­heit und wur­de  ins­ge­samt 6 Jah­re lang inhaf­tiert. 1955 wur­de er reha­bi­li­tiert und konn­te als Publi­zist und His­to­ri­ker arbei­ten. Als in den 1980er Jah­ren aus der Streik­be­we­gung, die Gewerk­schaft Soli­dar­ność ent­stand, enga­gier­te sich Bar­to­szew­ski für die Bewe­gung, was ihm nach Ver­hän­gung des Kriegs­rechts eine erneu­te Haft­stra­fe ein­brach­te. Nach der Wen­de dann, wur­de er pol­ni­scher Bot­schaf­ter in Wien. Ab 1995 über­nahm er das Amt des Außen­mi­nis­ters.

Eine Welt der Wunder

Umge­ben also von berüh­ren­der Natur, die auf bei­den Sei­ten noch sich selbst über­las­sen ist; unter einem wei­ten und immer wie­der unglaub­li­chen Him­mel, der so wech­sel­haft ist, wie die Far­ben der Ost­see; kom­men Geschich­te und Natur irgend­wie zusam­men. Wir erfah­ren als Besu­cher beim Spa­zier­gang, oder mit dem Rad beim Inne­hal­ten etwas Beson­de­res: Es sind Wun­der, die uns umge­ben. Vor Jahr­zehn­ten wur­de hier, an die­ser Stel­le, zum Ende des 2. Welt­krie­ges, bis auf´s Mes­ser gekämpft, kamen unzäh­li­ge Men­schen bei­der Sei­ten um ihr Leben. Gewalt und Zer­stö­rung wüte­te in unschul­di­ger Natur. Hass und Unver­ständ­nis beherrsch­ten lan­ge das Bild des jeweils ande­ren.

Und nun pure Natur­schön­heit, wil­des Was­ser, Tie­re, Pflan­zen und Erho­lung suchen­de, Men­schen aus bei­den, einst so ver­fein­de­ten Län­dern. Wir ste­hen berührt vor dem bron­ze­nen Andenken an einen Mann, dem nie die Wür­de abhan­den kam und der sich stets für Gerech­tig­keit und Mensch­lich­keit enga­gier­te. „Ich glau­be, dass die pol­nisch-deut­schen Bezie­hun­gen zur Welt der Wun­der gehö­ren. Die deutsch-pol­ni­schen Bezie­hun­gen haben so gro­ße Fort­schrit­te gemacht, wie kei­ne ande­ren in Euro­pa.“ Wła­dysław Bar­to­szew­ski starb am 24.April 2015 in War­schau. Noch weni­ge Stun­den vor sei­nem Tode hat­te er an einer Rede zur pol­nisch-deut­schen Ver­stän­di­gung gear­bei­tet.

Auch er hät­te an der Euro­pa­brü­cke ganz gewiss sei­ne Freu­de gehabt, denn sie bil­det eine „Bridge over trou­bled water.“

„Like a bridge over trou­bled water, I will ease your mind…“ 

Paul Simon, Art Gar­fun­kel

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