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Als jemand, der immer wieder Freiwilligenarbeit in verschiedenen Ländern des Globalen Südens geleistet hat, habe ich sowohl die positiven Aspekte dieser Arbeit als auch ihre problematischen Verbindungen zu neokolonialen Strukturen und Machtverhältnissen erlebt. Ich möchte meine persönlichen Erfahrungen teilen und eine kritische Auseinandersetzung mit der Freiwilligenarbeit und ihrem neokolonialen Fundament anregen.
Ersten Erfahrungen und das Erkennen neokolonialer Strukturen
Meine ersten Erfahrungen mit Freiwilligenarbeit machte ich während einer Reise nach Südostasien, wo ich in einem Waisenhaus arbeitete. Ich war von dem Gedanken erfüllt, Gutes zu tun und den Kindern dort zu helfen. Doch im Laufe meines Aufenthalts wurde mir klar, dass ich trotz meiner guten Absichten unbewusst neokoloniale Denkmuster reproduzierte. Ich sah mich selbst als jemand, der »Hilfe« leistete, ohne wirklich zu hinterfragen, ob meine Anwesenheit und mein Handeln die Menschen vor Ort stärkte oder entmündigte.
Problematische Aspekte im Zusammenhang mit Neokolonialismus
1. »Hilfe« statt echter Zusammenarbeit
Während meiner Arbeit in einem Bildungsprojekt wurde mir klar, dass ich oft mehr Wert auf meine eigenen Ideen und Lösungsansätze legte, als auf die Expertise und Meinungen der Menschen vor Ort. Dadurch entstand eine einseitige Dynamik, bei der ich in der Rolle des »Helfers« agierte und die lokalen Gemeinschaften in der Rolle der »Bedürftigen« verharrten.
Das White Savior Syndrom beschreibt das Phänomen, bei dem Leute aus westlichen Ländern, oft weiße Personen, glauben, sie könnten die Probleme der Menschen in weniger entwickelten Ländern durch ihre Hilfe „retten“. Dieses Syndrom ist problematisch, da es bestehende Machtstrukturen und Ungleichheiten verstärkt und oft zu bevormundenden, entmündigenden Haltungen gegenüber den Menschen vor Ort führt. Sich dessen bewusst zu sein und sich bei der Freiwilligenarbeit auf echte Zusammenarbeit, gegenseitigen Respekt und Empowerment zu konzentrieren, um solche ungewollten negativen Auswirkungen zu vermeiden, ist superwichtig.
2. Kurzfristiges Engagement
Meine Freiwilligeneinsätze waren oft nur von kurzer Dauer, was die Nachhaltigkeit meiner Arbeit in Frage stellte. Während eines Projekts, in dem ich beim Bau von Schulen half, wurde mir bewusst, dass mein kurzfristiges Engagement nicht half, um langfristige Veränderungen zu bewirken.
3. Kulturelle Ignoranz und Stereotypisierung
In meinem ersten Einsatz in Südostasien wurde ich auch mit meinen eigenen kulturellen Vorurteilen und Stereotypen konfrontiert. Ohne es zu merken, hatte ich bestimmte Verhaltensweisen und Traditionen der Menschen vor Ort als »rückständig« abgestempelt oder als »exotisch« romantisiert, ohne deren kulturellen Hintergrund und Bedeutung zu verstehen.
Damit machte ich – zwar ungewollt und unbewusst, aber dennoch – Fehler auf mehreren Ebenen:
- Ethnozentrismus impliziert, dass unsere eigene Kultur und unsere Werte universell und überlegen sind, während andere Kulturen als minderwertiger betrachtet werden.
- Wenn wir andere Kulturen glorifizieren oder romantisieren, laufen wir Gefahr, eine verzerrte und idealisierte Vorstellung von der Realität zu entwickeln. Dies kann dazu führen, dass wir die tatsächlichen Herausforderungen, Bedürfnisse und Lebensumstände der Menschen vor Ort übersehen oder ignorieren und somit ineffektive oder unangemessene Hilfe leisten.
- Die Romantisierung von Kulturen und Menschen führt oft dazu, dass diese als exotische oder pittoreske »Objekte« betrachtet werden, die unsere Neugier oder ästhetischen Vorlieben befriedigen sollen. Dies untergräbt die Würde und Autonomie der Menschen vor Ort und verhindert eine echte Begegnung auf Augenhöhe, die auf gegenseitigem Respekt und Verständnis beruht.
- All das verhindert, dass wir die Vielschichtigkeit und Dynamik dieser Kulturen erkennen. Kulturen sind eben nicht nicht statisch, sondern verändern sich ständig im Laufe der Zeit und im Austausch mit anderen Kulturen. Indem wir uns auf idealisierte Vorstellungen konzentrieren, übersehen wir diese Komplexität und verpassen die Chance, ein tieferes Verständnis für die kulturellen Zusammenhänge und sozialen Prozesse zu entwickeln, die das Leben der Menschen vor Ort prägen.
Persönliche Weiterentwicklung als Teil des Prozesses
Über die Zeit ist mir bewusst geworden, dass es mir nicht nur um die Projekte oder die Menschen geht, denen ich helfen wollte, sondern auch um meine eigene persönliche Weiterentwicklung. Freiwilligenarbeit bietet die Chance, über den Tellerrand zu blicken, neue Perspektiven zu gewinnen und an eigenen Fähigkeiten und Schwächen zu arbeiten. Dies ist ein Aspekt, der oft übersehen wird, aber vielleicht ebenso wichtig ist wie die direkte Hilfeleistung. Während meiner Freiwilligeneinsätze habe ich festgestellt, dass ich nicht nur etwas für andere tun konnte, sondern auch viel über mich selbst gelernt habe.
Dabei ist es wichtig, sich selbst ehrlich zu hinterfragen: Gehe ich in die Freiwilligenarbeit mit einer Haltung der Demut und des Lernens, oder suche ich vor allem nach einer Bestätigung meines eigenen Selbstbildes als »Helfer«? Eine selbstreflektierte Haltung kann dazu beitragen, dass wir die persönlichen Vorteile der Freiwilligenarbeit nutzen, um uns selbst weiterzuentwickeln, ohne dabei die Menschen vor Ort und die Projektziele aus den Augen zu verlieren. In dieser Hinsicht ist es entscheidend, dass wir uns sowohl auf die Auswirkungen unserer Arbeit auf andere als auch auf unsere eigene persönliche Entwicklung konzentrieren, um eine verantwortungsvolle und nachhaltige Freiwilligenarbeit zu gewährleisten.
Wie ich versuche, meine Arbeit als Freiwillige zu verändern
Um meine eigene Rolle in der Freiwilligenarbeit kritisch zu hinterfragen und eine verantwortungsvollere Herangehensweise zu entwickeln, nehme ich mir folgende Punkte zu Herzen:
1. Ausbildung und Vorbereitung
Ich versuche, mich intensiver zu infomieren, um ein tieferes Verständnis für die kulturellen und sozialen Kontexte meiner Einsatzorte zu gewinnen. Dazu gehört auch die Auseinandersetzung mit meiner eigenen kulturellen Prägung und den Strukturen des Neokolonialismus. Ich versuche, meine eigenen Annahmen und Stereotypen zu hinterfragen und mich auf die Perspektiven der Menschen vor Ort einzulassen.
2. Langfristiges Engagement und Nachhaltigkeit
Viele Freiwilligenprogramme sind auf kurze Zeiträume ausgelegt, in denen die Freiwilligen ihre Arbeit verrichten. Dies kann zu mangelnder Nachhaltigkeit und einer fehlenden Verantwortung für die langfristigen Auswirkungen der Projekte führen.
Leider gibt es Projekte und Organisationen, die eher als Geschäftsmodelle aufgebaut sind und sich auf sogenannte »Voluntouristen« ausrichten. Diese Projekte bieten oft wenig echten Nutzen für die lokale Gemeinschaft, während sie den Freiwilligen eine oberflächliche Erfahrung der Hilfeleistung bieten – und dabei hohe Gebühren verlangen.
Um solche Projekte zu identifizieren und zu vermeiden, ist es entscheidend, dass wir als Freiwillige eine gründliche Recherche betreiben und die Organisationen und Projekte, an denen wir teilnehmen möchten, kritisch hinterfragen:
- Transparenz und Verantwortlichkeit: Achte darauf, dass die Organisation transparente Informationen über ihre Arbeit, ihre Finanzen und ihre Zusammenarbeit mit lokalen Partnern bereitstellt. Eine verantwortungsbewusste Organisation sollte offenlegen, wie die Gebühren, die von Freiwilligen gezahlt werden, verwendet werden und wie sie zur Finanzierung der Projekte und zur Unterstützung der lokalen Gemeinschaften beitragen.
- Nachhaltigkeit und lokale Partnerschaften: Bevorzuge Projekte, die auf langfristige Zusammenarbeit und Nachhaltigkeit abzielen und eng mit lokalen Organisationen und Gemeinschaften zusammenarbeiten. Achte darauf, dass die Projekte auf den Bedürfnissen und Prioritäten der Menschen vor Ort basieren und nicht nur auf den Wünschen und Erwartungen der Freiwilligen.
- Qualifikationen und Fähigkeiten: Wähle Projekte, die auf deine spezifischen Fähigkeiten und Qualifikationen abgestimmt sind und bei denen du einen echten Beitrag leisten kannst. Stelle sicher, dass deine Fähigkeiten den Bedürfnissen des Projekts entsprechen und du nicht in Bereichen eingesetzt wirst, für die du keine entsprechende Expertise besitzt.
3. Empowerment und Partizipation
Die Freiwilligenarbeit sollte darauf abzielen, die Menschen im Gastland in ihrer Selbstbestimmung und Autonomie zu stärken. Dies kann durch partizipative Ansätze und die Förderung lokaler Fähigkeiten und Ressourcen erreicht werden. Ich versuche, das verstärkt umzusetzen.
Was sind eure Erfahrungen?
Habt ihr ähnliche Erfahrungen gemacht oder seht ihr es anders? Gibt es Organisationen, die ihr empfehlen könnt?
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