Erdbeben in Nepal: Ja, ich habe Angst

Alles Mög­li­che bin ich gefragt wor­den, seit ich beschlos­sen habe, für eine Wei­le nach Nepal zu gehen. Wie das Essen so schmeckt und ob ich es gut ver­tra­ge, wie kalt es hier im Win­ter wird, wie der Ver­kehr in Kath­man­du ist (schlimm) und ob ich auch bald mit dem Rol­ler durch die Stra­ßen düse (nein).

Vier Jahre nach dem großen Beben: ernüchternde Bilanz

Ob ich Angst vor einem Erd­be­ben habe, hat mich hin­ge­gen nie jemand gefragt. Mich selbst beschäf­tigt das The­ma häu­fig. Kein Wun­der – hier gibt es vor ihm schließ­lich kein Ent­kom­men, schon gar nicht jetzt, im Früh­ling, da sich die letz­te Kata­stro­phe in Nepal zum vier­ten Mal jährt: Am Sams­tag, den 25. April 2015, kurz vor zwölf Uhr mit­tags erschüt­ter­te ein Beben der Stär­ke 7,8 das Kath­man­du­tal, fünf­zig Sekun­den lang beb­te die Erde, etli­che hef­ti­ge Nach­be­ben folg­ten. Fast 9000 Men­schen sind damals gestor­ben, gan­ze Dör­fer wur­den aus­ge­löscht, unzäh­li­ge Häu­ser und Tem­pel zer­stört.

Erd­be­ben in Nepal: Bilanz in der „Nepa­li Times“ vom 5. April 2019

Schon seit Wochen zie­hen die Medi­en hier Bilanz. Sie fra­gen, war­um der Wie­der­auf­bau stockt und wohin Spen­den­gel­der ver­si­ckern. Sie por­trä­tie­ren Men­schen, die alles ver­lo­ren und bis heu­te nicht zur Nor­ma­li­tät zurück­ge­fun­den haben. Sie empö­ren sich, weil vie­le Kin­der in Not­ka­buffs ler­nen, seit das Beben etwa 5000 Schu­len zer­stört hat. Und sie for­dern, dass end­lich kon­se­quent erd­be­ben­si­cher gebaut und öffent­li­che Ein­rich­tun­gen für den Ernst­fall aus­ge­stat­tet wer­den: mit Flucht­we­gen, Vor­rä­ten und Werk­zeu­gen zum Gra­ben. „Wir haben offen­bar noch immer nicht begrif­fen, wie viel Glück wir hat­ten, dass das Erd­be­ben an einem Sams­tag pas­siert ist. Tags­über noch dazu“, schreibt etwa die Wochen­zei­tung Nepa­li Times,  „Les­sons unlear­nt“ heißt der Bei­trag.

Erdbeben in Nepal: Quälende Erinnerungen

Zum Glück war es ein Sams­tag“, das habe ich auch von nepa­le­si­schen Freun­den oft gehört. Vie­len fällt es schwer, über das Erd­be­ben zu reden. „Erin­ne­re mich bloß nicht dar­an“, sagt ein Freund, als wir auf den Jah­res­tag zu spre­chen kom­men – und wenig spä­ter spru­deln die ver­dräng­ten Bil­der und Gedan­ken doch aus ihm her­aus. Er erzählt von der Angst um sei­ne Mut­ter, die er vom obe­ren Stock­werk ihres Hau­ses die Trep­pe hin­un­ter­ge­tra­gen hat, weil sie sich, im Schock erstarrt, nicht bewe­gen konn­te. Bis heu­te sucht er das Wei­te, wenn eine Wasch­ma­schi­ne im Schleu­der­gang läuft und den Boden in Schwin­gun­gen ver­setzt.

Die Tages­zei­tung „Kath­man­du Post“ vom 25. April 2019, dem vier­ten Jah­res­tag der Kata­stro­phe

Auch der Mann, den ich lie­be, hat das Erd­be­ben erlebt. An jenem Sams­tag war er im Moksh, einem Club im Her­zen des Sze­ne-Vier­tels Jhamsik­hel, in dem spä­ter ein Kon­zert mit Jazz­mu­sik­schü­lern statt­fin­den soll­te. „Ich bin sofort nach drau­ßen gerannt“, erin­nert er sich an die Sekun­den, als alles zu wackeln begann. „Ich habe mich vor dem Moksh auf den Boden gesetzt, ste­hen ging nicht.“ Immer wie­der gab es im Anschluss Nach­be­ben. Die Han­dy­net­ze waren zusam­men­ge­bro­chen, vor Ort konn­te nie­mand sei­ne Fami­lie errei­chen. Hin­zu kam das uner­träg­li­che Ban­gen, dass das halb­fer­ti­ge Hotel gegen­über, ein zehn­stö­cki­ges Hoch­haus, womög­lich auf sie her­ab­stür­zen könn­te. Nicht mal im Ansatz kann ich mir vor­stel­len, wie schreck­lich all das gewe­sen sein muss.

Wird es in naher Zukunft weitere Beben in Nepal geben?

Kann sich so etwas bald wie­der­ho­len? Lei­der ja: Das klei­ne Land liegt auf der Bruch­kan­te zwi­schen der Indi­schen und der Eura­si­schen Plat­te, mit aller Macht schiebt sich die eine unter die ande­re. Die Span­nung, mei­nen Exper­ten, habe sich 2015 vom Epi­zen­trum, das sich 80 Kilo­me­ter nord­west­lich von Kath­man­du befand, nach Osten hin ent­la­den, sodass es im Osten in naher Zukunft wohl kei­ne star­ken Beben geben wird. Sor­gen macht ihnen aber Nepals Wes­ten: Auf einer Stre­cke von mehr als 800 Kilo­me­tern west­lich der Haupt­stadt staue sich der Druck seit mehr als 500 Jah­ren auf. Hier sei ein Beben der Stär­ke 8,5 in den nächs­ten Jah­ren mög­lich. Was das für Kath­man­du bedeu­tet? Ich weiß es nicht, ich möch­te nicht dran den­ken.

Mehr als 44.000 Nach­be­ben hat es seit dem 25. April 2015 gege­ben, die Lis­te setzt sich sogar heu­te noch fort. Zwei von sechs klei­ne­ren Erd­be­ben habe ich wahr­ge­nom­men, seit ich in Nepal lebe. Am 18. März 2019, als ich noch kei­ne drei Wochen in Kath­man­du wohn­te, stand ich vor­mit­tags im Wohn­zim­mer und spür­te einen Ruck. Mir schoss das Bild eines LKWs in den Kopf, der dicht vor unse­rem Haus durch ein Schlag­loch fährt. Erst spä­ter, als mein Freund mir schrieb, es habe wohl gera­de ein Erd­be­ben gege­ben, war mir alles klar.

Rück­sei­te des Kath­man­du Dur­bar Squa­res im April 2019: Die Fol­gen des Erd­be­bens von 2015 sind noch immer sicht­bar

Zuletzt ist es aus­ge­rech­net kurz vorm Jah­res­tag der Kata­stro­phe von 2015 pas­siert: Es war mor­gens, 6.29 Uhr, ich war auf dem Weg zur Arbeit, lief zügig eine Stra­ße ent­lang. Kör­per­lich habe ich dies­mal nichts gespürt – wohl nicht unge­wöhn­lich, wenn man läuft –, aber als ich Men­schen sah, die schrei­end aus ihren Häu­sern rann­ten, wuss­te ich Bescheid. Das Beben hat­te die Stär­ke 5,2, mein Freund ist davon auf­ge­wacht. Zwölf Minu­ten spä­ter und dann noch mal am Nach­mit­tag folg­ten wei­te­re, schwä­che­re Erschüt­te­run­gen. Eben­falls Nach­be­ben von damals, zum Glück immer nur kurz.

Und doch, die Ant­wort auf die Fra­ge nach der Angst, sie lau­tet „Ja.“

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Antworten

  1. Avatar von Rüstem Paşa

    Wirk­lich groß­ar­tig. Ich möch­te da sein. Vie­len Dank.

  2. Avatar von nerede çekiliyor

    Ein sehr schö­ner Arti­kel! Dan­ke

  3. Avatar von Hans-Dieter Knebel
    Hans-Dieter Knebel

    Hal­lo,
    viel­leicht bin ich ja schwer von Begriff, aber wel­che gute Aus­wir­kung hat­te nun der Sams­tag? An der 5‑Ta­ge-Woche kann es doch in Nepal nicht lie­gen?
    Dan­ke für eine Info
    Gruss
    Die­ter

    1. Avatar von Susanne Helmer

      Hal­lo Hans-Die­ter, ich beant­wor­te die Fra­ge gern: Der Sams­tag ist hier in Nepal als ein­zi­ger Tag in der Woche kein Werk­tag. Die Schu­len – kaum eine ist erd­be­ben­si­cher gebaut und 5000 wur­den bei dem Beben zer­stört – waren daher zum Glück leer. Eben­so ande­re öffent­li­che Gebäu­de. Auch die Stadt­zen­tren sind an einem Sams­tag­mit­tag nicht so voll wie sonst. Vie­le Fami­li­en waren zusam­men zu Hau­se, jün­ge­re konn­ten so älte­ren Fami­li­en­mit­glie­dern unmit­tel­bar hel­fen, Eltern hat­ten ihre Kin­der bei sich und sind nicht vol­ler Sor­ge los­ge­fah­ren oder ‑gelau­fen, um sie zu suchen.

  4. Avatar von Merida

    Eine tol­le Gegend. Ich will dahin. Vie­len Dank.

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