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Wie weit ist es noch?“ frage ich – auf Deutsch, denn der halbstarke Bursche, der meinen Rucksack auf einem Eselskarren durch die Souks kutschiert, hat mich auch wie selbstverständlich in meiner Muttersprache angesprochen.
Meinen Rucksack hätte ich allerdings auch selbst tragen können. Doch die Nacht ist bereits über Marrakesch hereingebrochen und auch wenn ich keine Angst habe, so habe ich doch keine Ahnung, wo ich hin muss – er schon. Hoffentlich.
Der Junge ist der Neffe vom Taxifahrer. Der Taxifahrer ist ein Freund vom Hostel-Manager. Seit meiner Ankunft am Busbahnhof wurde ich weitergereicht wie der Klingelbeutel in der Kirche – nur dass man da Geld rein tut anstatt welches rauszunehmen.
„Oh, nicht mehr weit,“ sagt der Neffe vom Taxifahrer, dem ich unsicher durch die Altstadt folge. Alles, was ich in der Dunkelheit ausmache, erinnert mich eher an eine Filmkulisse, als an die Wirklichkeit. Ja, die Verlockung ist groß, tatsächlich an die Häuserwände zu klopfen, um zu sehen, ob sie nur aus Pappe sind.
Mache ich aber nicht. Stattdessen folge ich dem Neffen vom Taxifahrer um eine Biegung und durch einen düsteren Tunnel und auf der anderen Seite hält tatsächlich mein Hostel einladend die Tür auf.
Ich bin mir natürlich darüber im Klaren, dass der Neffe vom Taxifahrer nicht nur aus reiner Gastfreundschaft meinen Rucksack durch die halbe Medina geschleppt hat. Er will Geld dafür. Darum gebe ich ihm welches – und bin überrascht, als er dankend ablehnt und sich trollt.
Damit bleibt er aber der einzige in den nächsten Tagen…
„Beautiful lady, have a look! I give you good price! Good price for shoes! Look, beautiful shoes for beautiful lady!“
werde ich am nächsten Tag von einem Verkäufer angebrüllt.
„No, thank you. I’m just looking.“
sage ich und winke ab.
„Yeah, well… I’m just selling!“ sagt er, angepisst. Ich wette, meine Antwort steht ganz oben auf der Liste der Sätze, die marokkanische Straßenhändler nicht mehr hören können.
Aber ich kann nicht Feilschen.War nie mein Ding. Ich mag Sachen, auf denen feste Preise stehen. Ich vermeide Auseinandersetzungen. Ich verhandele nicht gern.
In Marrakesch bin ich also komplett Fehl am Platz. Hier ist alles Verhandlungssache.
Die Taxifahrt, die Flasche Wasser, die Übernachtung im Hostel, die Datteln, die Kutschfahrt, der Esel, die Ziege, die Schildkröte, die Krokodil-Lederhaut, die Gewürze, die Wunderlampe, der richtige Weg nach Hause. In den Souks gibt es 1001 Schnäppchen und als Tourist werde ich als wandelnder Geldautomat angesehen.
Die Leute sagen, in Marrakesch sei nichts umsonst.
Eigentlich müsste die Stadt am Fuße des Atlas „Marra-Cash“ heißen.
Trotzdem bin ich hellauf begeistert! Marrakesch fordert mich heraus, zwingt mich dazu, mich auszutesten und auf Menschen zuzugehen, nein zu sagen – und das auch mal laut. Und vor allem: Vieles mit Humor zu nehmen.
Die verwinkelten Gassen der Souks und der große Platz Djemaa el-Fna ziehen mich magisch an. Ich gehe verloren zwischen den Türmen aus Gewürzen, den riesigen Teppichlagern, den Läden mit Silber-Schmuck und denen mit echtem Silber-Schmuck.
Überall da, wo Touristen auf Einheimische treffen, kann ich mich kaum sattsehen.
Henna-Malerinnen, die ahnungslosen Mädchen als Geschenk den Arm tätowieren und dann aber doch Geld dafür verlangen.
Schlangenbeschwörer, die zum Inkasso-Unternehmen werden, wenn du ein Foto von ihnen machst.
Freche Bengel, die sich als Guide ausgeben und dich in die Irre führen – nur um dann noch mehr Geld abzustauben, damit sie dich wieder zurückbringen.
Geschäftsmänner, die irrsinnige Argumente erfinden, um ihre Ware an den Mann zu bringen. („Diese Lampe gehörte Ali Baba höchstpersönlich!“)
Die Bewohner Marrakeschs sind clever.
Sie haben ihre westlichen Besucher genau studiert – und der Djemaa el-Fna ist ihr Hörsaal.
Keinen überrascht es mehr als mich, dass ich mich hier bewege wie ein Fisch im Wasser!
Vor allem das Feilschen fasziniert mich auf einmal. Auf meinen Streifzügen durch die rote Stadt beobachte ich, dass Feilschen keine flüchtige Angelegenheit ist, die es gilt, schnell hinter sich zu bringen. Schließlich geht es hier um ein Geschäft. Güter wechseln von einer Hand zur anderen den Besitzer. Und dafür lässt man sich Zeit.
Der Käufer begutachtet die Ware und sieht sich im Laden um, fragt nach der Herkunft der Produkte, fühlt wie schwer sie sind, wie gut sie verarbeitet wurden und macht dem Händler Komplimente für die gute Arbeit. Der Händler gibt Auskunft, präsentiert seine Ware, erkundigt sich nach der Heimat des Käufers.
Und das dauert.
Lange Minuten vergehen, bis sich schließlich auf ein Stück festgelegt wird. Die Zeit brauchen beide, um sich zu beschnuppern, um einzuschätzen, wie hoch oder niedrig sie den Preis ansetzen können. Nennt der Händler sein erstes Gebot, ist sein Preis mindestens dreimal so hoch wie der wahre Wert. Nennt der Käufer sein erstes Gebot, sollte er darum immer höchstens ein Drittel des Preises nennen, den er bereit ist, auszugeben.
Fast so als würden sie tanzen, kommen sich Händler und Käufer so immer näher und treffen sich im Idealfall genau in der Mitte. (Wenn man sich nicht einig wird, kann es auch helfen, noch ein kleines Geschenk oben drauf zu legen – ein Kaugummi, ein Feuerzeug, ein Taschenmesser – je nachdem wie hoch der Preis ist)
Es heißt, du hast zu gut gefeilscht, wenn der Händler dir am Ende wütend die Ware entgegenschleudert.
Aber das will ja keiner. Der Händler muss immerhin eine Familie ernähren und was für mich nur ein großer Spaß ist, ist für ihn überlebenswichtig. Wenn alles gut läuft, wird die Ware also schließlich in Zeitungspapier eingeschlagen und wechselt den Besitzer, genau wie das Geld. Ein Handschlag, um das Geschäft zu besiegeln, Salem aleikum, ich wünsche noch gute Geschäfte.
Meine Zeit in Marrakesch vergeht so wie im Flug. Ich fülle meinen Rucksack mit Souvenirs und meinen Kopf mit Bildern. Und auf einmal bin ich auch schon wieder auf dem Weg zum Flughafen, als ich die letzte Stimme Marrakeschs hinter mir rufen höre.
“Deutschland! Hey, Deutschland!”
Es ist der Neffe vom Taxifahrer. Dieses Mal ohne den Eselskarren.
“Du hast vergessen mich zu bezahlen, Deutschland!” sagt er, als er mich einholt und grinsend die Hand aufhält.
Es stimmt also, was die Leute sagen: Nichts ist umsonst, in Marra-Cash…
Travel is like an endless university. You never stop learning.
HARVEY LLOYD
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Antworten
Jaahhh, dass mit dem penetranten Geld aus der Tasche ziehen ist hier in Marrakesch wirklich ein Problem. Aber keine Sorge, dass läuft genauso unter den Einheimischen, halt nicht in so Riesen Beträgen
LG aus Marrakesch,
Nadine
Ich kenne Marrakesch noch aus den 60er Jahren. Damals gab es zwar auch schon reichlich Touristen – aber kein Vergleich zu heute. Die Stadt und die Bewohner sind einfach großartig! Wer will ihnen vorwerfen, an den Touristen zu verdienen? Wen das stört, der sollte mal die Abzockmentalität der Einwohner Roms oder anderer Städte erleben. Der Bericht ist ist sehr gut! Bitte mehr davon!
Was für ein geschickter Junge, der Neffe!
Wartet der doch wirklich, bis er dir sprichwörtlich die letzten Dirham aus der Tasche ziehen kann.
Für alle, die ihren Marokkotrip noch vor sich haben:Im Travelwiki gibt es eine sehr nützliche Preisauflistung zur Orientierung http://wikitravel.org/en/Marrakech#Prices
Toller Bericht, Schöne Bilder. Marrakesch hat so einen Zauber, dass man immer wieder hin muss…
Mir gehts wie Alex – ich liebe Marrakesch. Aber ganz Marokko hat mein Herz erobert…
Über deinen Klingelbeutel-Vergleich habe ich mich sehr amüsiert (und gleich weiter erzählt). Busbahnhöfe sind doch fast überall auf der Welt irgendwie bloody f…g 🙂Ich liebe Marrakesch – Lass‹ es einfach laufen…Die Händler unterbieten sich meist von alleine – auch wenn man manchmal das Gefühl hat, es artet in eine Schlägerei aus. 😉 Man sollte sich einfach vorher einen angemessenen Preis überlegen, den man bereits ist zu zahlen. Tolle Bilder und ein wirklich schöner Bericht!
Liebe Grüße
Alex
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