Einmal Winterschwimmen in Finnland

Die Tem­pe­ra­tu­ren lie­gen knapp über null, Nebel hängt tief über der Ost­see. Über dem Archi­pel vor Tur­ku. Ein paar Insel­chen tau­chen wie Fata Mor­ga­nas hier und dort aus dem Was­ser auf. Als ich das nächs­te Mal hin­schaue, hat das Grau sie schon wie­der ver­schluckt. Ich fol­ge Min­na, mei­ner fin­ni­schen Freun­din seit über 20 Jah­ren. Mei­ner ewi­gen Ver­bin­dung zu die­sem wun­der­sa­men Land der schweig­sa­men Men­schen hoch im Nor­den. Finn­land. Es ist ein mil­der Febru­ar. Bis vor weni­gen Stun­den ist Nie­sel­re­gen gefal­len, und kein Fin­ne hat­te einen Schirm dabei. Im Febru­ar reg­net es doch nicht! Es schneit. Nor­ma­ler­wei­se.

Im Wald

Die Insel und gleich­zei­tig der Natio­nal­park Ruis­sa­lo liegt gut 25 Bus­mi­nu­ten von Finn­lands sechst­größ­ter Stadt Tur­ku ent­fernt. Schnell lässt der gut geheiz­te Bus den Hafen Tur­kus im wahrs­ten Sin­ne des Wor­tes links lie­gen. Es geht hin­ein in die Wäl­der, die so gar nicht bus­fit erschei­nen und es doch sind. Wenig spä­ter sind wir da. In der Wild­nis. Win­ter­lich trä­ge, ver­schla­fen, liegt die Natur unter einer dün­nen Schnee­schicht, unter tau­en­dem Eis.

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Zum Ein­stim­men gehen wir erst­mal eine Run­de im Wald spa­zie­ren. Schnee von ges­tern – oder eher von der Woche davor – klam­mert sich noch an den Ufern der Ost­see fest. Hat sich auf­ge­bäumt zu klei­nen Hau­fen, die unter unse­ren Füßen kna­cken und bre­chen. Wir kra­xeln den Strand ent­lang, lau­schen der in die­sem Win­ter zu früh erwach­ten See, die gemäch­lich die Kie­sel­stei­ne leckt. Noch nicht ganz über­zeugt, dass ihr Win­ter­schlaf schon been­det ist.

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Wir spa­zie­ren an einem Haus vor­bei, das mich sofort an eine alte Dame kurz vor dem Able­ben erin­nert. Noch stolz erha­ben, einen Hauch ihrer eins­ti­gen Schön­heit im Blick, über dem zer­fal­le­nen Äuße­ren. Die Hül­le des hell­grü­nen Hau­ses ver­liert unten ihre Plan­ken. Durch teils zer­bro­che­ne Fens­ter zieht kal­te Luft ins Inne­re. Ich tre­te vor­sich­tig auf die mor­sche Holz­trep­pe, die zur eins­ti­gen Veran­da hoch­führt. Wage einen Blick hin­ein. Wie eine ver­en­de­te Schlan­ge zieht sich Toi­let­ten­pa­pier über den Boden, hin zur Trep­pe, die ins obe­re Geschoss führt. Wei­ter hin­ten erspä­he ich hohe Stüh­le. Einen Tisch. Belegt von den Geis­tern ver­gan­ge­ner Zei­ten. Hier im Natio­nal­park sei es unglaub­lich teu­er, Häu­ser zu kau­fen oder zu restau­rie­ren, so Min­na. Die Erben die­ser Art Häu­ser könn­ten es sich oft nicht leis­ten, die Häu­ser wie­der in Schuss zu brin­gen, und ver­kau­fen lie­ßen sie sich auch nicht.

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Sau­naschwes­tern

„Bist du bereit fürs Win­ter­schwim­men?“, fragt mich mei­ne Freun­din. In der Fer­ne sehe ich hum­mer­far­be­ne, dick­bäu­chi­ge Män­ner, die aus einem fla­chen Sau­na­ge­bäu­de den Steg hin­un­ter ins Was­ser spa­zie­ren. Ein Schau­er läuft mir den Rücken hin­un­ter. Obwohl – bei die­sen Tem­pe­ra­tu­ren ähnelt das für einen Fin­nen schon dem Ost­see­schwim­men im Som­mer.

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Ich weiß nicht, ob ich bereit bin. Möch­te nicht vor­aus­pla­nen, nicht ver­spre­chen, was ich doch nicht hal­ten kann. Auch Min­na ist unsi­cher, ob sie wie­der in die eis­kal­te See sprin­gen wird. Ent­ge­gen mei­ner Ver­mu­tung ist dies selbst für wasch­ech­te Fin­nen nicht ganz so selbst­ver­ständ­lich. Dabei hat­ten wir schon im Bus zwei älte­re Damen vor uns, die laut Min­na über die opti­ma­le Wir­kung des Win­ter­ba­dens berat­schlag­ten. Eine super Sache für die Durch­blu­tung. Fürs Immun­sys­tem. Eine der vie­len Geheim­zu­ta­ten, um es gesund bis ins hohe Alter zu schaf­fen.

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Wenn schon Win­ter­schwim­men, dann muss das in Finn­land natür­lich mit einer gesun­den Por­ti­on Sau­na ver­bun­den sein. Dar­über, ob man nun zuerst ins Was­ser gehen soll­te und dann in die Sau­na oder genau umge­kehrt, dar­über sind sich nicht mal die ein­hei­mi­schen Frau­en einig, die fröh­lich plau­dernd mit uns in dem 100 Grad hei­ßen Kabäu­schen aus Holz sit­zen. Platz gibt es für etwa 20 Frau­en, die Män­ner­sauna ist neben­an. ‚Sau­naschwes­tern‘ steht in Fin­nisch und Schwe­disch an der Tür. Na klar, hier drin­nen sind wir eine klei­ne Fami­lie. Ganz oder halb nackt. Bereit oder nicht bereit, nach der Schwitz­tour den Steg zur Ost­see hin­ab­zu­schrei­ten.

(K)eine schwe­re Ent­schei­dung

Bevor ich mich ver­se­he, ste­he ich im Biki­ni im Nebel. Min­na hat nichts gesagt, um mich dazu zu brin­gen. Wahr­schein­lich war es der Sau­na­t­roll, den es den Legen­den nach in jeder fin­ni­schen Sau­na gibt. Ich tra­ge Flip­flops. Das hat mir Min­na emp­foh­len, damit die Füße nicht gleich so eisig wer­den. Und wer will schon kal­te Füße krie­gen? Gera­de jetzt.

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Die Exper­tin­nen und Exper­ten im Win­ter­ba­den tra­gen noch dazu Hand­schu­he, man­che sogar Müt­zen. Ich kom­me mir in mei­nen Schläpp­chen in der Win­ter­land­schaft irgend­wie unan­ge­zo­gen vor. Mit jedem Schritt Rich­tung Meer schlägt mein Herz schnel­ler. Jeder Mus­kel spannt sich an, als mein Kopf dem Kör­per mel­det, was jetzt kommt. Muss das Den­ken abstel­len. Ein­fach machen. Ich neh­me die Holz­stu­fen hin­ab zum wel­li­gen Meer. Strei­fe die Flip­flops ab. Mei­ne Fuß­soh­len füh­len sich an, als wür­de ich sie ins Gefrier­fach ram­men. Das Was­ser schnappt nach mei­nen Waden. Ich tre­te eine Stu­fe tie­fer. Jetzt bloß nicht zögern oder inne­hal­ten. Es ist ohne­hin zu spät.

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Vor­wärts ist mein ein­zi­ger Weg. Das Was­ser steht mir bis zum Bauch, mei­ner emp­find­lichs­ten Zone. Ich las­se mich fal­len. Die Füße und Bei­ne spü­re ich schon nicht mehr. Drei Schwimm­zü­ge, dann dre­he ich schrei­end um. Tas­te nach den ret­ten­den Holz­stu­fen. Zie­he mich am Gelän­der hoch. Min­na steht oben, applau­diert. „Ich bin so stolz auf dich!“, wider­holt sie immer und immer wie­der. Ich het­ze zurück in die Sau­na. Hoch erho­be­nen Haup­tes. Von fast null Grad auf hun­dert.

Die Irre in der Sau­na

Die Fin­nin­nen plau­dern noch immer, nie­mand nimmt Notiz von mir. Dabei habe ich gera­de zum ers­ten Mal in mei­nem Leben mit­ten im Win­ter im Meer geba­det. Ich pres­se noch Eis­was­ser aus mei­nem Biki­ni, als eine älte­re Dame in die Sau­na schneit. Sie füllt den Was­ser­ei­mer für den Auf­guss mit einem Schlauch. Plötz­lich erschei­nen Dämo­nen in ihrem Blick. Sie spritzt das Was­ser wild über die hei­ßen Sau­na­stei­ne. Es zischt. Mein offen­ste­hen­der Mund schließt sich von der Hit­ze, die mir wie eine Ohr­fei­ge ins Gesicht klatscht. Min­na senkt den Kopf zwi­schen die Bei­ne. Ich tue es ihr gleich. Doch außer mir wirkt nie­mand scho­ckiert. So ein biss­chen spin­nen die schon, die Fin­nen.

Nach gut zehn Minu­ten wirft mir Min­na einen fra­gen­den Blick zu. Ich nicke nur. Wir lau­fen zurück zum Steg. Das zwei­te Mal scheint es schon fast nor­mal. Ich füh­le mich gewapp­net für das, was kommt. Die eisi­ge Käl­te. Und das Gefühl voll­kom­me­ner Leben­dig­keit, als mein Kör­per lang­sam wie­der auf­taut. Zuletzt die Hit­ze, die mich in der Sau­na umarmt. Als wir uns nach zwei Stun­den und einem wei­te­ren Mee­res­bad anzie­hen, brei­tet sich ein sel­te­nes Wär­me­ge­fühl in mir aus. Von irgend­wo tief innen, wo ich sonst gar nichts spü­re. Fast sind mir mei­ne Win­ter­kla­mot­ten zu viel, fast möch­te ich im Biki­ni wei­ter­lau­fen. Min­na lacht nur. Nicht über mich, mit mir. Weil ich’s kapiert habe, die Fas­zi­na­ti­on Win­ter­schwim­men.

Mut schwarz auf weiß

Im Bus betrach­te ich mein neu­es Diplom. Aus­ge­hän­digt vom Sau­na­meis­ter, der von oben in Drei­vier­tel­ho­sen und Bade­schlap­pen mei­ne Hel­den­tat genau­es­tens beob­ach­tet hat. „Gra­tu­lie­re“ steht dar­auf, dann mein Name und die Bestä­ti­gung, dass ich win­ter­ge­ba­det habe. Bei schlap­pen + 1 Grad. Dass ich ver­dammt mutig war.

Es tut gut, mei­nen Mut ein­mal aus­ge­druckt zu sehen. Für all die Tage, an denen ich Zwei­fel an mir selbst habe. Für die Tage, an denen mein Leben genau­so trüb erscheint wie der fin­ni­sche Febru­ar­ne­bel, der mir doch die wun­der­bars­te Offen­ba­rung geschenkt hat: Dass ich alles schaf­fen kann, wenn ich nur ein­fach wei­ter­ge­he. Ohne gro­ßes Nach­den­ken. Ohne Zwei­fel.

„Noni­in!“, sagen die Fin­nen. „Auf geht’s!“ Und wenn ich mal wie­der unmu­tig wer­de, dann schaue ich nur kurz auf das ein­zi­ge Diplom, das es jemals gerahmt an mei­ne Wand geschafft hat.

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Antworten

  1. Avatar von Kasia Oberdorf

    Brrrrr.… ja, das woll­te ich auch machen, als ich neu­lich in Janu­ar in Hel­sin­ki war… das berühm­te Win­ter­schwim­men, aber irgend­wie hat es sich… *hüs­tel* nicht erge­ben *hüs­tel* 🙂 Mutig, mutig…

    1. Avatar von Bernadette

      Haha, das kann ich mir gut vor­stel­len, dass sich das nicht so erge­ben hat, lie­be Kasia 😉 Hat­te auch nicht damit gerech­net, dass sich das bei mir so erge­ben wür­de …

  2. Avatar von Larbi
    Larbi

    Du bist hübsch, gesund und mei­ne lie­be Autorin!

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