Ein Ende der Welt

Es dau­ert drei Stun­den, bis unser Kijang end­lich voll besetzt ist und wir von Pole­wa­li nach Mama­sa auf­bre­chen. »Voll besetzt« heißt natür­lich dop­pelt belegt, in den Jeep quet­schen sich 15 Indo­ne­si­er und wir ergat­tern lei­der nur den Kof­fer­raum. Mit uns fah­ren dut­zen­de Kar­tons, min­des­tens einer ent­hält unver­kenn­bar getrock­ne­ten Fisch. Eier­pa­let­ten wer­den auf dem Dach fest­ge­schnallt. Unser Kijang lässt sich nur durch einen Griff unter die Motor­hau­be star­ten. End­lich befin­den wir uns auf dem Weg nach Mama­sa in den Ber­gen Sula­we­sis. Für die 80 km Stre­cke wer­den wir uns 8 müh­vol­le Stun­den die Ser­pen­ti­nen hoch­schlän­geln.

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Unser Kijang hop­pelt über die Schlag­lö­cher, bereits nach 30 Minu­ten Fahrt über­ge­ben sich zwei unse­rer Mit­fah­re­rin­nen. Mein Kopf schlägt (trotz mei­ner asia­ti­schen Grö­ße von 1,52 m) bei jedem Schlag­loch gegen die Jeep­de­cke. Irgend­wann bricht die Dun­kel­heit ein und mit ihr mein Angst­schweiß aus. Hupend fah­ren wir die düs­te­ren Ser­pen­ti­nen hin­auf, jedes Mal, wenn wir Gegen­ver­kehr haben, bleibt mein Herz ste­hen. Als ich den­ke »Schlim­mer kann es nicht wer­den« bricht ein tosen­des Gewit­ter los. Sturz­re­gen schlägt auf unse­re Front­schei­be und zu allem Über­fluss lässt sich auch der Schei­ben­wi­scher nur durch Zie­hen mit der Hand betä­ti­gen. Die Stra­ße ver­wan­delt sich in eine Schlamm­pis­te, über die Ste­fan Raab bei Schlag den Raab sicher hoch erfreut wäre. Ich kann zwar nichts mehr erken­nen, aber der Gedan­ke an den Abgrund zu mei­ner Lin­ken ver­setzt mich in Panik. Eine wei­te­re Stun­de spä­ter habe ich sämt­li­che Fin­ger­nä­gel abge­pult. In einer Kur­ve geht dann gar nichts mehr. Vor uns ist ein Las­ter ste­cken­ge­blie­ben und ich über­le­ge ernst­haft, ob aus­stei­gen und lau­fen eine Opti­on ist. Irgend­wann star­tet unser Fah­rer den Motor wie­der manu­ell, steckt sei­nen Kopf aus dem Fens­ter und es geht wei­ter. Lei­der wie­der nur eine Stun­de, denn dann ste­cken wir sel­ber fest. Die Räder dre­hen durch, Matsch spritzt und dem Geräusch zufol­ge erwar­te ich, dass unser Motor in weni­gen Sekun­den ins Jen­seits über­tritt. Allei­ne unser Kijang-Fah­rer wirkt so abge­klärt, dass ich mich zusam­men­rei­ße und nicht in Trä­nen aus­bre­che. Vol­le 8 Stun­den ist er kon­zen­triert, ver­liert nie sei­nen Humor und bringt uns durch noch so tie­fe Schlag­lö­cher.

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Oft gele­sen, und es stimmt: Ein Blick kann ent­schä­di­gen! Am nächs­ten Mor­gen erin­nert mich der Blick über das Mama­sa Tal dar­an, war­um wir hier hin­auf woll­ten. Es ist ein woh­li­ges Gefühl, dass im Magen Schmet­ter­lin­ge flie­gen und im Kopf Ton­nen­wei­se Sero­to­nin pro­du­zie­ren lässt: Das Gefühl von Ganz-Weit-Weg-Sein. Ab vom Schuss. Ein Roger Willemsen´sches Ende der Welt gefun­den zu haben.

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Die Suche nach Authen­ti­zi­tät, nach »ech­ten« Erleb­nis­sen, beglei­tet mich täg­lich auf die­ser Rei­se. Jeder Bus­fahrt liegt die Hoff­nung auf die­sen Glücks­mo­ment zugrun­de. So vie­le wun­der­ba­re Orte wur­den bereits ent­deckt, beliebt und schließ­lich zu kom­mer­zi­el­len Tou­ris­ten­ma­gne­ten.

In Mama­sa näch­ti­gen wir im Gäs­te­haus der Gere­ja Tora­ja, wo sich am Abend ein Pries­ter­se­mi­nar trifft, singt und betet. Mehr­fach fällt der Strom aus und wir ver­brin­gen Aben­de im Ker­zen­schein. Das Was­ser unse­res Man­dis hat die Tem­pe­ra­tur eines Berg­flus­ses (wo das Was­ser sicher her­stammt), so dass wir täg­lich eine Kneipp-Kur machen (nur ohne das war­me Wech­sel­was­ser). Wir wan­dern tage­lang durch die Berg­re­gi­on, blau­er Him­mel trifft saf­ti­ges Grün- und wir auf die aller­liebs­ten Men­schen.

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Der Lonely Pla­net und das Inter­net decken bei­na­he jedes Fleck­chen Erde ab, was bequem und häu­fig beru­hi­gend ist, gleich­zei­tig das Rei­sen aber ein Stück­chen ent­zau­bert hat. Gera­de des­we­gen ist das Gefühl von Ganz-Weit-Weg so wert­voll. Und viel­leicht ist es auch gut, dass das Mama­sa Val­ley nur über die Schlamm­pis­ten-Ser­pen­ti­nen erreich­bar ist.

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