Ihre Majestät bittet zur Bergtour

Nor­we­gens Köni­gin Son­ja, von der man weiß, dass sie sehr sport­lich ist, urlaubt regel­mä­ßig auf der Insel­grup­pe Ves­terå­len. Sie hat dort vor allem in den Ber­gen Spu­ren hin­ter­las­sen. Eine beson­de­re Trek­king­rou­te, die Köni­gin Son­ja absol­viert hat, trägt seit­her ihren Namen: Dron­ning­ru­ta, also Köni­gin­nen­weg. Johan­na Stöckl ist dem Ruf der Köni­gin gefolgt und hat sich samt Berg­stie­feln und Ruck­sack auf den Weg in den hohen Nor­den gemacht.

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Wo ich bin? Die Insel­grup­pe Ves­terå­len liegt nord­öst­lich der Lofo­ten, etwa 300 Kilo­me­ter nörd­lich des Polar­krei­ses vor der Küs­te Nor­we­gens. Der Ves­terå­len- Archi­pel besteht aus fünf Inseln, die durch Brü­cken mit­ein­an­der ver­bun­den sind. Von Mün­chen aus geht mein Flug über Oslo nach Harstedt/​Evenes. Wel­co­me to Ves­terå­len! Ich habe mich ja schon gele­gent­lich als Nor­we­gen Fan geoutet. Daher muss ich nicht erneut beto­nen, wie sehr ich mich auf die­se Rei­se in den hohen Nor­den freue. Auch das Pogramm klingt viel­ver­spre­chend: Wir wer­den wan­dern und aktiv sein.

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Nor­we­gen muss man ein­fach lie­ben, wenn man die Natur mag und ger­ne drau­ßen ist. Moment­auf­nah­me: Obwohl ich hun­de­mü­de in Nyk­s­und ankom­me, ver­ges­se ich beim Blick aus mei­nem Zim­mer­fens­ter jede Schwä­che. Wo wir die nächs­ten Tage woh­nen? In Holm­vik Bryg­ge, einem his­to­ri­schen, fami­liä­ren Gäs­te­haus in Nyk­s­und. Der deut­sche Aus­stei­ger Ssem­jon Ger­litz und sei­ner Ehe­frau Nuri­et­ta füh­ren das Hotel, das ganz­jäh­rig geöff­net ist, über­aus lie­be­voll und sehr per­sön­lich. Im beschau­li­chen Nyk­s­und selbst leben im Som­mer kei­ne 30 Ein­woh­ner. Im Win­ter sind es noch weni­ger. PS.: Man soll in Nyk­s­und wäh­rend der Win­ter­mo­na­te die Polar­lich­ter beson­ders gut sehen kön­nen!

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Am nächs­ten Mor­gen müs­sen wir zei­tig aus den Federn. Schließ­lich wol­len wir die Dron­ning­ru­ta, den Köni­gin­nen­weg absol­vie­ren. Woher der roya­le Name? Als Köni­gin Son­ja 1994 wäh­rend eines Urlau­bes den Rund­weg meis­ter­te und begeis­tert davon erzähl­te, war dies ein Lot­to Sech­ser für die Regi­on. Und so ver­pass­te man der Trek­king­stre­cke zwi­schen Nyk­s­und und Stø gleich einen neu­en Namen: Köni­gin­nen­weg. 2012 wur­de der 15 Kilo­me­ter lan­ge Rund­weg von den Lesern des Maga­zins Fri­luft­sliv zur schöns­ten Wan­der­tour Nor­we­gens gewählt. Na also, dann sind wir mal gespannt und moti­viert. Das Wet­ter ist zwar nicht strah­lend, aber ide­al zum Wan­dern. Los geht’s!

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Erst­mal heißt es ordent­lich Höhen­me­ter machen und schwit­zen. Auf dem ziem­lich stei­len Auf­stieg wer­den wir aber immer wie­der mit einem herr­li­chen Tief­blick belohnt. Es fol­gen zau­ber­haf­te Flach­pas­sa­gen ent­lang von Berg­seen und durch Hoch­moo­re, eine luf­ti­ge Fels­grat­wan­de­rung mit atem­be­rau­ben­den Pan­ora­ma und Tief­blick auf die Nach­bar­inseln und das Meer. Ssem­jon Ger­litz, bei dem wir näch­ti­gen, beglei­tet uns als Gui­de. Man könn­te die Tour aber durch­aus auch allei­ne meis­tern, denn der Weg ist durch­gän­gig mit einem roten „T“ aus­ge­schil­dert. Da es kei­ne Hüt­ten hat, haben wir reich­lich Pro­vi­ant dabei.

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Das Wet­ter könn­te bes­ser sein, ja sicher. Aber ganz ehr­lich: Ich mag Nebel und Wol­ken in den Ber­gen. Die Land­schaft sieht dann plötz­lich so mys­tisch aus. Das Blau des Was­sers trifft das Blau des Him­mels. Über­gangs­los ver­schwim­men sie, gehen inein­an­der auf. Ist das nicht schön? Stun­den­lang könn­te ich hier sit­zen und nach Nyk­s­und schau­en. Mein Kopf leert sich mit jedem Höhen­me­ter, den wir uns wei­ter nach oben bewe­gen. Den höchs­ten Punkt auf unse­rer 15 km lan­gen Trek­king­tour errei­chen wir am 448 Meter hohen Finn­gam­heia. PS.: Klingt nicht viel, aber wir sind bei Null gestar­tet ☺

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Halb­zeit: Nach einer herr­li­chen Kamm­wan­de­rung stei­gen wir nach etwa vier Stun­den ins Fisch­er­ört­chen Stø ab. Im Restau­rant Valen keh­ren wir ein und stär­ken uns. Besit­zer Kyr­re Brun hat extra für uns ein gar köst­li­ches Elch­gu­lasch gekocht und Skil­lings­bol­ler, fri­sche Zimt­schne­cken geba­cken. Mitt­ler­wei­le nie­selt es ein wenig. Unse­rer guten Lau­ne tut dies kei­nen Abbruch. Den Rück­weg tre­ten wir ent­lang der Küs­te an und gehen davon aus, dass wir kei­nen Auf­stieg mehr vor uns haben. Ihr ahnt, was kommt?

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Die­ses Foto zeigt, wie viel­fäl­tig und abwechs­lungs­reich die Dron­ning­ru­ta ist. Eben waren wir noch auf einem Fels­grat unter­wegs, haben uns an Draht­sei­len fest­ge­hal­ten, jetzt lau­fen wir am Sand­strand ent­lang. Bei strah­lend schö­nem Wet­ter könn­ten wir hier sogar ins Was­ser hüp­fen! Seht ihr im Hin­ter­grund die Ber­ge? Noch ahnen wir nicht, dass wir am Ende der Tour noch ein­mal einen zacki­gen Anstieg vor uns haben, ehe wir end­gül­tig wie­der unse­ren Aus­gangs­punkt errei­chen. Der liegt näm­lich hin­ter die­sen Ber­gen. Ins­ge­samt machen wir knapp 1000 Höhen­me­ter, lau­fen stram­me 15 Kilo­me­ter und brau­chen dafür mit Pau­sen sie­ben Stun­den. Zurück in Nyk­s­und beloh­nen wir uns im Restau­rant Ekspe­dis­jo­nen mit Kaf­fee und Kuchen. Zwei Stück. Mit viel Sah­ne und ohne Reue!

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Ohne Witz, no Fil­ter! Auch das ist Ves­terå­len. Die­sen Traum­strand nahe dem Ort Bleik pas­sie­ren wir tags dar­auf auf der Nor­we­gi­schen Land­schafts­rou­te Andøya. Die 58 Kilo­me­ter lan­ge Stre­cke ver­bin­det Ande­nes und Bjørns­kinn und ist ein Must-See, wenn man in der Regi­on unter­wegs ist. 2014 war ein Jahr­hun­dert-Som­mer, erzäh­len uns die Ein­hei­mi­schen. Im Dau­er­ein­satz: Biki­ni, Shorts und Flip­flops. Sogar im hohen Nor­den. Bevor ich es ver­ges­se: Wer auf Ves­terå­len urlaubt, soll unbe­dingt eine Wal-Safa­ri buchen und/​oder See­vö­gel­ko­lo­nien besu­chen. Mög­lich­kei­ten dazu gibt es auf jeder Insel.

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Sea to Sum­mit. Wenn eine Berg­tour mit einem Boots­trip star­tet, weißt du, dass du nicht in den Alpen bist. Der Møy­sa­len ist mit sei­nen 1262 Metern die höchs­te Erhe­bung auf der Insel­grup­pe Ves­terå­len. Heu­te ist er fäl­lig. Die Tou­ren­be­schrei­bung will ich nicht glau­ben. Dau­er: Zwi­schen 8 bis 12 Stun­den, je nach Tem­po. Kann nicht sein! Klei­ne Klet­ter­pas­sa­gen und eine Glet­scher­über­que­rung inklu­si­ve. Wo denn? Hier liegt doch kein Schnee! Gutes Equip­ment erfor­der­lich. Ist ja gut, haben wir. Nach einer 20-minü­ti­gen Boots­fahrt ab Hen­nes lan­den wir an.

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Der Schein trügt. Erst lau­fen wir durch einen zau­ber­haf­ten, ver­wun­sche­nen, fast schon kit­schig grü­nen Bir­ken­wald, spä­ter gewin­nen wir auf einer flech­ten­über­zo­ge­nen Stein­land­schaft an Höhe. Doch irgend­wann ist Schluss mit lus­tig. Zackig geht es nach oben. Steil, pha­sen­wei­se etwas aus­ge­setzt, aber nie­mals schwie­rig. Unser Gui­de Kar­lot Bømark gönnt uns regel­mä­ßig kur­ze Ver­schnauf- und Trink­pau­sen. Warm ist es. Und wun­der­wun­der­schön.

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Lang­sam aber sicher glau­be ich die Zeit­an­ga­ben in der Tou­ren­be­schrei­bung. Wir sind bereits über drei Stun­den unter­wegs. Den Gip­fel des Møy­sa­len kön­nen wir immer noch nicht sehen. Die Land­schaft hat sich erneut ver­än­dert. Ers­te Schnee­fel­der tun sich im Geröll auf. Nach fünf Stun­den machen wir ers­te Wit­ze: Der Møy­sa­len heißt ab jetzt: Scheu­sa­len. Wobei ich fair blei­ben muss. Die Tour ist anstren­gend, aber zu jedem Zeit­punkt traum­haft schön. Abends pos­te ich die­ses Bild ohne Beschrei­bung auf Face­book. Der Kom­men­tar eines Freun­des: „Bist du etwa gar in Pata­go­ni­en?“

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Wei­ter, wei­ter, immer wei­ter! Gip­fel­fie­ber! Noch ein, zwei Schnee­fel­der, eine luf­ti­ge Klet­ter­pas­sa­ge, dann soll­ten wir es geschafft haben. Kurz bevor die­ses Bild ent­steht, über­holt uns eine Grup­pe Nor­we­ger. Die Frau­en mar­schie­ren – ehr­lich jetzt – im Biki­ni. Die Typen oben ohne, tra­gen unten Shorts. Auf den Köp­fen Tur­ba­ne, die sie sich aus T‑Shirts gebun­den haben. Im Affen­zahn sprin­ten sie an uns vor­bei. Wir benö­ti­gen mitt­ler­wei­le lega­les Doping. Knut und Astrid, unse­re nor­we­gi­schen Beglei­ter, schlep­pen kilo­wei­se Süß­kram in ihren Ruck­sä­cken auf den Berg. Beson­ders beliebt: Bam­se­Mums, gefüll­te Scho­ko­bä­ren.

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Geschafft! Wir sind ganz oben! Lan­ge hal­ten wir uns am Gip­fel auf, genie­ßen die atem­be­rau­ben­de Aus­sicht, tra­gen uns ins Gip­fel­buch ein, machen kur­ze Vide­os, Pan­ora­ma­auf­nah­men und essen, was noch da ist. Mein Respekt vor Köni­gin Son­ja jeden­falls steigt. Ihre Hoheit hat den Møy­sa­len 1994 erst­mals bewäl­tigt und war begeis­tert, was die Popu­la­ri­tät des Ber­ges enorm gestei­gert hat. Respekt, Respekt, Frau Köni­gin! Unser Gui­de Kar­lot Bømark erzählt uns, dass trotz roya­ler Wer­bung gar nicht so vie­le Berg­stei­ger pro Jahr am Gip­fel ste­hen. Für man­che ist die Tour ein­fach zu anstren­gend.

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Eins noch zum Schluss: Du willst dich als Nor­we­gen Insi­der wich­tig machen? Dann sprich nie­mals von den Ves­terå­len, ver­wen­de also nicht den Plu­ral, son­dern rede von Ves­terå­len – wie ein Nor­we­ger – in der Ein­zahl. Und wenn Du dann auch noch behaup­ten kannst, die Dron­ning­ru­ta absol­viert und auf dem Møy­sa­len gestan­den zu haben, wirst du ohne­hin in ganz Nor­we­gen Aner­ken­nung ern­ten.

 

Emp­feh­lens­wer­te Unter­kunft

Holm­vik Bryg­ge his­to­ri­sches, fami­liä­res Gäs­te­haus in Nyk­s­und. Lie­be­voll vom deut­schen Aus­stei­ger Ssem­jon Ger­litz und sei­ner Ehe­frau Nuri­et­ta geführt. Ganz­jäh­rig geöff­net. Auch im Win­ter (Nord­licht) sehr zu emp­feh­len.
Tel. +47 7613 4796
www.nyksund.com

Die Rei­se wur­de von visit­nor­way unter­stützt.

Erschienen am



Antworten

  1. Avatar von Johanna Stöckl
    Johanna Stöckl

    Lie­be Julia,

    nein wir brauch­ten kei­ne Steig­ei­sen. Es muss­ten ledig­lich ein paar (nicht zu stei­le) Schnee­fel­der gequert wer­den.

  2. Avatar von Julia
    Julia

    Brauch­tet Ihr denn Steig­ei­sen für den Møy­sa­len?

  3. Avatar von Werner Schönleben
    Werner Schönleben

    Eine sehr schö­ne Beschrei­bung von Tou­ren in einem der schöns­ten Län­der der Erde (mei­ne sub­jek­ti­ve Mei­nung). Wir waren 2004 oben und haben 2004 die Wan­de­rung von Stǿ nach Nyk­s­und gemacht. Wegen Knie­pro­ble­men bei mir bei­de Male am Meer ent­lang. Die Wal­sa­fa­ri muss­te damals wegen zu star­kem Wind aus­fal­len. 2006 kam dann von Ande­nes aus die Wal­sa­fa­ri dran.
    Wir waren bis­her vier mal im Som­mer und ein Mal im Win­ter in Nor­we­gen, meist auf den Lofo­ten.
    Eure Beschrei­bung auf den Møy­sa­len weckt wie­der das Nor­we­gen­fie­ber in mir.
    Vie­le Grü­ße, Wer­ner

    1. Avatar von Johanna Stöckl
      Johanna Stöckl

      Lie­ber Wer­ner,
      freut mich sehr, dass Ihnen mein Bei­trag gefal­len hat. Ich bin auch ein klein wenig in Nor­we­gen ver­liebt. Und mor­gen, ja mor­gen früh darf ich wie­der los 🙂
      Lie­ben Gruß,
      Johan­na

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