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In der kleinen Werkstatt riecht es leicht nach Gas, das braucht man, um das Metall zu erwärmen. Die Wände sind behängt mit filigran verzierten Kunstwerken aus Gold, Silber und anderen Materialien, das meiste sind kirchliche Motive, die vielen Kirchen in Quitos Altstadt brauchen ihn, den Restaurateur. Werkzeuge liegen herum, scheinbar chaotisch, und trotzdem findet er mit einem Handgriff die richtige Zange, den Meißel mit der richtigen Spitze. Er rückt die Brille auf der Nase zurecht und beginnt zu klopfen, in einer Geschwindigkeit, die mich erstaunen lässt. Der Hammer saust herunter, schnell und präzise wie eine Maschine. Er nimmt die Geräte beiseite und zeigt mir das filigrane Blumenmuster, das entstanden ist, symmetrisch und genau. „Ich habe das hier von meinem Vater gelernt“, erzählt er, „und das kannte es von seinem Vater.“ Ob er hier ganz allein arbeitet, will ich wissen, und er zuckt mit den Schultern. „Wenn es sehr viel Arbeit gibt, helfen mir meine Frau und meine Söhne. Es ist ein Familienbetrieb.“
Gemeinsam mit anderen Werkstätten liegt die Werkstatt in der Straße La Ronda, mitten in der Altstadt Quitos. Das Tourismusbüro der Stadt hat die Häuser hier angemietet, renoviert und schließlich an lokale Handwerksbetriebe vermietet. Als Besucher kann man die Werkstätten heute kostenlos besuchen und den Handwerkern bei der Arbeit zusehen. Die Räume sind klein, meistens arbeiten hier nur eine oder maximal zwei Personen, alle sind Experten in Handwerkstraditionen, die schon lange vor ihrer Geburt existierten, viele bilden Jugendliche aus, die den Betrieb einmal übernehmen sollen. Auch, wenn La Ronda heute eine Touristenattraktion ist, arbeiten die meisten Werkstätten nicht ausschließlich für Touristen. Klar, jeder präsentiert einige Ausstellungsstücke, die auch direkt gekauft werden können, doch die meisten Arbeiten sind Aufträge von historischen Gebäuden und vor allem von Kirchen und Klöstern in der Altstadt Quitos. Alt-Quito wurde 1978 als erste Stadt überhaupt von der UNESCO als Weltkulturerbe aufgenommen und ist heute die größte und am besten erhaltene Altstadt Lateinamerikas – diesen Ruf will man sich selbstverständlich bewahren. Und bei den Kirchen der Stadt, die so überwältigend, beinahe übertrieben, geschmückt sind, dass sie Beinamen wie „die Kirche des Goldes“ tragen, gibt es für Restaurateure immer etwas zu tun.
Für die Kirchen Quitos arbeitet auch die Holzwerkstatt nebenan. Hier werden Statuen, vor allem Engel und Christusfiguren, nach der Tradition der Quitoer Schule gefertigt, einer Kunstrichtung, die sich während der Kolonialzeit in der Stadt entwickelte und nach der die meisten Statuen und Bilder in den Kirchen gefertigt wurden. Ich finde die realistischen Figuren, die oft mit Stoff eingekleidet wurden, eher unheimlich, und bin doch fasziniert davon, wie hier in mühevoller Kleinstarbeit, Schlag um Schlag, Gesichter, Körper und Hände aus Holzklötzen entstehen. An einem Schraubstock arbeitet ein Deutscher Handwerker auf der Walz an einer großen Hand, misst die Verhältnisse zwischen den Fingerteilen an seiner eigenen Hand ab und schlägt dann die passenden Späne aus dem Holz.
Spannend sind auch die Schubladenkisten, die in der Werkstatt stehen, ebenfalls eine Tradition aus Quito. Früher hatten vor allem Staatsmänner und Handelsleute solche Kisten, und ließen sich verschiedenste Geheimfächer einbauen. In einer derartigen Kiste, in der man von vorne nur vier oder fünf Schubladen erkennen kann, befinden sich gut und gerne dreißig oder vierzig einzelne Schubladen. Die verstecktesten davon wurden für wichtige Geheimdokumente genutzt. Damit diese auch wirklich niemand fand, wurde der Schreiner als der einzige, der alle Fächer kannte, getötet oder ihm wurde die Zunge herausgeschnitten. Weniger blutrünstige Herrschafften schickten ihren Schreiner auf Reise und verboten ihm, jemals zurück nach Quito zu kommen. In manchen dieser Kisten waren sogar Selbstzerstörungsmechanismen eingebaut – wenn jemand versuchte, das Holz zu zerschlagen, um an den Inhalt zu gelangen, zerplatzte eine Tintenpatrone und machte die Dokumente unlesbar.
Heute können die Schreiner in Quito gefahrlos arbeiten, versteckte Schubladen sind im digitalen Zeitalter höchstens eine Spielerei. Aufwändig bleibt die Herstellung der Kisten dennoch, für größere benötigt der Schreiner in La Ronda einen ganzen Monat. In dieser Zeit werden nicht nur die einzelnen Schubladen gefertigt, sondern die Kiste wird auch kunstvoll verziert und bemalt. Dieses Handwerk hat der Werkstattsbesitzer in einer Schule gelernt, von einem alten Meister. Er wünscht sich nun, selbst einmal jemanden anzulernen – zumindest an die jungen Leute aus Europa, die ihn besuchen, kann er sein Wissen bisher weitergeben.
Die Kisten aus der Werkstatt in La Ronda wurden in der Vergangenheit übrigens als Staatsgeschenk benutzt – wenn ein Staatsoberhaupt eines anderen Landes zu Besuch kam, überreichte der ecuadorianische Präsident eine Kiste. Wer weiß, ob nicht doch in einem Präsidentenbüro irgendwo auf der Welt geheime Dokumente in einer versteckten Schublade eines ecuadorianischen Handwerksmeisters liegen?!
Noch spannender ist Handwerk ja, wenn man mit dem Ergebnis sofort etwas anfangen kann. Zum Beispiel essen. Zwar liegt die Fabrik der Eisdiele Dulce Placer in einem anderen Teil von Quito, doch in La Ronda werden die verschiedenen Sorten kugelweise verkauft. Seit etwa zwei Jahren gibt es die Eismanufaktur, in der 350 Sorten hergestellt werden, alle aus frischen, natürlichen Produkten. Das Spannendste an Dulce Placer ist die Tatsache, dass die Sorten nicht irgendwelche sind. Anstatt mit Nutella und Keks-Eis zu trumpfen, werden gezielt Früchte, Süßigkeiten und Samen verwendet, die in Ecuador heimisch und für das Land typisch sind. Maracuja-Chili-Eis findet sich so neben Schoko-Guanábana, der süßlichen grünen Frucht, die an jeder Straßenecke verkauft wird, oder Eis mit Geschmack nach Humita, einem süßen Maisbrei, eingewickelt in Bananenblätter, den man hier gerne zum Frühstück isst. Samen wie Chia, Quinoa und Amaranth, die zwar nicht alle aus Ecuador stammen, aber doch hier angebaut werden, geben dem Eis eine interessante Note. Lecker sind auch die verschiedenen Sorten, die typisch lateinamerikanischen Cocktails nachempfunden wurden, wie Margarita oder Cuba Libre. Die für Besucher überraschendste Eissorte ist wahrscheinlich „Caca de perro“, Hundekacke. So nennt sich hier ein halb-gepoppter Mais, der mit einer Schicht aus braunem Zucker überzogen wird und einfach großartig schmeckt, nicht nur in Eis-Form.
Caca de perro gibt es auch bei Hoja Verde, einer Schokoladenmanufaktur. In den letzten Jahren haben immer mehr Unternehmen das unglaubliche Potential Ecuadors im Bereich Kaffee und Schokolade entdeckt. Die ecuadorianische Schokolade gilt als eine der besten der Welt – bisher war es dennoch oft so, dass die hochwertigen Kaffee- und Kakaobohnen nur für den Export produziert wurden. Daheim aß man Hershey’s aus den USA und trank Instant-Pulver von Nestle. Langsam passiert aber ein Wandel und es gibt immer mehr kleine lokale Hersteller, die bio und fair produzieren und hochwertige Schokolade und tollen Kaffee auch in die ecuadorianischen Supermärkte bringen. Der junge Mann von Hoja Verde, der mir den Herstellungsprozess von der Pflanze zur Tafel zeigt, erzählt, dass langsam auch ein Wandel im Konsum stattfindet: „Anfangs wollten die Leute nur die süße Milchschokolade. Aber langsam kommen immer mehr Leute auf uns zu, die nach den Riegeln mit 60 oder gar 80 Prozent Kakao fragen.“
Auch bei Hoja Verde setzt man auf bekannte Zutaten aus Ecuador. Riegel und Schoko-Bonbons werden mit Mora, einer in den Anden heimischen Brombeersorte, mit Maracuja oder Quinoa gefüllt. In der Ausstellungsfläche an der Plaza Grande kann man sich seinen Riegel selbst zusammenstellen und dabei zwischen typisch ecuadorianischen Süßigkeiten, Nüssen und Beeren wählen. Was ich bestelle? Einen Riegel mit Hundekacke, natürlich. Kriegt man ja vermutlich nirgends sonst auf der Welt.
Die Straße „La Ronda“ liegt im westlichen Teil der Quitoer Altstadt, zwischen dem Bulevar 24 de Mayo und der Kirche Santo Domingo. Die verschiedenen Werkstätten und Läden haben theoretisch bis 21 Uhr geöffnet. Praktisch ist es am besten, an Wochentagen vormittags bis zum frühen Nachmittag vorbeizuschauen – dann trifft man am ehesten Leute an, die arbeiten. Am Wochenende und abends ist La Ronda für seine Restaurants und Bars bekannt. Mehr Informationen (auf Spanisch) gibt es hier!
Die Tour durch die Altstadt und La Ronda wurde mir durch Quito Turismo ermöglicht. Vielen lieben Dank dafür!
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Ich mag deinen Blog sehr ! Er ist sehr interessant und man erfährt sehr viel über Quito
Wir waren letztes Jahr auch in La Ronda, eine tolle Strasse. Aber das »Caca de Perro«- Eis oder Schokolade hatte ich nicht gesehen ! Wie interessant 🙂
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