Die Menschen von Puerto Princesa

Mor­gens nach dem Früh­stück bin ich die Trep­pen hoch, um den Blick von der Dach­ter­ras­se zu genie­ßen. Viel habe ich mir von der Aus­sicht nicht ver­spro­chen, denn wir sind hier schließ­lich in einer ganz ein­fa­chen Pen­si­on unter­ge­kom­men mit bil­li­gem Stan­dard-Zim­mer, in denen ein müder Ven­ti­la­tor die schwü­le, sti­cki­ge Luft umrührt und die Fens­ter sich nicht öff­nen las­sen.

Wie gesagt – die Aus­sicht nichts Außer­ge­wöhn­li­ches. Man sieht die Bucht von Puer­to, einen ros­ti­gen Frach­ter und eine gan­ze Men­ge Bara­cken.

Das Fischermann's Viertel

 

Die Bara­cken machen mich aller­dings neu­gie­rig. „Wer wohl dar­in lebt? Arme Men­schen!“, den­ke ich mir! „Wer denn sonst?“ Ich über­le­ge wei­ter: „Soll­te ich dort einen klei­nen Spa­zier­gang hin wagen?“ Etwas in mir sagt: „Nein, lie­ber nicht! Es sind ja arme Men­schen! Die wer­den sich wie Affen im Zoo füh­len, wenn du Tou­rist da durch ihr Vier­tel spa­zierst.

Aber doch, irgend­was reizt mich. Ent­schlos­sen lau­fe ich die Trep­pe hin­un­ter, schnap­pe mir vor­sichts­hal­ber die Kame­ra, set­ze mei­ner Liebs­ten einen Kuss auf die Nase und lau­fe Rich­tung Stra­ße – run­ter zu den Bara­cken.

Bring mir ein paar Früch­te mit, bit­te!“, ruft sie im letz­ten Moment hin­ter mir her und ich ver­schwin­de durch das Tor.

Weit muss ich nicht lau­fen, denn die Bara­cken­sied­lung fängt direkt hin­ter unse­rer Pen­si­on an. Eine Sei­ten­stra­ße führt in das Vier­tel. Lang­sam und etwas ver­un­si­chert set­ze ich mei­nen außer­ge­wöhn­li­chen Spa­zier­gang fort.

Die Baracken von Puerto Princesa

Abwasser

Ich kann mir kaum vor­stel­len, dass in sol­chen pro­vi­so­risch zusam­men­ge­schus­ter­ten Hüt­ten, Men­schen leben kön­nen. Eigent­lich sieht man es ja immer wie­der und über­all auf der Welt. Selbst mei­ne Oma in Lett­land lebt mit­ten im Wald in so einer ähn­li­chen Hüt­te. Aber es ver­setzt mich immer wie­der ins Stau­nen und Nach­den­ken – Wie kön­nen Men­schen im Pro­vi­so­ri­um über­le­ben?

Die Baracken von Puerto Princesa 1

Wie ein Papa­raz­zo schmug­ge­le ich mich lei­se und unbe­merkt an den Hüt­ten vor­bei, bis ich auf einem platt­ge­wälz­ten Schot­ter­platz ste­he und von zahl­rei­chen Kin­dern doch bemerkt wer­de.

Hier entsteht eine Promenade

Plötz­lich rollt ein LKW an mir vor­bei. Es wird laut, der Fah­rer lädt meh­re­re Kubik­me­ter Schot­ter vor einer der Bara­cken ab, wel­che auf Stel­zen über dem Was­ser ste­hen.

Neuer Schotter

Im nächs­ten Moment rollt auch eine rie­si­ge Rau­pe an und schiebt das ton­nen­schwe­re Geröll unter die Bara­cke und bleibt nur weni­ger Zen­ti­me­ter mit ihrer rie­si­gen Schau­fel vor der Hüt­te ste­hen.

Ich lebe hier schon seit 1969!“ Ein älte­rer Herr hat mich bemerkt und spricht mich von der Sei­te an, wäh­rend ich das gan­ze Gesche­hen beob­ach­te. „Die Regie­rung hat letz­tes Jahr ange­ord­net hier alles abzu­rei­ßen und tro­cken zu legen.“ Neu­gie­rig möch­te ich wis­sen, was hier denn hin soll. „Eine Pro­me­na­de zum Spa­zie­ren­ge­hen. So eine wie auf der ande­ren Sei­te von Puer­to Prin­ce­sa.“ „Eine Pro­me­na­de?“ fra­ge ich ent­setzt.  „Und wo sol­len die Men­schen hin, die hier leben?“ „Die Regie­rung hat uns einen neu­en Platz gege­ben, wei­ter süd­lich, außer­halb der Stadt.“ „Ist es ein bes­se­rer Platz?“, fra­ge ich nach. „Ja.“ Iro­ni­scher hät­te das ja nicht klin­gen kön­nen. Es macht ihn unglück­lich und bei genaue­rem hin­schau­en bemer­ke ich tat­säch­lich die Trau­rig­keit in den Gesich­tern der Men­schen, die gera­de ihr Hab und Gut zusam­men packen müs­sen.

Traurige Kinder und ein Buldozzer

Als sich der Staub gelegt hat, sprin­te ich rüber zu dem Haus, unter wel­chem der Schot­ter gera­de gescho­ben wur­de. Eine Frau lugt durch ein Fens­ter. Es ist ein Kiosk.

Um nicht nega­tiv auf­zu­fal­len als neu­gie­ri­ger Tou­rist, bestel­le ich mir bei der Dame eine Fla­sche Was­ser. „Haben wir nicht!“, ent­geg­net sie mir etwas grim­mig. „So ein Mist!“, den­ke ich mir „Jetzt fal­le ich erst Recht auf!“ „Wir haben nur Cola!“, ruft sie durch das klei­ne Git­ter­fens­ter und zeigt mir eine 0,5l-Flasche. Das ist wohl mei­ne bis­lang güns­tigs­te Cola, die ich auf unse­rer Rei­se getrun­ken habe. Und das in einem „Armen­vier­tel“, wel­ches nur noch zur Hälf­te steht!

Ein Basketballkorb

Ok, es ist wohl Zeit, sich lang­sam wie­der auf den Rück­weg zu bege­ben.

Ich blei­be noch ein­mal kurz an einer Hüt­te ste­hen und beob­ach­te wie eini­ge Jungs Zube­hör­tei­le für eine Bang­ka* anfer­ti­gen. *Phil­ip­pi­ni­sches Boot

Hey my Fri­end!“, höre ich plötz­lich aus der Hüt­te. „Kaf­fee?“, fragt mich der Typ in der gelö­cher­ten Fake-Arma­ni Unter­ho­se. „Ja klar!“, ent­geg­ne ich und neh­me selbst­ver­ständ­lich am Ess­tisch vor der Hüt­te Platz.

Im nächs­ten Moment steht auch schon eine Tas­se mit hei­ßem Kaf­fee auf dem Tisch und die jün­ge­re Schwes­ter wird geru­fen, damit sie sich mit dem Gast unter­hält, denn der Rest in die­ser Hüt­te kann kein Wort Eng­lisch. Trotz­dem lachen sie bei jedem klei­nen Witz herz­haft mit, als wür­den sie mich bes­ser ver­ste­hen, als ich mei­ne.

Der Typ, der dich zum Kaf­fe geru­fen hat, ist mein älte­rer Bru­der. Er ist Fischer. Genau­so wie mein Vater.“ Im sel­ben Moment huscht der Vater etwas schüch­tern an mir vor­bei rein in die Hüt­te. „Wir sind hier alle Fischer und leben vom Fisch­fang. Aber nun wer­den wir zwangs­um­ge­sie­delt, damit rei­che Leu­te hier einen Platz zum Spa­zie­ren haben. Und Hotels sol­len hier auch noch hin kom­men.

Fischernetze

Ich höre der Schwes­ter zu, wel­che mir die Umstän­de der Men­schen schil­dert. „Aber viel­leicht ist der neue Ort auch gar nicht mal so schlecht.“ Sie run­det ab und fängt an mich neu­gie­rig aus­zu­fra­gen. „Woher kommst du und was hast du gear­bei­tet, bevor du auf Rei­sen gegan­gen bist?

Und als der Kaf­fee schon längst leer getrun­ken ist schweift ihr Blick auf mei­ne Hän­de und sie bemerkt mei­nen Ehe­ring „Wo ist dei­ne Frau?“ Erschreckt ste­he ich auf und ant­wor­te ihr: „Sie ist oben in der Pen­si­on und war­tet auf die Früch­te!“ „Bye Bye, es war nett euch ken­nen­ge­lernt zu haben!

Was für wun­der­ba­re Men­schen! Arm? Eigent­lich nicht, denn sie besit­zen etwas, was vie­le nicht haben: Die Gabe des Zufrie­dens­eins. Auch unter unan­ge­neh­men Umstän­den.

Die Fischerboote

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Antworten

  1. Avatar von Sabrina Groß
    Sabrina Groß

    Die Geschich­ten hin­ter den Gesich­tern ver­mit­teln eine so authen­ti­sche Per­spek­ti­ve – man spürt förm­lich die Herz­lich­keit und Lebens­freu­de der Men­schen. Dan­ke für die­sen ein­zig­ar­ti­gen Ein­blick in Puer­to Prin­ce­sa, da bekommt man direkt Fern­weh!
    Lie­be Grü­ße,
    Sabri­na

  2. Avatar von Sandra

    Da ich auch schon ein­mal auf den Phil­ip­pi­nen war, ken­ne ich die­se Bild lei­der nur zu gut. Die Kluft zwi­schen Arm und Reich ist dort sehr stark zu sehen. Eine Vil­la reiht sich an ein Slum. Die Kin­der spie­len im Dreck und neben­an berei­ten sich die Kin­der in Ihrer Schul­uni­form auf die Schu­le vor. Obwohl die meis­ten da nicht viel haben, haben sie immer ein Lächeln im Gesicht. Von der freund­li­chen und her­zens­gu­ten Art der »Pinoys« ließ ich mich dort anste­cken.

  3. Avatar von Leon

    Ein sehr guter Bericht, die­se Umsied­lung muss aber trotz der schlech­ten Ver­hält­nis­se echt schreck­lich für die Leu­te dort sein – es ist ja immer noch ihr Zuhau­se was dort gra­de zer­stört wird.
    Ich berei­te mich aktu­ell auf mei­nen Auf­ent­halt auf Pala­wan vor, dass die Infra­struk­tur nicht die bes­te sein wird, habe ich bereits erwar­tet, wobei es mich aber irgend­wo auch gereizt hat, auf die­ser Rei­se alles lang­sa­mer ange­hen zu las­sen.
    Die­se Genüg­sam­keit der Bewoh­ner ist aber in gewis­ser Art und Wei­se echt beein­dru­ckend, mal sehen wie ich zurecht kom­me!

  4. Avatar von Maik

    Ein zwei­ter Bay­walk in PP? Hab ich gar nicht bemerkt, war fast zur sel­ben Zeit dort.
    Ja, die Leu­te sind herr­lich und das ist auch der Haupt­grund für mich, trotz kata­stro­pha­ler Infra­struk­tur wie­der auf die Phil­ip­pi­nen zu düsen. Das Lachen der Kin­der, das freund­li­che Gesicht der zahn­lo­sen Omi und die ker­ni­gen Sprü­che der Fah­rer – das fehlt mir im deut­schen All­tag inzwi­schen. Das gute Eng­lisch der Leu­te macht einen den Kon­takt leich­ter als in ande­ren Län­dern. Auf­pas­sen muss man zuwei­len auch, aber das weiß man vor­her.

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