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Die dichte Wolkendecke riss für einen nur kurz andauernden Moment auf, die Sonne warf ihre Strahlen zur Erde, illuminierte die Spitzen der auf die Küste treffenden Wellen und tauchte die Szenerie in ein warmes, gold-gelbes Licht. Ein wahrhaft magischer Moment, den wir, wie so oft, mit unseren Kameras festhielten. Es entstand ein ganz besonderes Foto. Eines, welches bestimmt in unserem Portfolio Platz finden wird. Eigentlich sollte dies Grund zur Freude sein, denn genau für solche Momente gehen wir auf Reisen. Jedoch bin ich nachdenklich gestimmt.
Was ein Reisender zu sehen vermag
Der Grund für die kreisenden Gedanken in meinem Kopf ist eine kurze Begegnung mit einem Reisenden aus China. Wir kamen ins Gespräch, weil wir mit der gleichen Kamera fotografierte wie wir. Der gute Herr war bis dato zwei Wochen in Australien unterwegs. Wir deren fünf. Gesehen hat er viel mehr als wir. Zumindest, kann er mehr Städte aufzählen. Adelaide, Sydney, Canberra, Perth, Brisbane – ach ja, in Melbourne war er natürlich auch schon. Und wir? Wir haben Kangaroo Island gesehen und einen Teil von Victoria. Mehr nicht. Wir reisen langsam. Nicht weil wir der Philosophie des Slow Travelings erlegen sind, sondern wegen der Fotografie, denn wir reisen meist, um schöne Fotos zu schiessen. Daher verbringen wir mehrere Stunden an ein und dem selben Platz. Warten auf das besondere Licht und machen, wenn alles passt, unser Foto. Dies erklärten wir dem Herren aus China, als er fragte, warum wir nicht mehr gesehen hätten? Als er unsere Antwort hörte, schüttelte er nur den Kopf und meinte: “Ihr seht ja nichts beim Reisen.” Viel entgegnen konnten wir in diesem Moment nicht. Tatsächlich ist dies ein Satz, den wir immer wieder hören. Manchmal ist die Aussage auch als Frage getarnt, welche dann in etwa wie folgt lautet: “Seht ihr überhaupt etwas, wenn ihr die Welt nur durch den Sucher eurer Kamera betrachtet und ständig fotografiert?” Warum wird uns diese Frage immer wieder gestellt? Was denken andere, wie unser Reisestil aussieht? Welchen Anspruch haben Reisende überhaupt? Es geht doch nicht um das Ankommen, sondern um den Weg, die Reise an sich. Wir wollen nicht möglichst viel von unserer Bucket List abhaken. Wir wollen unvergessliche Momente erleben. Alles zu sehen, ist ohnehin nicht möglich. Was also sieht ein Reisender? Wir denken, genau das, was er sehen will.
Bewusstheit dank der Kamera
Vor diesem Hintergrund stellt sich für uns natürlich die Frage, welchen Anspruch wir an das Reisen haben. Uns geht es um unvergessliche Momente. Diese können nur intensiv erlebt werden, wenn man sich selber die Zeit einräumt, in den Moment einzutauchen und ihn auf sich wirken zu lassen. Die Fotografie hilft uns, einen Moment viel bewusster wahrzunehmen. Da wir oft antizyklisch unterwegs sind, sehen wir die Orte oft buchstäblich in einem anderen Licht, als dies andere Reisende tun. Wir lassen uns Zeit, setzen uns mit der Örtlichkeit auseinander. Nicht selten kommen wir sogar mehr als einmal an den gleichen Ort zurück. Zu verschiedenen Lichtstimmungen und Wettersituationen. Wir achten auf die Details und versuchen zu ergründen, warum wir genau hier fotografieren möchten. Dabei ist die Frage, was der Ort mit uns anstellt, eine ganz zentrale. Denn diese bestimmt, was wir fühlen und das wiederum legt die Art und Weise fest, wie wir fotografieren. Eine derart intensive Auseinandersetzung mit einer Örtlichkeit würde ohne die Fotografie wohl kaum stattfinden. Wir haben unseren Blick geschult und sehen dadurch Details, welche anderen verborgen bleiben. An diesem Morgen in Australien waren dies beispielsweise die Illuminierten Kuppen der Wellen, welche in gold-gelber Farbe erstrahlten. Es waren die verschiedenen Gesteinsschichten der Zwölf Apostle, welche durch die verschiedenen Farbtöne ein wunderbares Bild abgaben. Das alles hat der Herr aus China nicht gesehen. Aber er konnte ein Kreuz setzen bei den Zwölf Aposteln und seine Bucket List war um einen Eintrag kürzer.
Die Kamera öffnet Tür und Tor
Dank der Fotografie vermögen wir nicht nur Orte und Momente viel intensiver wahrzunehmen, sondern kommen auch immer wieder mit Menschen in Kontakt, mit welchen wir sonst nie gesprochen hätten. Es passiert es uns oft, dass wir wegen unsere Kameras von Einheimischen angesprochen werden und nicht selten, laden sie uns zu sich nach Hause ein. Sei es zum essen, oder einfach um sich auszutauschen. Die Kamera hilft uns dabei, tief in andere Kulturen einzutauchen und ab und an entstehen dadurch unvergessliche Momente. Wie jener in Myanmar, als ich eine alte Frau fotografieren konnte. Über 80 Jahre alt, zwölf Kinder und noch nie zu vor wurde sie fotografiert. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass ich das erste Bild dieser Dame in ihrem Leben geschossen habe. Ein sehr emotionaler Moment – und nur möglich, wegen der Kamera. Dann gibt es da noch den Moment in dem Tempel in Myanmar. Ein Shooting, welches auch nur möglich war, weil wir die Kameras dabei hatten, auf einen lokalen Fotografen trafen mit dem wir uns gut verstanden und er uns ein Geschenk machen wollte. So nahm er uns mit in einen Tempel im alten Bagan, in welchem wir Novizen fotografieren konnten. Für uns wird der Moment in dem alten Gemäuer bei Kerzenschein für immer in Erinnerung bleiben. Hätten wir keine Kameras dabei gehabt, es hätte diesen nie gegeben. In dem Sinne öffnet die Kamera nicht nur Tür und Tor, sondern manchmal auch die Herzen der Menschen.
Die Kamera lässt uns das Reisen viel intensiver erleben. Dies muss nicht auf jeden zutreffe, aber bei uns ist es so. Durch die vertiefte Auseinandersetzung und Reflexion erhalten unsere Reisen viel Tiefgang. Wir sehen zwar in der gleichen Zeit stets weniger eines Landes wie viele andere Reisende, jedoch erleben wir den Trip auf eine andere Art und Weise. Auch wenn mich die Eingangs des Textes genannte Frage immer wieder zum Nachdenken anregt muss ich sagen: Ja, wir sehen etwas beim Reisen, nicht trotz der Fotografie, sondern gerade wegen der Fotografie.
Deshalb sind die Kameras für uns die wichtigsten Reisebegleiter.
Antworten
Hallo,
da ich selbst leidenschaftliche Fotograf, sowohl über als auch unter Wasser bin, hat mich das Thema sehr interessiert. Ich stimme aber in einigen Punkten dem Kommentar von Christian zu. Die Kamera verhindert es gewisse Momente wirklich zu geniessen und zu erleben. Man erlebt Sie durch den Sucher der Kamera oder durch den Bildschirm. Ich lasse aus diesem Grund die Kamera ab und zu ganz aktiv weg, mache jeden zweiten Tauchgang ohne Kamera und reue dabei auch die nicht gemachten Fotos nicht. Ich glaube trotzdem, dass man gerade durch das Fotografieren und durch die Suche nach einem magischen Ort im richtigem Licht doch auch etwas gewinnt. Man steuert sehr bewusst zu den richtigen Zeiten magische Ort an, ist geduldig und leidenschaftlich.
«Die Kamera öffnet Tür und Tor»
Ich halte das Gegenteil für zutreffend. Die Zahl der Orte auf dieser Welt, an denen sich Einheimische noch nicht von Touristen mit ihren Kameras gestört fühlen, schrumpft rapide. Für das tolle Foto halten all die ach so tollen digitalen Nomaden, Reiseblogger, Instagramer und Reise-Fotografen überall ihre Kamera rauf. Denen ist häufig schon bewusst, dass das eigentlich nicht OK ist, was sie da machen, aber he: Man sieht diesen Einheimischen ja nie wieder und genau dieses Foto bringt bestimmt mindestens 100 Likes. Deswegen haben viele Einheimische die Nase von all den aufdringlichen, rücksichtslosen und anstandsfreien Touristen mit ihren Kameras gestrichen voll. Tür und Tor öffnen sich eher, wenn man keine Kamera dabei hat, somit echtes Interesse zeigt und nicht nur erkennbar Fotos abstauben will, mit denen man selbst auf irgendeine Weise Profit zu erzielen gedenkt.
Und aus Sicht des Fotografen: Alles bei solchen Reisen wird dem Fotografieren untergeordnet. Man genießt die Momente nicht, weil man ja zur blauen Stunden, zur Morgendämmerung, etc. pp damit beschäftigt, unbedingt möglichst viele geniale Fotos einzufangen. Einfach zum Sonnenuntergang am Wasserloch sitzen, ein Savanna trinken, das Schauspiel genießen? Unmöglich für Fotografen. Man könnte ja ein gutes Foto verpassen. Die Gegend wird nur nach tollen Motiven gescannt.
Und wenn ich mir die spitze Anmerkung erlauben darf: Ihr sprecht von vertiefter Auseinandersetzung und Reflexion und Reisen mit viel Tiefgang. Und dann fahrt Ihr ein einziges Mal eine 0815-Route durch Namibia und danach seit Ihr dann befähigt, Artikel mit den besten Tipps für Selbstfahrer und zum Etosha zu schreiben? Mit vielen inhaltlichen Fehlern, weil Ihr eigentlich nichts über das Land wisst. Bei einem Satz zu Namibia wie »Der Lebensstandard ist hoch und zieht so Reisende aus aller Welt an.« frage ich mich, was ihr überhaupt von Namibia mitbekommen habt. 25% der Menschen dort sind unterernährt. 23% der Kinder haben Wachstumsstörungen wegen Mangelernährung. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung hat keinen Zugang zu sauberem Wasser oder sanitären Einrichtungen. Aber als Lodge-Touristen auf der Standardroute habt ihr nur eine schöne heile Welt gesehen. Wie war das mit Auseinandersetzung, Reflexion und Tiefgang?
Hallo ihr beiden, ich denke auch, dass man nicht von Ort zu Ort hetzen sollte, nur damit man sagen kann, da war ich auch. Bewusstes Erleben, auch mal Innehalten, finde ich sehr wichtig. Ihr habt das wunderbar beschrieben.
Viele Grüße, Martina
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