Ich bekenne, ich habe gelebt…

Wir schrei­ben die 1970er Jah­re. Alber­to Bache­let, der Vater der jun­gen Frau Michel­le, beklei­det das Amt des Luft­waf­fen­ge­ne­rals und schwört Chi­les Prä­si­den­ten Sal­va­dor Allen­de in kri­ti­schen Zei­ten die Treue. Am 11. Sep­tem­ber 1973 schließ­lich der Putsch, die Luft­waf­fe bom­bar­diert in der Haupt­stadt Sant­ia­go das Casa Mone­da, den Prä­si­den­ten­pa­last, wo sich Allen­de mit einem Sturm­ge­wehr das Leben nimmt. Alber­to Bache­let fällt in die Arme der Pino­chet Scher­gen, wird gefan­gen genom­men, gefol­tert, und ver­stirbt nur ein Jahr spä­ter an den Fol­gen eines Herz­in­fark­tes.

Über Aus­tra­li­en flieht die heu­ti­ge Chi­le­ni­sche Prä­si­den­tin Michel­le im Alter von 22 Jah­ren mit ihrer Mut­ter nach Ost­ber­lin, wo sie kurz dar­auf das Stu­di­um der Medi­zin auf­nimmt und schon 1979 wie­der nach Chi­le zurück­kehrt.

 

Foto 1(22) Tref­fen mit Bache­let in Put­re

 

2006 war sie ers­tes, weib­li­ches Staats­ober­haupt der Anden­re­pu­blik. In der Regie­rung von damals nach wie vor alter Klün­gel von Pino­chet und immer noch die Kon­fron­ta­ti­on mit der Ver­gan­gen­heit. – 1989 war nicht nur bedeu­tend für die Bun­des­re­pu­blik, auch in Chi­le war es das Ende einer Dik­ta­tur. Plötz­lich freie Mei­nungs­äu­ße­rung. In den 90er Jah­ren war das belieb­tes­te Stu­di­en­fach an chi­le­ni­schen Uni­ver­si­tä­ten der Jour­na­lis­mus. Wie in Spa­ni­en nach Fran­co. Dann die zuneh­men­de inter­na­tio­na­le Öff­nung, Weit­ge­reis­ten war Chi­les Süden schon län­ger ein Begriff, die Anden im Nor­den nur von aben­teu­er­lus­ti­gen Indi­vi­du­al­tou­ris­ten bereist. Wor­an sich bis­lang noch nicht viel geän­dert hat. Noch nicht…

Ich befin­de mich auf 3650 m Höhe und blin­zel in die mit­täg­li­che Son­ne. Von einem Strohm­pfahl lächelt mich Michel­le Bache­let an. „Yo quie­ro Chi­le“ steht da – ein Lie­bes­be­weis, vol­ler süd­ame­ri­ka­ni­scher Emo­ti­on. Ich habe es ihr gleich getan und von Ber­lin bis in den äußers­ten Nor­den Chi­les geschafft.

An mei­nem Gau­men haf­tet noch der unver­kenn­ba­re Geschmack von Pis­co Sour. Die­ser wahn­sin­ni­ge Drink aus Pis­co, ein Trau­ben­schnaps, gemischt mit Limet­ten­saft, Zucker­si­rup und Eiklar, hat er es ein­mal über den Magen in die Blut­bahn und schließ­lich in den Kopf geschafft, einen nicht mehr los­lässt. Schließ­lich sind die Tage gezählt und ich sah mich gezwun­gen, die orgas­ti­schen visu­el­len Ein­drü­cke, die in den ver­gan­ge­nen Tagen immer wie­der auf mei­nen Seh­sinn ein­häm­mer­ten, mit einem Alko­ho­li­ka ein­zu­fan­gen und zu besie­geln. Denn Chi­les spek­ta­ku­lä­re Land­schaf­ten set­zen zu. Im Mit­tel­al­ter hät­ten sie mir erst den Vogel gezeigt, mich dann der Ket­ze­rei bezich­tigt und den zün­geln­den Flam­men eines Schei­ter­hau­fens zum Fraß vor­ge­wor­fen, wenn ich Schwarz auf Weiß von feu­er­spu­cken­den Ber­gen, Salz­seen auf 4500 m Höhe und dar­in stak­sen­den, pink­far­be­nen Vögeln gespro­chen hät­te.

 

Anden14Der Natio­nal­park Lau­ca auf 4400 meter Höhe, ein Auto­stun­de öst­lich von Put­re

Anden23Der erlo­sche­ne Pari­na­co­ta im Natio­nal­park Lau­ca , mes­ser­schar­fes Spie­gel­bild im Lago Chun­gará

 

Und wäh­rend ich da so auf die­sen Pfahl star­re, wird mir klar, wie ähn­lich sich Frau Bache­let und Ange­la Mer­kel sehen. Das glei­che Amt beklei­den sie ja, es fehlt nur noch, dass Michel­le die Hän­de zu einer Rau­te formt und zwi­schen Schritt und Bauch­na­bel posi­tio­niert. Wie anzüg­lich das klingt, aber kei­ne Angst, da kommt nie­mand auf fal­sche Gedan­ken, zumin­dest nicht bei Ange­la. Bei dir Michel­le, wäre ich mir da nicht so sicher, dei­ne Mund­win­kel sind deut­lich beweg­li­cher, sie wider­stre­ben der Erd­an­zie­hung und wagen sogar den Tanz mit ihr, was aus man­chem Beob­ach­ter einen Ver­eh­rer machen könn­te. Ange­la hin­ge­gen muss man ja auf den Kopf stel­len, um sie zum Lachen zu brin­gen.

 

Anden13Eine Laden­be­sit­ze­rin auf dem Markt­platz in Put­re

Anden18Anden6 Eine von der Stif­tung »Ruta de las misio­nes« wie­der­auf­ge­bau­te Kir­che in Gual­la­ti­re

 

Yo quie­ro Chi­le. In der Tat. Ich set­ze mich auf den klei­nen Markt­platz von Put­re und schlie­ße für ein paar Minu­ten die Augen. Drei Tages­aus­flü­ge in die Hoch­ebe­ne lie­gen hin­ter mir. Zuvor war ich in Sant­ia­go und den Wein­ge­bie­ten des Colchagua Tals wei­ter im Süden.

 

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Dann, einen Augen­schlag spä­ter, die Aus­läu­fer der Ata­ca­ma Wüs­te, unweit die Bran­dung des Pazi­fiks, salz­ge­schwän­ger­te Luft, Tel­ler prall gefüllt mit Mee­res­früch­ten. Und das am Ende der Welt. Isa­bel Allen­de, die Schrift­stel­ler Toch­ter des eins­ti­gen Prä­si­den­ten, bezeich­ne­te Chi­le als „Tau­send-Schich­ten-Tor­te“. Und in der Tat, muss­te ich mir die ver­gan­ge­ne Woche immer wie­der die­se eine Fra­ge stel­len: Kann ein Land viel­sei­ti­ger sein? Chi­le ist Über­fluss pur und für Natur­lieb­ha­ber, aber auch für den beken­nen­den Fein­schme­cker, ein über­di­men­sio­na­ler Wall­fahrts­ort. Far­ben und Gerü­che, die auch den letz­ten Nörg­ler und Genuss­ver­wei­ge­rer die wei­ße Flag­ge schwen­ken las­sen.

 

Anden7 »El Guía« – der Rei­se­füh­rer

 

2011 setz­te die New York Times Sant­ia­go de Chi­le auf die Lis­te der obli­ga­to­ri­schen must sees in der süd­li­chen Hemi­sphe­re. Doch neben dem Pis­co hat mir auch der Nor­den die Sin­ne ver­blen­det. Von Sant­ia­go bis nach Ari­ca sind es ca. 3 bis 4 Flug­stun­den, 2000 Kilo­me­ter Stre­cke sind zurück zu legen. Die Flug­li­nie LAN ver­kehrt täg­lich. Ari­ca, gleicht einem unge­schlif­fe­nen Juwel, die 200.000 Ein­woh­ner zäh­len­de Stadt, direkt an der Pazi­fik­küs­te, wirkt auf den ers­ten Blick wie ein ver­schla­fe­nes Wüs­ten­nest. Wer vor sei­ner Anrei­se schon ein­mal hin­ter die Kulis­sen die­ser Stadt und mehr über die Regi­on erfah­ren möch­te, dem sei fol­gen­de Sei­te emp­foh­len: chile.travel .

 

DSC_0063Kräf­ti­ge Bran­dung in Ari­ca, der Surfs­pot »El Grin­go«

DSC_0182Blick vom »Mor­ro« auf Ari­ca

Foto(3)Das Restau­rant Mara­cu­ya in Ari­ca – Mee­res­früch­te bei leich­ter See­bri­se und Wel­len­gang

Foto(2) Wo Wüs­ten­aus­läu­fer auf Bus­la­dun­gen-Tou­ris­mus tref­fen – Die Klip­pen­pfa­de nörd­lich von Ari­ca

 

Sant­ia­go kennt die Jah­res­zei­ten, Ari­ca nur Nacht und Tag. Die Tem­pe­ra­tu­ren lie­gen kon­stant zwi­schen 20 und 30 Grad, Regen wür­de hier so etwas wie die Stra­fe der Göt­ter bedeu­ten und kommt dem­nach nicht vor. Leben und leben las­sen, ist das Mot­to der Ein­hei­mi­schen und es gibt kein, aber auch gar kein Pro­blem. Von Ari­ca nach Put­re, auf des­sen Markt­platz ich gera­de in Gedan­ken schwel­ge, sind es 3–4 Stun­den Bus­fahrt. Und Put­re wider­um ist das Sprung­brett in die Hoch­ebe­ne und zum 52 km ent­fernt auf 4205 Metern Höhe lie­gen­den Chun­gará See.

 

Anden3 Ein­fa­che Behau­sung in Gual­la­ti­re

Anden4 Zwei Ein­hei­mi­sche in dem klei­nen Dorf Gual­la­ti­re, nahe des gleich­na­mi­gen Vul­kans

Anden21 Der immer­glei­che Gesichts­aus­druck war mir die Pesos wert

Foto 3(18)

 

An ein und dem­sel­ben Tag kann man hier Vul­ka­ne bege­hen und sich die Bran­dung gegen den mit  Mee­re­res­früch­ten gefüll­ten Bauch schla­gen las­sen. Der Gebirgs­zug Neva­dos de Put­re schließt den Pome­ra­pe, den Pari­na­co­ta und den Neva­do Saja­ma jen­seits der boli­via­ni­schen Gren­ze mit ein. Bis zu 6500 meter tür­men sich die schnee­be­deck­ten Vul­ka­ne auf. Unweit von Put­re fließt der Río Llu­ta durch die Ata­ca­ma-Wüs­te. Auch fin­den sich in der Gegend bis zu 7000 Jah­re alte archäo­lo­gi­sche Stät­ten.

Chi­les Nor­den ist gut so wie er ist. Wenig Tou­ris­mus, freund­li­che Ein­hei­mi­sche auf allen Höhen­me­tern und Land­schaf­ten, die am eige­nen Ver­stand zwei­feln las­sen.

 

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Am Salz­see Salar de Sur­i­re mit sei­nen hei­ßen Quel­len. Der See liegt rund 120 km von Put­re ent­fernt auf 4250 Metern Höhe. Nach dem Bad war ich feu­er­rot, Bri­tish so to say

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Anden22Maxi­mo ver­kauft sei­ne Strick- und Stick­wa­ren mit Blick auf den Pari­na­co­ta.

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Anden16Die »Cue­vas« – Höh­len auf 4400 meter. Oben rechts im Bild Vis­cach­as, zu Deutsch Hasen­mäu­se

Arica1Aus­läu­fer der Ata­ca­ma und frucht­ba­res Land im Tal Río Llu­ta

Anden10Der Geist Pablo Neru­das in den stau­bi­gen Stras­sen von Put­re

Turis­mo Chi­le und die LATAM Air­lines Group haben mich in den hohen Nor­den Chi­les ein­ge­la­den. Dan­ke!  


Antworten

  1. Avatar von Manuel

    Hal­lo Phil­ipp

    Ein fan­tas­ti­scher Arti­kel über ein fan­tas­ti­sches Land. Chi­le liegt auch auf der Rou­te unse­rer Welt­rei­se (von mir und mei­ner Part­ne­rin), die im Juli star­tet und ich kann es kaum erwar­ten. Nach dem Arti­kel sogar noch etwas weni­ger;) Es macht Spaß dei­ne Arti­kel zu lesen, und die­ser hier beson­ders. Stel­len­wei­se erin­nert mich der Stiel ein wenig an Andre­as Alt­mann:)

    Lie­ben Gruß

    1. Avatar von Philipp Boos

      Lie­ber Manu­el,

      freut mich zu hören, dass Dir die Tex­te gefal­len. Zu Alt­mann und mir, Schrei­ben kann
      befrei­end wir­ken. Mei­ne Jugend war aber nur mit­tel­mä­ßig beschis­sen. 🙂 Gute Rei­se!

  2. Avatar von Vanessa Fröhöllerie via Facebook
    Vanessa Fröhöllerie via Facebook

    Nord­chi­le in Kom­bi­na­ti­on mit dem boli­via­ni­schen und argen­ti­ni­schen Teil des Alti­pla­nos sind so wun­der­voll, es gehen mir mitt­ler­wei­le die Adjek­ti­ve aus.

    1. Avatar von Philipp Boos

      Lie­be Vanes­sa, schön, dass du das auch so siehst. Ich kom­me garan­tiert wie­der.

  3. Avatar von Letzter Mensch

    der (männ­li­che) Rei­se­füh­rer = El Guia 🙂

    1. Avatar von Philipp Boos

      Dan­ke dir. Ich schie­be es auf den Pis­co… 🙂

  4. Avatar von Beatrice

    »Ange­la hin­ge­gen muss man ja auf den Kopf stel­len, um sie zum Lachen zu brin­gen.« *grins*
    Wit­zi­ger­wei­se hat das Lama auf dem einen Bild einen ähn­lich ver­knif­fe­nen Gesichts­aus­druck.

    1. Avatar von Philipp Boos

      Ich war dem Vier­bei­ner nicht auf Anhieb sym­pa­thisch…

  5. Avatar von Jan Ri via Facebook
    Jan Ri via Facebook

    Sehr schö­ne Fotos! Chi­le muss in der Tat beein­dru­ckend sein. Und was sag­te Neru­da auch? – »Dich­tung ist stets ein Akt des Frie­dens.«

    1. Avatar von Philipp Boos

      Dan­ke dir, Jan. Auf vie­len Ebe­nen inspi­rie­rend, die­ses Land!

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