Der Traum von oben

Schon seit eini­gen Tagen trei­be ich mich mit Chris­ti­an in La Paz und Umge­bung her­um. Wir erwar­ten, dass wir jeden Tag bes­ser Luft bekom­men und uns in eini­ger Zeit auch mal in Höhen über 6000 Meter ver­ir­ren kön­nen, ohne direkt umzu­fal­len. Chris­ti­an ist mitt­ler­wei­le wie­der auf­er­stan­den von den Magen­kran­ken und wir kön­nen uns klei­ne­ren Tou­ren in und um La Paz wid­men.

Valle de las Ánimas

Als klei­nen Ein­stieg wäh­len wir das »Val­le de las Áni­mas«. So ganz sicher sind wir uns nicht, was uns erwar­tet und ob wir im dem Tal rich­tig unter­wegs sein wer­den. Auf den Bil­dern sieht das Tal beein­dru­ckend aus, auf der Kar­te fin­den wir nur einen klei­nen Rand­ver­merk und auch die Agen­tur unse­res Ver­trau­ens lässt uns im Unkla­ren, wo wir wirk­lich hin müs­sen. Wahr­schein­lich wol­len sie uns nur ihre Tour ver­kau­fen. Aber wir leh­nen dan­kend ab. Wir sind ja groß und wer­den schon unse­ren Weg fin­den. Oder auch nicht!

La Laguna de Ánimas

Wir kämp­fen uns durch den Stra­ßen­jungle bis kurz vor den Par­que Liba­no. Klingt span­nend, klingt nach grün, aber es stellt sich als grü­ner Kreis­ver­kehr her­aus. Aber: hier fährt der Mini­bus nach Huni. Dem Fah­rer ver­kli­ckern wir unser Ziel. Er sol­le uns doch ein­fach raus­schmei­ßen. Ich neh­me auf der hin­ters­ten Bank im Mini­bus Platz, Chris­ti­an ganz vor­ne. Neben mir sitzt eine älte­re Dame und kurz dar­auf gesellt sich ein Herr an mei­ne rech­te Sei­te. Die Dame ver­sucht sogleich ein Gespräch mit mir zu begin­nen. Ich kon­zen­trie­re mich, zweif­le kurz an mei­nen Spa­nisch­fä­hig­kei­ten und schaue mich kur­ze Zeit spä­ter ver­wirrt um. Hil­fe ist nicht in Sicht. Ich pro­bie­re mei­ne spa­ni­schen Stan­dard­ant­wor­ten und rate wild die Fra­gen, um nicht unhöf­lich da zu sit­zen. Chris­ti­an ist zu weit weg, um mora­li­sche Unter­stüt­zung zu bie­ten. Da lächelt mich der Mann neben mir an und fragt mich belus­tigt, ob ich nix ver­ste­he. Ich muss die Fra­ge bejaen. Die Dame spricht Aymara mit mir löst er auf. Kein Wun­der, dass ich auf dem Schlauch ste­he.

Valle de las Ánimas

Der Bus schlän­gelt sich erst ins Tal in die »Zona Sur«, dann wie­der den Berg hin­auf. Kurz hin­ter der Stadt­gren­ze errei­chen wir einen Pass. Uns wird zu ver­ste­hen gege­ben, dass wir am Ziel sind. Mein GPS ver­rät mir den Name der im Müll schim­mern­den Lagu­na: »La Lagu­na de Áni­mas«. Zumin­dest der Name stimmt ein wenig. Wir pro­bie­ren unser Glück und fol­gen dem Pfad auf der gegen­über­lie­gen­den Stra­ßen­sei­te. Die Land­schaft ist karg und rot­braun. Es ist heiß und extrem tro­cken. Wir pas­sie­ren eini­ge Fel­der und selbst hier hat der Müll der Zivi­li­sa­ti­on kei­nen Halt gemacht. Über­all liegt Plas­tik. Es ist ein trau­ri­ger Anblick. Sehr trau­rig, denn es bleibt nicht die Aus­nah­me. Immer wie­der pro­bie­ren wir klei­ne Wege und lan­den auf Fel­dern und in Sack­gas­sen. Es ist span­nend mal quer-berg-ein zu lau­fen. Kei­ne Kar­te, die den Weg beschreibt, kei­ne Men­schen­see­le, die man fra­gen könn­te. Nach einer Wei­le krabb­le ich einen Hang hin­auf und ste­he vor einer tie­fen Abbruch­kan­te. Vor mir liegt das gesuch­te »Val­le de las Áni­mas«. Chris­ti­an klet­tert mir hin­ter­her und stockt.

Valle de las Ánimas

Es geht schwin­del­erre­gend steil abwärts. Einen Weg ins Tal der See­len gibt es nicht. Wir fol­gen der Abbruch­kan­te zurück in die Zivi­li­sa­ti­on. Je mehr Müll wir fin­den, des­to näher kom­men wir den Häu­sern. Die Son­ne steigt nun auch immer höher und unse­ren Ver­such, noch­mal einen Blick von unten in das Tal der See­len zu wer­fen, bre­chen wir ab. Wir wol­len nicht als Grill­hähn­chen in einem Laby­rinth von Fels­for­ma­tio­nen enden.

Ein ruhiger Tag ohne Ruhe

Die Stadt­füh­rung vor eini­gen Tagen hat uns etwas hung­rig auf mehr gemacht: mehr La Paz und all die Facet­ten. Es soll eigent­lich ein ruhi­ger Tag wer­den. Ein biss­chen die Stra­ßen auf und ab lau­fen, sich ein­fach trei­ben las­sen und den Weg uns fin­den las­sen. Recht schnell stellt sich berg­ab als bes­te Opti­on her­aus. Die Schwer­kraft zieht uns durch die klei­nen Gas­sen des Stadt­zen­trums bis hin zum Pra­do, der Haupt­stra­ße. Das Stadt­bild ändert sich rasant. Der Ver­kehr wird weni­ger. Aus engen Stra­ßen­zü­gen mit Markt­stän­den wer­den brei­te­re, grü­ne­re Stra­ßen. Die Fas­sa­den wer­den moder­ner und gepfleg­ter. In einer Sei­ten­stra­ße machen wir in einem deut­schen Kaf­fee halt. Die Tor­te in der Aus­la­ge zieht mich an und Chris­ti­an winkt ein Kaf­fee. Bit­ter sol­len wir ent­täuscht wer­den. Die Tor­te ist tro­cken und der Kaf­fee trotz rie­si­ger Maschi­ne nur Instant. Bekommt man hier nicht irgend­wo mal einen ver­nünf­ti­gen Kaf­fee?

El Prado

Viel­leicht gibt es ja in den Vil­len unter der Seil­bahn einen fri­schen Kaf­fee. Wir kön­nen nur davon träu­men, als unse­re Seil­bahn­gon­del über die rie­si­gen Vil­len ober­halb der »Zona Sur« schwe­ben. Es muss ein grau­en­haf­tes Gefühl sein, eine Seil­bahn über sei­ne Vil­la zie­hen zu sehen. Aber wie füh­len sich die Men­schen, die in den ärme­ren Vier­teln woh­nen und sich den Reich­tum und die Unge­rech­tig­keit von oben anschau­en kön­nen.

Christian in der Seilbahn von La Paz

Wir dre­hen nur eine klei­ne Run­de in der »Zona Sur« und lang­wei­len uns schnell; zu ziel­los sind wir unter­wegs. In der klei­nen Welt der Seil­bahn füh­len wir uns ganz wohl und so flie­gen wir auch gleich wie­der über die Stadt, zäh­len die Sport­plät­ze und hal­ten Aus­schau nach grü­nen Orten und klei­nen Ruhe­oa­sen. Schnell steht fest, dass die wir unse­re klei­ne Rund­fahrt erwei­tern und noch einen Blick über die Kan­te von El Alto wer­fen wol­len. Das Häu­ser­meer unter uns will ein­fach nicht auf­hö­ren. Es muss auch nicht auf­hö­ren. Es rei­chert nur mei­nen Erkun­dungs­drang an und die Ernüch­te­rung folgt auf den Schlag.

Zona Sur La Paz

Es wird wohl Jah­re dau­ern, jede Ecke zu erkun­den und die Stadt ver­ste­hen wer­de ich wohl nie. Zu die­sem Schluss kom­me ich mehr als nur ein­mal. Es ist mei­ne Rei­se­me­lan­cho­lie, die mich gera­de ein­holt. Zu viel möch­te ich von der Welt sehen und schaf­fe es noch nicht ein­mal eine Stadt ken­nen zu ler­nen. Und was noch schlim­mer ist, ich habe oft das Gefühl, die Welt bes­ser zu ken­nen als Deutsch­land. Ich bin von Taten­drang und der Suche nach mehr durch­zo­gen. Es fehlt die Zeit, alles zu tun, alles zu erkun­den. Das Ruckeln der Gon­del in der End­sta­ti­on holt mich zurück in die Rea­li­tät. Es heißt aus­stei­gen und die Träu­me für spä­ter auf­he­ben.

El Alto

Fauler geht’s nicht

Mein Traum vom Acon­ca­gua lebt noch immer. Die Expe­di­ti­on rückt immer näher und lang­sam wird aus dem Traum die Rea­li­tät der Vor­be­rei­tung. Aber noch ein letz­tes Mal faul sein, wird wohl noch erlaubt sein. Wir buchen einen Gip­fel und las­sen uns hoch­fah­ren. So schnell und ein­fach lässt sich der Chacal­ta­ya mit sei­nen 5435 Metern bestei­gen. Auf dem Weg dort­hin hal­ten wir in Sicht­wei­te zum Huay­na Poto­si. Auch schon aus La Paz her­aus ist der Haus­berg meist gut sicht­bar, aber jetzt in unmit­tel­ba­rer Nähe, ja fast Greif­wei­te kom­men mir wie­der die Gedan­ken an mei­ne aller­ers­te Expe­di­ti­on über 6000 Meter.

Huayna Potosi

Der Huay­na Poto­si ist knapp drü­ber mit sei­nen 6088 Metern und wird in La Paz von vie­len Agen­tu­ren ange­bo­ten. Aber jetzt in Hin­blick auf die Vor­be­rei­tun­gen zum Acon­ca­gua war ich damals sehr naiv und kann es nur Men­schen emp­feh­len, die schon gut akkli­ma­ti­siert sind.

Hütte am Chacaltaya
Chacaltaya

Der Mini­bus setzt uns am Chacal­ta­ya auf knapp 5200 Metern an der noch exis­tie­ren­den Hüt­te ab. Einst war hier das höchst­ge­le­ge­ne Ski­ge­biet der Welt und die Über­res­te des Lifts ste­hen und lie­gen nun­mehr auf den Fel­sen, die einst ein Glet­scher bedeck­te. Mir geht hier, trotz der vie­len Tage in der Höhe, kurz die Luft aus. Auch die letz­ten zwei­hun­dert Höhen­me­ter sind här­ter als ich es mir erwünscht hät­te. Aber dar­um mache ich es auch. Chris­ti­an und ich wol­len so viel dün­ne Luft wie mög­lich schnup­pern und hier wird es uns ein­fach gemacht. Der Huay­na Poto­si hat es mir damals vor knapp sechs Jah­ren nicht leicht gemacht. Kaum ange­passt quäl­te ich mich den Berg hin­auf und wie­der hin­un­ter. Die här­tes­te Tour mei­nes Lebens! Bis­her…

Unser Plan for­dert mehr und wir sind gespannt auf die kom­men­den Tou­ren im Hoch­land um La Paz.

Chacaltaya Ausblick

Expedition 6000+

Die­ser Arti­kel ist Teil mei­ner Serie „Expe­di­ti­on 6000+. Sie führt zwei Mona­te durch die schöns­ten Wan­der­re­gio­nen Süd­ame­ri­kas von Pata­gio­nen, Boli­vi­en bis zum höchs­ten Punkt der Rei­se, dem Acon­ca­gua in Argen­ti­nen. Fol­ge der Rei­se und genie­ße die wei­ten Land­schaf­ten, hohe Ber­ge und die abwechs­lungs­rei­che Kul­tu­ren Süd­ame­ri­kas.

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