Der gute Mensch von Prachuap

Mr. Pinit ver­leiht Motor­rol­ler im Küs­ten­städt­chen Prachuap, irgend­wo in der Mit­te zwi­schen Sur­attha­ni und Bang­kok, an der schmals­ten Stel­le Thai­lands. Statt des Miet­ver­trags schiebt er mir mit sei­ner dür­ren, klei­nen Hand, ein ver­gilb­tes Gäs­te­buch über den Tisch. Dar­in steht in Schön­schrift, wie sie vor dem Inter­net noch üblich war:

„Mr. Pinit ist der bes­te Rei­se­füh­rer, den man sich vor­stel­len kann. So nett und zuvor­kom­mend. – Ani­ta aus Bie­le­feld, 16. Novem­ber 1992.“

Ich bin nicht leicht zu über­zeu­gen, aber das ist ein­fach nur süß. Ich lass das mit dem eige­nen Rol­ler sein und geh‘ mit Mr. Pinit gemein­sam auf Tour zum Höh­len­tem­pel im Khao Sam Roi Yot Natio­nal­park.

Mr. Pinit ist ein höf­li­cher, beschei­de­ner Mann. Einer, der einem in die Augen schaut, wenn er ant­wor­tet. Selbst dann, wenn wir auf sei­nem Rol­ler mit 70 km/​h über die Land­stra­ße bret­tern. Einer, der als Will­kom­mens­ge­schenk duf­ten­de Blü­ten aus der Hosen­ta­sche frie­melt, dazwi­schen ein zer­knüll­tes Taschen­tuch, aber wir nehmen’s da nicht so genau.

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Seit über 40 Jah­ren zeigt Mr. Pinit Tou­ris­ten »sei­ne« Höh­le mit dem berühm­ten Kuha Kar­u­has Pavil­lon. Mehr als 500 Mal war er schon dort und es wird nicht lang­wei­lig. »Ich lie­be mei­ne Hei­mat. Ich komm doch von hier«, sagt er mit feuch­ten Augen. Ob die vor Rüh­rung näs­sen oder ent­zün­det sind, kann ich nicht genau sagen.

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Mr. Pinit ist in Prachuap gebo­ren und auf­ge­wach­sen. Zehn Meter zur Grund­schu­le, einen hal­ben Kilo­me­ter zur High­school und Col­lege, wo er Speng­ler gelernt hat. In sei­nem Beruf hat er nie gear­bei­tet, dafür ist er viel zu gern mit Men­schen zusam­men. Die Tou­ris­ten erzäh­len ihm von ihrer Welt und er zeigt ihnen sei­ne.

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Eine eige­ne Fami­lie oder Kin­der hat der 58-Jäh­ri­ge kei­ne. Er küm­mert sich um sei­ne alte Mut­ter. So macht man das als Jüngs­ter, so will es die Tra­di­ti­on. Sein Land hat Pinit noch nie ver­las­sen, einen Flug kann er sich nicht leis­ten. Nicht ein­mal das Nach­bar­land Kam­bo­dscha hat er besucht, und das ist dem Bus nur eine Tages­rei­se ent­fernt. Er träumt davon, sei­ner Mut­ter ein­mal den berühm­ten Ang­kor-Wat-Tem­pel dort zu zei­gen. Jetzt geht das noch nicht. Er will erst war­ten bis die Dame mit ihren fast 90 Jah­ren wie­der zu Kräf­ten kommt.

Wir sit­zen am Strand von Laem Sala, und Mr. Pinit hat Reis mit Hühn­chen für uns gemacht. Das Essen ist noch lau­warm im Alu-Hen­kel­mann. Er fragt mich aus über mei­ne Rei­sen, über die vie­len Län­der, die ich schon gese­hen habe; all die Orte, die er nie sehen wird. Ich ant­wor­te aber es ist mir pein­lich. Ich bin am pri­vi­le­gier­ten Ende der Welt gebo­ren. Es tut mir leid. Er lächelt viel und nickt. Dann fal­tet er ein Papier aus­ein­an­der mit einem Lied­text. Mit dün­ner Stim­me und viel Pathos singt er »But­ter­fly, my But­ter­fly now I know you must be free But­ter­fly, don’t flut­ter by, stay a litt­le while with me.« Ich schaue den alten Mann mit den hoh­len Wan­gen von der Sei­te an. Ein paar Tröpf­chen Spu­cke sprü­hen durch sei­nen Über­biss, wäh­rend er singt. Graue Sträh­nen kle­ben an sei­ner Stirn. Er bebt vor Auf­re­gung. Es tut mir wirk­lich leid.

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Abends trin­ken wir noch einen Eis­kaf­fee und er holt einen Schuh­kar­ton her­vor, die Ecken haben Mäu­se weg­ge­knab­bert. Dar­in sam­melt er Post­kar­ten, die er über die Jahr­zehn­te von sei­nen Tou­ris aus aller Welt bekom­men hat: Strand­sze­nen aus Rio, Fin­cas in Süd­spa­ni­en, Fjor­de an Nor­we­gens Küs­te und, ja, auch irgend­ein Markt­platz in Bie­le­feld. Orte, die er wohl nie selbst besu­chen wird.

Mr. Pinit bleibt in Prachuap und die Welt kommt ihn besu­chen.

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Antworten

  1. Avatar von Martin Wecker

    Sehr süß, aber gera­de sol­che Men­schen zei­gen einem zwei Din­ge,
    1. wir haben wirk­lich Glück
    2. Man kann auch mit viel weni­ger, viel zufrie­de­ner sein

  2. Avatar von Rolf

    Sehr sorg­fäl­tig, Bild und Text.
    Dan­ke

  3. Avatar von andi

    Hal­lo, da bekommt man gleich wie­der Lust auf Rei­sen …
    Der gute alte Mr Pinit 😉

    1. Avatar von Lorenz
      Lorenz

      C’est la vie … die Erfah­rung mach ich auch immer auf Rei­sen … in sol­chen Situa­tio­nen wird das einem wirk­lich sehr pein­lich! Dan­ke du sprichst mir von der See­le

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