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Der Fluss und wir

Jan-Phil­ipp hat­te den Yukon-Traum schon län­ger. In mir jedoch muss­te die Vor­stel­lung rei­fen, auch wenn ich das Was­ser und das Meer schon immer geliebt habe. Erst mal war ich also skep­tisch, als er mir von sei­ner Idee erzähl­te, zu zweit fast den gesam­ten Fluss, vom kana­di­schen Whi­te­hor­se bis zur Mün­dung in die Bering­see, ent­lang zu pad­deln. Nicht, weil ich befürch­te­te, dass wir nicht mit­ein­an­der aus­kom­men wür­den. Da hat­te ich kei­ne Sor­gen. Wir sind bes­te Freun­de, seit man uns in der fünf­ten Klas­se zusam­men an eine Schul­bank gesetzt hat. Aber ob ich eine der­art extre­me Tour machen will, was sie mit sich bringt, da schwirr­ten trotz aller Begeis­te­rung und Out­door-Erfah­rung Tau­sen­de Fra­gen im Kopf her­um. Klar war ja am Anfang nur, dass wir mit Jan-Phil­ipps Boot, einem Kajak von Grab­ner, unter­wegs sein wür­den. Aber 3200 Kilo­me­ter auf dem Yukon sind nun ein­mal eine ande­re Haus­num­mer, als einen Sonn­tag­nach­mit­tag auf dem See zu schip­pern.

Noch unver­bind­lich bra­chen wir im August 2013, fast zwei Jah­re vor unse­rer Tour, zu einem Test­lauf auf dem Boden­see auf. Wir umrun­de­ten ihn in zehn Tagen, genos­sen ein paar traum­haf­te, son­ni­ge Pad­del­ta­ge. Spä­tes­tens da waren wir voll­kom­men fas­zi­niert vom Rei­sen zu Was­ser. Im Novem­ber fiel bei uns bei­den dann die end­gül­ti­ge Ent­schei­dung, nach­dem wir einen Vor­trag des Aben­teu­rers Wal­ter Stein­berg besucht hat­ten. Er hat­te die Yukon-Expe­di­ti­on bereits erfolg­reich gemeis­tert und gab uns vie­le wert­vol­le Rat­schlä­ge. Auf dem Rück­weg vom Vor­trag hiel­ten Jan-Phil­ipp und ich nachts noch bei McDo­nalds an und dis­ku­tier­ten schon über kon­kre­te Fra­gen. Bei Bur­ger und Scho­ko-Muf­fin war uns klar: Wir müs­sen das machen! Mot­to: jetzt oder nie.

Yukon 2015 Blog Expeditionsdokumentation

Dann ging es auch schon ans Vor­be­rei­ten. Das war nicht immer ein Spaß und sehr auf­wän­dig. Wir woll­ten unbe­dingt unse­re kom­plet­te Aus­rüs­tung selbst mit­brin­gen und vor­her tes­ten, vom Zelt bis Kocher, von Land­kar­ten bis Strom­ver­sor­gung, von Sicher­heits­lö­sun­gen bis hin zu Regen­klei­dung. Schließ­lich war es kei­ne Opti­on, mit­ten auf dem abge­le­ge­nen Fluss am ande­ren Ende der Welt zu sagen: „Oh Mist, uns fehlt da was Wich­ti­ges! Da funk­tio­niert was nicht! Den­ken wir nächs­tes Mal dran!“

Uns war auch klar, dass das Vor­ha­ben teu­er wird. Aber so teu­er? Das Boot war zwei Kilo zu schwer, um es mit einer Air­line als Sport­ge­päck zu beför­dern. Da hät­ten wir viel­leicht einen net­ten Ange­stell­ten erwi­schen kön­nen, der ein Auge zudrückt, aber dar­auf konn­ten wir uns nicht ver­las­sen. So blieb uns am Ende nur, unser „Grab­ner River­star“ und die ande­re Aus­rüs­tung in einer Expe­di­ti­ons­kis­te zu ver­schi­cken. Das war nicht nur eine logis­ti­sche Her­aus­for­de­rung, die uns mona­te­lang beschäf­tig­te: Allein die Kis­ten-Ver­schi­ckung kos­te­te uns hin und zurück 5000 Euro. Aber wenn wir hier auf den Euro gucken, brau­chen wir gar nicht erst anzu­fan­gen, das haben wir schnell begrif­fen.

Mei­ne Kol­le­gen – ich bin Online-Redak­teur bei einer Tages­zei­tung – unter­stütz­ten mich, mein Chef gab mir drei Mona­te frei für das Vor­ha­ben. Auch Jan-Phil­ipp konn­te sich als damals ange­hen­der Oral­chir­urg für die Zeit frei­ma­chen. Am 14. Juni 2015 sind wir abge­flo­gen.

So eine Ent­fer­nung von 3200 Kilo­me­tern bleibt jedoch völ­lig abs­trakt, bis man wirk­lich im Boot sitzt und los­pad­delt. Ein ers­tes Gefühl für die Dimen­sio­nen bekam ich an unse­rem ers­ten Abend, nach­dem wir die ers­ten 20 Kilo­me­ter gepad­delt waren und im Zelt lagen. 20 Kilo­me­ter von 3200, das sind 0,6 Pro­zent der Stre­cke, rech­ne­te ich, also … gar nichts! Da habe ich mich schon lei­se gefragt, wor­auf wir uns da eigent­lich ein­ge­las­sen haben.

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Zwei glück­li­che Kanu­ten auf ihren ers­ten Kilo­me­tern auf dem Yukon. Phil­ipp hat aus der Wild­nis sogar gebloggt – per Iri­di­um-Satel­li­ten­ge­rät für 36 Euro pro Mega­byte. Das hat sich aber gelohnt: Die Live-Berich­te der Rei­se sind auf dem Blog www.yukon-blog.de nach­zu­le­sen

Aber auch nur kurz. Denn eigent­lich waren wir zu Beginn kom­plett eupho­risch, dass wir die­ses groß­ar­ti­ge Aben­teu­er erle­ben durf­ten. Die Bedin­gun­gen waren ide­al: Wir hat­ten traum­haf­tes Wet­ter und sind gleich am ers­ten Tag zwei groß­ar­ti­gen Öster­rei­chern begeg­net, mit denen wir bis Daw­son City zusam­men pad­del­ten. Dank Strö­mung und kräf­ti­gem Pad­del­ein­satz kamen wir gut vor­an. Es war unfass­bar schön, durch die kana­di­sche Wild­nis zu rei­sen, durch die­ses voll­kom­men unge­trüb­te Was­ser zu glei­ten, vor­bei an majes­tä­ti­schen Ber­gen. Die­se sagen­haf­te Natur mach­te uns demü­tig, erfüll­te uns mit Freu­de. Schon am drit­ten Tag sahen wir einen Bären am Ufer, er stand dort see­len­ru­hig und trank aus dem Fluss.

Von Anfang an war es auf dem Yukon wesent­lich ein­sa­mer, als wir das gedacht hat­ten. Wir hat­ten ange­nom­men, dass der kana­di­sche Teil des Yukon River etwas tou­ris­ti­scher ist. Aber manch­mal sahen wir vie­le Tage am Stück über­haupt nie­man­den. Auf 3200 Kilo­me­tern bis zur Bering­see sind uns viel­leicht zehn ande­re Padd­ler begeg­net.

So war das Grund­ge­fühl der Expe­di­ti­on: der Fluss und wir. Ich war der Schlag­mann und saß vorn, Jan-Phil­ipp war der Steu­er­mann. Das haben wir von Anfang an so gehal­ten. Täg­lich ver­brach­ten wir acht Stun­den und län­ger in die­sem Boot, kei­ne zwei Meter von­ein­an­der ent­fernt. Schon aus Sicher­heits­grün­den bleibt man auch ansons­ten so gut wie immer zusam­men. Wir haben viel mit­ein­an­der gespro­chen in die­ser Zeit. Über die Rei­se. Über das Leben.

Yukon 2015 Blog Expeditionsdokumentation Flag­ge zei­gen zu Was­ser: Vorn hängt immer die Fah­ne des Lan­des, in dem man sich auf­hält, hin­ten die der eige­nen Natio­na­li­tät

Nach zwölf Tagen erreich­ten wir Daw­son. Und unge­fähr mit der Grenz­über­que­rung eine Woche spä­ter ver­lie­ßen wir den idyl­lischs­ten Stre­cken­ab­schnitt. Die Bedin­gun­gen in Alas­ka wur­den nun nach und nach ande­re. Es wur­de noch ein­sa­mer und der Fluss sah wegen der Sedi­men­te aus den Zuflüs­sen nur noch trüb aus. Vor allem aber wur­de das Wet­ter schlech­ter und die Strö­mung ließ nach. Das mach­te das stun­den­lan­ge Pad­deln viel anstren­gen­der. Okay, es geht also auch anders, das wur­de uns in die­ser Pha­se der Rei­se end­gül­tig klar.

Wir stärk­ten uns aus­schließ­lich mit selbst zube­rei­te­ten Essen. Natür­lich hät­ten wir auch teil­wei­se auf Fer­tig­nah­rung zurück­grei­fen kön­nen. Aber wir wuss­ten bei­de, dass wir das nicht drei Mona­te lang aus­hal­ten wür­den. Des­halb hat­ten wir über­durch­schnitt­lich gro­ße Men­gen an Lebens­mit­teln dabei ­– Mehl, Reis, Nudeln, fri­sche Zwie­bel, Gemü­se, Müs­li, alles Mög­li­che – und koch­ten immer auf­wän­dig. Das hat lan­ge gedau­ert, aber so hat­ten wir jeden Abend etwas, wor­auf wir uns ver­läss­lich freu­en konn­ten.

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Rast am Abend: Mehr Fotos der Rei­se gibt es auf dem Blog der bei­den

Yukon 2015 Blog Expeditionsdokumentation Modi­scher Mos­ki­to­hut: Unver­zicht­bar im Juli in Alas­ka

Je wei­ter der Juli ins Land zog, umso mehr wur­den in Alas­ka die Mücken zum Pro­blem. Unse­re Mos­ki­tohü­te konn­ten wir teil­wei­se selbst auf dem Was­ser kei­ne Minu­te mehr aus­zie­hen. Am Ufer lie­fen wir sicht­be­schränkt wie zwei betrun­ke­ne Imker umher. Aber die noch grö­ße­re Her­aus­for­de­rung war das immer wech­sel­haf­ter wer­den­de Wet­ter. Mor­gens pad­del­ten wir bei zehn Grad los, dann wur­de es mit­tags sehr heiß, dann pras­sel­te plötz­lich ein unna­tür­lich hef­ti­ger Regen her­un­ter. Häu­fig muss­ten wir im Boot unse­re Klei­dung wech­seln.

Der Fluss zeig­te sich in die­sen Tagen eher wie das Meer – und änder­te sein Gesicht in kür­zes­ter Zeit. Manch­mal blies uns der Wind so stark ent­ge­gen, nach­dem wir eine Land­zun­ge umfah­ren hat­ten, dass wir kaum noch vor­an­ka­men. Etwa andert­halb Wochen lang stürm­te es tags­über so stark, dass wir dazu über­gin­gen, immer erst gegen 19 Uhr los­zu­pad­deln. Das Gute in die­ser Jah­res­zeit in Alas­ka: Es sind noch Mitt­som­mer­näch­te, die Son­ne geht nicht unter. Eine fas­zi­nie­ren­de Erfah­rung. Es war nachts um drei so hell, dass man drau­ßen ein Buch hät­te lesen kön­nen.

Aber der anstren­gends­te Teil soll­te erst noch kom­men. Auf den letz­ten 1000 Kilo­me­tern ab Gale­na ließ die Strö­mung wei­ter nach, oft war es stür­misch und reg­ne­risch. Da brauch­ten wir selbst für zehn Kilo­me­ter viel Kraft und hat­ten manch­mal das Gefühl, kaum noch vor­an­zu­kom­men. Der här­tes­te Tag aber war der letz­te, 1,5 Meter waren die Wel­len bestimmt hoch. Ein am Ende erfolg­rei­cher Kampf über vie­le Stun­den. Aber wir hat­ten uns zu Beginn gesagt, dass wir es bis zum Ende durch­zie­hen wol­len, wenn es irgend­wie geht. Ohne uns selbst in erns­te Gefahr zu brin­gen natür­lich.

Als wir am 21. August, also sogar zwei Wochen frü­her als geplant, im Ört­chen Emmonak an der Bering­see anka­men, waren wir erst ein­mal vor allem erschöpft und leer. Plötz­lich waren wir tat­säch­lich da, nach drei Mona­ten Stil­le wie­der in der Zivi­li­sa­ti­on. Letzt­lich war unser Ziel nicht das Ankom­men gewe­sen, son­dern auf dem Yukon unter­wegs zu sein.

Erst jetzt, vier Mona­te nach unse­rer Expe­di­ti­on, wird mir so rich­tig klar, was wir da eigent­lich gemacht haben. Mit die schöns­ten Tour-Momen­te waren dabei die Aben­de, an denen wir am Lager­feu­er in den Son­nen­un­ter­gang geguckt und die­ses Glücks­ge­fühl und unse­ren Aben­teu­er­geist gespürt haben: Es ist gut gelau­fen, wir haben etwas Beson­de­res erlebt.

Auf dem Yukon ist kein Tag wie der ande­re, stän­dig macht man neue Erfah­run­gen, erlebt Din­ge, die man zu Hau­se nie­mals erle­ben wür­de. Immer dann, wenn wir glaub­ten, jetzt haben wir alles gese­hen – eine Fuchs­fa­mi­lie, den tolls­ten Regen­bo­gen, die höchs­ten Wel­len, kam etwas, das uns noch viel mehr in Stau­nen ver­setzt oder Respekt ein­ge­flößt hat.

Die­se Rei­se hat mir in einer neu­en Inten­si­tät klar­ge­macht, dass das, was ich zu Hau­se erle­be und viel­leicht als Her­aus­for­de­rung emp­fin­den könn­te, eigent­lich gar kei­ne ist. Egal, was daheim pas­siert, das biss­chen Schnee, die paar lächer­li­chen Regen­trop­fen: Ich habe am Ende des Tages immer eine war­me Dusche, Wech­sel­sa­chen, Wär­me. Hier gibt es immer ein Sicher­heits­netz. Wir leben unter Bedin­gun­gen, die man als para­die­sisch bezeich­nen muss. Wenn ich Was­ser haben will, dre­he ich den Hahn auf. Wenn ich war­mes Was­ser haben will, dre­he ich den Warm­was­ser­hahn auf. Hier muss ich nicht wie im Busch stun­den­lang Feu­er­holz sam­meln, Was­ser abko­chen und fil­tern, so sehr wir das drei Mona­te lang auch genos­sen haben, als Aben­teu­er auf Zeit.

Die­se Din­ge sind mir jetzt bewuss­ter. Ich fah­re seit­dem jeden Tag mit dem Fahr­rad zur Arbeit. Egal bei wel­chem Wet­ter. Die Yukon-Tour fährt auch dabei im Kopf und im Her­zen immer mit.

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Antworten

  1. Avatar von Freiwilligenarbeit im Ausland

    Dan­ke für den schö­nen Bei­trag. Die Bil­der sind toll. War auch schon immer ein Traum von uns, dort ein­mal zu pad­deln.

    1. Avatar von Susanne Helmer

      Vie­len Dank, freut mich! Ja, es hat auch gro­ßen Spaß gemacht, das Kana­da- bzw. Yukon-Aben­teu­er der bei­den fest­zu­hal­ten.

  2. Avatar von Thomas

    Tol­ler Bei­trag!

    Auf dem Yukon zu pad­deln ist zur Zeit einer mei­ner größ­ten Träu­me! Den Bei­trag wer­de ich mir gleich mal in mei­ne Favo­ri­ten­lis­te spei­chern!

  3. Avatar von Christina Kalb

    Echt tol­ler Bei­trag!

    Der Yukon ist wirk­lich atem­be­rau­bend schön und hat mich bis jetzt mit am meis­ten begeis­tert auf mei­ner Kana­da­r­ei­se. Als wir in Whi­te­hor­se waren, haben wir ein deut­sches Pär­chen ken­nen­ge­lernt, die eben­falls eine Kajak Tour auf dem Yukon River gemacht haben. Das muss wirk­lich eine unbe­schreib­li­che Erfah­rung gewe­sen sein.

    Lie­be Grüβe aus Van­cou­ver 🙂

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