Der Bahn-Basar von Birma

Wer beschei­den reist, spürt den Ansturm von tau­send Blü­ten. In dem schwan­ken­den Drit­te-Klas­se-Zug begriff ich, dass Rei­sen eine süß-sal­zi­ge Ange­le­gen­heit ist. Ich fuhr in das Hoch­land von Bir­ma, besaß kei­nen Plan und kein Heim, nur einen 10-Kilo-Ruck­sack. Es gab kei­ne gepols­ter­ten Lie­ge­sit­ze, kei­ne Kli­ma­an­la­ge, nur die har­te Holz­bank, auf der ich seit zehn Stun­den wie auf einem Tram­po­lin auf und ab hüpf­te. Da drück­te seit Tages­an­bruch die­se trü­be Hit­ze, die mir schwer zusetz­te. Und wann ich einen Ort fin­den wür­de, an dem ich Essen bekam, blieb nur eine ver­wa­ckel­te Ahnung. Ich fühl­te mich müde, erschla­gen und aus­ge­zehrt.

Wenn am Mor­gen alle auf die Abfahrt war­ten, ist es in Man­da­lay noch kühl und fins­ter, atmet man die Stil­le und Fri­sche ein. Doch bald wird es laut und far­big. Der Zug schau­kelt sich durch das Hin­ter­land, über das Gok­teik-Via­dukt und wei­ter die Ber­ge hoch. Die Bahn ächzt und mei­ne Rei­se wird ein Ankämp­fen gegen eine deut­sche Depres­si­on. Es ist die Angst, nie anzu­kom­men, dass etwas Unvor­her­ge­se­he­nes alles zunich­te macht, wäh­rend sich die flat­tern­de grü­ne Berg­welt ewig an mir vor­bei­müht.

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Zug­fah­ren in Bir­ma ist wie ein Basar-Besuch. Män­ner und Frau­en, Alte und Jun­ge, Kin­der, Bett­ler, Händ­ler, sie alle sprin­gen auf den fah­ren­den Zug und wenig spä­ter wie­der her­ab. Vor allem die Händ­ler. Sie wit­tern schnel­les Geschäft und das gros­se Los auf dem rol­len­den Basar.

Einer von ihnen, der hage­re Jun­ge mit den glat­ten, schwar­zen Haa­ren, war beim letz­ten Halt auf den Zug gesprun­gen und ver­kauft Kaf­fee aus einem Topf, der auf sei­nem Kopf lagert. Er ist viel­leicht zehn Jah­re alt und trägt ein wei­ßes Hemd über sei­nem karier­ten Lon­gyi. Mit sei­nem Gefäß zieht der Jun­ge durch die vol­len Rei­hen des Wag­gons. Nim­mer­mü­de nimmt er Anlauf, um sei­ne Ware los­zu­schla­gen. Doch nie­mand beach­tet ihn, nie­mand will an die­sem Mor­gen etwas kau­fen. Kei­ner der Zug­rei­sen­den kann sich Mit­leid erlau­ben. Zuvie­le kämp­fen hier um Lohn und Leben. Plötz­lich steht der Klei­ne vor mir, berührt mei­nen Arm. Ich bli­cke ihn an und nicke, als mir die Ware prä­sen­tiert wird.

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Dann beginnt der Jun­ge sei­ne Hand­lun­gen. Mit einem Becher schöpft er eine damp­fen­de, milch­brau­ne Brü­he aus sei­nem Topf. Lang­sam, wie ein schma­ler Was­ser­fall in Zeit­lu­pe, rinnt das Gebräu plät­schernd in eine Plas­tik­tü­te. Der Klei­ne steckt einen Stroh­halm hin­ein und dreht flink die Tüte ein paar­mal um die Ach­se des Stroh­halms. Gera­de wenn man meint, der Vor­gang sei been­det, da schnürt er geschickt mit einem Faden den Hals der Tüte ab und nur der scho­ko­la­di­ge Kaf­fee­duft bleibt hän­gen.

„To Go, Sir,“ sagt der Jun­ge und schenkt mir noch ein strah­len­des Lachen mit. Einen Dol­lar for­dert er. Ich gebe dem Jun­gen zwei Schei­ne, weil hier einer sein Hand­werk ver­steht. Für mich ist der Kaf­fee eine Annehm­lich­keit, für den Jun­gen eine Lebens­ver­si­che­rung, mit der er einen wei­te­ren Tag über­lebt. Denn in Bir­ma ist jeder Tag ein gan­zes Leben.

Ich bewun­de­re, wie der Jun­ge sein Leben anpackt. Anpa­cken muss. Er gibt mir eine Lehr­stun­de. Mut, Wil­le und Aus­dau­er ste­hen heu­te auf sei­nem Lehr­plan. Wer beschei­den reist, der kos­tet von einer gros­sen Müh­sal. Und wenn wir Glück haben, dann packt uns ein Sturm, der in uns wühlt, an unse­ren Gewohn­hei­ten rüt­telt. Dann blü­hen wir, weil der Kit­zel uns durch­wellt. Dann wird alles und jeder zu einem ein­zi­gen Klas­sen­raum, wir ler­nen, wie sich die Welt anfühlt – und der gan­ze Rest. Auf­bruch und Ankom­men und dazwi­schen: das Schö­ne und süß-sal­zi­ges Leben.

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Antworten

  1. Avatar von Walter

    Tol­ler Bericht mit super Fotos !
    Wir sind ja auch Myan­mar-Fans, sie­he unse­ren Blog
    http://reise-berichte.at
    lg
    Doris und Wal­ter

  2. Avatar von Abwesenheitsnotiz

    Tol­ler Bericht. Sofern uns unser Old­ti­mer-Motor­rad noch bis in den Nor­den von Viet­nam bringt soll­ten wir in ein paar Wochen auch dort sein. Wir freu­en uns auf ursprüng­li­che­res Rei­sen…

    Viel Spaß noch und lie­be Grü­ße aus den viet­na­me­si­schen Ber­gen

    1. Avatar von markus

      mit bike und stern durchs land – bes­ser gehts nicht! hof­fent­lich reichts bis zum ziel. der nor­den: wun­der­bar. wun­der­bar gruen.

  3. Avatar von Philipp Laage

    In weni­gen Wor­ten viel gesagt. Und das in so einem wun­der­ba­ren Ton­fall.

  4. Avatar von Aylin

    Die »deut­sche Depres­si­on« und der »Geschmack von Müh­sal«- gran­di­os!

    1. Avatar von markus

      dan­ke, aylin und wei­ter­hin gute fahrt in asi­en!

  5. Avatar von Caroline

    Schön geschrie­ben! Aber so leid mir die­se Kin­der tun, die als Ver­käu­fer arbei­ten müs­sen, ich kau­fe nichts bei ihnen, weil ich immer den­ke, das gibt den Eltern einen Grund mehr, sie nicht zur Schu­le zu schi­cken…

    1. Avatar von markus

      dan­ke­s­ehr, caro­li­ne!

  6. Avatar von travel run play via Facebook

    Gera­de in Myan­mar unter­wegs und es haut mich schlicht­weg um. Der Bericht triffts.

    1. Avatar von markus

      wie wun­der­bar! gute rei­se, cari­na! steh schnell wie­der auf, mehr will ent­deckt wer­den!

  7. Avatar von Marco

    Sehr schön geschrie­ben! Zug­fah­ren in Myan­mar ist eine der blei­bends­ten Rei­se­er­in­ne­run­gen für mich.

    1. Avatar von markus

      dan­ke, mar­co. schoen, dass dir die geschich­te gefaellt. man­ches bleibt haf­ten, beim rei­sen, dann fuer immer.

  8. Avatar von Elisaveta Schadrin-Esse via Facebook
    Elisaveta Schadrin-Esse via Facebook

    Mar­kus hat da etwas ganz sen­si­bles ein­ge­fan­gen, die Essenz von dem, was auch nach der Rück­kehr aus Bur­ma bleibt und sich fest­setzt. Bemer­kens­wer­te Beob­ach­tungs­ga­be.

  9. Avatar von Elisaveta

    Soeben noch ein­mal die Zug­fahrt nach Bagan durch­lebt… kal­te Nacht­luft durch die offe­nen Fens­ter, Rauch von den Fel­dern, unrhyth­mi­sches Schla­gen der Räder auf mar­ro­den Glei­sen und die Samo­sa­ver­käu­fer, die schon sehn­süch­tig auf die Ankunft des Zuges war­ten. Ein hal­bes Leben scheint nun dazwi­schen zu lie­gen, dabei zeu­gen die noch sicht­ba­ren blau­en Fle­cken davon, dass man nur zwei Wochen und einen Flug gen Wes­ten von dem Rail­way-Bazar ent­fernt ist.

    Ein ganz gro­ßer Bericht, Mar­kus, wirk­lich aus dem Her­zen von Bur­ma.

    1. Avatar von markus

      dan­ke fuer dei­ne wor­te, eli­sa­ve­ta. wie schoen, dass auch dein herz an die­sem bezau­bern­den land haengt.

  10. Avatar von Mihaila Des via Facebook
    Mihaila Des via Facebook

    Wenn sich das mal nicht wun­der­bar anhört. 🙂

    1. Avatar von markus

      aller dank gilt bir­ma, mihai­la. ich geb das aber wei­ter.

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