Das erste Mal richtig die Hosen voll

Es ist wie Elf­me­ter­schie­ßen – 24 Tage lang, 24 Stun­den täg­lich, alle paar Sekun­den vol­les Holz aufs Tor. Und ich bin das Netz. Alles um mich her­um wackelt und rum­pelt. Dabei ver­su­che ich bei dem Gebal­le­re, ein­fach nur zu schla­fen. Das ist Hoch­see­se­geln.

Erst ist die Atlan­tik­über­fahrt auf einem Segel­boot nur eine fixe Idee. Ich sit­ze in mei­ner Woh­nung im Argen­ti­ni­schen Men­do­za und will wie­der nach Hau­se. Irgend­wie. Doch für einen Flug fehlt das Geld.

Judith aus Regens­burg hat­te mir zwei Mona­te zuvor in Ushua­ia, am Ende der Welt, den Floh ins Ohr gesetzt, auf einem Segel­boot anzu­heu­ern. In Segel­fo­ren berei­te ich den Wahn­sinn vor, fas­le etwas von „Mir schon klar, dass das kein Kin­der­ge­burts­tag wird, aber …“. Ich weiß nichts übers Segeln. Ich bin so naiv. Bernd will mich und sei­nen Kum­pel Johan­nes mit­neh­men über den Atlan­tik. Von der Kari­bik nach Euro­pa auf sei­nem Segel­boot – einem Kata­ma­ran von gera­de ein­mal elf Metern Län­ge. Bau­jahr 1988. Im Bug vor­ne rechts klafft ein Loch. Bes­te Vor­aus­set­zun­gen.

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Bernd kommt aus Kiel, ist Ende vier­zig und hat etwas von einem Vin­ta­ge-Por­no­star: Drah­tig, braun­ge­brut­zelt von der Kari­bi­schen Hit­ze. Die lan­gen, hell­blon­den Haa­re aus­ge­bleicht von Meer­salz und Son­ne. Er trägt eine viel zu kur­ze abge­schnit­te­ne Levis 501 und ein rosa Stirn­band.

Seit einem hal­ben Jahr schip­pert er durch die Kari­bik, von Bra­si­li­en bis nach St. Mar­tin – die insel­ge­wor­de­ne Werk­statt für Hob­by­seg­ler. Dort las­sen wir das Boot repa­rie­ren. Wir schnor­cheln im Tür­kis­blau und krat­zen mit Spach­teln Kreb­se, Algen und Mee­res­dreck vom Rumpf und und fli­cken die Segel mit dicken Nadeln. Im Groß­markt kau­fen wir Pro­vi­ant für den Atlan­tik-Cross: Mehl und Hefe zum Brot­ba­cken, Dosen­obst und –gemü­se, gefühlt zwölf Kilo Hafer­flo­cken und fast 500 Liter Süß­was­ser.

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Wir befin­den uns mit­ten auf dem Atlan­tik: N27°23′ W064°58′. Es ist zwei Uhr nachts. Ich sit­ze auf Deck und hal­te Wache. Über mir fun­keln mehr Ster­ne als ich jemals zuvor gese­hen habe, vor mir tanzt fluo­res­zie­ren­des Plank­ton im pech­schwar­zen Kiel­was­ser. Die Dünung hebt und senkt das Boot wie einen Fahr­stuhl. Die Luft ist warm und riecht nach – nichts. Um mich her­um – nichts. Nie war ich so weit weg von allem. Nie hab ich mich näher bei mir gefühlt.

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Am Mor­gen ist alles anders. Es reg­net und stürmt, das Boot bebt in den Wel­len und ich fal­le fast aus der Koje. „Das ist dann wohl das Ende der Fah­nen­stan­ge”, begrüßt mich Bernd am Früh­stücks­tisch. Bernd ist kein Päd­ago­ge.

Das Wet­ter­fax aus Bos­ton rat­tert über den Bild­schirm. Auf der Iso­ba­ren-Kar­te bau­en sich piep­send schwarz-wei­ße Lini­en auf. H für steht für „High Pres­su­re“, L für „Low Pres­su­re“. Dort, wo wir schau­keln, lie­gen die Lini­en eng bei­ein­an­der. Neben den gro­ßen L steht 990. Nor­ma­ler Luft­druck ist 1013. Das bedeu­tet Sturm.

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Nur zwei Stun­den spä­ter peit­schen wir bei sie­ben Wind­stär­ken übers Meer. Der Auto­pi­lot streikt bei dem Wel­len­gang. Bernd und Johan­nes klam­mern sich ans Ruder und ver­su­chen, Kurs zu hal­ten. Ich kann nicht raus zu ihnen. Ich bin zu fei­ge. Zusam­men­ge­kau­ert sit­ze ich unter Deck, lut­sche zur Beru­hi­gung homöo­pa­thi­sche Glo­bu­li und bin mir sicher, dass es vor­bei ist. Das war‘s mit mei­nem Leben. Ja, ich wei­ne.

Im Boot dröhnt und röhrt es. Das Was­ser klatscht an die Unter­sei­te des Kata­marans. Die Wel­len schie­ben von hin­ten, las­sen uns tan­zen wie ein Kor­ken in der Bade­wan­ne. Was­ser schwappt auf die Luken. In den Küchen­schän­ken hüpft Geschirr in die Höhe. Und es plät­schert im Schrank. Es gilt auf See, was auch an Land gilt: Im Schrank hat nichts zu plät­schern! Tut es auch nicht. Alles drau­ßen, alles in mei­nem Kopf.

Am nächs­ten Tag ist Ruhe.

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Die Son­ne scheint vom blau­en Him­mel als sei nie etwas gewe­sen. Eine See­schwal­be beob­ach­tet das Boot neu­gie­rig und segelt davon. Kein Wind, kei­ne Wel­len. Flau­te. Die Was­ser­ober­flä­che wabert ölig und trä­ge wie Queck­sil­ber. Das ist fast noch schlim­mer als hef­ti­ger Sturm. Tags­über müs­sen wir den alten Die­sel-Motor anschmei­ßen und tuckern mit sechs Kno­ten über den Oze­an – rund 60 See­mei­len an einem Tag. Nachts stel­len wir den Motor ab und die Strö­mung treibt uns die gan­ze Stre­cke wie­der zurück. Zer­mür­bend.

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Wir ver­trei­ben uns die Zeit mit Kochen und Essen. Ich nähe nutz­lo­se Täsch­chen aus den abge­schnit­te­nen Hosen­bei­nen von Bernds Jeans. Johan­nes foto­gra­fiert die weni­gen Moti­ve auf dem Boot: den Kom­pass aus allen Per­spek­ti­ven; Sei­le, die von den schlaf­fen Segeln bau­meln; geba­cke­nes Brot, das auf Deck aus­kühlt; Flie­gen­de Fische, die vom Kurs abge­kom­men sind. Bernd döst in der Son­ne. Ich star­re stun­den­lang auf das GPS-Gerät und zäh­le die Sekun­den und Minu­ten, die wir irgend­wie gen Osten vor­sto­ßen. Wir gehen sogar schwim­men. 6000 Meter unter unse­ren Füßen nur Was­ser.

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An den Tagen, wenn der Wind wie­der auf­frischt und wir tat­säch­lich segeln, beglei­ten uns Del­phi­ne. Gan­ze Schu­len pre­schen an uns vor­bei und ver­an­stal­ten mit dem Kata­ma­ran Wett­ren­nen, die sie immer gewin­nen. Sogar ein ein­sa­mes Boot begeg­net uns in der blau­en Wei­te. Früh­mor­gens düm­pelt der Ein­rümp­fer ganz dicht an unse­rem Seg­ler vor­bei. Tho­mas aus Braun­schweig. Ein Deut­scher. Mit­ten auf dem Atlan­tik, wo sonst nichts ist. Wet­ter­in­fos brau­che er, sein Fax habe den Geist auf­ge­ge­ben und er wis­se nicht, was ihn im Osten erwar­te. Irgend­wann am Vor­mit­tag ver­schwin­det er in den Wel­len.

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Die Tage zie­hen vor­über. Es wird Tag, es wird Nacht und wie­der Tag und … alles gleich. Drau­ßen ist es blau, manch­mal grau. Es riecht immer noch nach nichts. Doch: Manch­mal mod­rig und fau­lig, wenn ein Wal in der Nähe sei­nen Blas ablässt. Ein gigan­ti­scher Furz mit­ten im Nir­gend­wo. Ich lese viel und doch nichts. Zoti­ge Spio­na­ge­pos­sen, Rei­se­be­rich­te von muti­gen Hoch­see­seg­lern. Nichts davon inter­es­siert mich wirk­lich. Ich bin müde. Mir ist seit drei Wochen übel. Ich will nach Hau­se.

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Ich ler­ne viel in den Wochen auf See: Kar­ten lesen, mit sehr wenig Was­ser aus­kom­men, Kaker­la­ken fan­gen und auf See bestat­ten. Doch die wich­tigs­te Lek­ti­on: Umstän­de, an denen ich nichts ändern kann, ein­fach hin­zu­neh­men. An der Wet­ter­kü­che auf dem Atlan­tik kann man in einem win­zi­gen Segel­boot schlicht gar nichts ändern. Ich bin hier. Ich kann nicht weg. Das ist nun ein­mal so. Es ist okay.

Tage spä­ter krab­be­le ich aus mei­ner Koje an Deck. Es ist früh mor­gens und es nie­selt. Die Luft riecht anders. Wür­zig und schwer. Sie  riecht nach Erde und Moos, nach feuch­tem Wald. Das Tages­licht kriecht über die Wel­len und wir sehen in Wol­ken gehüll­tes Land: die Azo­ren – noch gut fünf Stun­den von uns ent­fernt. Wir sind bald da. Ich bin glück­lich. Nie hat Luft bes­ser gero­chen.

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Fotos: © Johan­nes Lam­pel. Vie­len Dank, dass ich die Bil­der ver­wen­den durf­te.

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Antworten

  1. Avatar von Mah

    irgend­wie wird der Floh in mei­nem Ohr immer grö­ßer. Dan­ke 😉

  2. Avatar von corne
    corne

    Hey Pia,

    Jetzt nach­dem ich Dei­nen Text gele­sen habe kann ich mir grob ein Bild davon machen wie so eine kerosin­freie Rei­se gen Süd­ame­ri­ka aus­se­hen kann. Hut ab! Wie bist du mit Bernd und Johan­nes eigent­lich in Kon­takt gekom­men? Über die­se Seegler­fo­ren oder bist Du ein­fach am Kai ent­lang­spa­ziert und hast Dir die Bei­den aus­ge­guckt? Trotz ähn­li­cher See­gel­er­kennt­nis­se (also 0) will ich mich auf sel­bi­gem Weg gen Süd­ame­ri­ka ver­su­chen. Wäre Dir jeden­falls wirk­lich dank­bar wenn du mir 1,2 »Kup­pel­sei­ten« für der­lei Hel­den­ta­ten nen­nen könn­test;)
    Bes­ten Dank und wei­ter­hin alles Gute für dei­ne Rei­se­ge­schich­ten!
    LG
    Cor­ne

    1. Avatar von Pia Röder
      Pia Röder

      Hey Cor­ne,

      ich bin da ganz »old­shool« ran gekom­men, näm­lich über prä­his­to­ri­sche Foren im Inter­net. 😉 https://www.handgegenkoje.de/ oder https://www.segeln-forum.de/ sind Anlauf­stel­len. Gibt’s noch mehr im Netz. Ein­fach mal goo­geln. Ver­mu­te aber, dass es Mitt­ler­wei­le auch auf Face­book ent­spre­chen­de Sei­ten gibt. Wenn du von Euro­pa nach Süd­ame­ri­ka willst, dann musst du im Herbst fah­ren. Rück­weg dann im Früh­ling. Ist wet­ter­be­dingt. Das reicht erst­mal als Basis­wis­sen 😉

      LG
      Pia

    2. Avatar von corne
      corne

      bes­ten Dank dafür Pia! Habe gleich über hand­ge­gen­ko­je eine poten­ti­el­le Mfg über den Atlan­tik gefun­den. nun habe ich auch eine lei­se Vor­ah­nung wie ech­te See­bä­ren ticken xd

  3. Avatar von Bernd
    Bernd

    gera­de auf die­sen Arti­kel auf­merk­sam gemacht wor­den, kann ich eini­ges »See­manns­garn« nicht so unkom­men­tiert ste­hen las­sen :
    – vin­ta­ge-por­no­star: die Wort­wahl zur Beschrei­bung find ich schon ziem­lich grenz­wer­tig, lie­be Pia !!! das eine kur­ze Jeans wie sie vie­le tra­gen solch einen Ein­druck hinterläßt.…aber ich kenn mich in DER Sze­ne halt nicht aus.
    – im Bug klaff­te KEIN Loch ! auf St.Martin wur­de der Kat vor Anker lie­gend von einem trei­ben­den Boot tou­chiert; der Scha­den wur­de vor Ort in einer Werft repa­riert – Pia hat s außen wun­der­bar über­malt (Dan­ke dafür !)
    – die Segel waren NICHT zer­ris­sen o.äh. son­dern es wur­den Ver­stär­kun­gen an Scheu­er­stel­len zur Vor­beu­gung ange­bracht (…klingt aber ja eher lang­wei­lig ;-)…)und ein nagel­neu­es Vor­se­gel kam ab dort auch zum Ein­satz.
    – Bra­si­li­en war bei die­ser Rei­se zeit­lich lei­der nicht drin.
    – Der Kat hat tat­säch­lich eine Art Werk­statt, um die mich die meis­ten Seg­ler benei­den – how will you fix s.th.on the wide oce­an ?
    – Zum Glück gab es nur 1 Kaker­la­ke ! Mir schlei­er­haft, wie die an Bord kam, denn solang ich allein segel­te war immer alles clean.…
    – stimmt, bin wahr­lich weder Psy­cho­lo­ge noch Päd­ago­ge.

    wie immer, ein leben­di­ger Pia-Arti­kel !
    eine frem­de, »nicht ver­wandt oder ver­schwä­ger­te« Lese­rin mein­te: Bil­der pas­sen nicht zum Text – so lebens­froh und Lust auf Rei­sen und Fer­ne machend zu einem doch eher nega­ti­ven, per­sön­li­chen Erleb­nis ???

    Ich emp­feh­le eher : http://www.pia-roeder.de/atlantik-cross/24-tage-auf-dem-atlantik.html

    LG v Bernd

    1. Avatar von Pia Röder
      Pia Röder

      Bernd! 🙂

      Ein biss­chen Semanns­garn, ein biss­chen Gal­gen­hu­mor, ein biss­chen jour­na­lis­ti­sche Frei­heit (für den Thrill-Fak­tor beim Lesen) und defi­ni­tiv das grö­ße Erleb­nis mei­nes Lebens. Dan­ke, dass ich das mit Dir und Johan­nes tei­len durf­te.

  4. Avatar von Stefanie

    Der Mensch gehört an Land. Wochen­lan­ge Übel­keit ist der Beweis! Ich hät­te die Über­fahrt wohl kaum über­lebt 😉 Trotz­dem macht Dein tol­ler Bericht Lust auf eine Atlan­tik­que­rung!

  5. Avatar von Alex
    Alex

    Wow, wuss­te gar­nicht dass du zum erlauch­ten Kreis der Atlan­tik-Seg­ler gehörst. (Wie immer) ein tol­ler Bericht! Benei­de dich zwar nicht um die wochen­lan­ge Übel­keit, aber doch um das gran­dio­se Erleb­nis!

  6. Avatar von stiller

    Ich hat­te beim Lesen das Gefühl, dass der Boden unter mei­nen Füßen schwankt. Trotz­dem leich­ter Neid, sicher eine groß­ar­ti­ge Erfah­rung, trotz allem. 🙂

  7. Avatar von Mary aus der krümelbar

    was für ein tol­ler bericht! obwohl sicher­lich eine der anstren­gens­ten und viel­leicht auch angst­be­glei­te­ten rei­sen, klingt die­se rei­se ein­fach wun­der­bar: frei, wild, lehr­reich.
    für mich ist das abso­lut gros­ses aben­teu­er und ich habe gröss­ten respekt für dich, pia!
    sicher­lich sind sol­che ein­sa­men momen­te sehr wert­voll und du kannst dich glück­lich schät­zen nun sol­che momen­te im her­zen zu tra­gen.
    nach die­ser rei­se kannst du dir sicher­lich in ansät­zen vor­stel­len, wie sich die alten see­fah­rer freu­ten, als sie land sahen – und wie schwer sie es hat­ten ohne wet­ter­fax und gps 😉
    von sowas könn­te ich nie genug lesen…
    lie­be grüs­se
    marie 🙂

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