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Ohne Flugzeug durch das Darien Gap

Ohne Flugzeug durch das Darién Gap

17.05.2019– Cos­ta Rica

Zwi­schen Kolum­bi­en und Pana­ma erstreckt sich das soge­nann­te Darién Gap – ein stra­ßen­lo­ses Gebiet aus dich­tem Dschun­gel und Sumpf­land.

Sam­mel­platz nicht nur von Schlan­gen, Skor­pio­nen und gif­ti­gen Frö­schen son­dern berüch­tigt vor allem wegen des regen Dro­gen­han­dels und kor­rup­ten Para­mi­li­tärs. Um ohne Flug­zeug von Süd- nach Zen­tral­ame­ri­ka zu kom­men, müs­sen wir die­ses Gebiet irgend­wie durch­que­ren. Die Fra­ge ist nur wie…

Nach ein paar Recher­chen haben wir fol­gen­de Mög­lich­kei­ten für uns her­aus­ge­fun­den: A) von Car­ta­ge­na, einer Kolo­ni­al­stadt an der Kari­bik­küs­te Kolum­bi­ens mit einem Segel­boot nach Pana­ma tram­pen. B) von Tur­bo aus, einer abge­le­ge­nen kolum­bia­ni­schen Fischer­stadt, mit ver­schie­de­nen Boo­ten von Dorf zu Dorf am Dari­en Gap ent­lang, bis zur Pan­ame­ri­ca­na in Pana­ma C) durch das Darién Gap hin­durch wan­dern.

In die­ser Rei­hen­fol­ge wol­len wir es ver­su­chen, wenn Plan A nicht klappt, haben wir noch Plan B und C und so wei­ter. In Car­ta­ge­na geht es los…

Die Pan­ame­ri­ca­na, ein ca. 25.000 Kilo­me­ter lan­ges Stra­ßen­netz­werk wel­ches den gan­zen ame­ri­ka­ni­schen Kon­ti­nent von Alas­ka bis Argen­ti­ni­en ver­bin­det, ist zwi­schen Pana­ma und Kolum­bi­en für eini­ge hun­dert Kilo­me­ter unter­bro­chen. Hier erstreckt sich das berüch­tig­te Dari­en Gap.

Ankunt in Cartagena

Bun­te Gas­sen. Kolo­ni­al­ar­chi­tek­tur. Tou­ris­tIn­nen. Hut­ver­käu­fer. Muse­ums­at­mo­sphä­re. Car­ta­ge­na war eine der ers­ten spa­ni­schen Kolo­nien im Nor­den Süd­ame­ri­kas. Sie wur­de im 16. Jahr­hun­dert gegrün­det und dien­te als wich­ti­ge Hafen­stadt für den Han­del von Waren. Heu­te gehört das Stadt­zen­trum zum UNSECO Welt­kul­tur­er­be, das von Besu­cher­strö­men über­lau­fen ist und von die­sen bestaunt wer­den kann. Ein paar Meter außer­halb des gut ver­mark­te­ten Zen­trums lie­gen die Armen­vier­tel der Stadt. Hier leben die Men­schen, für die der Glanz der frisch restau­rier­ten Kolo­ni­al­ge­bäu­de, der schi­cken Cafés und der Mode­bou­ti­quen für immer uner­reich­bar blei­ben wird.

Car­ta­ge­na – die Stadt hat vie­le Gesich­ter: die glanz­vol­le Innen­stadt, der Geschäfts­be­zirk mit moder­nen Hoch­häu­sern, die restau­rie­rungs­be­dürf­ti­gen Rand­vier­tel und die Slums rund um die Stadt.
Ein paar Meter außer­halb des gut ver­mark­te­ten Zen­trums lie­gen die Armen­vier­tel der Stadt.
Sies­ta – eine fet­te Kat­ze hat es sich in einem der Kolo­ni­al­ge­bäu­de gemüt­lich gemacht.

Plan A: Segelboottrampen

Am Stadt­ha­fen tref­fen wir ein paar ande­re Rei­sen­de, die auch nach einem Boot suchen, um au die pana­mai­sche Sei­te des Darién Gap zu kom­men . Zwei von ihnen sit­zen gera­de am Pier auf dem Boden uns spie­len Schach. Irgend­wie sehen die bei­den aus, als hät­ten sie schon eine gan­ze Wei­le hier ver­bracht. Ob sie schon Aus­sich­ten auf ein Segel­boot hät­ten, wol­len wir wis­sen. „Tram­pen scheint hier ziem­lich schwie­rig zu sein. Die meis­ten Segel­boo­te sind Char­ter Boo­te und wol­len um die fünf­hun­dert Dol­lar pro Per­son“.

Das ist lei­der kei­ne neue Infor­ma­ti­on. Wir hat­ten schon gele­sen, dass es mit dem Boot­stram­pen ein biss­chen schwie­rig wer­den könn­te, weil mit Segel­törns hier ein fet­tes Geschäft gemacht wird. Tourist*innen kön­nen von Car­ta­ge­na aus über die para­die­si­schen San Blas Inseln nach Pana­ma segeln und müs­sen dafür ziem­lich tief in die Tasche grei­fen.

Wir schlen­dern wei­ter über den Steg um uns einen eige­nen Ein­druck von der Lage zu machen. Aber die Wor­te der bei­den wer­den nur bestä­tigt. Fast alle Boo­te die hier anlie­gen sind von irgend­wel­chen Tou­ren­an­bie­tern. Hin­zu kommt, dass die Segel­sai­son bereits seit ein paar Wochen zu Ende ist und die meis­ten pri­va­ten Schif­fe schon abge­legt haben. Trotz den schlech­ten Aus­sich­ten beschlie­ßen wir, erst mal in Car­ta­ge­na zu blei­ben und es noch ein paar Tage zu ver­su­chen…

In Car­ta­ge­na wer­den wir von einer Krish­nage­mein­schaft zur Medi­ta­ti­on und zum Abend­essen ein­ge­la­den.

 

Als wir nach einer Woche immer noch kein Boot fin­den das uns mit­nimmt, las­sen wir von dem Plan ab. Wei­ter west­lich, ganz knapp vor Pana­ma, soll es noch eine klei­ne Hafen­stadt geben: Tur­bo. Wir hat­ten gehört, dass von hier aus regel­mä­ßig kom­mer­zi­el­le Schif­fe star­ten, die die klei­nen Sied­lun­gen im Darién Gap mit Nah­rung und sons­ti­gen Waren ver­sor­gen. Im Gegen­satz zu unse­rem Segel­boot­aben­teu­er von Gibral­tar nach Toba­go, ste­hen wir dies­mal näm­lich etwas unter Zeit­druck. Unse­re Fami­lie wird uns im Mai in Cos­ta Rica besu­chen und es bleibt wenig Spiel­raum, um wei­ter auf ein Segel­boot zu hof­fen, dass uns als Tram­pe­rin­nen mit­neh­men wird.

Vega­nes Chi­li sin Car­ne – Wir arbei­ten ein paar Tage im vega­nen Restau­rant in der Krish­na Gemein­schaft und dür­fen dafür dort kos­ten­los essen und woh­nen.

 

Am Hafen von Car­ta­ge­na – mit dem Segel­boot­tram­pen wird’s wohl nichts.

 

Ein Kapitän auf den Spuren illegaler Guerilleros

Also machen wir uns auf den Weg nach Tur­bo. Knapp vor Ein­bruch der Dun­kel­heit hält end­lich ein Auto. Da sowie­so nie­mand Tur­bo zu ken­nen scheint, nen­ne ich dem Fah­rer die gro­be Rich­tung: Medel­lin, die nächs­te Groß­stadt. „Und wo genau wollt ihr hin? – Ach, nach Tur­bo? – Ich fah­re nach Tur­bo! Ich arbei­te als Kapi­tän beim Mili­tär. Kom­me gera­de vom Urlaub bei mei­ner Fami­lie in Car­ta­ge­na.“

Jai­ro will die Nacht durch­fah­ren, weil er mor­gen um sie­ben zum Dienst antre­ten muss. Er erzählt viel. Vor allem von der Darién  Regi­on. Der Dschun­gel ist sein Ein­satz­ge­biet, dort fährt er, auf der Suche nach Dro­gen­schmugg­lern mit Patrouil­len­boo­ten die Flüs­se ab.

Frü­her sei­en sie auf Spu­ren­su­che nach Gue­ril­la­camps durch den Dschun­gel gelau­fen. Tage- oder wochen­lang. „Wir unter­such­ten die Feu­er­stel­len. Waren sie noch warm, wuss­ten wir dass sich die Gue­ril­le­ros höchst­wahr­schein­lich in der Nähe befin­den.“

Das schmutzige Geschäft der Kojoten

Heu­te wür­den sie im Dschun­gel zwar ab und an noch auf Gue­ril­la­grup­pen sto­ßen aber immer häu­fi­ger begeg­nen ihnen eine wach­sen­de Anzahl von Migrant*innen aus Kuba, Hai­ti, Vene­zue­la, Asi­en und Afri­ka. Auf der Flucht vor poli­ti­schen Kon­flik­ten, Elend, Gewalt oder getrie­ben von der Hoff­nung auf ein wohl­ha­ben­des Leben, bah­nen sich täg­lich hun­der­te Men­schen, teil­wei­se gan­zen Fami­li­en ihren Weg durch den dich­ten und gefähr­li­chen Dschun­gel.

„Vor Kur­zem sind wir auf eine Grup­pe Hai­tia­ner gesto­ßen, die ver­lo­ren durch den Dschun­gel irr­ten. Sie waren von einem Kojo­ten mit dem Boot aufs Fest­land geschmug­gelt wor­den. Im Glau­ben in Pana­ma raus gelas­sen wor­den zu sein – dafür hat­ten sie ihn bezahlt – irr­ten sie durch den kolum­bia­ni­schen Dschun­gel auf der ver­geb­li­chen Suche nach der Pan­ame­ri­ca­na, die Stra­ße Rich­tung Nord­ame­ri­ka. Der Kojo­te hat­te sie ver­arscht. Nur das Geld zählt, die Men­schen selbst sind denen egal. “

Mili­tär­po­li­zei mit Dro­gen­spür­hund im Dari­en Gap

 

Von Bananen und Kokain

Wir fah­ren die Nacht durch – mit einem zwei­stün­di­gen Zwi­schen­stop. Es ist halb sechs am fol­gen­den Mor­gen als sich bereits die ers­ten zag­haf­ten Son­nen­strah­len ihren Weg durch die Blät­ter der Bana­nen­stau­den bah­nen. die in Reih und Glied in end­lo­sen Plan­ta­gen am Auto­fens­ter vor­bei­zie­hen.

„Hier,“ Jai­ro zeigt auf die Plan­ta­gen, „sind auch heu­te noch vie­le Ban­den aktiv. Das Frie­dens­ab­kom­men mit der FARC bedeu­tet kei­nes­wegs, dass es heu­te mit Gue­ril­le­ros und Para­mi­li­tärs vor­bei ist. Die ELN und der Clan del Gol­fo sind aktu­ell die Haupt­ak­teu­re hier in der Ecke, sie lie­fern sich einen erbit­ter­ten Kampf um die Vor­macht­stel­lung im Dro­gen­han­del.

Bana­nen wer­den von hier aus in sol­chen Men­gen expor­tiert, dass die Schmugg­ler ein leich­tes Spiel haben. Es ist unmög­lich die Hun­der­ten von Ton­nen die täg­lich von hier ver­schifft wer­den zu kon­trol­lie­ren. Die Bau­ern arbei­ten Hand in Hand mit den Schmugg­lern, Klar von Bana­nen allein kann man nicht reich wer­den. Nur vom Ver­kauf der Bana­nen kön­nen die Fami­li­en nicht mal die Bil­dung ihrer Kin­der bezah­len.“

Jai­ro kauft für uns alle ein paar Kilo Man­gos bei einer loka­len Far­me­rin auf dem Weg nach Tur­bo.

Um 06:30 Uhr in der Frü­he errei­chen wir Tur­bo. Jai­ro lässt uns am Orts­ein­gang raus.

„Ich fah­re nur ganz sel­ten in die Stadt, eigent­lich nie, es ist zu gefähr­lich. Wir bekämp­fen den Dro­gen­han­del und damit die wich­tigs­te Ein­nah­me­quel­le für vie­le hier, des­halb wer­den wir nicht ger­ne gese­hen. Ein Kame­rad wur­de kürz­lich auf offe­ner Stra­ße umge­legt. Die Situa­ti­on ist mehr als ver­zwickt…“

Der Hafen von Tur­bo

 

Als wir fra­gen, ob wir auf einem der Schif­fe anheu­ern kön­nen, wer­den wir nur müde belä­chelt: „Ver­gisst es Mädels.“

 

Plan B: Von Turbo aus mit Booten durch das Darien Gap

Im Hafen­ge­tüm­mel, zwi­schen mus­kel­be­pack­ten Män­nern, hohen Sta­peln von Kis­ten, Fisch­ge­stank und hei­ßer, tro­pi­scher Luft wer­den wir von den Leu­ten zwar freund­lich begrüßt, aber dann doch nur müde belä­chelt, als wir den Vor­schlag machen, an Bord anheu­ern zu wol­len. „Ne Mädels, ver­gesst das mal ganz schnell wie­der. Hier darf nur ange­mel­de­te Crew an Bord.“

Mit Zeit und Geduld wäre es aber bestimmt irgend­wie doch noch mög­lich gewe­sen. Weil wir den Besuch von unse­rer Fami­lie aber auf kei­nen Fall ver­pas­sen wol­len, neh­men wir eines der klei­nen Schnell­boo­te nach Capur­ganá, das letz­te kolum­bia­ni­sche Dörf­chen mit­ten im Darién Gap.

Ankunft in Capur­ga­na – noch haben wir das Dari­en Gap lan­ge nicht über­wun­den. Mal sehen wie’s wei­ter geht…

 

Capur­ganá ist das vor­letz­te Dorf vor der Gren­ze zu Pana­ma. Nur der Hafen, der ein­zi­ge Ver­kehrs­kno­ten­punkt des Ortes ist geschäf­tig, sonst geht es hier eher ruhig zu. Es gibt kein ein­zi­ges Auto, Fischer­boo­te wackeln auf dem tür­kis­blau­en Was­ser, ein paar Kin­der toben im wei­ßen Sand und hin­ten zwi­schen den Kokos­pal­men knipst eine Grup­pe Tou­ris­ten Sel­fies mit einem bun­ten Ara.
Die Sze­ne­rie könn­te aus einer TUI-Wer­bung stam­men: „Ihr Kari­bik-Traum-Urlaub in Capur­ga­na!“

Für die einen ein Kari­bikt­raum, für die ande­ren der Beginn einer Odys­see.

 

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Ort der Kon­tras­te: Ein Tou­rist wird mas­siert, wäh­rend die Mili­tär­po­li­zei mit schar­fen Waf­fen am Strand patrouil­liert…

 

Karibik(alp)traum

Aber wenn man nur ein wenig genau­er hin­sieht, brö­ckelt die Fas­sa­de die­ser Idyl­le schnell. In Tarn­an­zü­gen und mit Sturm­ge­weh­ren im Anschlag patrouil­lie­ret die Mili­tär­po­li­zei durch das Dorf.

Eine gro­ße Grup­pe Haitianer*innen hat­te sich von Tur­bo aus mit uns das Boot geteilt und berei­ten sich nun auf die viel­leicht gefähr­lichs­te Wan­de­rung ihres Lebens vor: ein acht­tä­gi­ger Marsch durch den dich­ten Dschun­gel der Darién Regi­on. Car­pur­ganá ist für vie­le der Aus­gangs­punkt einer Odys­see, von hier beginnt eine der gefähr­lichs­ten Flücht­lings­rou­ten der Welt.

Das Darién Gap ist voll von Flüs­sen, Sümp­fen, Gift­schlan­gen und Jagua­ren. Zu den Gefah­ren sum­mie­ren sich die Para­mi­li­tärs, die die Rou­te der Dro­gen­schmugg­ler kon­trol­liert und regel­mä­ßig drin­gen Geschich­ten von Über­fäl­len und Ver­ge­wal­ti­gung durch das Dickicht des Dschun­gels. Wer sich dazu ent­schei­det hier durch zu lau­fen, ist sich voll­kom­men selbst über­las­sen..

Was dort hin­ten auf der „Tru­cha“ im Dschun­gel vor sich geht, kön­nen wir nur erah­nen. Die Geschich­ten uns Migran­ten, Anwoh­ner und Mili­tärs erzäh­len sind grau­sam.

 

Eine Nacht im Luxushotel?

Als es anfängt zu däm­mern, machen wir uns auf die Suche nach einem Schlaf­platz. Am Ende des Stran­des, ganz hin­ten durch fin­den wir die Rui­nen eines alten Luxus­ho­tels.

Kup­peln im ara­bi­schen Stil ragen zwi­schen Pal­men her­vor, die antik-anmu­ten­den Säu­len sind von Rank­pflan­zen über­wu­chert, die Mar­mor­plat­ten der ehe­mals ele­gan­ten Trep­pen sind zer­sprun­gen und auf dem Grund des lee­ren Swim­ming­pools fau­len Blät­ter vor sich hin. Lang­sam holt sich der Dschun­gel sein Ter­ri­to­ri­um zurück. Die Fens­ter und Türen sind mit dicken Holz­bret­tern ver­bar­ri­ka­diert aber wir fin­den ein Schlupf­loch an der Rück­sei­te des Hotels:

Durch den Schacht einer ehe­ma­li­gen Kli­ma­an­la­ge gelan­gen wir ins Inne­re. Im obe­ren Stock­werk fin­den wir ein gut erhal­te­nes Zim­mer mit alten Matrat­zen und einem Bal­kon mit wun­der­schö­ner Aus­sicht aufs Meer. Mit Vor­freu­de auf unse­ren tol­len Schlaf­platz wol­len wir zurück zum Strand, wo Annie mit unse­ren Ruck­sä­cken war­tet. Kaum haben wir uns durch Lüf­tungs­schacht wie­der nach drau­ßen gequetscht, war­tet schon der Sicher­heits­mann auf uns.

Lang­sam schüt­telt er den Kopf und beäugt uns mit skep­ti­schen Blick. Er hat uns wohl von außen durch eines der Fens­ter erspäht. Aus unse­rem Luxus­zim­mer mit Pan­ora­ma­blick wird also lei­der doch nichts….

 

Der bittere Geschmack der Realität

Im Toi­let­ten­häus­chen für die Strand­gäs­te ler­nen wir Die­go ken­nen. Seit ein paar Wochen arbei­tet er hier als Rei­ni­gungs­kraft, um in ein paar Mona­ten hof­fent­lich genug Dol­lars zusam­men zu haben, damit er den ille­ga­len Weg durch den Dschun­gel antre­ten kann. Er will wei­ter Rich­tung Nor­den, um sich dort ein neu­es Leben auf­zu­bau­en. Nicht nur die obli­ga­to­ri­schen „Gui­des“ bzw. Schmugg­ler for­dern hohe Sum­men, auch die im Wald ver­ste­cken Para­mi­li­tärs for­dern Weg­geld, wenn die Migrant*innen ihre Gebie­te kreu­zen.

„Wenn ihr wollt, könnt ihr euer Zelt hin­ten in den Häu­ser­rui­nen auf­bau­en.“ Er zeigt auf ein zer­fal­le­nes klei­nes Hotel hin­ter dem Toi­let­ten­häus­chen. „Dort seid ihr sicher.“

In den Rui­nen tref­fen wir die Freun­de von Die­go, drei Män­ner, die sich hier ein­ge­rich­tet haben. Einer schwingt im Halb­schat­ten der Abend­däm­me­rung in einer Hän­ge­mat­te und ruft uns freund­lich zu: „Hola Ami­gas!“ Die ande­ren bei­den sit­zen auf dem Boden vor einem Feu­er­chen auf dem Reis vor sich hin kocht.

„Setzt euch. Habt ihr Hun­ger?“ Einer der bei­den stellt sich als Juan vor, aus Kolum­bi­en. Wäh­rend die ande­ren eher schweig­sam sind, erzählt er uns sei­ne Geschich­te: „Ich habe schon zwei­mal ver­sucht, über die Tru­cha, so nen­nen wir den Pfad durch den Dschun­gel, nach Pana­ma zu kom­men. Das ers­te Mal war ich nicht rich­tig vor­be­rei­tet und muss­te umkeh­ren weil es sonst zu gefähr­lich gewor­den wäre. Das zwei­te Mal hat mich die Mili­tär­po­li­zei geschnappt und zurück geschickt. Jetzt war­te ich auf die nächs­te Mög­lich­keit. Auf­ge­ben wer­de ich bestimmt nicht.“

Seit ein paar Mona­ten steckt Juan hier in Capur­ganá fest und teilt sich mit den ande­ren den Platz in der Rui­ne. Mit Gele­gen­heits­jobs und dem Ver­kauf von Mari­hua­na wird er in eini­gen Mona­ten viel­leicht die nöti­gen Dol­lar zusam­men haben, die er braucht um es wie­der zu ver­su­chen.

„Wisst ihr, Kolum­bi­en steckt der­zeit zwar in kei­ner tie­fen Kri­se und viel­leicht könn­te ich in mei­nem Hei­mat­dorf auch ein beschei­de­nes und ruhi­ges Leben füh­ren aber das will ich nicht. War­um soll­tet ihr – aus Euro­pa – eure Träu­me leben kön­nen, wäh­rend wir uns mit den weni­gen Mög­lich­kei­ten abfin­den müs­sen, die wir haben? Ich habe den Traum in die USA zu gehen und davon wird mich nie­mand abhal­ten!“

Unser Schlaf­platz in der ehe­ma­li­gen Feri­en­an­la­ge. Links im Bild, unter dem Dach sieht man die Hän­ge­mat­te von Juan und sei­nen Freun­den. Dort leben sie, bis sie sich auf den gefähr­li­chen Weg durch den Dschun­gel machen, um die Gren­ze zu Pana­ma ille­gal zu über­que­ren.

Zwi­schen mor­schen Bal­ken schla­gen wir in der Nähe unser Nacht­la­ger auf. Das Meer rauscht. Aus dem Dschun­gel drin­gen zir­pen­de und gluck­sen­de Lau­te. Vor mei­nem Inne­ren Auge sehe ich das Bild die­ses Ortes. Tür­kis­blau­es Was­ser, wei­ßer Sand­strand, Son­ne, Pal­men. Die­se Kari­bik­idyl­le scheint den Men­schen, die nicht zum Urlaub hier her gekom­men sind höh­nisch ins Gesicht zu lachen: „Die Welt ist schön – aber nicht für euch.“

In mei­nen Gedan­ken ver­mi­schen sich die Wor­te von Juan mit den Ein­drü­cken des Tages: Die Fami­lie aus Hai­ti, die sich auf den gefähr­li­chen Marsch vor­be­rei­tet, die Tourist*innen, die sich am Pool in der Son­ne recken, die Geschich­ten von Raub und Ver­ge­wal­ti­gun­gen im Dschun­gel, die Restau­rants die ihre vor­züg­li­chen Spei­sen anbie­ten – aber nur den weni­gen die es sich leis­ten kön­nen, Die­go im Toi­let­ten­häus­chen, Juan in den Rui­nen…

Sieht so eine gerech­te Welt aus?

Reges trei­ben am Hafen von Capur­ga­na. Mit einer hand­voll Tou­ris­ten ist auch eine gro­ße Grup­pe Haitianer*innen ange­kom­men, die auf den „Kojo­ten“ war­ten, der sie über den gefähr­li­chen Pfad durch den Dschun­gel füh­ren wird.
Nach eini­gen erfolg­lo­sen Nach­mit­ta­gen am Hafen, macht uns Oswald, ein ansäs­si­ger Tour­anbie­ter ein Ange­bot: Er wird eine Grup­pe Tou­ris­ten nach La Miel fah­ren und kann uns – für ein klei­nes Taschen­geld ein paar Meter wei­ter zu dem nahe­ge­le­ge­nen Ort Puer­to Obal­dia fah­ren.

Next Stop: Puerto Obaldia

In dem klei­nen pana­mai­schen Grenz­städt­chen Puer­to Obal­dia ist die Mili­tär- und Poli­zei­prä­senz unüber­seh­bar. Regel­mä­ßig patrouil­lie­ren die schwer bewaff­ne­ten Sol­da­ten am Strand und es macht fast den Ein­druck, als gäbe es mehr Sol­da­ten als Zivil­be­völ­ke­rung. Das Dorf liegt mit­ten im Darién Gap. Es gibt weder Autos noch Stra­ßen­ver­bin­dun­gen. Im Grun­de besteht das Dorf aus einer Bäcke­rei, einer hand­voll Restau­rants und ein paar klei­nen Kios­ken. Außer­dem gibt es einen klei­nen Flug­ha­fen, von dem aus Busch­flug­zeu­ge nach Pana­ma City flie­gen.

Mit Kari­bikt­raum hat Puer­to Obal­dia, das Gren­zört­chen auf pan­ame­ri­ka­ni­scher Sei­te nicht mehr viel zu tun.

 

Es gibt zwar Stra­ßen aber kei­ne Autos.

 Mit Boni durch den Panamakanal?

Von einem Kapi­tän am Hafen – der ein­zi­ge der im Moment hier mit sei­nem Schiff anlegt, bekom­men wir den Hin­weis, dass bald ein Han­dels­schiff hier vor­bei­kom­men wird, das uns mög­li­cher­wei­se mit nach Colon am Pana­ma­ka­nal neh­men kann. Er gibt uns den Kon­takt zu Umber­to – der Mann mit dem ein­zi­gen Tele­fon des Dor­fes. Er sei ein guter Freund des Kapi­täns und könn­te uns gege­be­nen­falls mit ihm in Ver­bin­dung set­zen.

Wir fin­den Umber­to und haben spä­ter am Tag tat­säch­lich eine lose münd­li­che Zusa­ge von Boni, dem Han­dels­schiffs­ka­pi­tän. Das Pro­blem: Die Infor­ma­tio­nen über die Ankunfts­zeit des Schif­fes las­sen ziem­lich viel Raum für Spe­ku­la­ti­on.

Offi­zi­ell soll­te das Schiff von Boni schon ges­tern abge­legt haben. Heu­te heißt es am Nach­mit­tag oder mor­gen, mor­gen sind Wah­len, da steht alles still im Land…Und der Grenz­be­am­te will uns kei­nen Ein­rei­se­stem­pel geben bevor wir ein Ticket zur Wei­ter­rei­se vor­le­gen kön­nen. Ein­ein­halb Tage haben wir noch. Wenn wir bis über­mor­gen noch kei­ne Mög­lich­keit zur Wei­ter­rei­se haben, will uns der Migra­ti­ons­be­am­te zurück nach Kolum­bi­en schi­cken.

Das ein­zi­ge Boot im Hafen von Puer­to Obal­dia – lei­der fährt es nicht dort­hin wo wir hin müs­sen.

 

Mal sehen wie die Lage mor­gen aus­sieht. Unser Camp schla­gen wir hin­ter dem Dorf am Strand auf. Am Ufer ent­lang führt ein klei­ner Pfad über ange­schwemm­te Stäm­me und alte Fischer­net­ze, über Plas­tik­müll und Koral­len­res­te an einer Mili­tär­ba­sis vor­bei. Hin­ter einem Holz­schild „No toca los cocos“ (Fin­ger weg von den Kokos­nüs­sen) fin­den wir eine alte Hüt­te am Strand neben der wir unser Lager auf­bau­en.

Aus­ser­halb des Dor­fes fin­den wir ein ruhi­ges Plätz­chen

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Mit einem Schnellboot Richtung Panama

Am nächs­ten Mor­gen sto­ßen wir im Dorf auf Miguel, einen Spa­ni­er auf Welt­rei­se, Raul aus San Sal­va­dor, der zurück zu sei­ner Fami­lie reist nach­dem er sie meh­re­re Jah­re nicht mehr gese­hen hat­te und José aus Kolum­bi­en der sei­nen krebs­kran­ken Freund Sant­ia­go nach Cos­ta Rica beglei­tet, wo er auf eine Behand­lung hofft.

Unse­re Geschich­ten kön­nen unter­schied­li­cher nicht sein aber im Moment ste­cken wir alle in der sel­ben Situa­ti­on: Kei­ner weiß so recht wie wir alle von hier aus wei­ter kom­men sol­len.

 

Nächs­ter Mor­gen: Von Boni gibt es immer noch kein Zei­chen. Aber ein Fischer aus dem Dorf macht uns ein Ange­bot: wenn wir alle unse­re Dol­lars zusam­men­le­gen, fährt er uns nach Car­ti, das nächst­ge­le­ge­ne Ört­chen mit Stra­ßen­an­bin­dung – acht Stun­den von hier ent­fernt.

Wir gehen auf den Deal ein und fin­den uns kur­ze Zeit spä­ter – mit Stem­pel im Pass – auf einem klei­nen Motor­böt­chen wie­der das über die Wel­len Rich­tung Nor­den kracht.

Auf dem Weg nach Car­ti, fah­ren wir an den San-Blas-Inseln vor­bei, die von den Kuna besie­delt sind. Im 17. Jahr­hun­dert flo­hen die Kuna vor den spa­ni­schen Inva­so­ren auf das Archi­pel und konn­ten spä­ter, nach einer blu­ti­gen Aus­ein­an­der­set­zung mit der Regie­rung Pana­mas, das auto­no­me Gebiet Kuna Yala grün­den.

 

Zum Tan­ken hal­ten wir in einer der Kuna­sied­lun­gen.

 

 

Nach der lan­gen, holp­ri­gen Fahrt kom­men wir ziem­lich erschöpft in Car­ti an. Von hier aus wol­len wir zur Pan­ame­ri­ca­na und dann mor­gen wei­ter nach Pana­ma City tram­pen. Guter Din­ge lau­fen wir los und tat­säch­lich hält nach kur­zer Zeit schon ein Jeep…

Wir wol­len gera­de das Feu­er in der alten Schub­kar­re für unser Abend­essen anzün­den, als das Auto das uns eben hier abge­la­den hat­te wie­der ange­fah­ren kommt. Kuna – der Fah­rer, Miguel und Raul kom­men uns mit Tüten vol­ler war­men Essen ent­ge­gen. Die drei hat­ten sich kur­zer­hand ent­schlos­sen umzu­keh­ren und uns mit dem Abend­essen zu über­ra­schen.

 

Unse­re Haa­re sind von Sand und Meer­salz ver­klebt. Da kommt die Dusche an der gro­ßen Tank­stel­le auf der Pan­ame­ri­ca­na ganz gele­gen, um uns noch­mal zu erfri­schen bevor es in die Groß­stadt geht….

 

Nach den Tagen im Dschun­gel kommt uns die Sky­line von Pana­maci­ty fast sur­re­al vor. Ich den­ke an all jene, die wir unter­wegs getrof­fen haben und den schwie­ri­ge­ren, ille­ga­len Weg durch den Dschun­gel neh­men wer­den. Wie­so dür­fen wir uns mit dem deut­schen Pass so frei durch die Welt bewe­gen, wäh­rend ande­re dafür ihr Leben aufs Spiel set­zen müs­sen?

 


Antworten

  1. Avatar von Matthias Barton

    Hal­lo. ich habe 2012 den sel­ben Weg gewählt. ich woll­te zwar den Land­weg durch den Dari­en Gap, habe damaks aber kei­nen Füh­rer, Gui­de gefun­den, obwohl ich eini­ges Geld gebo­ten habe. Kojo­ten und Flücht­lin­ge gab es damals nicht. Von Tur­bo nach Car­pur­ga­na per Boot, dann zu Fuß nach Pana­ma und von dort auch wie­der per Boot, mit Über­nach­tung auf einer San Blas Insel und dann wei­ter nach Car­ti ( und dann bis San-Fran­cis­co und gestar­tet bin ich von Ushua­ia)
    lg mat­thi­as bar­ton aus wien

  2. Avatar von Marco

    Sehr coo­le Geschich­te! Und ver­mut­lich bes­ser, dass es nicht Opti­on C gewor­den ist.

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