Dein Warenkorb ist gerade leer!
Von Touristenführern wird Cádiz als das „Havanna Spaniens“ bezeichnet. Solche Sätze graben sich tief in das Gedächtnis des unbefleckten Reisenden ein. So wie einem auf der iberischen Halbinsel alles „spanisch vorkommt«, sogar hier im äußersten Südwesten, wo das hektische, geschäftstüchtige Madrid und das elegante „savoir vivre“ des Mittelmeeres in weite Ferne gerückt sind.
Reist man mit dem Auto oder Bus über die Landzunge kommend an, scheint es, als würde man jeden Moment mit den Bausünden der 70er und 80er Jahre kollidieren. Eine endlose Einfahrtsstrasse, pragmatisch als »Avenida« getauft, parallel zum Atlantik, links und rechts großzügig gesäumt von Neubauten. Ein Grand Canyon an Mehrfamilien-häusern, wenn man so will, erbaut von verkaterten Städteplanern. Dem Berufsästheten sei die Anreise mit dem Zug geraten, die Neustadt nimmt einen dann nicht so sehr in Beschlag und der Tintenfischsalat kann dann auf Grund ausbleibender visueller Ohrfeigen frei von Schnappatmung verzehrt werden. Vom Flughafen Jerez gestaltet sich die Anreise mit dem Zug einfach und nach nur 45 Minuten Fahrt empfängt der Atlantik mit einer gut gemeinten, salzigen Backpfeife. Diese Konfrontation jedoch ist gewiss.
Cádiz wird von den stolzen Einheimischen schon einmal als älteste Stadt Europas bezeichnet. Die Fläche des historischen Stadtkerns konnte sich nicht weiter vergrößern, denn die ca. 120.000 Einwohner zählende Stadt liegt auf einer Landzunge, womit Platz begrenzt und kostbar ist. Nicht ganz eindeutig ist, wann die Phönizier hier anrückten. Die erste Siedlung, Gadir genannt, ist um 1100 v.Chr. entstanden, womit Cádiz auf mehr als 3000 Jahre Stadtgeschichte zurück blickt. Zumindest haben sich darauf Historiker, Patrioten und selbstgefällige Bürgermeister, die zur vorletzten Gruppe gezählt werden können, geeinigt.
Von frühlingshaften Temperaturen und der wärmenden andalusischen Sonne berauscht, laufe ich ziellos über die äußerste Spitze der Landzunge, wo sich kreisförmig, inmitten des Atlantiks, die Altstadt befindet. Der Europäische Winter verliert so weit im Süden an Kraft. Dass in Cádiz einmal Schiffsladungen an Gold aus den südamerikanischen Kolonien eingetroffen sind, lässt sich in der Altstadt bestens nachvollziehen. Die engen Gassen werden immer wieder von kleinen, schön angelegten Parkanlagen durchbrochen, flankiert von herrschaftlichen, palastähnlichen Häusern. Und unter den vielen Palmen und immergrünen Bäumen, wie der großblättrigen Feige, entstehen großzügige schattenspendende Sitzmöglichkeiten, v.a. in den Sommermonaten ein Zufluchtsort, zwischen Mittagessen und Siesta. Der „Plaza de Mina“ kombiniert beeindruckende Baudenkmäler und exotische Grünanlagen bis zur Perfektion.
Bei einem solchen Klima ist auch im Winter die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ich hier einen Schatten werfe. „Irgendwann hat hier jeder einen Schatten“, krächzt mir der ältere Herr am Caleta Strand entgegen, dem Stadtrefugium der hiesigen Fischermänner und notorischen Rumhänger. Entweder man habe zu viel Zeit mit Müßiggang verbracht oder der „Levante“ Wind habe einen den Verstand aus dem Schädel geblasen, krakeelt er. Die Winde laufen v.a. in den Sommermonaten auf Hochtouren und können bisweilen Wochenlang anhalten. Das geht an die Substanz. Diese verrauchte, von Hochprozentigem und Tabakkonsum über Jahre perfektionierte Sprechweise, ist übrigens keine Seltenheit auf der iberischen Halbinsel. Alte Herren, die mit Körper und Stimme in gleicher Intensität reden, die Zigarette im Mundwinkel einer Statue gleich eingemeißelt, und in greifbarer Nähe das Likörglas, das hat in Spanien Wiedererkennungswert, auch am vermeintlichen Ende der Welt, in Cádiz.
In der kleinen Küche meiner Pension lerne ich Dito kennen, gebürtig aus Jerusalem und derzeit für ein paar Monate in Sevilla, um die Flamencogitarre zu erlernen. Schnell tauschen wir uns über Musik aus und finden einen Draht, unsere Bäuche grollen parallel zu unserer Unterhaltung und wir entscheiden uns für einen Gang durch die Altstadt. Ditos Handgelenk ist bandagiert, er habe es mit dem Gitarre spielen übertrieben, sagt er. Was solle er sonst machen: Seine zwei mitgebrachten Bücher seien ausgelesen und verstaubten auf dem Nachttisch und so habe sich sein Leben in den vergangenen vier Wochen zwischen der mitgebrachten Gitarre, den Sitzungen mit dem virtuosen Gitarrenlehrer und dem Fitnessstudio eingependelt. Er wolle nicht als »Arm« enden, also trainiere er täglich andere Muskelgruppen, was man dem sympathischen Schlaks aber nicht auf den ersten Blick ansieht.
Wir pendeln uns zwischen Bier und günstigen Tapas ein, neben Galizien zählt der Westen Andalusiens wohl noch zu den letzten Bastionen Spaniens, mit Tiefpreisen. Die Stadt schließt gegen Mitternacht ihre Türen und wirkt wie ausgestorben. Morgen, am Donnerstag, ist dann schon mehr los, erklärt uns die empathieschwangere Barfrau. Die Menschen hier sind redselig und freundlich. Dito findet nicht wonach er gesucht hat, »the capital of flamenco« befindet sich im Winterschlaf. So wie die zwei Schlafenden, mit denen Dito und ich mir das Zimmer teilen. Die Nacht im Mehrbettzimmer geht in unserer kurzen Freundschaft als »Kettensägenmassaker« in die Reisetagebücher ein. Der Mensch gewordene Levante wütete die ganze Nacht. Oder um es mit den Worten Ditos zu sagen:»May be that›s why they call it the capital of flamenco.«
©Text und Fotos Philipp Boos
Erschienen am
Antworten
Bei unserem Urlaub in Costa de la Luz haben wir ein Abstecher nach Gadiz gemacht. Eine sehr schöne Stadt mit hübschen historischen Gebäuden. Die engen Gassen und die malerischen Häuser laden zum Verweilen ein. Der Süden Spanien, besonders die Atlantikküste haben viel Historisches zu bieten.
Liebe Grüße aus KielHach! Cádiz war eines der Highlights meines Spanienurlaubs vor 4 Jahren. Bin im März mit dem Zug angereist und habe zwei halbe Tage und eine Nacht in der Altstadt verbracht. Der Wind hat eine riesige Palme umgeweht, im Windschatten konnte man bis Sonnenuntergang am Strand sitzen und in der Casa Caracol gabs Pancakes zum Frühstück. Muss unbedingt wieder hin!
Liebe Ioosy, danke für Deinen Kommentar. Ein wenig ist in Cádiz die Zeit stehen geblieben. Ich war nach 11 Jahren erstmals wieder in der »Perle« des Flamenco. Viel hat sich getan seitdem, im Positiven, u.a. hat die Altstadt hat einen frischen Anstrich. Das Caracol übrigens auch, leider war es wegen Sanierung geschlossen. Tue Dir den Gefallen und mache Dich auf in den Süden!
Schreibe einen Kommentar