Cádiz: Unterwegs in der vielleicht ältesten Stadt Europas

Die Tür unten klemmt. Immer. Ist sie end­lich auf, müs­sen wir durchs Trep­pen­haus. Stu­fe für Stu­fe, bis ganz nach oben. An den Woh­nun­gen der frem­den Nach­barn vor­bei. Sel­ten tref­fen wir jeman­den, hören oft nur dump­fes Klap­pern und Stim­men. Gele­gent­lich kriecht der Geruch von Essen nach drau­ßen und bleibt in den Topf­pflan­zen im Flur hän­gen.

Am Ende der Trep­pe ange­kom­men, führt uns eine wei­te­re Tür aus grau­em Metall auf das Dach und zu unse­rer Feri­en­woh­nung in Cádiz: einem klei­nen Häus­chen auf dem Haus. Dort sind wir ganz für uns und dem Him­mel sehr nah. Hell­blau ist der und manch­mal gehen klei­ne Wölk­chen auf ihm spa­zie­ren. Und dann ist da noch die­ses Licht. Es erin­nert mich an die Kap­ver­den und an Lis­sa­bon und macht mich glück­lich und melan­cho­lisch zugleich.

Von hier oben aus betrach­tet, besteht die­se Stadt aus Dächern und Anten­nen, die sich wie eif­ri­ge Arme und Fin­ger in den Him­mel recken. Dazwi­schen Kirch­tür­me, deren Glo­cken vol­le Stun­den mit schö­nen Melo­dien beglei­ten, Wäsche, die auf Lei­nen flat­tert und Möwen, die sich laut­hals durch die Lüf­te schwin­gen.

Und dann steht da noch die­ses Bett unter frei­em Him­mel. Dort lie­ge ich und blinz­le in die Son­ne. Muss Lot­to spie­len – drin­gend – und gewin­nen, das geht mir durch den Kopf. Genug, damit ich nie wie­der etwas ande­res muss, als hier lie­gen, am Meer sit­zen, Chur­ros con Cho­co­la­te essen. Zum Früh­stück, Mit­tag, Abend­brot. Damit ich mich trei­ben las­sen und jeden Win­kel der Stadt erkun­den kann. Stück für Stück. Der Zufall soll mich lei­ten, ohne Plan und ohne Eile. Abends wür­de ich in einer Gas­se oder an einem der vie­len klei­nen Plät­ze in einer Bar sit­zen, ein Glas Wein trin­ken und lächelnd auf den Tag zurück­bli­cken. Heu­te, mor­gen, am liebs­ten für immer. Ich pro­bie­re erst­mal aus, wie das so ist. Fan­ge klein an, mit nicht mal einer hand­voll Tage.

Cádiz und ich – keine Liebe auf den ersten Blick

Es scheint fast so, als wäre das mit Cádiz und mir Lie­be auf den ers­ten Blick. Aber ganz so ein­fach ist es nicht. Als wir hin­ein fah­ren, an der Neu­stadt vor­bei, fra­ge ich mich, was das hier wer­den soll. Doch als wir spä­ter unse­re Taschen vom Park­platz am Bahn­hof rol­len und uns im Gewirr der Alt­stadt­gas­sen ver­lie­ren, wen­det sich das Blatt. Schüch­ter­ne Zunei­gung wird zu Ver­bun­den­heit, die täg­lich wächst. Und als wir die Stadt wie­der ver­las­sen müs­sen, ist da sehr viel von dem, das man Abschieds­schmerz nennt.

Denn zu die­sem Zeit­punkt wer­de ich der Alt­stadt von Cádiz kom­plett ver­fal­len sein, weil sie für mich wun­der­schön ist, ohne über­trie­be­nen Pomp und Schi­cki­mi­cki. Weil ein ganz spe­zi­el­ler Charme von ihr aus­geht. Das sagen so ziem­lich alle, die schon hier gewe­sen sind, in der viel­leicht ältes­ten Stadt Euro­pas.

Cádiz zum Frühstück

Die Tage begin­nen immer gleich schön. Füh­ren mich schon mor­gens durch die Stra­ßen die­ser Stadt, wenn die Luft noch kalt ist. Durch das Vier­tel El Pópu­lo hin­durch, über den Pla­za de San Juan de Dios, einen Haupt­platz der Stadt, wo das Rat­haus steht und die his­to­ri­sche Alt­stadt beginnt.

Wei­ter geht es über den Pla­za Cate­dral, bis zum Schmuck­stück von Cádiz, der Kathe­dra­le. Die ist aber erst spä­ter dran. Denn ich bie­ge erst ein­mal in die Cal­le Com­pa­ñía ab, die durch ihre vie­len Läden, eini­ge Bars und Restau­rants herr­lich leb­haft ist. An ihrem Ende erwar­tet mich der Pla­za Top­e­te, der auch Pla­za de las Flo­res genannt wird. Das ist aber nur sein inof­fi­zi­el­ler Name, weil es hier so vie­le Blu­men­stän­de gibt.

Und dann bin ich schon an dem Ort ange­kom­men, an dem wir früh­stü­cken und zwar jeden Vor­mit­tag. Im La Mari­na las­sen wir uns Chur­ros con Cho­co­la­te schme­cken – eine Art läng­li­cher Krap­fen, von denen man meh­re­re bestellt und die mit dicker hei­ßer Scho­ko­la­de (da tunkt man die Chur­ros rein) ser­viert wer­den. Dazu gibt es ein Glas Milch­kaf­fee. Wahr­schein­lich einer der lau­tes­ten Orte der Stadt, aber man kann wohl kaum typi­scher in den Tag star­ten und neben­bei ganz wun­der­bar Men­schen beob­ach­ten.

Direkt im Anschluss schlen­dern wir immer zur Markt­hal­le „Mer­ca­do Cen­tral de Cádiz“ hin­über, die sich nur weni­ge Meter neben dem La Mari­na befin­det. Der Markt gilt als einer der ers­ten in ganz Spa­ni­en und wur­de in den 1830er Jah­ren eröff­net. An eini­gen Stän­den wer­den fer­ti­ge Spei­sen ser­viert, an den vie­len ande­ren gibt es fri­sche Waren. Es ver­geht kein Tag, an dem nicht tau­send schö­ne Sachen in unse­re Taschen stop­fen.

Und dann wird die Stadt zu meiner Insel ohne Zeit

Nach dem Früh­stück und dem Markt­be­such ist immer noch herr­lich viel vom Tag übrig. Cádiz gibt mir das Gefühl, dass die Zeit ste­hen geblie­ben ist. Viel­leicht hat sie sogar auf­ge­hört, wie gewohnt zu exis­tie­ren. Zumin­dest ist sie bedeu­tungs­los gewor­den. Es gibt die Momen­te, in denen es hell und irgend­wann wie­der dun­kel wird. Dazwi­schen herrscht Müßig­gang und jede Minu­te, die ich län­ger hier bin, gefällt mir die­ser Zustand bes­ser.

Der Mann ist nicht immer bei mir, weil er noch erkäl­tet ist. Manch­mal geht er nach dem Markt­be­such zurück ins Häus­chen auf dem Haus und gönnt sich eine Pau­se. Legt sich ins Bett unter der Son­ne, schläft, liest oder träumt auch von mei­nem Lot­to­ge­winn.

Dann mische ich mich allein unter die Men­schen der Stadt und las­se mich stun­den­lang trei­ben. Muss gar nichts. Kann alles. Tun oder las­sen. Kann auf die­ser Insel ohne Zeit sit­zen. Ganz unbe­hel­ligt. Kann die Son­ne genie­ßen so lan­ge ich will. Kann dem Meer zuhö­ren, wie es gegen die Mau­ern der Stadt schwappt. Kann Pal­men sehen und Häu­ser, auf denen die Schat­ten der Möwen tan­zen. Ich strei­fe umher. Las­se mich nie­der. Zäh­le Boo­te, zäh­le sie nicht. Schaue nur zu, wie sie auf den Wel­len schau­keln. Wie schön das ist, wenn man nichts muss. Wenn man einer Stadt auf die­se Wei­se so nah kom­men kann.

Aber auch gemein­sam erobern wir die Stra­ßen und Plät­ze der Vier­tel El Pópu­lo, La Viña und San­ta María. Sehen Kir­chen und Paläs­te, ste­cken immer wie­der unse­re Nasen in Haus­ein­gän­ge und Höfe, weil sie uns so gut gefal­len. Wir ent­de­cken geheim­nis­vol­le Orte, wie das ehe­ma­li­ge Frau­en­hos­pi­tal Hos­pi­tal de Muje­res. Und mit­tags fal­len wir in eine Bar, zum Bei­spiel in der Nähe des hüb­schen Pla­za de Mina, und las­sen fünf gera­de sein. Ordern einen klei­nen Snack und ein Glas Wein dazu, um spä­ter noch etwas beschwing­ter durch die Stra­ßen von Cádiz zu lau­fen.

An Uferpromenade und Stadtstrand erkunden wir die natürlichen Grenzen von Cádiz

Da die Alt­stadt von Cádiz kom­plett vom Meer umschlos­sen und nur über eine Land­zun­ge zu errei­chen ist, ver­brin­gen wir auch reich­lich Zeit damit, die natür­li­chen Gren­zen unse­rer Insel abzu­schrei­ten.

Wir spa­zie­ren die Alme­da Apo­ca­da ent­lang, eine brei­te Pro­me­na­de, die uns wei­ter zum Par­que Geno­vés führt, dem bota­ni­schen Gar­ten der Stadt. Eine schö­ne Oase, selbst im so genann­ten Win­ter. Wir sit­zen in der Son­ne und trin­ken Kaf­fee, zele­brie­ren es regel­recht. Denn wenn wir in ein paar Tagen zurück nach Ber­lin müs­sen, wird es bit­ter­kalt sein und noch lan­ge dau­ern, bis wir auch dort drau­ßen sit­zen kön­nen, ohne Frots­beu­len zu bekom­men.

Nach dem Kaf­fee geht es wei­ter zum Playa de la Cale­ta, dem klei­nen Strand direkt an der Alt­stadt, an dem Boo­te lie­gen und Men­schen Pick­nicks machen oder spa­zie­ren gehen. Jetzt im Janu­ar sind das die bevor­zug­ten Beschäf­ti­gun­gen und das fin­de ich schön, weil alle so ent­spannt erschei­nen.

Das beste kommt zum Schluss: die Kathedrale von Cádiz

Am spä­ten Nach­mit­tag führt uns die Ufer­pro­me­na­de direkt zur Kathe­dra­le von Cádiz, die zwi­schen der his­to­ri­schen Alt­stadt und dem Meer liegt und die wir nun end­lich auch von innen anschau­en wol­len. So oft sind wir nun schon am größ­ten Bau­werk der Stadt vor­bei gelau­fen und haben ihre gold­gel­be Kup­pel zwi­schen den wei­ßen Häu­sern der Stadt her­vor­blit­zen sehen. Es wird wirk­lich Zeit und lohnt sich, auch wenn sie – und das ist auch von innen nicht zu über­se­hen – sehr mit der feuch­ten und sal­zi­gen Luft zu kämp­fen hat. Pünkt­lich zum Son­nen­un­ter­gang schaf­fen wir es auch noch auf den West­turm der Kathe­dra­le, wo uns das Meer zu Füßen liegt und auch die Stadt. Und ich flüs­te­re ihr zu „mach´s gut du Schön­heit. Wir wer­den dich sehr ver­mis­sen“.

Gut zu wissen

Nicht ver­pas­sen: El Hos­pi­tal de Muje­res
Von außen ziem­lich unschein­bar und des­halb schnell zu über­se­hen, ist die­ses klei­ne Juwel – das ehe­ma­li­ge Frau­en­kran­ken­haus „El Hos­pi­tal de Muje­res“ und die Kapel­le de Nues­tra Seño­ra del Car­men. Die­ses zwi­schen 1736 und 1749 erbau­te Kran­ken­haus ist eines der bes­ten Bei­spie­le für Archi­tek­tur aus dem 18. Jahr­hun­dert in Cádiz. Beson­ders schön ist der mit sevil­la­ni­schen Flie­sen geflies­te Innen­hof und eine kom­ple­xe Trep­pe. In der Kapel­le ist das Werk „La Visi­on von San Fran­cis­co“ von El Gre­co zu sehen. Als wir im Janu­ar 2018 dort gewe­sen sind, waren gera­de sehr umfang­rei­che Restau­rie­rungs­ar­bei­ten im Gan­ge und wir konn­ten nur kurz in den Hof und die Kapel­le besich­ti­gen. Drau­ßen kleb­te außer­dem ein Zet­tel, dass man nur frei­tags zwi­schen 9:30 und 13:30 Uhr rein kann. Even­tu­ell ist das noch immer so. /​/​ Cal­le Hos­pi­tal de Muje­res, 26

Kathe­dra­le von Cádiz und West­turm
Bei unse­rem Besuch schloss der Turm eine hal­be Stun­de frü­her, als die Kathe­dra­le und um ein Haar hät­ten sie uns nicht mehr hoch gelas­sen. Am bes­ten schaust du vor­her mal nach, damit dir die­se schö­ne Aus­sicht nicht ent­geht. /​/​ Pla­za de la Cate­dral

Aus­sichts­turm Tor­re Tavi­ra
Es gibt in Cádiz noch einen wei­te­ren Turm, den Tor­re Tavi­ra, von dem aus man angeb­lich die bes­te Aus­sicht hat, weil es der höchs­te Punkt der Alt­stadt ist. Außer­dem gibt es dort die ers­te Came­ra Obscu­ra zu sehen, die in Spa­ni­en instal­liert wur­de. /​/​ Ecke Cal­le Mar­qués del Real Tesoro und Cal­le Sacra­men­to, unweit des Pla­za de las Flo­res

Der bota­ni­sche Gar­ten Par­que Geno­vés
Der Park mit sei­nen 100 Baum­ar­ten, Bee­ten, Pal­men­gär­ten, Was­ser­spie­len und Cafés ist per­fekt für eine klei­ne Ver­schnauf­pau­se. In den Som­mer­mo­na­ten fin­den auf einer Frei­licht­büh­ne auch Thea­ter- und Kon­zert­auf­füh­run­gen statt. /​/​ Ave­ni­da Dr. Gómez Ulla

Markt­hal­le Mer­ca­do Cen­tral de Cádiz
Wir sind wirk­lich gro­ße Fans von Markt­hal­len und wenn es irgend­wo eine gibt, dann wird man uns da defi­ni­tiv fin­den. Wenn es dir auch so geht, soll­test du hier auf jeden Fall vor­bei schau­en. /​/​ Pla­za de la Libert­ad

Café-Bar La Mari­na
Ich habe eini­ge Chur­ro-Bars in Cádiz gese­hen, mei­ne Chur­ros con Cho­co­la­te wür­de ich aber jeder­zeit wie­der im La Mari­na essen. Außer sonn­tags, da stan­den wir näm­lich vor ver­schlos­se­nen Türen. Frag bes­ser nicht, wel­che Dra­men sich da abge­spielt haben. Gro­ßes Geheu­le! /​/​ Pla­za Topete/​Plaza de las Flo­res 1

Wein­bar Taber­na la Sor­bre­sa
Die Taber­na la Sor­bre­sa ist ein guter Ort, wenn du abends ein Glas Wein trin­ken und eine Klei­nig­keit essen möch­test. Das Per­so­nal ist sehr freund­lich und es gibt lecke­re Tapas und eine gute Aus­wahl an Wei­nen. /​/​ Cal­le Arbolí, 4

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Antworten

  1. Avatar von Thema von der Hausarbeit

    Fla­che Stras­sen, ein mil­des Kli­ma und wun­der­ba­re Rad­we­ge ent­lang der Strand­pro­me­na­de machen Rad­fah­ren in Cadiz nicht nur sicher, son­dern auch eine sehr ange­neh­me Erfah­rung. Eine Fahr­rad­tour ist die bes­te Mög­lich­keit bin­nen kür­zes­ter Zeit mög­lichst viel zu sehen.

  2. Avatar von Jörg Netzschwitz
    Jörg Netzschwitz

    Scha­de, das Du nicht im Hotel Para­dor, direkt hin­ter dem Bota­ni­schen Gar­ten über­nach­tet hast. Ganz toll und sehr zu emp­feh­len.

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