Über die Berge des Balkan

In Bul­ga­ri­en hiev­te ich mein Fahr­rad über fel­si­ge Pis­ten die Ber­ge des Bal­kan hin­auf. Oben fand ich Selbst­ver­trau­en, einen Was­ser­fall und Ein­blick in den tie­fe­ren Sinn des Rad­rei­sens. 

Wäh­rend der Pla­nung mei­ner Rou­te durch Bul­ga­ri­en hat­te ich wert dar­auf gelegt durch den Cen­tral Bal­kan Natio­nal Park zu kom­men; und zwar mög­lichst auf einer klei­nen, ruhi­gen Neben­stras­se. Auf mei­ner Stras­sen­kar­te hat­te ich auch tat­säch­lich eine weis­se Linie zwi­schen den Dör­fern April­i­ci im Nor­den und Taza im Süden des Gebirgs­zu­ges gefun­den, wel­che die gewünsch­te Fahrt durch unbe­rühr­te Gebirgs­land­schaft zu ver­spre­chen schien.

img_60991

Die klei­ne weis­se Linie (gelb mar­kiert) durch den Natio­nal­park zwi­schen April­i­ci und Taza

In April­i­ci ver­brach­te ich eine sel­te­ne Nacht in einem Hotel. Der Hotel­be­sit­zer zer­streu­te mei­ne Beden­ken, dass nach dem kal­ten Regen­wet­ter der letz­ten Woche noch Schnee auf dem fast 2000 Meter hohen Pass lie­gen könn­te. Auf rus­sisch (juhu, mein Selbst­stu­di­um der Spra­che zeig­te ers­te, sehr beschei­de­ne Erfol­ge) und in Zei­chen­spra­che erklär­te er mir, die Stras­se sei befahr­bar und das Wet­ter soll­te an die­sem Tag auch rela­tiv sta­bil sein. Als ich ihn nach der Ent­fer­nung nach Taza frag­te hör­te ich die bei­den rus­si­schen Wör­ter für 15 und 30 her­aus.

IMG_5769

 Blick von April­i­ci auf die wol­ken­ver­hüll­ten Ber­ge des Zen­tral-Bal­kans

Das war am Mor­gen gewe­sen, kurz bevor ich los­fuhr. Nur eine Stun­de spä­ter fand ich mich mein 50 kg- Fahr­rad jene »weis­se Linie« hin­auf­schie­bend wie­der, die sich als etwas ent­puppt hat­te, das ich mehr als bes­se­ren Wan­der­weg vol­ler Fels­bro­cken als eine Neben­stras­se bezeich­nen wür­de, und über­leg­te sehr inten­siv, ob mit den 15 km schon die Ent­fer­nung bis Taza gemeint gewe­sen war oder ob nach der Pass­hö­he viel­leicht noch wei­te­re 30 km in die­sem Gelaen­de vor mir lie­gen wür­den. Die meis­te Zeit unter­schritt die Geschwin­dig­keit mit der ich mein Rad die stei­len Anstie­ge hoch- und über Fels­bro­cken hin­über­hiev­te die Mess­un­ter­gren­ze mei­nes Tachos: o,o km/​h. Sehr ermu­ti­gend. Mir wur­de klar, dass ich für 45 km auf einem sol­chen Weg bis zu zwei Tage benö­ti­gen könn­te, denn durch das Gewicht mei­nes Fahr­rads war ich berg­auf lang­sa­mer als jeder Wan­de­rer. Die Situa­ti­on begann, mich unan­ge­nehm an mein Schlam­m­erleb­nis in Rumä­ni­en zu erin­nern, als ich mit blo­ckier­ten Rädern auf einem ähn­lich schlech­ten Weg den Rück­zug hat­te antre­ten müs­sen.

IMG_5784

  Schie­bend auf dem Weg nach oben

Doch ganz so schlimm war es dies­mal nicht. Mei­ne Räder dreh­ten sich – wenn auch wider­wil­lig. Und dies­mal woll­te ich es durch­zie­hen, egal wie anstren­gend es war und wie lan­ge es dau­ern wür­de. Als Moti­va­ti­on rede­te ich mir ein, dies sei mei­ne Gesel­len­prü­fung für die bevor­ste­hen­de Stre­cke durch Asi­en. Schaff­te ich es auf die­sem Weg nach Taza, wäre ich bereit für die Schwie­rig­kei­ten, die mich auf dem frem­den Kon­ti­nent erwar­ten wür­den.

IMG_5793

 Weg­wei­ser nach Taza: die Rich­tung stimmt

Zwi­schen­zeit­lich reg­ne­te es kurz, doch irgend­wann sah ich einen Weg­wei­ser nach Taza, der mich auf­mun­ter­te, wäh­rend der Weg sich in immer enge­ren Ser­pen­ti­nen nach oben wandt. Schon fünf Stun­den war ich unter­wegs und hat­te gera­de mal 10 km seit April­i­ci zurück­ge­legt, als ich durch das Kro­nen­dach des Wal­des die ers­ten schnee­be­deck­ten Gip­fel ganz in mei­ner Nähe auf­ra­gen sah. Kurz dar­auf lich­te­te sich der Wald und ich schob mein Rad die letz­ten Meter auf eine Anhö­he: Die Pass­hö­he, na end­lich! Mein Tacho zeig­te 11 km.

IMG_5816 IMG_5818

 Die letz­ten Meter zur Pass­hö­he

Ich blick­te hin­ab in ein baum­lo­ses, alpi­nes Hoch­tal: Ein Bach floss durch Wie­sen umge­ben von fel­si­gen, schnee­be­deck­ten Ber­gen und inmit­ten die­ser Schön­heit stand eine gut aus­ge­bau­te Hüt­te. Ihr Bewoh­ner, ein Mann mitt­le­ren Alters, den ich ger­ne gefragt hät­te wovon er hier oben leb­te, schrieb eine 25 in den Kies zu sei­nenFüs­sen, als ich ihn mit­hil­fe mei­nes Rus­sisch-Voka­blel­büch­leins nach der Ent­fer­nung nach Taza gefragt hat­te. Das waren ver­mut­lich die 30 km, von denen der Hotel­be­sit­zer gespro­chen hat­te. Wenigs­tens soll­te es bis Taza nur noch abwärts gehen und der Weg wür­de auch etwas bes­ser wer­den, signa­li­sier­te mir der Hüt­ten­be­woh­ner.

IMG_5825

 Did it! Auf Pass­hö­he

Gute Nach­rich­ten. Ich mach­te mich an die Abfahrt, die dem Berg­bach in ein immer wil­der wer­den­en­des, bald wie­der bewal­de­tes Tal folg­te. Als ich um eine Kur­ve bog, stand ich plötz­lich vor einem gewal­ti­gen Was­ser­fall, des­sen uner­war­te­ter und spek­ta­ku­lä­rer Anblick mir wie eine Beloh­nung für die Stra­pa­zen mei­ner selbst­auf­er­leg­ten »Gesel­len­prü­fung« schien. Ich schick­te Freu­den­schreie in die ein­sa­me Berg­welt. Noch nie hat­te ich mich so über den Anblick eines Was­ser­falls gefreut. Und nie­mals hät­te ein Was­ser­fall eine so gros­se Eupho­rie in mir aus­lö­sen kön­nen, wenn ich ihn mir nicht so schwer ver­dient hät­te. Es sind har­te Erfah­run­gen wie an die­sem Vor­mit­tag, die mich die Schön­heit des Rei­sens erst wert­schät­zen las­sen und die Inten­si­tät stei­gern, mit der ich zum Bei­spiel einen Was­ser­fall erle­ben kann. Die­se hohe Inten­si­tät des Erle­bens – nicht nur von Was­ser­fäl­len son­dern auch von Begeg­nun­gen, Kul­tur, Land­schaf­ten, Essen, Natur­ge­wal­ten – ist der Grund wes­halb ich mit dem Fahr­rad um die Welt fah­re, anstatt Urlaub im 4‑Sterne Hotel zu machen.

IMG_5843

 Aus­flip­per am Was­ser­fall

Zwei Stun­den lang fuhr ich noch hin­ab, bis ich Taza erreich­te. Die wil­de Schön­heit der bewal­de­ten Schlucht war atem­be­rau­bend und die immer noch sehr fel­si­ge Pis­te rüt­tel­te mich und mein Fahr­rad durch, wie zu gros­se Sand­kör­ner, die nicht durch ein Sieb pas­sen und des­halb immer wie­der hoch und run­ter hüp­fen. Als ich in Taza end­lich wie­der geteer­te Stras­se erreich­te, fühl­te es sich an als radel­te ich auf Sei­de.

IMG_5858 IMG_5845 IMG_5834

Cen­tral Bal­kan Natio­nal Park


Antwort

  1. Avatar von Simon

    Ein­fach unfass­bar mutig. Ob du in Asi­en wirk­lich auf viel grös­se­re Her­aus­for­de­run­gen triffst, weiss ich nicht, ich hof­fe es nicht 🙂

    Lie­be Grüs­se,
    Simon

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert