Dein Warenkorb ist gerade leer!
In Bulgarien hievte ich mein Fahrrad über felsige Pisten die Berge des Balkan hinauf. Oben fand ich Selbstvertrauen, einen Wasserfall und Einblick in den tieferen Sinn des Radreisens.
Während der Planung meiner Route durch Bulgarien hatte ich wert darauf gelegt durch den Central Balkan National Park zu kommen; und zwar möglichst auf einer kleinen, ruhigen Nebenstrasse. Auf meiner Strassenkarte hatte ich auch tatsächlich eine weisse Linie zwischen den Dörfern Aprilici im Norden und Taza im Süden des Gebirgszuges gefunden, welche die gewünschte Fahrt durch unberührte Gebirgslandschaft zu versprechen schien.
Die kleine weisse Linie (gelb markiert) durch den Nationalpark zwischen Aprilici und Taza
In Aprilici verbrachte ich eine seltene Nacht in einem Hotel. Der Hotelbesitzer zerstreute meine Bedenken, dass nach dem kalten Regenwetter der letzten Woche noch Schnee auf dem fast 2000 Meter hohen Pass liegen könnte. Auf russisch (juhu, mein Selbststudium der Sprache zeigte erste, sehr bescheidene Erfolge) und in Zeichensprache erklärte er mir, die Strasse sei befahrbar und das Wetter sollte an diesem Tag auch relativ stabil sein. Als ich ihn nach der Entfernung nach Taza fragte hörte ich die beiden russischen Wörter für 15 und 30 heraus.
Blick von Aprilici auf die wolkenverhüllten Berge des Zentral-Balkans
Das war am Morgen gewesen, kurz bevor ich losfuhr. Nur eine Stunde später fand ich mich mein 50 kg- Fahrrad jene »weisse Linie« hinaufschiebend wieder, die sich als etwas entpuppt hatte, das ich mehr als besseren Wanderweg voller Felsbrocken als eine Nebenstrasse bezeichnen würde, und überlegte sehr intensiv, ob mit den 15 km schon die Entfernung bis Taza gemeint gewesen war oder ob nach der Passhöhe vielleicht noch weitere 30 km in diesem Gelaende vor mir liegen würden. Die meiste Zeit unterschritt die Geschwindigkeit mit der ich mein Rad die steilen Anstiege hoch- und über Felsbrocken hinüberhievte die Messuntergrenze meines Tachos: o,o km/h. Sehr ermutigend. Mir wurde klar, dass ich für 45 km auf einem solchen Weg bis zu zwei Tage benötigen könnte, denn durch das Gewicht meines Fahrrads war ich bergauf langsamer als jeder Wanderer. Die Situation begann, mich unangenehm an mein Schlammerlebnis in Rumänien zu erinnern, als ich mit blockierten Rädern auf einem ähnlich schlechten Weg den Rückzug hatte antreten müssen.
Schiebend auf dem Weg nach oben
Doch ganz so schlimm war es diesmal nicht. Meine Räder drehten sich – wenn auch widerwillig. Und diesmal wollte ich es durchziehen, egal wie anstrengend es war und wie lange es dauern würde. Als Motivation redete ich mir ein, dies sei meine Gesellenprüfung für die bevorstehende Strecke durch Asien. Schaffte ich es auf diesem Weg nach Taza, wäre ich bereit für die Schwierigkeiten, die mich auf dem fremden Kontinent erwarten würden.
Wegweiser nach Taza: die Richtung stimmt
Zwischenzeitlich regnete es kurz, doch irgendwann sah ich einen Wegweiser nach Taza, der mich aufmunterte, während der Weg sich in immer engeren Serpentinen nach oben wandt. Schon fünf Stunden war ich unterwegs und hatte gerade mal 10 km seit Aprilici zurückgelegt, als ich durch das Kronendach des Waldes die ersten schneebedeckten Gipfel ganz in meiner Nähe aufragen sah. Kurz darauf lichtete sich der Wald und ich schob mein Rad die letzten Meter auf eine Anhöhe: Die Passhöhe, na endlich! Mein Tacho zeigte 11 km.
Die letzten Meter zur Passhöhe
Ich blickte hinab in ein baumloses, alpines Hochtal: Ein Bach floss durch Wiesen umgeben von felsigen, schneebedeckten Bergen und inmitten dieser Schönheit stand eine gut ausgebaute Hütte. Ihr Bewohner, ein Mann mittleren Alters, den ich gerne gefragt hätte wovon er hier oben lebte, schrieb eine 25 in den Kies zu seinenFüssen, als ich ihn mithilfe meines Russisch-Vokablelbüchleins nach der Entfernung nach Taza gefragt hatte. Das waren vermutlich die 30 km, von denen der Hotelbesitzer gesprochen hatte. Wenigstens sollte es bis Taza nur noch abwärts gehen und der Weg würde auch etwas besser werden, signalisierte mir der Hüttenbewohner.
Did it! Auf Passhöhe
Gute Nachrichten. Ich machte mich an die Abfahrt, die dem Bergbach in ein immer wilder werdenendes, bald wieder bewaldetes Tal folgte. Als ich um eine Kurve bog, stand ich plötzlich vor einem gewaltigen Wasserfall, dessen unerwarteter und spektakulärer Anblick mir wie eine Belohnung für die Strapazen meiner selbstauferlegten »Gesellenprüfung« schien. Ich schickte Freudenschreie in die einsame Bergwelt. Noch nie hatte ich mich so über den Anblick eines Wasserfalls gefreut. Und niemals hätte ein Wasserfall eine so grosse Euphorie in mir auslösen können, wenn ich ihn mir nicht so schwer verdient hätte. Es sind harte Erfahrungen wie an diesem Vormittag, die mich die Schönheit des Reisens erst wertschätzen lassen und die Intensität steigern, mit der ich zum Beispiel einen Wasserfall erleben kann. Diese hohe Intensität des Erlebens – nicht nur von Wasserfällen sondern auch von Begegnungen, Kultur, Landschaften, Essen, Naturgewalten – ist der Grund weshalb ich mit dem Fahrrad um die Welt fahre, anstatt Urlaub im 4‑Sterne Hotel zu machen.
Ausflipper am Wasserfall
Zwei Stunden lang fuhr ich noch hinab, bis ich Taza erreichte. Die wilde Schönheit der bewaldeten Schlucht war atemberaubend und die immer noch sehr felsige Piste rüttelte mich und mein Fahrrad durch, wie zu grosse Sandkörner, die nicht durch ein Sieb passen und deshalb immer wieder hoch und runter hüpfen. Als ich in Taza endlich wieder geteerte Strasse erreichte, fühlte es sich an als radelte ich auf Seide.
Central Balkan National Park
Antwort
Einfach unfassbar mutig. Ob du in Asien wirklich auf viel grössere Herausforderungen triffst, weiss ich nicht, ich hoffe es nicht 🙂
Liebe Grüsse,
Simon
Schreibe einen Kommentar