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Handwerk fasziniert mich. Das mag ganz grundsätzlich daran liegen, dass ich zwei linke Hände habe und durch meine Berufswahl immer hinter dem Schreibtisch sitzen werde – und ich es daher doppelt faszinierend finde, wie Menschen aus ganz einfachen Materialien die spannendsten Dinge erschaffen. So richtig präsent wurde mir das Thema jedoch erst, als ich meine Bachelorarbeit über indigenes, das heißt traditionelles und in bestimmten Bevölkerungsgruppen überliefertes, Wissen schrieb. Dabei ist der Begriff »traditionell« eigentlich irreführend – es wird nicht nur heute noch angewendet, sondern ist in vielen Elementen, zum Beispiel, was Umweltschutz und Nachhaltigkeit betrifft, modern und zeitgemäß. Traditionell ist eher der Umgang mit dem Wissen, das von einer Generation an die nächste weitergegeben wird.
Auf jeden Fall kam mir damals der schöne Satz »Warum in die Ferne schweifen« in den Sinn: Auch in Europa und sogar in Deutschland gibt es schließlich Menschen, die das Wissen ihrer Vorfahren übernommen haben und heute noch damit arbeiten – ganz einfach, weil es bessere Qualität hervorbringt als all die ach-so-modernen, optimierten und standardisierten Techniken. Gerade Deutschland ist auf der Welt bekannt als ein Land, das zeigt, dass echtes Handwerk seine Berechtigung hat, ob bei den Spielzeugherstellern oder beim Musikinstrumentenbau.
Seitdem ist die Sache mit dem Handwerk für mich eine kleine Mission: Ich erkunde solche Besonderheiten in Deutschland, Europa und der Welt, und ich schreibe darüber. Um zu zeigen, dass Tradition und Moderne, Tradition und Nachhaltigkeit, sich nicht ausschließen.
Ein Ort mit weitem Horizont: die Mächler in Pfronten
Der Grund für meine Reise nach Pfronten letztes Jahr, das waren deshalb die Mächler. Von denen ich, zugegebenermaßen, noch nie etwas gehört hatte, bevor ich mich mit dem Allgäu beschäftigte. Dabei sind die Mächler nicht nur charakteristisch für den Ort, sondern konnten ihren Ruf als Handwerker, Künstler und Pioniere auch weit darüber hinaus begründen.
Mächler, das kommt von machen, und die Mächler, die machen, dass es wieder funktioniert. Ein Mächler, das ist heute jemand, der vom Uhrwerk bis zum kaputten Rasenmäher alles wieder zum Laufen kriegt. Ein Tüftler, jemand, der handwerklich begabt und kreativ ist und sich nicht von Herausforderungen abschrecken lässt.
Die Geschichte der Mächler reicht bis ins Mittelalter zurück. Das Mächeln, das Tüfteln, das war eigentlich aus der Not heraus geboren: Die Region Pfronten war von rauen klimatischen Bedingungen geprägt. Um dennoch Bauern anzulocken, bot man ihnen – im Gegensatz zur im Rest des Landes vorherrschenden Leibeigenschaft – Besitzrecht an. So standen die Pfrontener in ihren Rechten städtischen Bürgern in nichts nach, hatten jedoch umfangreiche Freiheiten. Es gab weder kontrollierende Zünfte noch die Kontrolle des Marktrechts. Da die Landwirtschaft so anstrengend und schwierig war, blieb sie häufig Nebenerwerb. Stattdessen verbrachten die Menschen ihre Tage mit dem Handwerk.
Ohne die Beschränkung der Zünfte blieben sie frei in ihrer Berufswahl und konnten Neues ausprobieren. Gewagte Ideen trafen auf vielseitige Begabungen und handwerkliche Geschicklichkeit, und führten schließlich zu dem Stolz und dem Mut, all das in die Welt hinauszutragen. Das Mächlertum war geboren.
Feinmechanik und Kunsthandwerk
Pfrontener statteten nicht nur die Kirchen im Ort und in der Umgebung durch ihr Kunsthandwerk aus, sondern sie versuchten sich auch in sehr viel säkulareren Arbeiten. Gerade in der Feinmechanik erlangte Pfronten Weltruhm und ist heute Heimat international tätiger Konzerne. Die Verbindung aus Kunst und Innovation, aus Geschicklichkeit und Kreativität, das ist wohl der Geist des Ortes, der sich auf irgendeine Weise über die Jahrhunderte vererbt hat. Dazu kommt noch der Drang nach Freiheit, nach etwas Eigenem, nach Denken, das festgesetzte Grenzen überschreitet.
Handwerkliches Geschick und die Lust auf etwas Eigenes, auf den Gegenbeweis zum »Das geht nicht!«, das ist nicht wegzudenken aus Pfronten und der Umgebung, und ist nicht nur in Unternehmen zu finden, sondern auch bei Einzelpersonen. Da ist der Mann, der in seiner Freizeit ein eigenes Wasserkraftwerk gebaut hat und mit einem selbst gebauten Vier-Rad-Fahrrad durch die Berge fährt. Der Rentner, der jede freie Minute in der eigenen Werkstatt verbringt. Oder der studierte Ingenieur, der nach Feierabend einen Mechanismus erfand, mit dem man Möbelteile magnetisch und von außen unsichtbar verbinden kann.
Alles andere als normaler Schmuck
Und da ist Bruno Eberle, der ein Hobby zum Beruf gemacht hat und mitten in Pfronten Schmuck verkauft. Schmuck, das bringt man vielleicht nicht direkt mit dem Mächlertum in Verbindung – bis man seine Schmuckwerkstatt gesehen hat. Gäbe es nicht die Schaukästen ringsum, in denen Ringe, Ketten und Ohrhänger ausgestellt werden, man könnte schnell vergessen, worum es geht. Denn an Stelle von filigranen Hämmern und Feilen stehen hier Computer und Grafiktabletts, eine große Maschine, die irgendetwas aus einem Wachsring fräst, und viele Geräte, die mich düster an den letzten Besuch beim Zahnarzt erinnern.
Schmuckstücke werden am PC in einem 3D-Programm designt und anschließend von einer Fräsmaschine genau aus Wachs herausgeschnitten. Anschließend werden die Wachsmodelle in eine feuerfeste Masse eingebettet. Beim Gießen schmilzt das Wachs unter der großen Hitze und die entstandene Lücke wird durch das Metall ausgefüllt – es entsteht ein Ring oder ein Kettenanhänger, der im Anschluss noch poliert wird und mit Farbe und Schmucksteinen verziert werden kann.
Bis zu diesem ungewöhnlichen Prozess war es jedoch ein weiter Weg. Bruno Eberle arbeitet seit den neunziger Jahren an seinem Schmuck. Da es wohl niemanden sonst gibt, der Schmuck auf die gleiche Weise herstellt, musste er nicht nur an Ohrringen und Halsketten tüfteln, sondern auch an seinem Werkzeug. Die ersten Arbeiten entstanden so zum Beispiel mit Hilfe einer selbst gebauten Maschine, die vom Motor einer Bohrmaschine angetrieben wurde.
Unkonventionelle Methoden
Dass Bruno Eberle die Tradition der Pfrontener Mächler fortführt, merkt man nicht nur an seiner Geschicklichkeit und den besonderen Schmuckstücken, sondern auch an seinem Wissensdurst und der Lust daran, neue Wege zu gehen. Schon in der Ausbildung, bevor er zu seinem ungewöhnlichen Stil fand, wollte er schneller lernen als die anderen – und heute bringt er auf Messen Aussteller zum Schwitzen, weil er alles so genau wie möglich wissen und verstehen will.
Alles wird ausprobiert, auch vor unkonventionellen Methoden schreckt Bruno Eberle nicht zurück: Der Lichthärter stammt beispielsweise tatsächlich vom Zahnarzt, viele der Geräte sind ebenfalls zweckentfremdet oder ganz einfach selbst gebaut. Was nicht passt, wird passend gemacht – wenn es sein muss, auch mit ganz neuen, ungewöhnlichen Techniken. Und auch der Drang nach Freiheit lebt in Eberles eigener Werkstatt weiter. »Ich hab vielleicht ein Problem mit Autoritäten«, fasst er seinen eigenen Werdegang zusammen.
Das klingt in meiner Beschreibung wohl unheimlich grobschlächtig – wer sich die Schmuckstücke näher betrachtet, wird jedoch erstaunt darüber sein, wie filigran sie sind. Um einen Ring mit Steinen zu besetzen, braucht Bruno Eberle etwa sechs Stunden. Sechs Stunden höchste Konzentration, über das Mikroskop gebeugt und mit der Angst im Nacken, bei einer falschen Bewegung wieder von vorne anfangen zu müssen – für mich persönlich eine Horrorvorstellung, für Eberle eine meditative Arbeit, die ihm Spaß macht. Ich scheitere schon dabei, aus einem Wachsring irgendetwas Ansehnliches zu schnitzen – und stehe im Anschluss noch ehrfürchtiger vor den Ausstellungsstücken im Laden.
Die alten Techniken neu zu erlernen – das kann auch bedeuten, die Kreativität, den Stolz und die Vielseitigkeit wiederzuentdecken, für welche die Region berühmt war und ist. Und sich mit den eigenen Innovationen in eine Tradition der Unbeugsamen, der Querköpfe und vielleicht auch der ein wenig Verrückten zu stellen. Für Fortschritt und Innovation braucht es eine gewisse Portion Unangepasstheit, ein Stück weit Kühnheit, damals wie heute – beides zieht sich wie eine rote Linie durch die Geschichte Pfrontens.
Pfronten im Allgäu |
Der Ort Pfronten ist ein kleiner Ort mit etwa 8.000 Einwohnern im Ostallgäu, direkt an der Grenze zu Österreich. Etwa 15 Kilometer sind es bis nach Füssen und Schloss Neuschwanstein, Pfronten selbst ist jedoch angenehm ruhig und beschaulich. |
Die Mächler Mehr Infos zu den Mächlern findet ihr hier oder in dieser wunderschön bebilderten Broschüre. Der BR hat eine 45-minütige Dokumentation über die Mächler gedreht, die man sich online ansehen kann. In Pfronten selbst gibt es leider (noch) keine »Anlaufstelle« zu den Mächlern – die Gemeinde hat jedoch selbst einen Film über die Handwerksgeschichte des Ortes gedreht, den man vor Ort auf DVD kaufen kann. In Pfronten selbst gibt es nicht nur die Möglichkeit, Werkstätten und Läden zu besichtigen, man kann in Kursen auch selbst aktiv werden. |
Bruno Eberle Mehr Informationen zu Bruno Eberle und vor allem seinen Schmuckstücken gibt es auf seiner Website. Dort gibt es auch einen Online-Shop, in dem man neben Ringen vor allem Anhänger mit Sportmotiven kaufen kann. Am spannendsten sind jedoch wohl die Kurse, die er anbietet – in einem oder zwei Tagen stellt man dabei ein eigenes Schmuckstück von Anfang bis Ende her. |
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