Brügge sehen und sterben?!

Ver­gesst das Para­dies! Wer braucht schon die Unsterb­lich­keit der See­le, 72 Jung­frau­en und sin­gen­de Engel, wenn der Him­mel in Bel­gi­en liegt. In Brüg­ge. In jedem Stück Scho­ko­la­de, an jedem Waf­fel­stand und in jedem küh­len Bier. Hier ist er, voilá, der Gar­ten Eden.

Schoki

Ich bin über­for­dert. Ein Cho­co­la­tier reiht sich an den nächs­ten. Wie eine Per­len­ket­te ver­lo­cken sie, laden ein zur Gier. Ich ste­he vor unzäh­li­gen hand­ge­schöpf­ten Pra­li­nen. Run­de, ecki­ge, süße, bit­te­re, schar­fe, zar­te, schwe­re, bun­te und immer lockend. So lockend, dass ich deran­giert hin­aus­ren­ne und einem Waf­fel­bä­cker flugs in die Fal­le gehe. Ich bin zu schwach. Ich las­se mich zu Sah­ne, Zucker, Scho­ko­la­den­sauce und Eis mit bel­gi­schem Fähn­chen ver­füh­ren. Waf­fel­lo­se Men­schen gehen an mir vor­über und beob­ach­ten mich und mei­ne Aus­beu­te. Über­trei­be ich? Mit­nich­ten.

Beste Waffeln

EXPEDITION INS BIERREICH

Nach der klei­nen kuli­na­ri­schen Orgie und immer noch fas­sungs­los von all der Scho­ko­la­de in den Gas­sen, besu­che ich das Bier­mu­se­um. Ent­schei­dend für mei­nen kul­tu­rel­len Aus­flug ist weni­ger die His­to­rie des Gers­ten­saf­tes, son­dern viel­mehr die inbe­grif­fe­ne Bier­ver­kos­tung am Ende der Füh­rung. Das Muse­um selbst ist nur mäßig inter­es­sant, das Bier hin­ge­gen ist vor­züg­lich. Tom, der Kell­ner, schenkt mir ein. Vom acht­pro­zen­ti­gen Brug­ge Tri­pel wird mir warm. Tom erklärt mir, dies sei das bes­te Bier in sei­ner Hei­mat­stadt. Und er fragt mich nach mei­nen Abend­plä­nen.

Mehr als tau­send Bier­sor­ten gibt es in dem klei­nen Land. Ich trin­ke mich durch sechs. Das reicht fürs ers­te Glück. Tom hin­ter­lässt aller­dings kei­nen Ein­druck, dafür aber das Bour­go­gne de Fland­res Bru­ne, ein Bier aus der legen­dä­ren Tim­mer­mans Braue­rei, die als ältes­te Lam­bic Braue­rei der Welt gilt. Bit­ter­süß, wür­zig, rund. Wenn ich die Geschich­te rich­tig ver­stan­den habe, gab es einst vor sehr lan­ger Zeit einen trau­ri­gen Glöck­ner. War­um er trau­rig war, weiß ich nicht, aber als Auf­hei­te­rung kre­ierten die Ein­woh­ner für ihn die­ses Gebräu. Und nur das zählt.

Bier­se­lig ver­ab­schie­de ich mich von Tom und er krit­zelt noch schnell sei­ne Han­dy­num­mer auf einen Deckel. “Just in case.” Für alle Fäl­le, meint er.

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Am nächs­ten Tage schlen­de­re ich durch das Alt­städt­chen und bin ganz hin­ge­ris­sen. Brüg­ge wur­de nie durch Krie­ge oder Brän­de zer­stört und des­halb sind die mit­tel­al­ter­li­chen Häu­ser wun­der­bar erhal­ten. Pfer­de­kut­schen pre­schen über das Kopf­stein­pflas­ter, Boo­te tuckern durch die Kanä­le und über­all duf­tet es süß und herz­haft.

Ich esse Frit­ten im wohl bes­ten Laden der Stadt. Bei Chez Vin­cent. Köst­lich. Per­fekt. Etwas wei­ter rauf die Stra­ße hockt McDonald’s wie eine häss­li­che Spin­ne. Mir ist unver­ständ­lich, war­um sich Leu­te die­se labb­ri­gen Pom­mes rein­stop­fen, obwohl direkt neben­an das Para­dies der Frit­te­rie war­tet. Dumm­heit bleibt gren­zen­los.

Nach dem Schmaus stei­ge ich die 366 Stu­fen des Bel­frieds hin­auf. Die­ser 83 Meter hohe Glo­cken­turm aus dem 13. Jahr­hun­dert ist das Wahr­zei­chen Brüg­ges. Die Aus­sicht amor­ti­siert den schweiß­trei­ben­den Auf­stieg. Zum Glo­cken­spiel bin ich oben ange­langt, 47 Bron­ze­glo­cken don­nern, als woll­ten sie mich begrü­ßen. Zumin­dest bil­de ich mir das ein.

Hunger

Wei­ter geht’s in die Lieb­frau­en­kir­che. Hier steht Michel­an­ge­los berühm­te Brüg­ger Madon­na. Doch wo ist sie nur? Bin ich blind? Oder blöd? Wird sie restau­riert? Ste­he ich bereits vor ihr? Ich sehe sie nicht. Lus­tig ist aller­dings das “Bit­te Ruhe” Schild. Neben der Anwei­sung hockt ein Arbei­ter und lärmt mit sei­ner Stich­sä­ge, die sich in eine Säu­le bohrt.

Am Nach­mit­tag wage ich mich ins His­to­ri­um. Weni­ger Muse­um als viel­mehr ein mit­tel­al­ter­li­ches Dis­ney­land. Mit einem Audio­gui­de wird man durch sie­ben his­to­risch kor­rekt rekon­stru­ier­te The­men­räu­me geführt, die alle Sin­ne anspre­chen sol­len. Im nach­ge­bil­de­ten Ate­lier des Malers Jan van Eyck riecht es nach Ter­pen­tin. Im düs­te­ren Innen­hof rie­selt es Schnee von der Decke und durch Video­pro­jek­tio­nen wird das Erleb­nis inter­ak­tiv. Ich bin begeis­tert. Zuge­ge­ben, die Lie­bes­ge­schich­te, die den Rah­men der Füh­rung bil­det, ist banal, aber mit gro­ßen Kin­der­au­gen las­se ich mich ein­lul­len. Und bin im 15. Jahr­hun­dert.

The Chocolate Line

Wie­der drau­ßen im Tages­licht esse ich die nächs­te Waf­fel und kau­fe end­lich Pra­li­nen. Ich habe mich ent­schie­den: Für die berühm­te Scho­ko­schmie­de The Cho­co­la­te Line, die mit einem Miche­lin-Stern aus­ge­zeich­net wur­de. Hier gibt es sogar Pra­li­nen mit Zwiebel‑, Wasa­bi- oder Hanf-Geschmack. Und auch die Caber­net Sau­vi­gnon Pra­li­né darf nicht feh­len. Ich kau­fe sie alle.

Brüg­ge sehen…und ster­ben? – so heißt ein Film mit Colin Far­rell. Ich erwei­te­re den Titel: Brüg­ge sehen, dort essen, dort trin­ken und dann erst ster­ben.

Grachten

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Antworten

  1. Avatar von Beatrice

    Jetzt muss ich nach Brüg­ge. Ein­deu­tig. 😀 Ich kann das Hotel Sei­ser Alm sehr emp­feh­len. Auch eine wun­der­schö­ne Aus­sicht und sehr gutes Essen. Das ist wirk­lich schlem­men in den Ber­gen. *.*

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