Beim Busch-Doktor

Lake Bon­y­onyi, Ugan­da

»Wie geht’s dei­nem Fuß?«, fragt Cathi mich und blickt besorgt auf mei­nen ange­schwol­le­nen Knö­chel, den ich zusam­men mit mei­nem nicht-defor­mier­ten Fuß in die Abend­son­ne hal­te.

»Geht so«, sage ich und rei­be mir thea­tra­lisch mit schmerz­ver­zerr­tem Gesicht das Bein.

Seit ich in Enteb­be in einen Abwas­ser-Schacht gefal­len bin, habe ich Pro­ble­me rich­tig auf­zu­tre­ten. Das ist einer­seits ein­fach läs­tig, da es direkt am ers­ten Tag der Rei­se pas­siert ist und auf der ande­ren Sei­te sogar ziem­lich pro­ble­ma­tisch, da in den nächs­ten Tagen ein Track zu den Goril­las im Bwin­di Natio­nal­park geplant ist, den ich unter die­sen Umstän­den nur schwer wer­de bewerk­stel­li­gen kön­nen.

Außer­dem weiß ich nicht, was pas­siert, wenn mein Kör­per plötz­lich mit­ten im Urwald schlapp macht.

Ich könn­te mir vor­stel­len, dass die Fuß­kran­ken wie bei den alten Römern ein­fach zurück­ge­las­sen wer­den. Wenn es bis dahin nicht bes­ser wird,  sehe ich schon ein Dschun­gel-Grab im Sti­le von Dian Fos­sey.

»Hier ruht Lenn­art. Er über­leb­te Män­ner­grip­pe, aus­ufern­des Stu­den­ten­le­ben und gebro­che­nes Herz. Ein ver­stauch­ter Fuß und man­geln­de Kon­di­ti­on raff­ten ihn dahin«

Wie und war­um ich in die­sen Schacht gefal­len bin, ist übri­gens eine ande­re Geschich­te, die viel­leicht ein ander­mal erzählt wird.

In die­sem Moment jeden­falls hab ich immer noch mit den Fol­gen zu kämp­fen.

Wir sit­zen unweit des Ufers des Lake Bun­y­onyi auf der Ter­ras­se der Ediri­sa Lodge, in die wir uns für ein paar Tage ein­ge­mie­tet haben, als Andrew um die Ecke kommt, die gute See­le der Lodge, Mana­ger, Haus­meis­ter, Tour­gui­de und Trink-Bud­dy in einer Per­son.

»Was geht?«, fragt Andrew, lächelt uns an und setzt sich zu uns.

Sehr gut, ein neu­es Opfer, dem ich von mei­nem Lei­den vor­jam­mern kann.

Andrew blick betrof­fen auf mei­nen geschwol­le­nen Knö­chel.

»Ich mache mor­gen eine Tour zur Insel auf der ande­ren Sei­te. Dort gibt es einen Medi­zin­mann, der kann dir viel­leicht hel­fen. Wenn du willst, könnt ihr mit­kom­men, wir haben noch Platz«, sagt Andrew und ergänzt, dass auch ein Zwi­schen­stopp in einem Berg­dorf ein­ge­plant ist, deren Ein­woh­ner ihr eige­nes Bier brau­en.

Eine even­tu­el­le (pseu­do-medi­zi­ni­sche) Hei­lung für mei­nen lädier­ten Fuß und selbst­ge­brau­tes Bier?

Ich muss nicht lan­ge über­le­gen und auch Cathi ist ange­tan, auf die­se Wei­se etwas die Regi­on zu erkun­den.

Am nächs­ten Mor­gen geht es früh los. Ich bli­cke noch etwas ver­schla­fen auf den See, trin­ke den Rest mei­nes Tees, in Milch auf­ge­koch­ter Schwarz­tee mit Kar­da­mom, Zimt, Ing­wer und viel, viel Zucker und sehe zu, wie die Son­ne lang­sam über den vul­ka­ni­schen Gip­feln der Inseln vor mir empor­steigt und die Umge­bung in silb­ri­ges Licht taucht.

Es ist unmög­lich zu schät­zen, wie vie­le Liter afri­ka­ni­schen Tees ich in den letz­ten Tagen in mich rein­ge­kippt habe, aber ich bekom­me ein­fach nicht genug von dem Zeug. Ich fah­re prü­fend mit der Zun­ge über mei­ne Zäh­ne, aber noch scheint sich der Zucker nicht bemerk­bar zu machen. Ich bestel­le also eine wei­te­re Kan­ne Tee und genie­ße noch etwas den Aus­blick von der in die Bäu­me gezim­mer­ten Ter­ras­se, auf der ich die meis­te Zeit des Tages ver­brin­ge, um zu schrei­ben, mich zu ent­span­nen und um mich am Aus­blick über den See zu erfreu­en.

Irgend­wann taucht am Hori­zont ein Boot auf. Kurz dar­auf ein wei­te­res, die zunächst kurz am Hori­zont ent­lang­fah­ren und dann auf uns zusteu­ern.

Andrew begrüßt die Boots­fah­rer von wei­tem und hilft ihnen beim Anle­gen. Er signa­li­siert Cathi und mir, mit ihm in das vor­de­re der bei­den rus­ti­ka­len, aus einem Euka­lyp­tus­stamm geschla­ge­nen Boo­te ein­zu­stei­gen, war­tet, bis wir uns gesetzt haben und stößt uns mit einem kräf­ti­gen Fuß­tritt vom Ufer ab.

Die Boo­te haben weder ein Ruder noch einen ver­nünf­ti­gen Kiel, es erfor­dert also eine Men­ge Übung und Geschick, um die schwe­ren Baum­stäm­me in die Rich­tung zu manö­vrie­ren, in die man möch­te.

Ich bin froh, dass Andrew das Ruder über­nimmt, da ich wahr­schein­lich das Boot direkt zum Ken­tern gebracht hät­te, oder ein­fach lau­fend im Kreis gepad­delt wäre.

»Mzun­gu Skrew­dri­ver«, wer­den die­se unkon­trol­lier­ten Dre­hun­gen von Tou­ris­ten wie mir von den Ein­hei­mi­schen genannt.

Das Wort »Mzun­gu« kommt aus dem Swa­hi­li und bedeu­tet so viel wie »Wei­ße Haut«, ein Kose­na­me, an den wir uns die letz­ten Wochen gewöh­nen muss­ten.

Die Über­fahrt zur Insel dau­ert etwa zehn Minu­ten. Unter­wegs kom­men uns ande­re, ähn­lich rus­ti­ka­le Boo­te ent­ge­gen. Frau­en, die allei­ne die zur Gän­ze mit Reis­sä­cken, Gemü­se oder Rei­sig­bün­deln gefüll­ten Ein­bäu­me über den See pad­deln, Kin­der in bun­ten Uni­for­men, die zur Schu­le gebracht wer­den und jun­ge Män­ner auf dem Weg zur Arbeit kreu­zen unse­ren Weg.

Wir kom­men zügig vor­an, wenn auch nicht zwin­gend durch Cathis und mei­ne Mit­hil­fe. Links und rechts von uns zie­hen sich grü­ne Hügel über den Hori­zont.

29 Inseln gibt es im See, die meis­ten unbe­wohnt. Die Land­schafts­for­men, die sich vor uns erstre­cken sind dabei einem bestimm­ten Umstand geschul­det. Da von den Vul­ka­nen, die jetzt die Inseln bil­den, wesent­lich mehr Regen abläuft, als über die klei­nen Flüs­se ins Lan­des­in­ne­re ablau­fen kön­nen, sind die Täler über die letz­ten Zehn­tau­send Jah­re nach und nach voll­ge­lau­fen und haben so den See erschaf­fen, über den wir gera­de pad­deln. Die­ser Pro­zess ist dabei kei­nes­wegs abge­schlos­sen, der Was­ser­spie­gel steigt wei­ter, und die klei­nen Häu­ser am Ufer wer­den dem Was­ser im Lau­fe der Jahr­hun­der­te zum Opfer fal­len. Das scheint die Men­schen, die hier leben aller­dings momen­tan noch nicht zu inter­es­sie­ren.

Als wir anle­gen wer­den wir bereits von win­ken­den Kin­dern auf dem Weg zur Schu­le begrüßt.

Wie ich befürch­tet habe, geht es von hier­aus berg­auf. Über aus­ge­tre­te­ne Tram­pel­pfa­de lau­fen wir vor­bei an klei­nen, stroh­ge­deck­ten Lehm­hüt­ten, vor denen die Men­schen Obst und Gemü­se, Kräu­ter und etwas Getrei­de anbau­en.

Frü­her sei die Regi­on berühmt für ihren Honig gewe­sen, berich­tet Andrew, aber seit auf den Berg­hän­gen Euka­lyp­tus für den Boots­bau ange­baut wird, da die­se wesent­lich schnel­ler wach­sen als die ein­hei­mi­schen Bäu­me, ist die­se Zeit vor­bei.

Die Gif­te der Pflan­ze sorg­ten dafür, dass die Bie­nen­völ­ker nach und nach aus­star­ben.

»Hast du die Trom­meln vor­hin gehört? Das war das Zei­chen für die Kir­che. Heu­te wird hier am See Tau­fe gefei­ert«, erklärt Andrew mir, als wir an einer klei­nen Kir­che vor­bei­lau­fen. Eini­ge Meter vor der Kir­chen­tür ste­hen die mit Kuh­fell bezo­ge­nen Trom­meln.

»Das hat wesent­lich mehr Style, als unser pene­tran­tes Glo­cken­spiel«, den­ke ich mir und über­le­ge, wann ich das let­ze mal in der Kir­che war. Könn­te mei­ne Kon­fir­ma­ti­on gewe­sen sein.

Immer höher geht es über Tram­pel­pfa­de, durch grü­ne Wie­sen, vor­bei an klei­nen Hüt­ten, Äckern und ein paar ver­ein­zel­ten Kühen, Zie­gen und Scha­fen, die uns neu­gie­rig hin­ter­her­schau­en.

Frau­en mit Stroh­kör­ben auf dem Kopf über­ho­len uns, so leicht­fü­ßig und ele­gant, dass ich kurz beein­druckt ste­hen­blei­be. Ich habe schon Pro­ble­me mit Andrew Schritt zuhal­ten, ohne, dass ich irgend­et­was auf dem Kopf balan­cie­ren muss.

»Liegt an mei­nem kaput­ten Fuß«, ver­su­che ich mir ein­zu­re­den.

»Das sind die Geschen­ke und das Essen für die Tau­fen«, erklärt Andrew die Kör­be.

Dann gelan­gen wir zum Dorf. Schon von Wei­tem hören wir Gesang.

»Da scheint ja eini­ges los zu sein«, sage ich zu Andrew.

»Ich sag ja: Tau­fe. Es wur­den bestimmt zehn Kin­der getauft und die gan­zen Fami­li­en aus dem Umkreis sind gekom­men, um zu fei­ern. Die Leu­te wer­den wahr­schein­lich ziem­lich betrun­ken sein«, lacht Andrew.

Erst jetzt fal­len mir die vie­len klei­nen Gin­fla­schen auf, die am Weges­rand lie­gen.

Wir wer­den herz­lich und über­schwäng­lich von den Ein­woh­nern des Kya­ba­hin­ga Dorfs auf­ge­nom­men, wer­den umarmt und es dau­ert nicht lan­ge, bevor wir von einem der Män­ner, der sich als San­yo vor­stellt, sanft in eins der klei­nen Lehm­häu­ser gescho­ben wer­den, um das ange­prie­se­ne Bier zu ver­kös­ti­gen.

Das Bier der Dorf­be­woh­ner wird aus gego­re­nen Sorg­hum-Samen her­ge­stellt, die zunächst in Säcken in den See gelegt, dann mit Asche ange­rei­chert, ein­ge­gra­ben und mit Bana­nen­blät­tern zuge­deckt wer­den, bis die Samen anfan­gen zu kei­men. Dann wird das Gan­ze gemah­len, in Was­ser gege­ben und aber­mals für meh­re­re Woche ein­ge­gra­ben, bis die Samen fer­men­tiert und die Flüs­sig­keit gego­ren ist und das her­aus­kommt, was die Leu­te hier Bier nen­nen.

Wir bekom­men direkt gro­ßen Hum­pen in die Hand gedrückt, der bis zum Rand mit trü­ben, etwas dick­flüs­si­gen Sorg­hum-Bier gefüllt ist.

Jeder im Kreis trinkt etwas und gibt anschlie­ßend den Becher wei­ter, das sei so Tra­di­ti­on wird uns erzählt. Frü­her sei es außer­dem Regel gewe­sen, dass die Frau dafür zu sor­gen hat­te, dass der Bier­hum­pen des Man­nes immer mit Bier gefüllt war.

Ich ver­knei­fe mir die 30 Chau­vi-Wit­ze, die mir auf der See­le bren­nen und läch­le Cathi statt­des­sen nur an, als sie mir den Becher gibt.

Ich bin als letz­ter dran.

Als »Bier« kann man das trü­be Zeug, das bla­sen­schla­gend in dem gro­ßen Becher in mei­ner Hand hin und her schwappt, wahr­lich nicht bezeich­nen.

In Bay­ern wür­de man für die­ses Pro­dukt wahr­schein­lich auf dem Markt­platz an den Pran­ger und mit schim­li­gem Hop­fen bewor­fen wer­den.

Ich neh­me einen gro­ßen Schluck und hät­te ihn am liebs­ten direkt wie­der zurück in die Tas­se gespuckt.

Sorg­hum schmeckt wie eine Mischung aus Cider und ver­go­re­ner Zie­gen­milch und hin­ter­lässt einen pel­zi­gen Bei­geschmack auf mei­ner Zun­ge.

»Und? Geil, Mann, oder?« fragt Sanyu mich.

»Mega«, sage ich und ver­su­che wäh­rend­des­sen nicht zu wür­gen.

»Willst du noch eins? Oder willst du was ande­res?«, fragt er.

Er scheint mei­nen leicht ange­ekel­ten Blick rich­tig zu inter­pre­tie­ren.

Ohne mei­ne Ant­wort abzu­war­ten steht Sanyu auf, kommt eini­ge Augen­bli­cke spä­ter mit einem Liter-Maß-Krug voll mit Gin-Tonic zurück und drückt mir den Hum­pen in die Hand.

Ich bli­cke auf die Uhr.

Kurz vor 10 Uhr.

Und wir haben noch nicht mal die Hälf­te des Anstiegs geschafft.

»Boa, Sanyu, wir müs­sen noch ganz zum Medi­zin­mann. Und ich weiß nicht, ob ich da betrun­ken sein soll­te, nicht, dass er mich ver­hext oder so«, sage ich, aber Sanyu schüt­telt nur lachend den Kopf.

»Das ist auch Medi­zin«, sagt er und signa­li­siert mir zu trin­ken, damit er anschlie­ßend eben­falls einen Schluck aus dem Glas neh­men kann.

Ist tat­säch­lich gar nicht schlecht.

Für Medi­zin.

»So, und jetzt gehen wir tan­zen«, sagt Sanyu, als wir den Hum­pen geleert haben.

Drau­ßen ist man schon längst dabei.

Ich weiß nicht, wie viel Pro­zent Alko­hol in der Sorg­hum-Plör­re ist, aber die Stim­mung ist so aus­ge­las­sen, dass ich davon aus­ge­he, dass im Lau­fe der Tauf-Fei­er­lich­kei­ten schon der ein oder ande­re Liter davon geflos­sen ist.

Wir haben aller­dings mitt­ler­wei­le auch eini­ges ver­kös­tigt, was dazu führt, dass wir

A.) direkt gepackt und zum Mit­tan­zen ani­miert wer­den und es

B.) auch mit uns machen las­sen.

Wir tan­zen eini­ge Zeit mit den Ein­hei­mi­schen und hören ihren lau­ten, schril­len Gesän­gen zu, wäh­rend die umher­ste­hen­den Män­ner und Frau­en auf Plas­tik­ka­nis­tern, Glas­fla­schen und ihren Schen­keln im Takt trom­meln.

Irgend­wann signa­li­siert Andrew uns, dass wir wei­ter müs­sen.

Noch wei­ter.

Noch höher.

In bun­te Tücher gehüll­te Frau­en bear­bei­ten die Fel­der neben uns, die meis­ten von ihnen mit einem Kind auf dem Rücken gebun­den, dem die schau­keln­den, durch die schwe­re Feld­ar­beit ver­ur­sach­ten, Bewe­gun­gen nichts aus­zu­ma­chen schei­nen.

Nur weni­ge Tage alte Zick­lein am Weges­rand ren­nen panisch zu ihren Müt­tern, als sie uns sehen.

Ich kann die »Medi­zin«, die Sanyu mir ein­ge­flößt hat gut in mei­nem Blut­kreis­lauf mer­ken und kon­zen­trie­re mich des­halb weni­ger auf mei­nen schmer­zen­den Fuß und viel­mehr dar­auf, mir beim Auf­stieg durch die nicht befes­tig­ten und mit Geröll über­sä­ten Hän­ge nicht noch wei­te­re Tei­le mei­nes Kör­pers zu ver­let­zen.

Der Schweiß­fleck, der sich qua­si mit Beginn unse­rer Wan­de­rung auf mei­nem Rücken gebil­det hat, hat sich mitt­ler­wei­le mit denen ver­bun­den, die sich mit jedem Schritt von mei­nen Ach­seln über den Rest mei­nes Shirts aus­ge­wei­tet haben. Ich mache wahr­schein­lich einen sehr deso­la­ten Ein­druck, als wir end­lich an der Hüt­te des Medi­zin­manns am höchs­ten Punkt der Insel ankom­men.

Wir wer­den bereits am Gar­ten­tor erwar­tet, das so schief in den Angeln hängt, dass es sich wahr­schein­lich gar nicht mehr bewe­gen lässt.

Als Medi­zin­mann hät­te ich mir eigent­lich einen in Tier­fäl­le und Feder­schmuck gehüll­ten Mann mit Holz­mas­ke und Ras­seln aus­ge­malt, statt­des­sen steht ein klei­ner, hage­rer Mann mit gebü­gel­tem Hemd, kur­zen Haa­ren, Stoff­ho­se und schwar­zen Leder­schu­hen vor uns, der sich als Bara­ra Gad vor­stellt und uns lächelnd bit­tet ihm in sei­nen Gar­ten  zu fol­gen.

Zuerst erklärt er uns etwas über sei­ne Heil­kunst und die Kräu­ter, die er ver­wen­det. Den Beruf des Medi­zin­manns hat er von sei­nem Vater gelernt, und der wie­der­um von des­sen Vater.

Laut eige­ner Aus­sa­ge kann er so gut wie alle Krank­hei­ten und Weh­weh­chen hei­len und ist außer­dem in der Lage einen, nach eige­ner Aus­sa­ge, äußerst wirk­sa­men Lie­bes­trank zu brau­en. Ein Trop­fen genü­ge und jeder Mann und jede Frau, sei dem Anwen­der ver­fal­len. True Sto­ry!

Ich bli­cke zu Cathi her­über, ent­schei­de dann aller­dings, dass wir so etwas an die­sem Punkt unse­rer Bezie­hung noch nicht nötig haben. Ich beschrän­ke mich daher auf mei­nen Fuß und erklä­re Bara­ra Gad von mei­ner Ver­let­zung.

Er wirft einen Blick auf mein Bein und nickt.

Dann steigt er hin­ab in sei­nen Kräu­ter­gar­ten, um die nöti­gen Pflan­zen zu pflü­cken, wäh­rend ich müh­sam hin­ter­her hump­le.

Er greift ziel­si­cher in das Beet vor sich, pflückt ver­schie­de­ne Pflan­zen, die ich alle­samt als Unkraut abge­tan hät­te, zer­reibt sie in sei­ner Hand und drückt den kleb­ri­gen, grü­nen Klum­pen gegen mei­nen geschwol­le­nen Knö­chel.

»Fer­tig«, sagt er.

Ich bin noch etwas miss­trau­isch und leicht ent­täuscht. Ich habe zwar kei­ne Teu­fels­be­schwö­rung erwar­tet, aber zumin­dest sin­gen hät­te er bei der Behand­lung kön­nen. Nur für die Show.

Ich bedan­ke mich trotz­dem höf­lich beim Medi­zin­mann, gebe ihm etwas Geld und wir begin­nen den Abstieg.

Aber­mals pas­sie­ren wir zahl­rei­che Men­schen aus dem Dorf und den umlie­gen­den Hüt­ten, die uns freu­dig Grü­ßen und ent­ge­gen strah­len.

Ich weiß nicht, ob es tat­säch­lich die Kräu­ter sind, oder immer noch die Nach­wir­kun­gen von Sany­us Gin-Tonic, aber die Schmer­zen wer­den tat­säch­lich nach eini­ger Zeit etwas ange­neh­mer. Die Säf­te des zer­rie­be­nen Grün­zeugs, die sich mitt­ler­wei­le in mei­nen Socken geso­gen haben, strah­len eine ange­neh­me Küh­le ab, die sich wohl­tu­end um mei­nen ent­zün­de­ten Knö­chel legt.

»Habt ihr Hun­ger?«, fragt Andrew.

Jetzt wo er fragt, bemer­ke ich plötz­lich das Loch in mei­nem Magen, das gefüllt wer­den möch­te.

Doch wie bis­her immer, weiß Andrew auch für die­ses Pro­blem Abhil­fe.

Hin­ter dem nächs­ten Hügel wer­den wir schon erwar­tet, Andrew hat unser Kom­men bereits ange­kün­digt.

Schon von Wei­tem kön­nen wir wei­ße Rauch­schwa­den aus einer Well­blech­kam­mer empor­stei­gen sehen, die nicht viel grö­ßer ist, als ein Dixi­klo und unweit einer Hüt­te klei­nen, oran­ge­ge­tünch­ten Lehm­hüt­te steht, in die wir zum Mit­tag­essen ein­keh­ren. Im Innern der Well­blech-Koch­ni­sche sitzt Mama Anna, allein­er­zie­hen­de Mut­ter von zehn Kin­dern (daher der Name), und rührt mit einem Koch­löf­fel in einem gro­ßen Topf vol­ler Boh­nen, die lang­sam über einer klei­nen Feu­er­kuh­le auf der Erde vor sich hin­kö­cheln. Ein Traum für jeden Bud Spen­cer-Fan.

Mein Magen drückt mit einem lau­ten Knur­ren sein Wohl­wol­len aus, als der Duft des Boh­nen­ein­topfs in mei­ne Nase steigt.

Ich fra­ge, ob ich irgend­wie hel­fen kann, aber Anna winkt lachend ab und signa­li­siert mit einer Hand­be­we­gung, dass wir es uns im Haus bequem machen sol­len.

Eini­ge Zeit spä­ter trägt einer ihrer Söh­ne auch schon das Essen her­ein, bevor auch Anna sich zu uns gesellt.

Das Essen ist fan­tas­tisch.

Boh­nen, Yam, Kar­tof­feln und ein Reis-Pamps, des­sen Namen ich ver­ges­sen habe, dazu etwas Fleisch, alles ver­fei­nert mit Gewür­zen von denen ich noch nie gehört habe. Das Essen ist nicht fan­cy, aber authen­tisch und, so kli­schee­haft es klingt, mit Lie­be gekocht.

Genau das, was ich nach solch einem Marsch brau­che.

Anschlie­ßend zeigt Mama Anna uns, womit sie, abge­se­hen vom Gemü­se­an­bau und den paar Tie­ren die sie hat, ihre Fami­lie ernährt.

In Hand­ar­beit stellt sie Schmuck, Stroh­kör­be und aller­lei klei­ne­ren Deko­kram, wie Stro­he­le­fan­ten und Schmuck­dös­chen her, die sie an die Leu­te im Dorf und die paar Tou­ris­ten ver­lauft, die sich zu ihr ver­ir­ren.

Sie schnappt sich ein paar bunt­ge­färb­te Hal­me aus Stroh oder Schilf und zeigt uns, mit was für einer Tech­nik sie Arm­bän­der flech­tet. Ihre schrum­pe­li­gen Fin­ger bewe­gen sich dabei so schnell, dass ich, im wahrs­ten Sin­ne des Wor­tes, den Faden ver­lie­re.

»Und jetzt ihr«, sagt sie, drückt uns ein paar bun­te Stroh­hal­me in die Hand, zeigt uns erneut die ers­ten Schrit­te, wäh­rend sie dabei zusieht, wie wir mehr schlecht als recht ver­su­chen es ihr nach­zu­tun.

»Den hier­über… nein, war­te, zuerst den andern Halm… und dann den hier? Gehört der jetzt drun­ter oder drü­ber?«, geht es mir für eine vier­tel Stun­de durch den Kopf, bevor ich end­lich fer­tig bin.

Anna lacht, als sie das fer­ti­ge End­pro­dukt sieht, dass sich in mei­ner Hand befin­det und blickt mich etwas mit­lei­dig aber lie­be­voll an.

Ein Blick, den ich noch zu gut aus Schul­zei­ten ken­ne.

»Er hat sich Mühe gege­ben«, stand in die­sen Fäl­len dann meist am Ende des Schul­jahrs im Zeug­nis.

Anna nimmt mir das Arm­band ab, löst die letz­ten fünf Zen­ti­me­ter, an denen ich ver­sucht habe die bei­den Enden zusam­men­zu­füh­ren, wie­der auf und flech­tet sie erneut.

Das Ergeb­nis ist ein Arm­band, das jetzt zu zehn Pro­zent schön und zu 90 Pro­zent schei­ße aus­sieht.

Ich bli­cke etwas gefrus­tet auf das völ­lig defor­mier­te Ding an mei­nem Hand­ge­lenk, als wir Anna zum Abschied zuwin­ken und uns an den Abstieg zurück zum See machen.

»Tööö­te mich«, scheint mich das miss­ge­bil­de­te Ding an mei­nem Arm anzu­fle­hen, aber ich tue ihm nicht den Gefal­len und beschlie­ße statt­des­sen, das von mir in (fast) lie­be­vol­ler Hand­ar­beit her­ge­stell­te, leicht abs­trak­te Kunst­werk mit Stolz zu tra­gen.

›n biet­je scheev hett Gott leef, wie wir in Ost­fries­land sagen.

Unser schwim­men­der Baum war­tet bereits am Ufer auf uns. Dane­ben lie­gen eini­ge Säcke Sorg­hum-Samen. Für den Nach­schub an Alko­hol ist also gesorgt. Mir wird kurz schlecht, als ich dar­an den­ke.

Der Abstieg ist stei­nig und vol­ler Geröll und ich muss auf­pas­sen, dass ich mir nicht noch mei­nen zwei­ten Fuß ver­tre­te. Die Dorf­be­woh­ner müs­sen die­sen Abstieg jeden Tag mehr­mals bewäl­ti­gen, um Was­ser vom See zu holen.

Wir pas­sie­ren eine klei­ne, unbe­wohn­te Insel in der Mit­te des Sees, Pri­son Island, wie Andrew erzählt.

Hier wur­den frü­her Frau­en aus­ge­setzt, die unver­hei­ra­tet schwan­ger wur­den und ihrem Schick­sal über­las­sen.

»Eini­ge wur­den, wenn sie Glück hat­ten, von Män­nern aus dem Dorf geret­tet, die sich kei­ne »rich­ti­ge« Frau leis­ten konn­ten, aber längst nicht alle«, erzählt Andrew tro­cken.

»Krass. Wie vie­le Jahr­hun­der­te ist das schon her?«, fra­ge ich Andrew, wor­auf­hin er lacht.

»Kei­ne Jahr­hun­der­te, eine der letz­ten Frau­en, die von der Insel geret­tet wur­den lebt immer noch im Dorf. Ich hab letz­te Woche erst mit ihr gere­det«, sagt Andrew und ich bli­cke etwas beklom­men auf die Insel, die sich als schwar­ze Sil­hou­et­te vor uns abzeich­net.

Der ein­zi­ge Baum auf der Insel ist bevöl­kert von Kor­mo­ra­nen, die wie Aas­gei­er auf den knor­ri­gen Ästen sit­zen. Dun­kel­ge­fie­der­te Boten des Unglücks, das hier einst unzäh­li­gen unschul­di­gen Frau­en wie­der und wie­der wider­fah­ren ist.

Ein kal­ter Schau­er läuft mir über den Rücken.

Ich weiß nicht, ob die­ser von der Geschich­te die­ser klei­nen Insel, oder vom Wind kommt, der wie auf Kom­man­do fri­scher wird, wäh­rend sich die Wol­ken­de­cke wei­ter zuzieht und den See in ein dunk­le Schat­ten hüllt.

Kurz dar­auf fal­len ers­te, dicke Trop­fen, die grö­ßer wer­den­de Krei­se auf der glat­ten Ober­flä­che des Sees schla­gen, bevor der Regen schlag­ar­tig immer stär­ker wird und so dicht fällt, dass wir das Ufer auf der ande­ren Sei­te des Sees bei­na­he nicht mehr sehen kön­nen.

Es dau­ert nicht lan­ge und wir sind nass bis auf die Unter­ho­se und durch­ge­fro­ren bis auf die Kno­chen.

Aber weit sei es nicht mehr, ver­si­chert Andrew uns.

»Gleich erst­mal eine Kan­ne Tee«, den­ke ich mir und schon der Gedan­ke dar­an lässt eine woh­li­ge Wär­me in mir auf­stei­gen, wäh­rend ich etwas stär­ker in die Ruder lege, um mei­nem Ziel näher zu kom­men.

 

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