Bei den Haschischbauern im Rif

Rif-Gebir­ge, Marok­ko

Um mich her­um nichts als Fel­sen und Büsche. Die­se Höhe, die­ser Druck auf den Ohren. Wie bin ich hier nur gelan­det?

Am Tag zuvor

Es ist der drit­te Tag in Chef­chaouen und das, obwohl ich eigent­lich nur einen blei­ben woll­te. Gemein­sam mit zwei Öster­rei­chern, Schorsch und Franz (wie sonst?), mache ich mich auf die Suche nach einem Restau­rant, das Bier aus­schenkt. Wir fin­den sogar eins und beschlie­ßen, uns aus die­sem nie mehr weg zu bewe­gen. Die bei­den erzäh­len mir, dass sie am nächs­ten Tag einen Wan­der­aus­flug ins Rif-Gebir­ge unter­neh­men wol­len und fra­gen, ob ich nicht mit will.

Ich zöge­re.

Ber­ge, die nicht mit einem Lift aus­ge­stat­tet sind, sind eigent­lich nicht so meins. Es dau­er­te daher noch zwei wei­te­re Bier, bis sie mich über­re­det hat­ten.

Heu­te

Hier sind wir nun also, aus­ge­rüs­tet mit Kek­sen und einer Fla­sche O‑Saft, mit­ten in den Ber­gen.

Mei­ne alpi­nen Erfah­run­gen waren vor mei­nem ers­ten Ski-Urlaub lan­ge Zeit auf den mit 9 Metern höchs­ten Berg Ost­fries­lands, den Ply­ten­berg, begrenzt (12 Meter, wenn man den Baum auf dem Wip­fel mit­zählt), sowie den fast 7 Meter über dem Mee­res­spie­gel lie­gen­den west-ost­frie­si­schen Hoch­ge­birgs­zug der Eier­ber­ge nahe Aurich. Es ist also nicht ver­wun­der­lich, dass ich gegen­über mei­nen öster­rei­chi­schen Freun­de leicht im Nach­teil bin, die Berg­zie­gen-ähn­lich über die Fels­vor­sprün­ge und Kluf­ten abseits des Wan­der­wegs kra­xeln, wäh­rend ich eher mit der Gra­zie einer ver­wirr­ten Kegel­rob­be, die man in den Alpen aus­ge­setzt hat, ver­su­che hin­ter­her­zu­kom­men.

Irgend­wann kom­men wir an einer klei­nen Kir­che an. Mein Hemd klebt an mei­nem Kör­per und ich ver­su­che die Schnapp­at­mung zu unter­drü­cken und mög­lichst so zu tun, als hät­te mir der Auf­stieg nichts ange­habt.

»Schön hier«, sage ich, obwohl ich außer Stern­chen und eini­gen ver­schwom­me­nen Sche­men nicht wirk­lich etwas wahr­neh­men kann.

marokko3

Nach zwei Minu­ten des Ver­schnau­fens lich­tet sich der Schlei­er. Wirk­lich schön hier.

Die klei­ne Kir­che, die nur aus einem ein­zi­gen Raum besteht und einem Kirch­turm, der nicht viel grö­ßer ist als ein han­dels­üb­li­cher Schorn­stein, stammt noch aus der Zeit der spa­ni­schen Besat­zung, erzählt uns ein Ein­hei­mi­scher, der sich als Raoul vor­stellt.

In der Ent­fer­nung sind die Dächer von Chef­chaouen zu erken­nen, zwi­schen denen es hier und da blau von den dar­un­ter lie­gen­den Gas­sen her­vor­blitzt.

Auf einem Mau­er­vor­sprung sit­zen zwei jun­ge Män­ner, spie­len Gitar­re und sin­gen marok­ka­ni­sche Lie­der.

marokko2

Ich hät­te nie gedacht, dass ich mich ein­mal in einer sol­chen Höhe wohl­füh­len könn­te, aber ich füh­le mich, wider mei­ner flach­län­di­schen Natur, wohl.

Raoul erklärt uns wel­che Dör­fer und Täler man von hier oben alle sehen kann und kann uns sogar zei­gen, wo unser Hotel ist.

Er hat Apfel­si­nen dabei und gibt eine Run­de aus. Wir holen unse­re Kek­se her­vor und lau­schen noch etwas dem Gitar­ren­spiel, bevor es beginnt auf­zu­fri­schen und anfängt zu nie­seln.

„Das hört gleich wie­der auf“, sagt Raoul, lädt uns aber trotz­dem auf einen Tee zu sich ins Trock­ne ein. Sei­ne Farm sei gleich in der Nähe, sagt er.

Er ist Haschisch­bau­er.

Guck an.

Er führt uns also hin­auf in sein Dorf. Noch höher. Und dabei hat­te ich mich gera­de vom Auf­stieg erholt.

Die Armut, die in vie­len länd­li­chen Gebie­ten des Lan­des vor­herrscht, ist auch hier zu spü­ren. Die Hüt­ten, die ver­streut in der ber­gi­gen Land­schaft ste­hen, sind klein und teil­wei­se ver­fal­len. Meist bestehen sie nur aus vier Wän­den, die aus porö­sen Lehm zusam­men­ge­baut und spar­ta­nisch mit Well­blech­plat­ten abge­deckt wur­den.

marokko1

Die Bau­ern sind ein­deu­tig nicht die Gewin­ner des welt­wei­ten Dro­gen­han­dels.

„Das sieht nicht so aus, als ob ihr wirk­lich genug für eure Arbeit bekommt. Könnt ihr wirk­lich von eurer Ern­te leben?“, fra­ge ich Raoul.

„Wir haben genug zu essen, unse­re Toch­ter geht zur Schu­le. Das reicht uns“, erzählt Raoul und ich habe auf ein­mal einen Kloß im Hals. Raoul lächelt mich an und ich füh­le mich plötz­lich schlecht. Wann haben wir ange­fan­gen unser per­sön­li­ches Glück in Abhän­gig­keit mate­ri­el­len Über­flus­ses zu set­zen?

Die Bau­ern am Weges­rand grü­ßen freund­lich lächelnd. Ein ehr­li­ches, wenn auch meist zahn­lo­ses Lächeln. Auf den Hän­gen hüten eini­ge Mäd­chen und Jun­gen Zie­gen, die genüss­lich die zwi­schen den Fels­bro­cken wach­sen­den Gras­bü­schel fres­sen.

Nach einer vier­tel Stun­de kom­men wir zu Raouls klei­nem Häus­chen, wo wir von sei­ner Frau begrüßt wer­den, die uns bereits von wei­tem zuwinkt. Sie heißt Azza . Als wir durch die klei­ne Holz­tür ins Inne­re der Hüt­te tre­ten, ist sie bereits dabei Pfef­fer­minz­tee auf­zu­set­zen, den sie frisch aus ihrem Gar­ten gepflückt hat.

Als wir aus­ge­trun­ken haben, führt Raoul uns über sei­ne klei­ne Farm, in sei­ne Scheu­ne und zeigt uns, wie er Haschisch pro­du­ziert.

Ein biss­chen wie die „Sen­dung mit der Maus“ für Erwach­se­ne, den­ke ich.

Die Her­stel­lung von Haschisch ist gar nicht so kom­pli­ziert, wie ich mir es vor­ge­stellt habe. Raoul nimmt eine Schüs­sel, legt ein Sieb drauf und dar­auf wie­der­um eine Hand voll getrock­ne­ter Mari­hua­na-Blü­ten, bevor er die­se mit einem Tuch bedeckt und anfängt mit klöp­peln den stau­bi­gen Harz aus den Blü­ten zu schla­gen.

„Willst du auch mal?“, fragt Raoul mich.

Was für eine Fra­ge.

Ich klem­me die Schüs­sel zwi­schen die Bei­ne und begin­ne mit den Klöp­peln in mei­ner Hand drauf los zu trom­meln.

„Du stellst gra­de Dro­gen her, Lenn­art“, schießt es mir durch den Kopf und ich füh­le mich plötz­lich wie Tony Mon­ta­na.

„Sehr gut! Du bist ein Natur­ta­lent“, lacht Raoul.

Sau­ber, den­ke ich mir, wenn’s mit dem Schrei­ben nichts wird, wer­de ich halt Haschisch­bau­er. Auch Pablo Esco­bar hat mal klein ange­fan­gen.

2 Minu­ten spä­ter

Scheiß auf das Dro­gen­geld. Haschisch­klop­fen ist auf die Dau­er ver­dammt lang­wei­lig. Ich beschlie­ße daher, vor­erst beim Jour­na­lis­mus zu blei­ben. Weni­ger Ner­ven­kit­zel, mehr Kaf­fee­pau­sen und kos­ten­lo­se Schnitt­chen.

Ich drü­cke Raoul die Klöp­pel in die Hand und er stellt die Gerät­schaf­ten zurück in den Schup­pen.

„Wollt ihr eigent­lich was mit­neh­men?“, fragt uns Raoul.

Wir gucken uns an. Ein klei­nes Sou­ve­nir von einer Haschisch­farm klingt eigent­lich ziem­lich cool.

„Eins, zwei, drei? Wie­viel wollt ihr?“, fragt er mich.

„Eins reicht“, sage ich, „Ist nur zum Spaß“

Er nickt, geht in den Schup­pen und kommt mit einem Bro­cken Haschisch in der Grö­ße eines Zie­gel­steins wie­der her­aus, nimmt ein Mes­ser, zer­sä­belt den Klum­pen in zwei Tei­le und drückt mir eins davon in die Hand.

„500 Dir­ham macht das“ (Umge­rech­net etwa 60 Euro)

Ich bli­cke ihn irri­tiert an, wor­auf­hin auch er anfängt etwas ver­wirrt aus der Wäsche zu gucken.

„Ähm… das ist mehr als ein Gramm, oder?“, fra­ge ich ihn, wor­auf­hin der Bau­er anfängt zu lachen.

„Ich dach­te ein Kilo. Weni­ger lohnt sich doch gar nicht“,  sagt er, nimmt den Klum­pen wie­der zurück, bricht ein Stück ab und wirft es uns zu. „Könnt ihr so haben“

Wir wol­len ihm trotz­dem etwas Geld geben, was er aller­dings ablehnt.

Wir blei­ben noch etwas bei ihm, trin­ken Tee mit ihm und sei­ner Frau und er erzählt uns etwas über die Chan­cen und Risi­ken des Mari­hua­na-Anbaus in Marok­ko.

„Wenn die Welt end­lich den Anbau und die Ver­wen­dung von Mari­hua­na lega­li­sie­ren wür­de, könn­ten wir Bau­ern auch end­lich gerech­te Prei­se ver­lan­gen“, sagt er.

Wo er recht hat, hat er recht, den­ke ich mir. Aber da ich nur noch zwei Wochen in Marok­ko bin und für das Anzet­teln einer erfolgs­ver­spre­chen­den Haschisch­bau­ern-Revo­lu­ti­on  min­des­tens drei bräuch­te, beschlie­ße ich, mich über mein Sou­ve­nir zu freu­en und den Grü­nen die Refor­mie­rung der Rausch­mit­tel­ge­set­zes zu über­las­sen.

Erschienen am



Antworten

  1. Avatar von Thomas
    Thomas

    Super geschrie­ben. Ich hof­fe es hat zum Schluss auch geschmeckt. Lg

  2. Avatar von Laura Anninger

    Sehr frech und flüs­sig zu lesen , dan­ke dafür! 🙂 Mir ist selbst ähn­li­ches pas­siert auf einer Wan­de­rung in der Nähe von Chef­chaouen, dar­um freue ich mich umso mehr über den Ein­blick!

  3. Avatar von Ivona
    Ivona

    Was ein Arti­kel?! Wirk­lich bom­bas­tisch geschrie­ben mit der nöti­gen Men­ge an Witz und Sar­kas­mus! Ich fei­er dich! 😀

    1. Avatar von Lennart Adam

      Dan­ke für die Blu­men, das freut mich sehr 🙂

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert